810 Amerikanische Literatur in Englisch
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Der Begriff der Verblendung, ein oft implizit immer wiederkehrendes Thema in der Literatur, Philosophie, und auch in der Religion, hat eine komplexe Bedeutungsebene, die es vielleicht wohl zu bewahren gilt, anstatt sie zu fixieren und damit die Lesemöglichkeiten, die er eröffnen kann, zu reduzieren. Das Wort, das Offenes (etwa eine Hingabe an einen Glauben, die auch eine Selbsttäuschung, ein Fehler sein kann, aber auch Mut bedeuten kann) und Verborgenes (eine mehr oder weniger bewusste Täuschung anderer) zugleich andeutet, entzieht sich durch diese doppelte Struktur von 'Oberfläche' und 'Hintergrund' in gewisser Weise, ohnehin einer festen BeDeutungsgebung. In besonderer Weise bleibt der Begriff mit dem als 'Verliebtheit' umschriebenen Zustand als einer ambivalenten un/wahren, irrational und affektiv besetzten, relationalen, inneren Vorstellung und äußeren Projektion des Selbst und eines Anderen verbunden. Der Begriff kann die Hingabe an eine (trügerische) Romantik oder eine (trügerische) Hingabe an eine Romantik meinen, der ein Selbst und ein Anderes in eine affektive Beziehung zueinander setzt, und so auch die Möglichkeit des Unheimlichen, das Hineinbrechen eines Trug(-Bild)-es kennzeichnen. Dies wiederum ist engstens mit Angst und Wut, den oft als destruktiv dargestellten Affekten und affektiv besetzten Effekten verbunden. Verblendung ist somit auch ein Begriff, der Vorstellungen von 'Rationalität' und (affektiv-besetzter) 'Irrationalität', von 'Richtigkeit' und 'Falschheit' beinhaltet.
Der Artikel bietet eine Analyse von John A. Williams' Roman "Clifford's Blues" (1999), der in der Form eines fiktiven, von einem afroamerikanischen Jazz-Musiker geschriebenen Tagebuchs von der Inhaftierung im Konzentrationslager Dachau erzählt. Der Roman lässt sich nicht nur als mit den Mitteln der Fiktion arbeitender Beitrag zur Geschichte der Verfolgung Schwarzer Menschen im Nationalsozialismus verstehen, sondern auch als selbst transatlantisches, vermeintlich historisches Zeitzeugnis, das aus einer ungewöhnlichen Perspektive die Thematik eines unsteten Archivs verflochtener Gewalt- und Exilerfahrungen beleuchtet. Das Augenmerk der Analyse liegt einerseits auf den Chancen eines solchen Archivs: Der Roman zeigt Möglichkeiten diasporischer Gemeinschaftsbildung und beschreibt die transatlantische Perspektive des Protagonisten als Ressource für das Erkennen von Kontinuitäten der Unterdrückung wie auch für das Ableiten von alltäglichen Widerstandsstrategien. Andererseits werden ausgehend vom Kunstgriff der Herausgeberfiktion und von Dokumenten aus dem Nachlass Risiken und Widersprüche des hier entworfenen Archivs diskutiert. Es wird gezeigt, dass dieses zwar auf Transnationalität zielt, jedoch teilweise der Rückbindung an ein lokales Moment bedarf.
Im vorliegenden Aufsatz stellt die Verfasserin die Frage nach einer geschichtsphilosophischen Lesart von Toni Morrisons Roman "Beloved" (1987). Dafür vergleicht sie zunächst Friedrich Nietzsches "Zweite Unzeitgemäße Betrachtung: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben" (1874) mit Walter Benjamins "Thesen über den Begriff der Geschichte" (1940), indem sie dem nicht von ungefähr kommenden Zusammenhang von kritischer Historie und Kritischer Theorie nachspürt. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse, wie der Umgang mit Historie das (Er-)Leben in der Zukunft und für die Zukunft beeinflussen kann, wird Morrisons Roman nach den verschiedenen Entwürfen des Umgangs mit Geschichte untersucht: Anhand der Mutter Sethe und den beiden Töchtern Denver und Beloved wird anschaulich gemacht, wie sich ein 'Zuviel' an Geschichte negativ auf die Zukunft auswirken kann, aber auch, wie das Vergessen als Mittel der Ermöglichung von Zukunft fungiert.
Dieser Beitrag befasst sich mit der mysteriösen Wesenheit des Königs in Gelb in Robert W. Chambers' Kurzgeschichtensammlung "The King in Yellow". Am Beispiel der Erzählung "The Repairer of Reputations" werden unter Zuhilfenahme des Phantastik-Konzeptes von Tzvetan Todorov und einer Minimaldefinition unzuverlässigen Erzählens zwei Lesarten des Königs in Gelb vorgestellt, die sich auf den einander entgegengesetzten Polen des Wunderbaren und des Unheimlichen in Todorovs Modell verorten lassen und den König in Gelb zum einen als Metapher für gesellschaftliche Missstände, zum anderen als real existierendes Wesen der Schauerliteratur deuten.
Von der Annahme ausgehend, dass die Zukunftsthematik neben einzelnen Textanalysen insbes. im Kontext der diachronen Betrachtung einer literarischen Gattung von Interesse ist, konzentriert sich der vorliegende Beitrag auf die Gattung der Robinsonade. Mit dem Fokus auf Daniel Defoes "Robinson Crusoe", Ernst Wiecherts "Das einfache Leben" sowie Andy Weirs "The Martian" - drei Werke, die vom Prototyp der Gattung bis zu dessen Situierung im Science Fiction-Genre reichen - erfährt die Zukunft zwar eine an den historischen und gesellschaftlichen Kontext gebundene Ausformung, ihr grundierendes narratives Schema bleibt in ihrer die Gattung umspannenden Position jedoch bei jeder Robinsonade gleich. Im Zentrum geht es dabei um die Bewältigung individueller und gesellschaftlicher Zukünfte, wobei sich in der Entwicklung verschiedener Zukunftsentwürfe und -vorstellungen, die zudem mit einer verstärkten Vergangenheitsreflexion verfahren, mögliche unsichere und sichere Zukünfte einander gegenüberstehen.
Dieser Beