800 Literatur und Rhetorik
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Im Sinne einer "Reisefolgenforschung" wird in dieser Studie danach gefragt, wie sich die ehmalige Landesregentin während des Italienaufenthalts der Kunst und Gesellschaft Italiens näherte, und inwieweit sie in den Jahren danach in der Residenz Weimar als Vermittlerin italienischer Kultur auftrat - Kultur verstanden als die Manifestationen, in denen sich eine Gesellschaft über ihre Lebensformen verständigt. Dies schließt den Konsum und die Verständigung über die Künste mit ein, auf denen der Schwerpunkt das Aufsatzes liegt. Die komplizierte Rezeptionsgeschichte, die Anna Amalia eine außerordentliche Bedeutung als Mäzenin zuschreiben wollte, interessiert an dieser Stelle nicht. Es handelt sich um eine Fallstudie, welche die Handlungsspieräume hochadliger Frauen im Alten Reich vermisst. Damit soll die identifikatorische und idealisierende Umfeldforschung zu den Protagonisten der "Weimarer Klassik" verlassen und Anschluß an die allgemeine Hof- und Reisefoschung gesucht werden.
Das religiöse Verständnis des Osterfestes, auf das häufig in Texten, seltener in den Postkartenbildern angespielt wird, bleibt im Hintergrund. Als Motive dienen u.a. Kinder, Lämmer, Küken und Eier, Frühlingslandschaft und Frühlingsblumen, besonders auch Palmkätzchen. Der Schwerpunkt liegt diesmal auf Motiven mit Lämmern. So wie das Lamm traditionell als Zeichen des Lebens und der Unschuld verstanden wird und sein weißes Fell die innere Reinheit und Frömmigkeit symbolisiert, verweist das Osterlamm (Agnus Dei) in christlicher Sicht auf den Gottessohn, der unschuldig für die Menschen gestorben ist.
Aus theoretischen und praktischen Gründen gibt es einerseits kaum eine Möglichkeit, die Rezeption von einzelnen belletristischen Büchern und von einzelnen Spielfilmen sogleich schon als Therapie im Sinne der Psychotherapie zu verstehen, andererseits aber scheint es völlig unerlässlich, Mediennutzungen grundsätzlich in einen sehr starken Zusammenhang mit Emotionen und Emotionsproblemen zu bringen - mit einer unausgesetzt notwendigen Bearbeitung von Gefühlen und Gedanken, und diese fortlaufend erforderliche Bearbeitung von Gefühlen und Gedanken kann man dann in den Gesamtkontext einer unerlässlichen Dauer-Therapie stellen.
Von einem Absoluten zu einem Anderen : Celan und Blanchot: "Sprich als letzter, sag deinen Spruch"
(2009)
Dieses kurze Zitat aus dem 1980 veröffentlichten Essay von Blanchot "Die Schrift des Desasters" ist eine der vielen Überlegungen des Autors über den Holocaust. Jene eingehende Betrachtung Blanchots über «das absolute Ereignis der Geschichte», die sein ganzes Werk durchzieht, hat ihn dazu geführt, die Literatur neu durchzudenken und seine eigene Antwort auf die berühmt gewordene Frage Adornos zu finden. Mit seiner kurzen Erzählung "Der Wahnsinn des Tages" hatte der Autor und Essayist schon die Frage nach der Möglichkeit gestellt, eine Erzählung nach der Erfahrung der Shoah zu schreiben, es ging dabei um eine Art Geständnis des Schriftstellers über die Unmöglichkeit, weiterhin zu dichten. Somit wird das Fragmentarische in seinen Büchern immer wichtiger; die Entstehung und die Entwicklung dieses neuen Schreibens hängt auch mit einem ständigen Dialog mit einem anderen Denken, mit anderen Autoren zusammen, die für sein Werk von großer Bedeutung sind, wie z. B. Paul Celan.
Zu meinen Schwerpunkten als Professor für Neuere deutsche Literatur gehört neben der Medien- und Kulturwissenschaft insbesondere mit ihren Theoriebildungen auch die Gegenwartsliteratur. Das hört sich gut an, und es mag wohl sein, dass dieser Schwerpunkt dazu geführt hat, dass ich heute hier in dieser Runde sein darf. Tatsächlich aber verbirgt sich hinter einem solchen Schwerpunkt Gegenwartsliteratur eine immense wissenschaftliche Provokation, die viel mit dem Profil meines Faches, der Literaturwissenschaft und ihrer literaturtheoretischen Grundlegung, zu tun hat, vor allem aber mit der Literaturgeschichte. Gleichzeitig ist diese Provokation auch eng mit meiner eigenen intellektuellen und akademischen Biographie verknüpft. Beide Stränge, der wissenschaftliche und theoretische sowie der biographische, treffen sich in meiner persönlichen Auseinandersetzung mit Gegenwartsliteratur, und davon will ich Ihnen heute kurz erzählen.
In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, wie sich eine Darstellung des Nichts durch die Darstellung von Etwas vollzieht. Wie Arnold P. Hinchliffe richtig feststellt zerstört das Konzept von Nichts sich selbst, denn es produziert Etwas , dennoch haben wir eine Vorstellung von dem mit Nichts bezeichneten. Diese Arbeit stellt es sich zur Aufgabe die Leerstellen in der Handlung von Samuel Becketts En attendant Godot und Franz Kafkas Der Prozess zu analysieren. Hierfür ist es notwendig verschiedene Motive zu betrachten, die Lücken in ihren Definitionen aufweisen. Es sind diese Leerstellen auf denen gerade die Handlung aufbaut und sie nehmen einen großen Teil dabei ein, die Handlung zum Voranschreiten zu bewegen. Anhand von Becketts En attendant Godot und Kafkas Der Prozess sollen die Darstellungsweisen der nicht vorhandenen Begebenheiten betrachtet und analysiert werden. Das sich äußernde Nicht-sein durch Etwas führt zum Sein der Schriften selbst. Sie thematisieren ihre eigene nicht vorhandene Handlung, eine Leerstelle und handeln eben dadurch von etwas. Sowohl En attendant Godot als auch Der Prozess können infolge dessen als von sich selbst handelnde Schriften gelesen werden, was sich diese Arbeit zum Ziel setzt. Sie sind intratextuell, gehen jedoch auf Grund der Art dieser intratextuellen Darstellung weit über einen bloßen Intratext hinaus. In Becketts En attendant Godot stellt sich das Fehlen einer eigentlichen Handlung sehr deutlich dar. Das Erwartete, das Eintreffen von Godot, bleibt aus. Selbst die Gewissheit der Verabredung und der Existenz Godots verschwindet. Es bleibt nichts außer der Hoffnung der Charaktere, Vladimir und Estragon, die keine herkömmlichen Rollen haben, also eigentlich Nicht-Rollen sind. Vor anderem Hintergrund (dem der Gesetze) stellt sich das Nichts bei Kafkas Prozess dar. Josef K. wird eines Morgens verhaftet, doch die Verhaftung ist keine, die ihn an seiner gewöhnlichen Lebensweise hindert. Es ist eine Verhaftung ohne Festnahme, ein hängen bleiben an etwas Unbestimmtem, ein festhalten, ohne vor etwas zu bewahren.
Betritt man heute eine alte Bibliothek, fällt auf, daß man fast nie nur eine Büchersammlung vorfindet, sondern immer eine Büchersammlung im Kontext von Kunstwerken. Wahrzunehmen sind sozusagen die Eierschalen der Entstehung von Bibliotheken aus den frühneuzeitlichen Museen heraus. Wie sich das Verhältnis von Büchersammlung und musealer Ausstattung im Fall des Weimarer Rokokosaals darstellt, steht im Mittelpunkt der folgenden Untersuchung.
Das Internet eignet sich wie kein zweites Medium als Archiv von Wissensbeständen und kulturellen Zeugnissen. Fotis Jannidis, Gerhard Lauer und Andrea Rapp skizzieren mit dem Beitrag zum »Forschungsprogramm einer computergestützen Buch- und Narratologiegeschichte des Romans in Deutschland (1650–1900)« ("Charikleia") die sich für die neuere Literaturgeschichte abzeichnenden Perspektiven. "Charikleia" ist selbst Teil eines größeren Langfristvorhabens mehrerer deutscher Universitäten und außeruniversitärer Forschungseinrichtungen, dem Projekt "DeutschDiachronDigital" (DDD). Ziel des DDD-Vorhabens ist die Erstellung eines für die deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft zentralen Korpus von den althochdeutschen und altsächsischen Anfängen bis zum älteren Neuhochdeutsch um 1900. Dieses Korpus wird wissenschaftlichen Ansprüchen auf Textgenauigkeit bzw. Diplomatizität und Historizität entsprechen müssen, außerdem allen Anforderungen an statistische Validität und große Erschließungstiefe der Textauszeichnungen. Gewährleistet sein muss dabei die Kompatibilität mit den international gängigen Standards (vor allem XML, TEI), wie sie andere Projekte bereits etabliert haben. DDD wird als digitales Korpus ein Forschungsinstrument von einer Art sein müssen, wie es keines der Massendigitalisierungen der großen Information Retrieval-Firmen sein kann. Seine Logik der Annotierung und seine Erschließungstiefe werden allein wissenschaftlichen Vorgaben folgen und im geglückten Fall selbst wiederum Modellcharakter für weitere wissenschaftliche Korpora haben. Für "Charikleia" gelten die gleichen Anforderungen, andere kommen hinzu. Denn die Literaturwissenschaft hat noch nicht wie etwa die Korpuslinguistik etablierte Auszeichnungen entwickelt. Wie man narratologisch, buch- und kulturgeschichtlich Texte auszeichnet, wie ein historisch differenziertes Tagset zur Annotierung erzählerischer Texte aussieht, ist eine Forschungslücke der Literaturwissenschaft. Valide literaturwissenschaftliche Forschungsinstrumente für das digitale Zeitalter zu entwickeln, wird daher eine der vordringlichen Aufgaben des Forschungsprogramms "Charikleia" sein müssen. Sein Gegenstand sind die blauen Bibliotheken und die hohen Romane, sind Bachstrom und Goethe. Was heißt das im Detail, digitale Annotierungsverfahren und die Kulturgeschichte des Romanlesens zusammenzuführen?
In den Text-, Kommunikations- und Medienwissenschaften gewinnt in jüngster Zeit ein Thema an Resonanz, das von den Medien selbst längst schon vorgegeben wurde: Sprachwandel im Zeichen des Medienwandels. Den damit einhergehenden und teilweise wohl auch dadurch bedingten Veränderungen in den Gepflogenheiten unseres kommunikativen Gebarens im Alltag gilt daher, beispielsweise, das Interesse der Beiträge zu dem Sammelband Medien, Texte und Maschinen, der die ersten Umrisse einer zu entwickelnden Angewandten Mediensemiotik zu zeichnen strebt. Zu ihren Aufgaben gehören freilich nicht nur die Sichtung der dort vorgestellten theoretischen Ansätze, terminologischen Vereinbarungen, methodischen Instrumentarien, nicht nur die Beobachtung der Konsequenzen technischer Innovationen für den Umgang mit den gewohnten Ressourcen täglicher Information, nicht nur die Analyse der neuartigen Gestalt polycodierter Texte und ihrer Funktionen in Bildung und Wissenschaft, nicht nur die Rekonstruktion von Entwicklungslinien traditioneller Medien etwa der Presse oder der Werbung im Übergang vom Industrie- zum Informationszeitalter, nicht nur die Veranschaulichung versprachlichter Gehalte in anderen Codes, nicht nur die Entfaltung von Perspektiven des Wissenstransfers durch Computervisualistik oder der Sinnkonstruktion an den modernen Maschinen der Kommunikation. Im Folgenden sollen einige Anregungen zusammengefasst und weitergeführt werden, den sog. neuen Genres germanistische Neugier zu widmen: Netzliteratur, Hyperfiction, Computeranimation im Film, Bildschirmästhetik im Fernsehen, Interface- und Textdesign und E-Book-Roman, denn all dies erfordert neue Lektüre- Modelle, zu deren Entwurf und theoretischer Grundlegung es einer textwissenschaftlich systematischen Erforschung bedarf der vielfältigen und sich wechselseitig befruchtenden Formen künstlerischen Ausdrucks in allen Medien und über die kulturellen Grenzen hinweg.
Führen Schriftsteller und Schriftstellerinnen auch Online-Journale? Ist die tagebuchartige Schreibe der Blogger gar Literatur? Darüber ein Urteil zu fällen, steht der Autorin als Kulturwissenschaftlerin nicht zu. Eines steht jedoch fest: Das Publizieren in einem Weblog und das Veröffentlichen über Verlage scheinen sich gegenseitig tendentiell auszuschließen. Die Schnittmenge von Autoren und Autorinnen, die »Literatur« in Blogs schreiben und solchen, welche in gedruckter Form publizieren, ist sehr klein. Anders ausgedrückt: Wer über einen Verlag Bücher publiziert, führt selten einen eigenen Weblog.
Wer in Paris die Kirche Saint-Sulpice besucht, wird dort in mehreren Sprachen vor einem Buch gewarnt: »Le risque de Da Vinci Code: semer le doute«. Die Lektüre von The Da Vinci Code soll also mit einer Gefahr verbunden sein: dass Zweifel gesät werden am katholischen Glauben und an der Autorität der römischen Kirche. Der amerikanische Bestseller-Autor Dan Brown hätte insofern tatsächlich das begangen, was sein 2003 erschienener Thriller über die Suche nach dem heiligen Gral zum deutschen Titel hat: ein ›Sakrileg‹ − sein Roman wäre gotteslästerlich.
In unserem Lesealltag stoßen wir auf Schritt und Tritt auf Übersetzungen. Ca. 15 % aller auf dem deutschen Buchmarkt produzierten Titel sind Übersetzungen, wobei - wenig überraschend - zwei Drittel aus dem Englischen stammen. Wir haben uns derartig daran gewöhnt, Übersetzungen zu benützen, dass wir sie kaum noch als besondere, höchst problematische Textsorte wahrnehmen. Auch Literaturwissenschaftler sind nicht dagegen gefeit, beim Lesen zu "vergessen", dass sie eine Übersetzung vor sich haben. Nicht oft genug kann man daher darauf hinweisen, dass Übersetzungen oft erheblich von ihren Vorlagen abweichen und dass bei der Entstehung von Übersetzungen nicht nur Kalkül, sondern auch der Zufall eine große Rolle spielt.
Der etwas pompöse Begriff "Wiener Moderne" könnte ohne weiteres durch den etwas bescheideneren Begriff "Junges Wien" ersetzt werden. Um diese relativ homogene, Anfang der neunziger Jahre formierte Gruppe, ihre Werke und im Besonderen um ihr Verhältnis zu französischen Vorbildern wird es hier in erster Linie gehen. Dabei wird die Aufmerksamkeit anfänglich auf Hermann Bahr als zentraler Vermittlerfigur französischer Literatur gerichtet sein, dann werden einige Werke von Hofmannsthal, Schnitzler, Dörmann, Andrian, Altenberg und Beer-Hofmann in Beziehung zur französischen Literatur gesetzt.
»Wenn es einen Wirklichkeitssinn gibt, dann muß es« – so folgerte Robert Musil zu Beginn des 20. Jahrhunderts – »auch einen Möglichkeitssinn geben.« Darunter versteht er die Fähigkeit, »alles, was ebenso gut [auch] sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen, als das, was nicht ist.« Mit dem Begriff des Möglichkeitssinns, der auf die Relativität und Alternativität des individuellen Denkens sowie auf die Utopie eines anderen, hypothetischen Lebens verweist, hat Robert Musil in seinem Jahrhundertroman Der Mann ohne Eigenschaften dem Kontingenzbewusstsein des modernen Menschen Ausdruck gegeben, welches am Ende des 20. Jahrhunderts zum Grundmodus der Existenz und der Verfasstheit des Individuums überhaupt werden sollte. Dem Begriff der Kontingenz liegt bei aller Unschärfe ein grundlegendes, auf Aristoteles zurückgehendes Verständnis zugrunde, welches Niklas Luhmann folgendermaßen definiert: Kontingent ist etwas, was weder notwendig ist, noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist. Der Begriff bezeichnet mithin Gegebenes (zu Erfahrendes, Erwartetes, Gedachtes, Phantasiertes) im Hinblick auf mögliches Anderssein; er bezeichnet Gegenstände im Horizont möglicher Abwandlungen.
Die Identitätssuche des Dichters Paul Celan findet, wie wir sehen, in seinen literarischen Texten genauso Ausdruck wie im Text, welcher der Text seines Lebens war. Mögen die Person eines Dichters und das lyrische Ich seiner Gedichte auch so eng zusammengehören, dürfen sie dennoch nicht verwechselt werden, wobei die Entfernung zwischen ihnen groß oder klein sein kann. Bei Paul Celan ist sie so klein, dass wir seine Gedichte mit vollem Recht "sprechende Zeugen seiner Existenz" nennen können, sowie auch der Existenz all derjenigen, denen er nahe stand und die für die seine Gedichte Zeugnis ablegen. So hängt die Identität seiner Gedichte mit seiner eigenen Identitätssuche als Person und als Poet zusammen. Paul Celan übersetzte aus sechs Sprachen: aus dem Russischen, Englischen (auch aus dem amerikanischen Englisch), Italienischen, Rumänischen, Portugiesischen und Hebräischen. Seine Übersetzungen aus diesen Sprachen machen sowohl vom Umfang her als auch hinsichtlich ihrer Qualität einen gewichtigen Teil seines literarischen OEvres aus. Darüber hinaus übersetzte er aus dem Ukrainischen und muss auch mit dem Jiddischen und Polnischen vertraut gewesen sein. Celan spielte weder seine literarischen Übersetzungen zugunsten seiner eigenen Gedichte noch umgekehrt herunter. Im Gegenteil, mit hochentwickeltem Bewusstsein betrachtete er sowohl seine eigenen, als auch die von ihm übersetzte Lyrik als Teile seines Werks.
Dem konjunktiven Erfahrungsraum, dessen Konjunktivität und Räumlichkeit zur Voraussetzung haben, dass Erfahrung im Bezug auf ein „Du“ gemacht wird, ist hier der disjunktive Erfahrungsraum gegenübergestellt. Konkretisiert man den Erfahrungsraum als Raum ästhetischer Erfahrung, so wäre der disjunktive Erfahrungsraum prototypisch für diese Erfahrungsform – zumindest für die Betrachtung des ästhetischen Erfahrens der Literatur: Der Leser ist allein mit einem Buch / einem Text. Bezogen auf das Analyseobjekt wird der konjunktive Erfahrungsraum bei Dirck Linck im Zusammenhang mit einem „Verschwinden“ ästhetischer Erfahrung von Literatur betrachtet – dies im Falle der Beat- und Pop-Literatur der 1960er Jahre.
In ihrer einführenden Studie versucht Ingrid Kasten (durch die Vorstellung neuerer methodologischer und literaturtheoretischer Konzepte), den Begriff der Wahrnehmung als epistemische Kategorie der Literaturwissenschaft weiter zu fundieren indem sie Anknüpfungsmöglichkeiten in anderen, benachbarten Forschungsgebieten sucht (u.a. in der Sprechakttheorie, in der philosophischen Phänomenologie und im Forschungs-paradigma ‚Theatralität’ / ‚Szenographie’); Kasten betrachtet die Kategorie der Wahrnehmung als eine „kulturtheoretisch argumentierende Literaturwissenschaft“.
Ausgangspunkt der Überlegungen sind zwei Texte, für die auch motivisch eine enge Gebundenheit von Ort und Raum ästhetischer Erfahrung an die ästhetische Struktur des Textes angenommen werden kann. Es ist dies einmal Nikolaj Gogol’s 1842 erschienene Novelle "Der Mantel" (russ. Šinel’) und zum anderen Thomas Bernhards Erzählung "Gehen", 1971. In einem ersten Schritt geht es darum, die These der engen Bindung zwischen der Motivik der Löcher im Stoff, i.e. in den Stoffen der Vestiments und der ästhetischen Struktur der Texte zu verifizieren. Die auffällige Bindung der skizzierten ‚Stoffstruktur’ an die ästhetische Struktur in beiden Texten mit dem Transsemiotischen, dem Transmentalen wird dann in einem weiteren Schritt bei Gogol’s Text über eine Relektüre des phantastischen zweiten Teils der Novelle, bei Bernhard übere einen Nachvollzug der sich im literarischen Text manifestierenden Struktur der Psychose näher untersucht.
Da die Dekonstruktion das Vorhandensein einer objektiv erkennbaren Wahrheit im Text bezweifelt, verstehe sich die untersuchende Lektüre weniger als Ergebnis denn als Vorgang. Dieser Vorgang wird als Experiment charakterisiert, das in einzelne Phasen unterteilt stattfindet, wodurch die Ergebnisse schrittweise gesichert und aufgebaut werden sollen. Die Dekonstruktion geht davon aus, dass sowohl die Autorin als auch die Leserin eines Textes an der Konstruktion von "Bedeutung" beteiligt sind. Ohne die subjektiv gewichtende Leserin gäbe es keine Bedeutung, weil der Text für sich genommen immer vieldeutig ist und sich damit selbst aufhebt.
Die Landschaft der Zeichen : eine semiotische Analyse von W. G. Sebalds "Die Ringe des Saturn"
(2009)
W. G. Sebald's "The Rings of Saturn" resists genre classification: Neither novel nor mere travel literature, it combines report with fiction, historical anecdotes with melancholy musings, explanations of economic and political facts with accounts of personal anxieties. This vast material, however, is joined by a semiotic regard, a way of looking at the world attentive on signs and their use. Hence, some of the far-ranging narratives, observations and reflections, often barely connected by associations of the narrator, can be systematically linked by a semiotic methodology. In this article, semiotic categories like index, icon and symbol, encoding, decoding and recoding, change of meaning and pattern recognition are applied to different levels of the text. The semiotic approach thus integrates the disparate episodes in "The Rings of Saturn", revealing them as being linked by their interest in signs and signification. In this way, semiotics proves itself as a method for literary studies.
Das Interesse an den literarischen Antworten auf den Krieg war in Österreich nicht besonders ausgeprägt, sonst hätte die Literatur zum Krieg einen größeren Stellenwert als sie hatte und hat – bei den Lesern wie bei den Literaturhistorikern. Es gibt zwar Aufsätzen zu einzelnen Werken, doch es existiert – mit Ausnahme einer Monographie zur Dramatik – bis heute keine umfassende Arbeit zum Thema. Die Ausstellung ‚Verbrechen der Wehrmacht’, die sie begleitende wissenschaftliche Debatte und die durch beide ausgelösten öffentlichen Kontroversen haben unseren Blick auf den Zweiten Weltkrieg entscheidend verändert. Sie haben ihn geschärft für das, was den anderen angetan werden sollte und tatsächlich angetan wurde. Das lässt auch eine Lektüre der Literatur über diesen Krieg nicht unberührt. Was ist vom nationalsozialistischen Vernichtungskrieg gegen diese Personengruppen in der österreichischen Literatur sichtbar? Der folgende Bericht bezieht sich auf die unmittelbare Nachkriegszeit bis zum Abschluss der Staatsvertragsverhandlungen 1955. Dieses politische Datum bildet, wie sich zeigen wird, einen auffallenden Einschnitt.
Als eine Möglichkeit, emotionale Wirkungen von Literatur zu beschreiben, wird eine evolutionspsychologische Heuristik vorgeschlagen. Während der rein textwissenschaftliche Ansatz nur die Darstellung von Emotionen in Texten untersuchen kann, ermöglicht der literaturpsychologische Ansatz ein Inbeziehungsetzen von Werkstruktur und Leserpsyche und damit hypothetische Aussagen über emotionale Wirkungsphänomene. Die Evolutionspsychologie eröffnet einen Zugang insbesondere zu einigen sehr basalen Wirkungsmechanismen, die der Introspektion in der Regel nicht zugänglich sind. So erlaubt die biologische Evolutionstheorie die Annahme einzelner emotionaler Programme, die sich über ihre jeweilige adaptive Funktion in der menschlichen Entwicklungsgeschichte plausibilisieren lassen. Für jedes dieser Emotionsprogramme lässt sich ein spezifisches auslösendes Reizschema festmachen, auf das hin der literarische Text analysiert werden kann. Wird ein Emotionsprogramm durch einen textuellen Reiz ausgelöst, kann man von einer Attrappenwirkung sprechen, da das auslösende Objekt in der Regel nicht identisch ist mit dem, an welchem sich das betreffende Emotionsprogramm evolutionsgeschichtlich herausgebildet hat, sondern lediglich dasselbe Reizschema erfüllt. Zuerst wird die evolutionspsychologische Emotionstheorie vorgestellt, die diesem Modell der literarischen Attrappe zugrunde liegt. Zentral ist dabei die Unterscheidung von Auslösemechanismus und Verlaufsprogramm. Während der Auslösemechanismus den Auslösereiz identifiziert, erste körperliche Reaktionen initiiert und eine spezifische kognitive Verarbeitungsstrategie in Gang setzt, nimmt das Verlaufsprogramm einer Emotion eine zweite Situationseinschätzung vor und passt das Verhalten im Rahmen der vom jeweiligen Emotionsprogramm vorgesehenen Optionen an. Diese Entkopplung von Stimulus und Verhaltensreaktion durch das dazwischengeschaltete Verlaufs-programm erklärt z.B., warum wir auf fiktionale Reize zwar ähnlich, aber nicht identisch reagieren wie auf wirkliche Reize: Durch Fiktionen werden dieselben Emotionen ausgelöst wie in wirklichen Situationen, aber sie nehmen wegen des anders gearteten Situationsfeedbacks einen anderen Verlauf. Im Standardfall werden wir zwar ähnlich 'fühlen', d.h. dieselbe physische und kognitive Aktivierung wahrnehmen, aber anders – nämlich in der Regel gar nicht – handeln. Im zweiten Abschnitt wird der adaptive Wert imaginärer Welten für die ontogenetische Entwicklung des Gehirns dargestellt. Um angeborene Mechanismen im Laufe der individuellen Entwicklung aufzubauen, in Funktionsbereitschaft zu halten und an die jeweils gegebene kulturelle Umwelt anzupassen, müssen Anlässe geschaffen werden, diese Mechanismen wiederholt (und möglichst in pragmatisch entlasteten Situationen) zu aktivieren. Literatur scheint besonders geeignet, eine Reihe von kognitiven und emotionalen Adaptationen zu aktivieren und dadurch ontogenetisch einzuüben. Dazu, solche Gelegenheiten wahrzunehmen, motiviert uns die Evolution durch Funktionslust, d.h. durch eine die Handlung begleitende Ausschüttung von Lusthormonen, die dafür sorgt, dass wir solche scheinbar nutzlosen ('spielerischen') Betätigungen freiwillig aufnehmen und mit der nötigen Ausdauer betreiben. Die evolutionspsychologische Konzeption der Funktionslust kann somit erklären, warum wir die emotionale Wirkung von Kunstwerken genießen und warum es zu solchen paradox scheinenden Phänomenen wie der 'Lust der Tränen' oder dem 'angenehmen Grauen' kommt. Im dritten Abschnitt werden am Beispiel der Landschaftsästhetik evolutionär begründete Präferenzsysteme ("aesthetics") vorgestellt und am literarischen locus amoenus bzw. locus terribilis exemplifiziert. Aus der Notwendigkeit für unsere Vorfahren, nahrungsreiche und sichere Habitate zu identifizieren, lassen sich eine Reihe von Präferenzen für landschaftliche Gegebenheiten, die diesem Bedarf entsprachen und die wir heute als grundlos schön oder angenehm empfinden, ableiten. Reize wie beispielsweise vegetative Üppigkeit, gute Sicht und Schutz vor Witterung steuern als "Annäherungs-" oder "appetitive Reize" unser Verhalten, ohne dass wir darüber nachdenken müssten. Ihre Verwendung in der Literatur wie z.B. im Topos vom 'Lustort' sollte folglich eine positive emotionale Reaktion bewirken. Umgekehrt lassen sich eine Reihe von "Abstoßungs-" oder "aversiven Reizen" (Jeffrey A. Gray) konstatieren, die ein furchtvoll vermeidendes oder abwartendes Verhalten hervorrufen. In der Literatur sind solche Reize vor allem aus dem Motivbereich des 'Erhabenen' bekannt. Am Leitfaden zweier filmwissenschaftlicher Studien werden im vierten Abschnitt zwei spezifische emotionale Reaktionen mit den ihnen korrespondierenden Textreizen vorgestellt. Die Reaktion des Weinens (die Emotion der Rührung) wird auf eine angeborene Kapitulationsreaktion (Helmuth Plessner) gegenüber Situationen der Überforderung und Ohnmacht zurückgeführt und mit resultativen Handlungs-ereignissen in narrativen Texten in Verbindung gebracht. Wann immer es in einer Handlung zu einer Entwicklung kommt, in der es nichts mehr 'zu hoffen und zu bangen' gibt, sondern der Leser einen Ist-Zustand (den Tod einer Figur, den Beweis der Tugend o.Ä.) als definitiv anerkennen muss, wird aufgrund einer strukturellen Isomorphie dieser Erlebniseinheit mit dem evolutionär verankerten Auslöseschemata der Kapitulationsreaktion diese Reaktion des sentimentalen Weinens ausgelöst. Ebenfalls als ein bereichsspezifisches psychisches Reaktionsprogramm wird anschließend die Reaktion des Lachens angeführt. Lachen als Signal der Kooperationsbereitschaft dürfte sich evolutionär besonders in Situationen von gelindem sozialem Stress bewährt haben, d.h. in Situationen, in denen die soziale Kohäsion in Gefahr, aber noch zu retten war. Entsprechend lassen sich Textstrukturen, die im Sinne eines 'unschwerwiegenden Fehlers' Verständnishürden aufbauen und dadurch Stress in der Kommunikationssituation des Lesers herstellen, als geeignete Reize, eine Lachreaktion auszulösen, identifizieren. Die solchermaßen 'humoristische' literarische Sprechinstanz wirkt zudem als sozialer Annäherungsreiz. Mit der Frage der sozialen Attraktivität literarischer Sprecher und fiktiver Figuren befasst sich der fünfte und letzte Abschnitt. Hier wird eine Typologie von vier gestaffelten Sympathiegraden vorgestellt, die es erlaubt, bekannte Phänomene des quasisozialen Leserverhaltens zu gruppieren und bestimmten psychischen Mechanismen zuzuordnen. Als der niedrigste Sympathiegrad kann das Erkennen psychisch verfasster Lebewesen gelten, das sich auf unsere Fähigkeit zur Unterscheidung belebter und unbelebter Objekte zurückführen lässt und darüber entscheidet, auf welche Instanzen im literarischen Text wir uns empathisch einlassen. Der zweite Sympathiegrad wird als 'Parteinahme' betitelt und meint das Erkennen eines 'Mitglieds der eigenen Gruppe' (der eigenen Wertgemeinschaft o.Ä.; in der evolutionären Vergangenheit: des eigenen Clans). Er entscheidet darüber, mit wem der Leser 'mitfiebert'. Als dritter Sympathiegrad kann die freundschaftkonstituierende Vertrautheit mit fiktiven Personen angeführt werden. Diese Familiarität erklärt die affektive Bindung des Lesers an Fiktionen und, als Effekt davon, den Trennungsschmerz beim Beenden eines Buches. Der vierte Sympathiegrad involviert weniger freundschaftliche Bindung als vielmehr 'Liebe' zu einem bestimmten Individuum. Liebestypische Äußerungsformen lassen sich vor allem im Fankult (z.B. im Wertherkult) beobachten.
Versanalyse
(2007)
Über die Kapitel "Grundlagen", "Metrum vs. Rhythmus", "Rhythmus in Spannung zum metrischen Schema", "Rhythmus als eigener Gestalteindruck", "Intentionale vs. systematische Metrikanalyse", "Das Problem (ein Beispiel)", "Sprachenspezifische Prosodien und "natürliche Versifikation", "Der trochäisch-daktylische Grundrhythmus des Neuhochdeutschen" und "Semantik der metrischen Form" gibt Katja Mellmann einen einführenden Überblick zur Versanalyse.
Zu den immer noch lebendigen Mythen über die Rezeption von Goethes "Werther" gehört die Annahme, die begeisterten jugendlichen Leser hätten das Werk missverstanden, ihre empfindelnd-schwärmerische Lektüre sei von Goethe so nicht intendiert gewesen. Diese Ansicht geht in der Hauptsache zurück auf Georg Jägers Beitrag zum Germanistentag 1972. Jägers Aufsatz ist die erste - und deshalb noch immer wegweisende - Studie zur Rezeption des "Werther", die nach den historischen Bedingungen bestimmter Rezeptionsweisen gefragt und auf dieser Basis verschiedene "Konkretisationen" des "Werther" spezifiziert hat. Die Unterstellung einer unmündigen, "unaufgeklärten", mit autonomer Kunst noch unerfahrenen Leserschaft war ein Standardverfahren der materialistischen Leserforschung der 1970er und 80er Jahre, das der noch durch und durch behavioristischen Lerntheorie der damaligen Psychologie entsprach. Auf diese Weise reproduzierte man den lesedidaktischen Diskurs der Spätaufklärung, in welchem immer wieder die Befürchtung artikuliert wurde, die jugendlichen Romanleser könnten fiktionale und wirkliche Welt nicht richtig unterscheiden und "die poetische Schönheit leicht für die moralische nehmen" (Lessing 1985-2001, Bd. 1112, S. 667). Entsprechend diesem Deutungsmuster liest man in der germanistischen Forschungsliteratur häufig die verkürzende Jäger-Referenz, der Wertherkult verdanke sich der "anhaltende[n] Verwechslung von Predigt und "wahre[r] Darstellung"" (Waniek 1982, S. 79), ja von Realität und Fiktion, und diese Venvechslung habe bei den enthusiastischen jugendlichen Rezipienten zu einer unreflektierten Nachahmung des Helden geführt. Die Missverständnisthese lässt außer Acht, dass Goethe um 1774 die Aufnahme des "Werther" selbst in Richtung auf eine schwärmerische und quasireligiose Rezeption hin gelenkt hatte.
Spannung wird in dem Beitrag konsequent als psychisches Phänomen, nicht als Texteigenschaft aufgefasst. Ausgehend von psychophysischen Erscheinungen, die für das Alltagskonzept 'Spannung' als prototypisch gelten können, wird die Menge möglicher spannungserzeugender Emotionen in einem ersten Anlauf auf die Gruppe der Stressemotionen eingegrenzt. An diesem Beispiel wird sodann die Notwendigkeit einer Unterscheidung von situations- und figurenbezogenen Spannungswirkungen demonstriert. Anschließend wird das Problem dominant kognitiver Spannungserzeugung – des in der Literaturwissenschaft bislang am intensivsten erforschten Aspekts von 'Spannung' – aufgegriffen und mit Hilfe des gestalttheoretischen 'Zeigarnik-Effekts' reformuliert. Zum Schluss wird unter dem Begriff der Planungsemotionen eine dritte Möglichkeit spannungserzeugender Leseremotionen vorgestellt und präzisiert.
Unsere Vorlesung [...] möchte eine Reihe exemplarischer und zeitlich und geographisch möglichst breit gestreuter Beispiele präsentieren. Vor allem aber werden wir die unterschiedlichen Grundlagen, Voraussetzungen und Praktiken der Zensur im Lauf der Zeit und in verschiedenen Ländern vergleichend nebeneinander stellen. Vorweg sind einige Bemerkungen zu den verschiedenen theoretischen Begründungen der Zensur sowie zu Definition und Abgrenzung des Gegenstands nötig, denn der Begriff Zensur wird für eine Reihe verwandter, aber doch unterschiedlicher Phänomene verwendet.
Formen digitaler Literatur
(2010)
Seit ca. 20 Jahren wird das digitale Medium als Träger für literarische Texte verwendet. Als Pioniertat wird häufig der Hyperroman afternoon (1987) von Michael Joyce genannt. Am Anfang wurde ein für heutige Begriffe primitives Programm namens Storyspace verwendet, das nur auf Apple-Computern verwendbar war. Eastgate, ein kalifornischer Verlag, brachte dieses Programm und die ersten Hypertexte auf den Markt, und zwar auf den heute wegen ihrer geringen Speicherkapazität schon fast ausgestorbenen floppy disks, später auf CD-ROMs. Entwickelt wurde Storyspace von Mark Bernstein, dem Chef von Eastgate, zusammen mit J. David Bolter, einem Hypertexttheoretiker, und dem Autor Michael Joyce. Heute kann man einfache Hypertexte mit jeder Textverarbeitung oder mit einem Programm zur Erstellung von Webseiten erzeugen. Besonders nützlich sind allerdings die in Storyspace leicht zu generierenden maps, das sind Übersichten über die einzelnen Textblöcke und ihre Verlinkungen. Diese Baupläne sind auch für die Analyse von Hypertexten äußerst wertvoll. Ganz allgemein hat sich die Technik seit den Anfängen der digitalen Literatur, sowohl was Hardware als auch was Software betrifft, rapide weiter entwickelt und verschiedenste Formen der Nutzung des Mediums ermöglicht. Noch immer werden digitale Texte kommerziell auf CD-ROMs vertrieben, aber die überwiegende Mehrzahl digitaler Literatur kann man online lesen. Bei Eastgate sind momentan ca. 30 Werke lieferbar, was im Vergleich zur online verfügbaren Literatur nur eine verschwindend geringe Zahl ist. Man hat mit Recht die auf CD-ROMs vertriebenen Hypertexte als Laborprodukte bezeichnet, weil sie künstlich abgegrenzt sind. Der wahre Ort für Hypertexte - und selbst ein einziger gigantischer Hypertext - ist natürlich das World Wide Web.
Zunächst sind einige Worte über die Terminologie angebracht. In der Forschungsliteratur werden der Terminus Feuilletonroman und sein älteres Synonym Zeitungsroman unterschiedlich verwendet: 1) Oft werden darunter Romane verstanden, die eigens für die Zeitung konzipiert wurden und bestimmte formale und/oder inhaltliche Merkmale aufweisen, also eine eigene Roman-Subgattung bilden. Vertreter dieser Ansicht sprechen gerne von einem ‚eigentlichen’ oder ‚typischen’ Zeitungsroman. Manchmal wird mit dem Terminus Feuilletonroman dann das gesamte Feld des populären bzw. Unterhaltungsromans bezeichnet, ähnlich wie im Fall des ursprünglich von ambulanten Händlern vertriebenen Kolportageromans. 2) Die Alternative zu einem solchen Verständnis des Begriffs ist die Betonung der Publikationsform. Demnach wäre jeder in einer Zeitung abgedruckte Roman ein Feuilletonroman. Der Terminus weist dann auf den Umstand hin, dass Zeitungen ab einem bestimmten Zeitraum dazu übergingen, Romane abzudrucken.
Der Zensur, und nicht zuletzt der österreichischen, war von ihren Kritikern oft Willkür vorgeworfen worden. Selbstverständlich blieb den Zensoren stets ein Rest von Spielraum bei ihren Entscheidungen erhalten, aber zumindest im hier behandelten Zeitraum, d. h. in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, waren die Zensurvorgänge straff organisiert. Sie wurden von der Wiener Polizeihofstelle aus zentral gelenkt, und seit 1810 bestanden auch genaue Richtlinien für den Umgang der Zensoren mit den verschiedenen Arten von Druckwerken. Die Zensurverordnung vom 14. Sept. 1810 (genauer Titel: Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a.h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen blieb bis zur Abschaffung des Systems der Präventivzensur im Jahr 1848 gültig. Für uns ist sie von Bedeutung, weil wir ihre Auswirkungen an einem Corpus von zeitlich unmittelbar auf sie folgenden Zensurentscheiden überprüfen, also gewissermaßen die Theorie mit der Praxis der Zensur korrelieren können. Zuvor müssen wir aber die Vorschriften der Verordnung von 1810 etwas näher betrachten.
Am Ende des in den Mitteilungen Nr. 2, Herbst 1999, enthaltenen Beitrags über die Aushebung eines Lagers verbotener Bücher bei dem Wiener Buchhändler Gerold wurde ein Polizeibericht zitiert, in dem davon die Rede ist, dass zwei Angestellte Gerolds instruiert seien, verbotene Ware aus dem Revisionsamt zu schmuggeln. Wie man sich diesen Vorgang im einzelnen vorzustellen hat, ist einem Artikel in der Österreichisch-ungarischen Buchhändler-Correspondenz Nr. 46 vom 14. November 1900, S. 618-619, mit dem Titel „Die Censur vor siebzig Jahren. Aus den Briefen Eduard Liegel’s an seinen ehemaligen Lehrherrn Josef Sigmund in Klagenfurt“ zu entnehmen. In den in diesem Artikel auszugsweise abgedruckten Briefen beschreibt Liegel, der später selbst eine Buchhandlung in Klagenfurt führte, die 1831, während eines Ausbildungsjahres in der Wiener Buchhandlung von Mösles Witwe, gemachten Erfahrungen im Umgang mit dem Revisionsamt. Für Sigmund waren diese Informationen von besonderer Bedeutung, weil Mösles Witwe seine Wiener Kommissionärin war, also eine große Zahl von für ihn bestimmten Bücherpaketen aus dem Ausland über die Wiener Buchhandlung bzw. das Wiener Revisionsamt liefen. Die für Buchhändler in den Provinzen bestimmten Bücher wurden allerdings nicht in Wien revidiert, d. h. auf verbotene oder noch zu verbietende Ware durchsucht, sondern erst in der Provinzhauptstadt. Die Bücher wurden „vom Censuramtslokale aus uneröffnet unter Beipackung der inländischen Artikel nach der Provinz spedirt.“ Dieses umständliche Verfahren ermöglichte den Zugriff der daran beteiligten Buchhandlungsangestellten.
Verbote erregen Neugier und verstärken die Nachfrage, das mußte auch die vormärzliche österreichische Zensur zur Kenntnis nehmen. Immer wieder ist vom "Einschwärzen", d.h. vom Schmuggel durch Privatpersonen die Rede, aber auch die Buchhändler versuchten, den Wünschen ihrer Kunden nach im Ausland erschienenen, in Österreich aber verbotenen Werken gerecht zu werden. Verschiedene im Allgemeinen Verwaltungsarchiv erhaltene Akten der für die Zensur zuständigen Polizeihofstelle dokumentieren die – nicht immer erfolgreichen – Bemühungen, die ausgesprochenen Verbote auch durchzusetzen. Selbstverständlich wurden alle aus dem Ausland für Wiener Buchhändler eingelangten Bücherballen genauestens auf verbotene Titel hin durchsucht. Damit nicht genug, visitierte man gelegentlich auch die Geschäftslokale.
"Übersetzungsfabriken" : das deutsche Übersetzungswesen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
(1989)
Wenn der Anbruch des Zeitalters der Weltliteratur auch noch auf sich warten ließ - was die deutschen Buchhändler und Übersetzer betrifft, so folgten sie Goethes Aufruf zur "Beschleunigung" dieser Epoche nur allzu eifrig. Neben französischen Romanen und Theaterstücken waren zum Zeitpunkt von Goethes Diktum v.a. die Romane Walter Scotts Gegenstand hektischer Übersetzungstätigkeit. Ebenfalls im Jahre 1827 ließ Wilhelm Hauff in seinen satirischen Bildern Die Bücher und die Lesewelt seiner Phantasie in Bezug auf die Herstellung von Übersetzungen freien Lauf. Hauff richtet seine Satire gegen den in Zwickau ansässigen Verlag der Gebrüder Schumann, die sich maßgeblich an dem Geschäft mit den Übersetzungen der Romane Scotts beteiligten.
Ausgangspunkt und Fokus des vorliegenden Textes sind die Verschränkung zweier Forschungsfelder und Reflexionsräume: Gender(-Forschung) und Dekonstruktion. Jedes einzelne dieser Felder ist selbst schon transdisziplinär angelegt und befindet sich am Schnittpunkt von Literaturwissenschaft (Ästhetik, Rhetorik), Philosophie (Sprachphilosophie, Sprechakttheorie, Erkenntnistheorie), Soziologie und Psychologie (Psychoanalyse). Mit dem Text möchte ich den LeserInnen einen grundlegenden Einblick in die Verwobenheit und wechselseitige Verwiesenheit der Kategorie Gender mit der Dekonstruktion bzw. mit dekonstruktiven Reflexionsansätzen erschließen.
»Der Kanon regelt Zuordnung und Ausgrenzung, Ja und Nein zu einem Text, es ergibt sich eine Serie von Opposition[spaar]en.« Diese Grundannahme ist, wie ich meine, die Voraussetzung jeder Auseinandersetzung mit der Frage »A Canon of Our Own?« und betrifft den literarischen Kanon in gleicher Weise wie den (literatur-)theoretischen Kanon, obwohl die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Letzterem seltener und wenn doch, so interessengeleiteter stattzufinden scheint und sich zudem häufig in Polemiken erschöpft. Auch der Titel meines Aufsatzes enthält ein Paar, wenngleich das »&« zwischen den Theorien den Anschein von Symmetrie, von Zusammengehörigkeit, nicht von Gegensätzlichkeit erweckt. In der Folge meiner Bestandsaufnahme dieser Theorien innerhalb der germanistischen Literaturwissenschaft und meines Versuchs einer weiteren Perspektivierung und Verschränkung derselben wird deutlich, dass definitiv ein hierarchisches Gefälle hinsichtlich deren Rezeption existiert. Es zeigt sich, dass die Kanonisierungsprozesse unterschiedlich und v.a. zeitversetzt verlaufen – ungeachtet dessen, wie Kanones bzw. »das ihnen anhaftende Phantasma von überzeitlicher und überregionaler Gültigkeit« per se zu bewerten sind.
Wenn Zoran Konstantinoviæ in seinem Aufsatz "Zum gegenwärtigen Augenblick der Komparatistik" über diese Disziplin reflektiert, so beschreibt er sie – in Anlehnung an Hans Blumenbergs "Die Lesbarkeit der Welt" - als "eine Möglichkeit, um diese Welt noch besser lesen zu können". Liest man nun den Titel der Tagung, "Theory Studies?", auf der dieser Beitrag vorgestellt wurde, so fällt der Interrogativ auf, und noch bevor es um 'Leitfragen' gehen kann, wie jene, ob die Vergleichende Literaturwissenschaft eine eigene Theorie hat oder braucht und welche diese sein könnte bzw. welche aktuellen Entwicklungen in der Literaturtheorie für die Komparatistik fruchtbar gemacht werden können etc., stellt der Interrogativ den Begriff "Theory Studies" selbst in Frage. Man könnte nunmehr die philosophische Dimension der Frage reflektieren, die einen Hinweis auf die Relation Subjekt-Objekt geben würde und bereits eine methodologische Vorentscheidung zum wissenschaftlichen Vorgehen markieren würde. Man könnte auch den Status des Interrogativs hinterfragen – wie zum Beispiel, ob es sich um eine philosophische Frage handelt, die eine Proliferation weiterer Fragen produziert, oder etwa um eine rhetorische Frage.
Literatur gilt trotz vielfältiger neuer Medienangebote als bedeutende kulturelle Praxis. Diese wurde und wird wissenschaftlich erforscht, wobei in den letzten Jahrzehnten gendertheoretischen Ansätzen wachsende Bedeutsamkeit zugemessen wurde. Gendertheoretisch orientierte Forschung kann und soll die Literaturwissenschaften unterstützen und begleiten. Sie kann zum Beispiel darüber nachdenken, wie literarische Texte funktionieren und wie geschlechtliche Identitäten in diesen konstruiert werden bzw. organisiert sind. Diese Untersuchung erfolgt theoriegeleitet, wobei Theorie und Praxis nicht als starre Oppositionen gefasst werden, sondern als in Wechselwirkung stehende verwobene dynamische Konzepte.
Queertheorie bestimmt sich über Vorläufigkeit, die sich nicht als fixiertes System versteht, sondern als eines, das lediglich ein Instrumentarium zur Verfügung stellt, um die Logik der Spezifität von Machtbeziehungen und Machtkämpfen, etwa in literarischen Texten, zu analysieren. Insofern jeder kritischen Theorie die Verpflichtung aufgegeben ist, kritisch gegen sich selbst gewendet, auch die Möglichkeit zu denken, dass sie nicht immer da sein wird, gilt es, sich nicht im eigenen Moment einzurichten. So möchte ich im Sinne einer vorläufigen und zugleich einer strategischen Kanonisierung vorschlagen: Die germanistische Literaturwissenschaft sowohl mit postkolonialen Theorien als auch mit Gender- und Queertheorien momenthaft und gleichsam verschränkt zu perspektivieren, um dadurch neue Realisationen von Texten zum Entstehen zu bringen.
Lässt sich, wie Heidemarie Uhl fragt, »die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie [...] nicht als ein quasi-kolonialer Herrschaftskomplex begreifen, in dem die hegemoniale Kultur sich beständig durch Grenzziehungen zu ihrem kulturell-zivilisatorischen ›Anderen‹ legitimiert [...]«? Und welche Resonanz haben die vielfältigen Herrschaftsformen im habsburgischen Zentraleuropa in literarischen Texten gefunden? Eben einem solchen literarischen Text, der dieser Monarchie, diesem ›quasi-kolonialen Herrschaftskomplex‹ entsprang und in dem das kulturell-zivilisatorisch ›Andere‹, das ›Orientalische‹, eine bedeutende Rolle spielt, widmet sich meine Lektüre. Die für mich zentrale theoretische Fragestellung ist, ob neben dem expliziten kolonialen Gehalt des Textes auch seine impliziten kolonialen oder postkolonialen Strukturen lesbar und exponierbar werden oder immer schon exponiert sind. Die Möglichkeit einer postkolonialen Lesart würde bedeuten, dass es sich um einen Text handelt, in dem vielfältige, prozesshafte Identitätskonzepte lesbar sind, in dem binäre Oppositionsstrukturen unterlaufen werden und in dem sich Räume der Hybridität eröffnen, wie sie u.a. mit Homi Bhabhas Konzept des ›Dritten Raumes‹ beschreibbar sind.
Music
(2010)
The musical ending [of Goethe's Novelle] recalls the fascination with "music as metaphor", "the power of music", among recent and contemporary poets from Pope and Dryden and Collins to E.T.A. Hoffmann and Kleist and, of course to Goethe himself. Music saves Faust's life on Easter morning at the end of a dreadful night, and we'll encounter a similar role of music in his Trilogie der Leidenschaft which we'll read in this context.
Germans against Hitler
(2010)
"The sun shines, and Hitler is master of this city. The sun shines, and dozens of my friends are in prison, possibly dead. Thousands of people like Frl. Schroeder are acclimatizing themselves, like an animal which changes its coat for the winter. After all, whatever government is in power, they are doomed to live in this town." These are among the final entries in Christopher Isherwood's Berlin Diaries. Hitler has legally assumed power and Isherwood, who "can't altogether believe that any of this has really happened," will leave the city he has come to love and return to England. The Nazi Movement that began a decade ago in seedy Bavarian beer halls has now conquered its very antithesis, Prussia. It seems unstoppable. The people, as always, will adapt or perish.
Beethoven's Ninth in Bailey Hall the other evening, April 20, ending in an instant standing ovation by a clearly enchanted audience, was an unforgettable experience. And, like all such truly extraordinary events that are marked not only by artistic merit, but draw their power from the circumstances surrounding their creation or performance, it recalled others and enhanced their significance. I was reminded of a stellar performance on Christmas Day of 1989, only weeks after the unexpected fall of the Berlin Wall on November 9, that haunting date in German history. Few people believed it would ever happen. But now, suddenly, reunification in justice and freedom, as the truncated old national anthem phrases it, was within reach.
Im Folgenden werden wir drei Wirkungskomplexe beschrieben, in denen die Codierung Veränderungen bewirken kann, wobei es sich - das soll hier nicht verschwiegen werden - um idealtypische Situationsannahmen handelt: Es geht um die Folgen erstens für den Originaltext (das Gedicht), zweitens für das Verstehen (sowohl bei der Codierung als auch bei der Rezeption) und drittens schließlich um mögliche Auswirkungen auf die Wissenschaft. Die Neuerungen für die AutorInnen im Umgang mit digitalen Medien findet keine Berücksichtigung, da jegliche im Projekt behandelten Quellentexte vor der Zeit des digitalen Mediums produziert wurden.
Literatur und Alltag sind auf auf Ebene der Sprache miteinander verbunden. Die Literatur hat, so Stefan Matuschek, einen nicht beliebigen, sondern für sie und ihre Möglichkeiten konstitutiven Bezug zur Alltagssprache. Dieser Bezug besteht nicht von jeher. Er ist ein literaturgeschichtlich neueres Phänomen, das wohl erst im letzten Jahrhundert von entscheidendem Gewicht geworden ist. Es hängt mit dem sprachlichen Phänomen zusammen, das unsere Wirklichkeit mehr und mehr prägt: mit der immer fortschreitenden Ausdifferenzierung der arbeitsteiligen Wissensgesellschaft und der je zugehörigen Expertenkulturen und Expertensprachen. Neben dieser Entwicklung erhält der Zusammenhang von Literatur und Alltagssprache eine besondere Funktion.
Suchen Sie auch den Schlüssel zum besseren Verständnis von Mythologie, Kunst und Literatur? Dann sollten Sie das Weltbild des Impurismus studieren. Es wird Ihnen die Augen öffnen für bislang hermetische Zusammenhänge, und Sie werden erkennen, was der Chorus mysticus (Faust II Ende) meint, wenn er sagt: "Alles Vergängliche Ist nur ein Gleichnis." Erde und Himmel, alles Materielle und alle Geistgebilde, der Kosmos und alle Lebewesen --- ein Gleichnis wofür? Wenn Sie die Antwort finden, werden Sie verstehen, warum die Wissenden unsere Kulturszene dominieren. Sie brauchen keine Forschungsnische zu suchen, wenn Sie das weite Feld des Impurismus mit Literatur- und Sprachwissenschaft beackern; denn "Poesie ist die Muttersprache des menschlichen Geschlechts" (Hamann: Aestetica in nuce).
Das große Subjekt
(1997)
Ein junger Mensch, am Ende des Studiums angekommen, wird von seinem Professor eingeladen. Der Abend neigt sich; der Rotwein löst die Zungen, schließlich gesteht der Ältere, seinerzeit bei der Lektüre einer der damals im Schwang befindlichen Schriften, möglicherweise Herbert Marcuses Triebstruktur und Gesellschaft, geweint zu haben. Der junge Mensch ist frappiert. Seine Reaktion, gemischt aus Neugier und Abwehr, hat weniger mit dem Titel zu tun, den er kaum kennt, als mit der späten Selbstentblößung, deren Zeuge er geworden ist. Sie gibt ihm zu denken. Bald begreift er, daß damals nicht bloß eine empfindsame Leserseele vom Schmerz über das trostlos-glorreiche Schicksal der Welt überwältigt worden war. Etwas Subtileres hatte sich hier zugetragen, eine Erschütterung, die mehr mit dem Los verband, das sich der Intellekt in jenem wie in anderen Büchern der Epoche bereitet, eine Katharsis im Begriff, ausgelöst durch Begriffe und – im besten Fall – hinführend zu Begriffen.
Zwar haben die Intellektuellen das zwanzigste Jahrhundert nicht in gleicher Weise geprägt wie die Massenmörder, die Wohlfahrt und die ethnischen Säuberungen. Dennoch war es ihr Jahrhundert. Das – nennen wir es einmal so – Unbehagen in der Schriftkultur enthält die Aufforderung an sie, Abschied zu nehmen: Wovon, das bleibt die Frage. Zu viele Abschiede, zu viele Ankünfte; nicht allein Intellektuellen fällt es schwer, dergleichen noch ernst zu nehmen. Und sie passen sich an: Man kann beim besten Willen nicht mehr behaupten, daß sie es ernst meinen. Darin liegt auch ein Abschied, kein Zweifel, der langsame, von Kehrtwenden aller Art durchsetzte Rückzug aus einer Inszenierung, die vielleicht überflüssig, aber niemals langweilig war – ein Luxus, wie ihre besseren Vertreter immer gewußt haben. Ein Luxus des Subjekts, das angesichts seiner Diagnosen entweder in spröder Resignation verharrt oder als Dolmetscher von Sehnsüchten auftritt, die mit der Oberfläche der Dinge zu sehr verklebt sind, als daß ihr verstreutes Aufflackern jemals das Reich der Freiheit hätte ankündigen oder der Verwirklichung näherbringen können. Auch im brüchigen Universum der Intellektuellen hatten und haben die Frondeure des Prinzips Hoffnung einen schweren Stand. Richtig ist allerdings, daß die kluge Einschätzung des Umstands, wie schwer es fällt, alle imaginär gerichtete Hoffnung fahrenzulassen, ihnen das Überleben gesichert und sie unter Herrschaften in Gefahr gebracht hat, für welche die Überführung solcher Hoffnungen in Gegenwart beschlossene Sache war.
Paul Mersmann, Europäer
(2008)
Der Surrealismus, die europäische Sprachschule der Zwischenkriegszeit, ist nicht tot. Er hat die leichtgewichtigen Werke Bretons und Aragons überlebt, das Ende der Ismen und den neuen Verismus, weil er in der Werbung und der Politik mächtige und prinzipiell unabschaffbare Verbündete besaß. Er musste sie nicht erst lang überzeugen. In ihm fanden sie willkommene Werkzeuge ihrer Überzeugungsarbeit. Der elitäre Kommunarismus, der massendemokratische Elan, der jede einzelne Handlung mit einer Zukunft verbindet, die weiß und offen in einem kochenden Weltall schwebt – Blochs Feuertopf (»Die Materie ist ein Feuertopf«) mitsamt dem rituellen Kopfschütteln, das er hervorruft, ist sein Erzeugnis. Der Surrealismus der Tat scheut die Macht, die er sucht. Er sucht nicht ihre Nähe, sondern sie selbst, er will sie, aber im Modus des Nichtbesitzens. Er will nicht als ihr Inhaber gelten, sondern als ihr Zerstäuber. Dazu bedarf es einer Gesellschaft von Gleichgesinnten, die es nicht gibt, die sich von Fall zu Fall erfinden muss, um den, der die Gunst der Stunde nützt, um sich in den Besitz des Zaubermittels zu setzen, wieder zu entzaubern und, wenn möglich, von der Bühne zu vertreiben.
Das Verschwinden des östlichen ‘Blocks’ von der ideologischen Landkarte hat – in West und Ost – eine Reihe von Phantomschmerzen gezeitigt, deren zufriedenstellende Diagnose noch aussteht. Zwar fehlte es nicht an ehrgeizigen Versuchen, aber es fügte sich, daß sie alle mehr oder minder unreflektiert in die der Politik und dem Wirtschaftsleben abgelernten Formeln von der ‘Unsicherheit’ oder ‘Ungewißheit’ kommender Entwicklungen mündeten, selbst die seinerzeit auf ganz andere Problemstände gemünzte Habermas-Vokabel von der ‘Neuen Unübersichtlichkeit’ kam hier und da schüchtern zu neuen Ehren. Das mochte, um an eine Wendung Kants zu erinnern, in der Praxis hingehen, doch in der Theorie schuf die sich in solchen Floskeln bekundende Auslieferung an einen kommenden Zeitgeist eine Opportunismusvariante, die man, eine Lieblingsvokabel dieser Jahre aufgreifend, getrost ‘virtuell’ nennen könnte. Warum sich den Kopf zerbrechen, wenn alles im Fluß ist und das Passende sich früher oder später schon finden wird? Die intellektuelle Selbststornierung kennt allerlei Quellen und mancherlei Gründe, auch Abgründe – es scheint, als erlebten manche Heroen des öffentlich ergriffenen Wortes schmerzliche Bewußtseinslagen noch einmal, allerdings nicht, wie zu ihrer Zeit, eingespannt zwischen Hoffen und Bangen, sondern im Licht des Verdachts, daß mit dem beschädigten Hoffen auch das Bangen nicht mehr das alte sein dürfe. Wer profitiert, sind die Eiferer und die Spötter: Feindschaft stabilisiert, Loyalität, zumal verdeckte, nicht minder.
Das Ende der Kritik
(1997)
Die Kritik – was ist das? Offenbar dies und das: eine okkasionelle Tätigkeit, ein Spektrum wenig zusammenhängender ‘Institutionen’, ein berufliches ‘Credo’, vor allem aber eine Idee, ein Wert, dem Unwert auf zweideutige Weise verbunden. Ein Idol also, produktiv dadurch, daß es die Einbildung vieler stimuliert. Nichts anerkennen, was nicht am checkpoint irgendeiner Kritik festgehalten und gründlich kontrolliert wurde: So lautet die Maxime, der sich der wissenschaftliche Alltag ebenso unterwirft wie das Gefühlsleben des durchschnittlich ‘kontrollierten’ Individuums. Zwar gilt sie nur unter Vorbehalt, doch dieser – kritische – Vorbehalt gegen die Kritik schwächt sie nicht ab, sondern macht sie praktikabel: er integriert sie in den Gang der Dinge, ins Netz der Verpflichtungen und Rücksichten, in die Einsicht, daß es gelegentlich an der Zeit ist, Sachen zu tun, die einfach nicht zu rechtfertigen sind, weil jede Art der Rechtfertigung von vornherein als Skandalon gälte.
Die moderne Lyrik gilt als die Erfindung eines französischen Lyrikers: Charles Baudelaire (1821–1867). Das muss ungewohnt klingen, wenn man die Geschichte der Literatur seit dem 17. Jahrhundert als eine Geschichte der Modernisierungen begreift. ›Modern‹ muss hier etwas anderes bedeuten als etwa bei Charles Perrault (1628 – 1703), der sich in der ›Querelle des Anciens et des Modernes‹, der Auseinandersetzung um den Vorrang der ›alten‹ (antiken) oder der ›neuen‹ Kultur, nachdrücklich auf die Seite der ›Modernen‹ geschlagen hatte. Die moderne Lyrik gehört in den Zusammenhang jener literarischkünstlerischen Moderne, deren Anfänge in der Literaturwissenschaft auf die Mitte des 19. Jahrhunderts datiert werden. Sie setzt die spezifische Modernität der romantischen und bürgerlich-realistischen Poesie bereits voraus und negiert sie. Damit muss sie genauer jener Krise der ›neuzeitlichen‹ Moderne zugerechnet werden, die im ›Fin de siècle‹ und schließlich in und nach dem Ersten Weltkrieg für eine Reihe extremer Umbrüche im kulturellen ›Design‹ Europas steht. Heute fällt es schwer, sich vorzustellen, dass während mehrerer Jahrzehnte Gedichte zu den erregendsten Hervorbringungen der europäischen Intellektuellenkultur zählten. Eine Frage ist, wie groß die Zahl der ›Gebildeten‹ war, die an diesem Abenteuer des Geistes Anteil nahmen, eine andere die nach der Intensität dieser Erfahrungen und ihrer Ausstrahlung in andere Bereiche.
Nach wie vor steht die Literaturwissenschaft den Optionen einer medienkulturwissenschaftlichen Öffnung des Fachs äußerst ambivalent gegenüber. Die kaum noch einzulösende Forderung, die Literaturwissenschaft müsse sich auf ihre "genuinen Gegenstände" zurück besinnen und allen Versuchungen einer medienkulturwissenschaftlichen Öffnung widerstehen, wird nun durch die Auffassung abgelöst, die philologische Kompetenz sei die Kernkompetenz der Kulturwissenschaft - vorausgesetzt, die philologische Kompetenz werde so vermittelt, »daß Bezüge zu interkultureller und intermedialer Kompetenz eingeschlossen sind«.
Intermedialität
(2007)
»Die Spur, von der wir sprechen«, so Derrida in der Grammatologie, ist »so wenig natürlich (sie ist nicht das Merkmal, das natürliche Zeichen oder das Indiz im Husserlschen Sinne) wie kulturell, so wenig physisch wie psychisch, so wenig biologisch wie geistig«. Wie ist aber dann die Spur, von der Derrida hier spricht, zu denken? Und vor allem: Warum soll die Spur nicht an die Begriffe des Merkmals, des natürlichen Zeichens oder des Indices anschließbar sein?
Herr Maier wird Schriftsteller (und Schreiber) : oder: Die "Literaturwissenschaft" der Literatur
(2007)
Zu Beginn des Kapitels "Der Doppelzweig des bildlichen Witzes" schreibt Jean Paul in seiner Vorschule der Ästhetik: "Der bildliche Witz kann entweder den Körper beseelen oder den Geist verkörpern. Ursprünglich, wo der Mensch noch mit der Welt auf einem Stamme geimpfet blühte, war dieser DoppelTropus noch keiner." Vielleicht liefert Jean Pauls Metapher der ,Einimpfung' - ein Begriff, der ursprünglich aus der Botanik stammt und dort den Vorgang der ,Aufpfropfung' beschreibt - auch eine Figur, um den Doppel-Tropus ,Literatur der Literaturwissenschaft' und ,Literaturwissenschaft der Literatur' zu denken. Wenn dem so ist, wenn Literatur und Literaturwissenschaft tatsächlich "auf einem Stamm geimpfet" sind, dann stellt sich - beinahe möchte man sagen naturgemäß (im Bernhard'schen Sinne, versteht sich) - die Frage: Was ist der gemeinsame Stamm? Aber auch: Wer pfropft?
Züchtung und Aufpfropfung sind Praktiken der Hybridisierung, die nicht nur der Kreuzung und Vermischung dienen, sondern darüber hinaus auch noch dispositive Funktion haben: Der Grundgedanke der Züchtung ist die von Menschen geplante Auslese, um die Genkombination zu verändern. Dabei werden bestimmte Eigenschaften verstärkt, andere werden "herausgemendelt". Das Verfahren der Aufpfropfung impliziert nun eine Beschleunigung dieses Hybridisierungsvorgangs. Die Aufpfropfung ist eine Kultivierungstechnik, die der künstlichen - nicht-sexuellen - Fortpflanzung dient - eine Technik, die seit alters her bekannt ist und im 18. Jahrhundert zu neuer Blüte gelangt, nämlich als Wissensfigur für einen aufgeklärten Umgang mit der Natur.
Stellt man die Frage nach den enzyklopädischen Weltentwürfen des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts, so führt kein Weg am Phänomen des Hypertextes vorbei - hypertextuelle Netzstrukturen, das wissen gerade auch die Lexikologen, erweisen sich für die Darstellung komplexer Wissenszusammenhänge als besonders geeignet. So haben wir heute im Rahmen von Daten-CDs und des World Wide Web die Möglichkeit, auf Enzyklopädien zuzugreifen, die offline wie online als Hypertexte organisiert sind - etwa die Encyclopaedia Britannica.
Will Literarur "Wirklichkeit" darstellen, so sind die "Neuen Medien" ein Aspekt dieser Wirklichkeit, an dem sich die Gegenwartsliteratur abzuarbeiten hat. Die "Gegenwärtigkeit" der Gegenwartsliteratur beweist sich jedoch nicht nur daran, dass sie das Gegenwartsphänomen "Neue Medien" in ihren Darstellungsanspruch integriert, sondern, wie sie die "Neuen Medien" als Rahmenbedingung des Schreibens mit dem Akt literarischen Schreibens zu einer "Schreib-Szene" koppelt.
Archiv
(2005)
I. BEGRIFFSGESCHICHTE. Archiv (von gr. archeion bzw. lat. archivum) bezeichnet das Amtsgebäude, in dem bestimmte Dokumente (Urkunden, Akten, Amts- und Geschäftsbücher) aufbewahrt werden, die zu rechtlichen oder administrativen Zwecken erhalten werden sollen. In einem weiteren Sinne sind Archive Institutionen, die der selektiven Sammlung und der konservierenden Speicherung von Dokumenten aller Art (nicht nur schriftliche, sondern auch Bild- und Tondokumente) dienen. Im Unterschied zu Bibliotheken und Museen, mit deren Arbeit sich das Archiv zum Teil überschneidet, zeichnet sich das Archiv dadurch aus, daß das Archivgut, "nur zu einem kleinen Teil von vornherein als dauerndes Zeugnis [...] angelegt wurde" (Franz 1989,2).
Was läge näher als einen Beitrag zum Thema Praktiken des Sekundären mit einem Zitat zu beginnen? In seinen 1760 auf deutsch erschienenen Gedanken über die Original-Werke fragt Edward Young: "Da wir nun als Originale gebohren werden, wie kömmt es doch, dass wir als Copien sterben?" Youngs Unterscheidung zwischen Original und Kopie verweist, wie Luhmann bemerkt, auf die Tendenz des 18. Jahrhunderts, "Individualität im Copierverfahren zu gewinnen", das heißt, "sich Ziele, Anspruchsniveaus und Lebensart durch Copie zu beschaffen, also eine copierte Existenz zu führen". Dieser kopierten Existenzweise stellen die Ästhetiken von Young und Kant das Ideal des Original-Genies gegenüber.
Glaubt man Schleiermacher, so ist es längst ausgemacht, daß sich "das Mißverstehen von selbst ergibt", während "das Verstehen auf jedem Punkt muß gewollt und gesucht werden" (Schleiermacher ,1990, S. 92 f.). Dementsprechend lautet die Ausgangsfrage der Sprachphilosophie: Was müssen wir wissen und was müssen wir können, um eine Äußerung angemessen zu verstehen? Ich möchte im folgenden der Frage nachgehen, welche Rolle die Peircesche Auffassung vom Interpretieren als Interpretieren sprachlicher und nichtsprachlicher Zeichen - in Form argumentierenden Schlußfolgerns - für die Sprachphilosophie spielen kann.
Die erotisch-sexuellen und gefühlsbetonten Aspekte mechanistischer Technologie stehen im Zentrum des vorliegenden Artikels, d.h. es wird dargestellt, auf welche Weise literarische Technologie-Repräsentationen mit sensuell-sensorischen Elementen in Verbindung gebracht werden. Gleichzeitig soll der dualistisch angelegte Komplex von Ausgrenzung und Integration der tradierten Weiblichkeitsvorstellungen in den oftmals männlich dominierten Technologiebereich dargestellt werden. Der Artikel ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil bietet einen knappen historischen Überblick über das Thema “Mensch und Maschine”. Im zweiten Teil wird das Thema “Mensch und Computer” untersucht. Im dritten Teil wird das gesamte Konzept aus der Verführungsperspektive beleuchtet.
In the Christmas Eve sermon of the Érdy Codex its writer comes to the conclusion that Augustus, Emperor of Rome is a prefiguration of Jesus Christ. This interpretation shows - according to the second grade of the medieval biblical hermeneutics – the locus allegoricus typological meaning. The typological explanation is based on the method of correspondence. One pole is the type, the other pole is the anti-type: the type foretells the anti-type, and the anti-type fulfills, moreover, exceeds the type. This knowledge must be taken into account when interpreting this sermon. The writer confirms this idea with arguments and historical facts (monarchy, peace, census). So Augustus is one of those who prepared Christ´s saviour work. This paper deals with the history of the theological background of this theme and Karthauzi Névtelen´s sources.
Die vorliegende Untersuchung bietet einen Beitrag zur Erhellung des neuzeitlichen Überlieferungsschicksals des Cod. Germ. 38. Im Folgenden sollen die Umstände aufgezeigt werden, die zu einem häufigen Besitzerwechsel unserer Handschrift in den letzten Jahrzehnten des 18. und ersten Dezenien des 19. Jahrhunderts geführt haben. Dies soll vor dem Hintergrund der frühen Geschichte der Klagenfurter Bibliothek erfolgen. Darüber hinaus wird mit konkreten Beispielen auf die Tätigkeit eines (unbekannten) Antiquars hingewiesen, der eine beträchtliche Zahl von mittelalterlichen Kodizes aus den Beständen der im Zuge der Josephinischen Reform aufgehobenen Klosterbibliotheken erworben und an Bibliophilen seiner Zeit weiterverkauft hat.
Die mittelalterlichen Handschriften des Miklós Jankovich im Spiegel zeitgenössischer Kataloge II
(2009)
Anhand der gedruckten und handgeschriebenen Kataloge lässt sich die Bestandsentwicklung der Handschriftensammlung in drei unterschiedlichen Zeitpunkten nachzeichnen. Die von Fejér, Mednyánszky und Pertz erstellten Verzeichnisse erlauben mit ihren Handschriftennennungen einen Blick in den Stand, den die Sammlung bis 1821 erreicht hat. Den von Jankovich selbst angelegten Katalogwerken sind zahlreiche Handschriften zu entnehmen, die um 1830 mit Sicherheit zum Bestand der Sammlung gehört haben. Die große Zahl der unter den Späteinträgen des Fol. Lat. 37 befindlichen Kodizes kann entweder damit erklärt werden, dass manche dieser Handschriften im Rahmen der von Jankovich geleisteten Katalogisierungen übergangen wurden oder sie dokumentieren eine Bestandsentwicklung, die in dem Zeitraum zwischen der Erstellung der genannten Kataloge und dem Verkauf der Sammlung an das Nationalmuseum stattgefunden hat. Dass es zu solchen Neuerwerbungen kam, werde ich an einer konkreten Gruppe von Handschriften veranschaulichen.
Die mittelalterlichen Handschriften des Miklós Jankovich im Spiegel zeitgenössischer Kataloge I
(2009)
Miklós Jankovich, dieser bedeutende ungarische Polyhistor, Antiquitätensammler und nicht zuletzt Bibliophile des 19. Jahrhunderts ist spätestens seit Berlász’ grundlegendem Aufsatz über die Entstehung seines neben Antiquitäten auch an Büchern und Manuskripten besonders reichen “Museums“ als der “zweite Begründer“ der Ungarischen Nationalbibliothek in das Bewusstsein von Bibliothekaren und Forschern eingegangen. Anhand von Akten- und Archivalienrecherchen hat Berlász eine unverzichtbare Orientierungshilfe, einen Kompass zu dem bis dato ungesichteten, an bibliotheksgeschichtlichem Material jedoch reichhaltigen Jankovich-Nachlass in die Hand der Forschung gelegt. Im Rahmen seiner Jankovich-Studien hat Berlász ein weiteres, unerforschtes Terrain betreten, als er sich vornahm, anhand von noch zu den Lebzeiten des bibliophilen Sammlers veröffentlichten, [388 aber in den meisten Fällen nicht mehr als summarische Angaben enthaltenden Bekanntmachungen, und anhand der Zahl von Handschriften, die durch moderne Beschreibungskataloge zu ermitteln war, die approximative quantitative Größe des mittelalterlichen Handschriftenbestandes dieser Sammlung spekulativ zu erschließen. Zwar war er von der Existenz unterschiedlicher Katalogwerke bestens unterrichtet, unterließ es aber, sie auf den mittelalterlichen Handschriftenbestand hin zu befragen. Besonders jene Handschriftenkataloge wären dabei einer näheren Betrachtung wert gewesen, die von Jankovich selbst angelegt und von unbekannten Personen weitergeführt wurden. Der von Berlász ermittelte Umfang der Jankovich’schen Handschriftensammlung soll im vorliegenden Aufsatz anhand der Angaben in diesen Katalogwerken geprüft werden.
Edition und Open Access
(2005)
Der Wiener Kanoniker Ladislaus Sunthaim, einer der um 1500 am historisch-genealogischen Forschungsprojekt Maximilians I. tätigen Gelehrten, wurde von Fritz Eheim - unter anderem in seiner leider ungedruckt gebliebenen Prüfungsarbeit am IfÖG 1950 - als einer jener reisenden Historiker in der Zeit des Humanismus porträtiert, die unter anderem in Klosterarchiven und -bibliotheken nach verborgenen Quellenschätzen fahndeten. Im Zeitalter von Kopie und Mikrofilm ist es wesentlich einfacher geworden, an entlegene handschriftliche Quellen zu kommen. Heutzutage macht sich der reisende Historiker auf den Weg, um in anderen Bibliotheken und Forschungsinstituten umfangreiche kommerzielle Datenbanken und digitale Sammlungen zu konsultieren, die sich die eigene Institution nicht leisten kann oder will, denn ein unkomplizierter Fernzugriff ist aus urheber- und lizenzrechtlichen Gründen nicht möglich.
Am 12. Oktober 2007 wurde der Roman "ESRA" von Maxim Biller (erschienen 2003 bei Kiepenheuer & Witsch) durch das Bundesverfassungsgericht wegen der Verletzung der Menschenwürde einer darin zu erkennenden Frau endgültig verboten. Das hat zahlreiche Äußerungen der Art nach sich gezogen, dass nach solchen Maßstäben auch Goethes "Werther", Fontanes "Effi Briest", Thomas Manns "Buddenbrooks" und wer weiß welche Werke noch hätten verboten werden müssen. Gegen diese historisch unsinnigen Gleichsetzungen wendet sich der hier wiedergegebene Artikel.
Wahrscheinlichkeit
(2003)
Wahrscheinlichkeit: Anschein der Übereinstimmung eines dargestellten Geschehens mit der gewöhnlichen Erfahrung. Expl: Der Begriff läßt sich auf Geschehensdarstellungen aller Art beziehen, also auf literarische (aller Gattungen) ebenso wie auf solche in Bild und Film. Hauptsächlich gebraucht wird er aber für ->Fiktion und hier für die erzählende Literatur und steht dabei zwischen dem ->Phantastischen oder ->Absurden einerseits und dem Verbürgten oder Tatsächlichen andererseits (->Dokumentarliteratur). Eindeutig und ein für alle Mal abgrenzbar ist er jedoch nicht; was für wahrscheinlich gehalten wird, kann je nach historisch-kulturell bedingten Kenntnissen und Ansichten schwanken. Unterscheidbar sind aber zwei Ausrichtungen des Begriffes: Textintern meint er die Widerspruchsfreiheit der Darstellung, textextern ihre Verträglichkeit mit dem verfügbaren Wissen.
Nichts ist für die heutige Situation der fiktionalen Literatur bedeutsamer, nichts greift tiefer in ihr Verhältnis zur Realität ein als die Tatsache, daß von immer mehr Menschen Selbstzeugnisse erscheinen. Briefe, Tagebücher, Memoiren, Erlebnisberichte - was lange Zeit nur von Prominenten zugänglich war, erreicht uns heute zunehmend auch von Unbekannten. Wo aber die Erlebenden selbst und unverstellt von ihren Erlebnissen berichten, sind Fiktionen überflüssig bzw. müssen, um bestehen zu können, mehr sein als biographische Mimikry. Der Roman, soweit er 'Literatur' sein will, hat darauf auch längst reagiert. Mehr denn je betont er statt seines Mitteilungs- seinen Kunstcharakter, ersetzt also seinen Mangel an originärer Information durch den immer virtuoseren Gebrauch der erzählerischen Mittel. Ob diese Entwicklung wirklich so unbegrenzt weitergehen kann, wie man derzeit noch unterstellt, kann hier offen bleiben - allzu viele folgen jenen Erzähl-Experimenten ja schon heute nicht mehr. Nur der Zusammenhang als solcher sollte unstrittig sein, zumal man ihn jüngst noch einmal wie in einer Zeitraffer- Aufnahme an dem Bedeutungsverlust beobachten konnte, den gleichsam über Nacht die DDR-Literatur erlitten hat. Lange Zeit allein erzählberechtigt (und deshalb gern für einen höheren Kulturzustand in Anspruch genommen), ist mit der neuen Mündigkeit auch sie vom authentischen Erzählen eingeholt worden, und mit jedem weiteren Bericht, der über Flucht-, Stasi- und Wende-Schicksale jetzt erscheint, wird unwahrscheinlicher, daß Romane der alten Art zu solchen Schicksalen noch entstehen.
Daß die Fachbegriffe der Literaturwissenschaft so unterschiedlich klar sind, hat mir ihrer ganz verschiedenen Reichweite, ihrem ganz unterschiedlichen Gegenstandsumfang zu tun. Zwar wollen alle diese Begriffe Ordnungen in die Welt der literarischen Erscheinungen hineintragen, sie uns gliedern, sortieren, überschaubar machen, aber es ist nicht dasselbe, ob es sich dabei um einen Korpus bloß von Wörtern und Sätzen handelt, zwischen denen es offen zutage liegende Übereinstimmungen gibt, oder um einen Korpus von ganzen Werken, deren einzige sichere Gemeinsamkeit zunächst vielleicht nur die ist, daß sie dem gleichen Jahrhundert entstammen. Ist in dem einen Fall der Begriff nur der identifizierende Name für eine so oder so zu erkennende Gesetzmäßigkeit (weshalb hier auch oft für dieselbe Erscheinung gleichzeitig deutsche wie fremdsprachliche Ausdrücke zur Verfügung stehen), so ist er in dem anderen Fall so etwas wie das Summenzeichen eines weitläufigen und vielleicht nie ganz abgeschlossenen Erkenntnisprozesses, auf das man zum Zwecke der Verständigung gleichwohl nicht verzichten kann. Es nützt in diesem Falle deshalb auch nichts, wenn man sich bei Unklarheiten nur mit dem Begriff selbst beschäftigt. Der Versuch, ihn 'genauer zu definieren', wie es dann heißt, führt in der Regel nur dazu, daß er sich von diesem Erkenntnisprozeß ablöst und damit seine Signifikanz erst recht verliert. Gesichert werden kann ein solcher Begriff - soweit er sich überhaupt sichern läßt - nur dadurch, daß man die Ursachen der Unklarheit aufdeckt, daß man also in die Geschichte des Begriffes zurückgeht und noch einmal prüft, in welchen Grenzen seine Bedeutung festliegt und von wo an es mit dem Verständnis und Einverständnis schwierig wird.
Der Schelm, der nur noch gibt, was er hat : Adolph von Knigge und die Tradition des Schelmenromans
(1986)
Wenn jemand zum Ausdruck bringen möchte, daß er sich um eine Sache nach besten Kräften bemüht hat und mehr als das Geleistete redlicherweise nicht anbieten kann, so sagt er unter Umständen: "Ein Schelm gibt mehr, als er hat". Nachgewiesen ist diese Redensart bereits im 18. Jahrhundert, damals noch bevorzugt auf die Bewirtung von Gästen bezogen, von der aus sie sich aber bald auf andere Zusammenhänge übertragen findet. Daß es allgemein Schelmenart ist, mehr zu geben, als man hat, ist aber natürlich nicht erst mit dieser Redensart ruchbar geworden. Denn daß nicht alles Gold ist, was glänzt, oder daß manche einem ein X für ein U vormachen, daß die hohlsten Fasser am vollsten tönen oder die seichtesten Bäche am lautesten rauschen, hat man auch früher schon gewußt und sich vor den Schelmen eine Warnung sein lassen, mag es genutzt haben oder nicht. Und die Schelme ihrerseits? Die literarischen jedenfalls, von denen hier die Rede sein soll, scheinen sich in dieser Hinsicht auf den ersten Blick auch zumeist ganz sprichwörtlich zu verhalten, ihre Umwelt wirklich bevorzugt dadurch hereinzulegen, daß sie etwas vortäuschen, was nicht vorhanden ist. Doch bei genauerem Hinsehen kann man auch gewahr werden, daß dies nicht immer so ist oder daß der Zweck solcher Täuschung auch sein kann, im wesentlichen gerade nichts vorzutäuschen oder gar weniger zu scheinen, als man ist, und um eben diese Unterschiede, die letztlich eine Entwicklung des Schelmenromans aus sozialgeschichtlichen Ursachen bedeuten, soll es hier gehen.
Von einer Ballade wie Schillers Bürgschaft den Inhalt wiederzugeben, scheint eine unproblematische Aufgabe zu sein. Führt man sie kritisch und sachgenau aus, wie Schüler ja sollen, so können sich jedoch Fragen ergeben. die durchaus heikel sind. Es kann sich dann nämlich herausstellen, daß die drei lebensbedrohenden Prüfungen, die der zu Dionys, dem Tyrannen, zurückeilende Damon zu bestehen hat, für seine Freundestreue zwar ein leuchtendes, aber durchaus nicht auch ein einleuchtendes Zeugnis sind. Der 'unendliche Regen', der herniederzuströmen beginnt, bald nachdem er sich am dritten und letzten Tag von der Schwester, der nun ehelich versorgten, verabschiedet und den Rückweg angetreten hat, mag in seinen Folgen noch hingehen: der zu überquerende Fluß schwillt binnen kurzem so an, daß die einzige Brücke weggerissen und der zur Eile Verpflichtete jäh aufgehalten wird. Aber warum tut er nun nichts anderes, als hilflos am Ufer auf und ab zu laufen und über den tosenden Strom hinweg nach einem Fährmann zu rufen? 'Stunde an Stunde' läßt er so verrinnen, obwohl er sieht, daß das Wasser ständig ansteigt, bis daß er sich endlich - es ist längst Nachmittag - ein Herz faßt und den mittlerweile zum 'Meer' gewordenen Fluß mit 'gewaltigen Armen' durchschwimmt. Warum dann also nicht gleich?
Manchmal bedeutet schon das Vorbringen einer Frage, sich in ein polemisches Verhältnis zu bestimmten Vorstellungen zu setzen, auch wenn man das nicht will und es für das eigene Überlegen als einen Nachteil ansieht, daß da eine Welt von Widerspruch zu gewärtigen ist. Die Frage nach der Bedeutung des tatsächlich stimmenden Details für die Literatur ist eine solche Frage, scheint es doch - wie lange schon? - eine gesicherte Überzeugung zu sein, daß die Übereinstimmung des literarischen Werkes mit wie immer beglaubigten Tatsachen nichts zu bedeuten hat, nichts jedenfalls für dessen Kunstcharakter, oder wenn doch, dann nichts Gutes. Wie also beginnen, ohne sogleich den gesammelten Zorn auf diese Frage zu ziehen? Versuchen wir es an dem Punkt, an dem die wissenschaftliche Diskussion selber offenbar noch am ehesten Mühe gehabt hat, dieser Auffassung Geltung zu verschaffen: in der Auseinandersetzung mit der Literatur des Realismus und mit dem Realismusbegriff überhaupt.
Vieldeutigkeit und Deutungsvielfalt : oder: das Problem der Beliebigkeit im Umgang mit Literatur
(1982)
In der Literaturtheorie hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr die Auffassung ausgebreitet, daß ein spezifisches Merkmal literarischer Texte ihre Mehr- oder Vieldeutigkeit (Polyvalenz) sei. Welche Folgerungen sind daraus für den Literaturunterricht zu ziehen? Kann er überhaupt noch zu einem bestimmten Textverständnis hinführen wollen? Der Beitrag zeigt auf, daß Deutungsdifferenzen verschiedene Ursachen haben und keineswegs alle unauflösbar sind. Er plädiert zugleich dafür, an dem Ziel eines bestimmten Verstehens selbst dort festzuhalten, wo Texte mehrdeutig erscheinen, plädiert also für den Versuch einer Verständigung über sie und gegen das bloße Feststellen von Rezeptionsunterschieden.
Vom Recht des naiven und von der Notwendigkeit des historischen Verstehens literarischer Texte
(1982)
Die Szene ist originell, aber vielleicht nicht ganz unwahrscheinlich: Ein siebzehnjähriger Lehrling, der im finsteren Klo einer Gartenlaube nach Papier sucht, findet dort ein Reclamheft, benutzt einige Deck- und Nachblätter für den ortsüblichen Zweck und beginnt danach aus Langerweile das Buch zu lesen, das nun nichts weiter enthält als einen, als den Text. Es sind die Briefe eines gewissen Werther, die ihm so in die Hände kommen, aber der Name sagt ihm nichts, so daß er weder besondere Erwartungen noch Vorbehalte gegen die Lektüre hat, sondern sich wirklich unvoreingenommen und in seiner Lage auch frei von Ansprüchen auf sie einlassen kann. Für eine Rezeptionsforschung, die herausfinden möchte, was im Akt des Lesens und Verstehens literarischer Texte ,eigentlich' geschieht, ist die Dokumentation eines solchen Falles fraglos ein Beispiel, das dem sonst üblichen testmäßigen Abfragen von Leserreaktionen an Zuverlässigkeit überlegen ist.
Spätestens seit den gesellschaftlichen Modernisierungsschüben in den sechziger Jahren identifiziert auch die Germanistik Erkenntnis- und Wissenszuwachs, ja allgemeiner den "Fortschritt" ihres Fachs, mit Komplexitätserhöhung. Vor diesem Hintergrund erscheint es mir wenig plausibel, die seitdem erfolgten inneren Ausdifferenzierungen und interdisziplinären Grenzüberschreitungen als durch Identitätsverlust, Zerstreuung und Desintegration gekennzeichnete Niedergangsszenarien zu beschreiben. Die Veränderungen gehorchen der immanenten Logik germanistischer Forschung, einer "disziplinierten", auf Leistung ausgerichteten, an kooperativen Großforschungsvorhaben partizipierenden Wissensproduktion.
Alles nach Plan, alles im Griff : der diskursive Raum der DDR-Literatur in den Fünfziger Jahren
(2004)
Die DDR-Literatur gehört nicht mehr zu den bevorzugten Forschungsgebieten der Literaturwissenschaft. Die letzte umfassende Darstellung erschien 1996. Die Auslandsgermanistik allerdings ist von einem anhaltenden Interesse gekennzeichnet. Nahezu vergessen scheinen die fünfziger Jahre. Die folgenden Überlegungen möchten die These ins Spiel bringen, dass dies nicht zufällig so ist. Obwohl noch Ende der siebziger Jahre emphatisch von der Herausbildung einer sozialistischen Nationalliteratur gesprochen wurde, ist heute abzusehen, dass kein einziges Werk der DDR-Literatur aus den Fünfzigern in den Kanon der deutschen Nachkriegsliteratur eingehen wird, sieht man von Uwe Johnsons Roman "Mutmaßungen über Jakob" ab, der zwar in der DDR geschrieben wird, jedoch 1959 in der Bundesrepublik erscheint. Man muss ohnehin fast immer die Fernleihe des Bibliothekenverbunds bemühen, um diese Werke überhaupt noch in die Hand zu bekommen.
In Rückblicken auf die Germanistik der sechziger und siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, in denen das Fach expandierte und so viele Studierende anzog wie kein anderes geisteswissenschaftliches, ist dennoch meist von "Krise" die Rede. Von der Bildungsöffentlichkeit wurde die Germanistik und das von ihr verbreitete Wissen als antiquiert wahrgenommen und mit einem Verfallsstempel versehen. Nicht nur der von der Literaturwissenschaft favorisierte Kanon literarischer Werke geriet in die Kritik, sondern ebenso das als gesichert geltende Fachwissen. Der Germanistik gegenüber wurden die Vorwürfe erhoben, eine Disziplin ohne ein Objekt im Sinne moderner Wissenschaft zu sein, das Wissen anderer Fächer nicht zur Kenntnis zu nehmen und die zeitgenössische Literatur zu ignorieren. Das Fach wurde so weit destabilisiert, dass seine Einheit zu zerbrechen drohte.
In den neueren literaturtheoretischen Diskussionen wird die Arbeit des Interpretierens, zumal wenn es in kritischer oder ideologiekritischer Absicht erfolgt, radikal in Frage gestellt. Es scheint, als hätte die Literaturwissenschaft die von Susan Sontag vor nun fast dreißig Jahren in ihrem Essay Against Interpretation vorgeschlagene "Erotik der Kunst" zu guterletzt noch ernst genommen und zur Sündhaftigkeit gesteigert. Das wäre doch zu viel des Sinnlichen für Germanistik-Seminare. Zwar hat die Philologie seitdem bisweilen den Tugendpfad der Hermeneutik verlassen und sich auf textlinguistische, diskursanalytische oder systemtheoretische Pfade begeben, jedoch verbürgtermaßen niemals aus Lust am Text. Trotzdem wächst die Kritik an der unermüdlichen, manchmal schwerfälligen und oft mühseligen Arbeit der Interpretation, mehren sich die Stimmen, die das Objekt des sündhaften Begehrens, sie Literatur, vor den Interpreten schützen wollen. Und zunehmend sind es grundsätzliche, das theoretische Verständnis von Autor und Werk betreffende Einwände, die laut werden.
Schreiber schreiben, Leser lesen. Leser schreiben, Schreiber lesen. Schreiber schreiben, Leserinnen lesen. Dichter schreiben, Literaturwissenschaftler lesen. Dichterinnen schreiben, Literaturwissenschaftlerinnen lesen. Literaturwissenschaftler schreiben, Dichterinnen lesen... Es ist ein fast unendliches Spiel der Permutationen, das man über Hunderte und vielleicht Tausende von Jahren, als ein immer weiter sich differenzierendes, nachspielen kann.
In seinem bemerkenswert frühen Versuch, die Wissenschaft zu beobachten, nennt Ernst Mach zwei starke Argumente für die neuen optischen Medien, insbesondere die Photographie: Sie bringen 1. neue Schaueffekte in die Welt, optimieren somit Unterhaltung; 2. liefern sie neues Material für die Wissenschaftler. Die Photographie schafft das, indem sie Unsichtbares sichtbar macht, zeigt, was sich "der natürlichen Anschauung" entzieht.
Die russische Literaturwissenschaft entwickelte sich auf der Basis der russischen Literaturkritik des 19. Jahrhunderts und setzte sich schon früh mit Problemen der komparatistischen Einfluss- und Beziehungsforschung auseinander. Sie war von Beginn an supranational und interdisziplinär ausgerichtet. Hingegen hatten die Einzelphilologien in der russischen universitären Tradition einen schweren Stand. So war z. B. anlässlich des erst im Jahre 2003 gegründeten russischen Germanistenverbandes festzustellen, dass die Vertreter der russischen Germanistik Probleme hatten, ein fachdisziplinäres Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln und sich eher als allgemeine Literaturwissenschaftler oder Komparatisten definierten. Während sich die Komparatistik in Deutschland erst nach der Überwindung eines langwierigen und schwierigen Prozesses der Abgrenzung in Bezug auf die Einzelphilologien in der wissenschaftlichen Forschung und Lehre einen festen Platz eroberte, nahm die russische Komparatistik eine völlig andere Entwicklung, da es dort einer besonderen Legitimation der vergleichenden literaturwissenschaftlichen Forschung nicht bedurfte.
Es gibt Werke, die aufgrund der Verschiedenartigkeit und Unvereinbarkeit ihrer Inhalte schlechthin unvergleichbar sind, aber dennoch den Vergleich herausfordern. Das trifft auf Primo Levis Se questo è un uomo und Dantes Divina Commedia in hohem Maße zu. Sicherlich verbietet sich jeder notwendig relativierende Vergleich der nationalsozialistischen Verbrechen und des durch sie verursachten sinnlosen Leidens mit literarischen Vorlagen.
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich vor allem mit der produktiven Wirkung und dem innovativen Potential von Störungen im Bereich der ästhetischen Wahrnehmung und Poetik. Unter dem genannten Konzept von Störung lässt sich zunächst eine Reihe von verschiedenen ästhetischen und poetischen Phänomenen subsumieren, die man als gezielte oder unbewusste Abweichung von der Erwartungshaltung des Rezipienten definieren kann. Jene poetischen und künstlerischen Erscheinungsformen von Störung reichen von der spielerischen Divergenz bis zur gezielten Unterbrechung und systematischen Irritation; sie umfassen auch markante Brüche mit literarischen Traditionen und etablierten Schreibkonventionen.
Betrachtet man die Wissenstradition der westlichen Welt und ihre Kultur, so scheint es, als ob diese in zwei gegensätzliche Pole aufgespaltet wäre, die auf den ersten Blick wenig miteinander gemein haben. Auf der einen Seite steht eine literarisch-geisteswissenschaftliche Intelligenz, der eine naturwissenschaftliche Intelligenz gegenübersteht. Diese vermeintliche kulturelle Dichotomie ist der Hintergrund, vor dem sich die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Naturwissenschaft bewegt.
„Wer das Leben liebt, liest nicht. Und geht erst recht nicht ins Kino."[3] Wer mit sich selbst und seinem Leben zufrieden ist, schreibt keine Romane. So lautet die lapidare Einsicht, die der französische Erfolgsautor Michel Houellebecq seiner Studie über den Außenseiter Howard Phillips Lovecraft aus dem Jahr 1991 programmatisch voranstellt. Die Lektüre und das Empfinden einer gleichsam existenziellen Notwendigkeit zu schreiben erweisen die Leser und den Autor als Komplizen, als geheime Bundesgenossen in einer Wendung „gegen das Leben, gegen die Welt", wie der Untertitel jener ersten Monographie Houellebecqs über den wahlverwandten Autor Howard Phillips Lovecraft, den die Zeitgenossen als ‚Einsiedler von Providence' bezeichnet haben, programmatisch lautet. Autor und Leser erfahren sich überraschend als Verbündete, die sich gegen die wahrgenommene Trivialität des Daseins verschworen haben. Sie sind, vielleicht ohne es selbst zu ahnen, verbunden im poetischen Widerstand gegen die Monotonie und Banalität einer meist langweiligen empirischen Wirklichkeit, deren erdrückender Wirkung durch Ausflüge in die Phantasie und ins Gedankenexperiment oder durch gewagte Zukunftsprojektionen, sei es in der wissenschaftlichen Hypothesenbildung oder im genetischen Laborversuch, immer nur zeitweilig zu entrinnen ist.
Am 4. Juli 2002 wird auf Anweisung des FBI eine Website im World wide web geschlossen. Es handelt sich um die Website einer bekannten und beliebten amerikanischen TV-Serie, Street Hassle. Die genannte Serie, eine Krimireihe, stellte auf dieser Site begleitend zur Ausstrahlung ihrer Sendungen zusätzliches Material bereit und bot dort außerdem einen Chatroom an, in dem beliebige anonyme Beiträger sich über die in der Serie gezeigten Fälle austauschen und sich, parallel zur Arbeit des TV-Detektivs, an der Lösung und Aufklärung des Falls versuchen konnten. Die plötzliche Schließung der Website durch das FBI löste allgemein Überraschung und Empörung aus. Warum sollte eine so harmlose und unterhaltsame Website wie Street Hassle verboten werden? Als man nach Gründen für die Schließung fragte, erhielt man von offizieller Seite folgende Auskunft: Auf der betreffenden Site seien versteckte Nachrichten gefunden worden, die mit den Aktivitäten gewisser terroristischer Organisationen in Verbindung stünden. Um es gleich vorauszuschicken: Die TV-Serie Street Hassle und ihre umstrittene Website hat es nie gegeben - ebenso wenig den skandalösen Akt ihrer Schließung, von dem die Rede war. Die ganze Geschichte ist eine Finte, oder besser: eine literarische Fiktion, die Guy Tournaye in seinem Roman Le Décodeur („Der Entzifferer")[1] zum Anlass nimmt, um die detektivische Rekonstruktion dieser erfundenen Website als beispielhafte Fallgeschichte über den Umgang mit verborgener, verschlüsselter Information in der aktuellen, globalisierten Medienwelt vorzuführen.
Im Folgenden soll es um Traktate und Streitschriften, die Konversionen zum Gegenstand haben, und um Konversionsberichte aus dem ersten halben Jahrhundert nach der Reformation gehen. Es ist nahe liegend, diesen Zeitraum zu wählen, denn die lutherische Reformation hat zahlreiche Menschen herausgefordert, sich mit ihrem Glauben auseinander zu setzen. In Konversionsberichten - damit werden in dieser Studie lediglich die Texte bezeichnet, die von Konvertiten selbst verfasst worden sind - stoßen wir auf einen regelrechten 'Bekenntnisdrang' des Konvertiten. Fidel Rädle hat diesen Sachverhalt prägnant zusammengefasst: "Üblicherweise äußern sich Konvertiten [...] besonders bereitwillig." Und ebenso bereitwillig - so lässt sich ergänzen - äußern sich die Gegner der Konvertiten in Gegenberichten. Doch ist der Bekenntnisdrang des Konvertiten auch Ausdruck eines 'Ich' oder manifestiert sich in den Konversionsberichten zwischen 1520 und 1570 nicht vielmehr eine rhetorisch mehr oder minder prästabilsierte Berichtinstanz, die nur aus Gründen der Anschaulichkeit und der Emotionalisierung der Leser vom 'Ich' spricht? Da Konversionsberichte nicht zu den gut erforschten Textsorten der Frühen Neuzeit zählen, ist es angeraten, zunächst ihr diskursives Umfeld, religiöse Streitschriften und Traktate, darzustellen, um einen ersten Eindruck vom fehlenden Interesse am 'Ich' in diesen Texten zu vermitteln, die Konversionen zum Gegenstand haben. Denn so sehr auch 'Bekenntnisdrang' hinter den Schriften zu stehen scheint, entscheidend, so wird sich zeigen, ist für die Verfasser nicht der Bericht über die eigene Konversion, sondern der Appell an die Leser, dem Konvertiten nachzufolgen.
Wenn alles (oder doch fast alles) ›Kultur‹ ist und Kulturwissenschaftler so eigentlich über alles (oder doch fast alles) Bescheid wissen müssten, ist die Qual der Wahl groß - selbst bei der (ohnehin unabdingbaren) Beschränkung auf Linklisten statt einzelner Seiten. Die vorliegende Bibliographie setzt sich zwei Ziele: Zum einen sollen die wichtigsten Web-Angebote zu Kulturwissenschaften/Cultural Studies erschlossen werden; zum anderen sollen über wenige, anerkannte ›Portalseiten‹ Wege zum Internetwissen über die für den Kulturwissenschaftler relevanten Disziplinen und Forschungsgebiete eröffnet werden. Wie schon bei den vorangehenden Teilen der Bibliographie bitten wir unsere Leser um Alternativ- und Ergänzungsvorschläge. Die Bibliographie wird auch auf unserer Homepage (www.kulturpoetik.de bzw. www.culturalpoetics.net) veröffentlicht, kann also von dort heruntergeladen und im eigenen Browser verwendet werden.
Auch die im Teil 2.C gesammelten Titel stehen für ein bisher kaum reflektiertes Problemfeld: Welche Auswirkungen kann (oder vielleicht ja: muss) eine kulturgeschichtliche Orientierung für traditionelle Domänen der Literaturwissenschaft wie Literaturgeschichtsschreibung, Gattungstheorie und -geschichte oder, noch allgemeiner, für die Theorie und Geschichten von Kunstformen und Medien haben? Für die Titelaufnahme gelten die gleichen Auswahlregeln wie für die bereits erschienenen Teile der Bibliographie: Zeitlicher Schwerpunkt ist das letzte Jahrzehnt. Aufsatzpublikationen wurden nur im Ausnahmefall berücksichtigt. Nicht aufgenommen wurden Untersuchungen, die auf bestimmte Autoren und/oder Werke begrenzt sind.
Das Forschungsgebiet von Teil B dieser Bibliographie ist noch kaum erschlossen – und wird auch in der kulturgeschichtlichen Literaturwissenschaft noch weitgehend ignoriert. Es umfasst Themen, Verfahren, Praktiken, Handlungsfelder, die in der ästhetischen und poetischen Diskussion seit jeher eine große Rolle gespielt haben, deren Geltungsbereich aber keineswegs auf Kunst und Literatur beschränkt ist. Begreift man sie als protoästhetische bzw. proto-poetische Elementarien der Kultur, als anthropologisch fundierte ›poetogene Strukturen‹ (Rüdiger Zymner), so wären sie Ursprungsorte des Poetischen und Ästhetischen, die historisch wie systematisch der Ausdifferenzierung eines eigengesetzlichen ästhetischen Systems vorausliegen. Auf jeden Fall aber handelt es sich um Schnittstellen, über die ›Kunst‹ und ›Nicht-Kunst‹ ständig miteinander interagieren; als solche sind sie für eine nach Funktion und Pragmatik des Ästhetischen fragende Kulturwissenschaft von zentralem Interesse. Für die Titelaufnahme gelten die gleichen Auswahlregeln wie für die bereits erschienenen Teile der Bibliographie: Zeitlicher Schwerpunkt ist das letzte Jahrzehnt. Aufsatzpublikationen wurden nur im Ausnahmefall berücksichtigt. Nicht aufgenommen wurden Untersuchungen, die auf bestimmte Autoren und/oder Werke begrenzt sind.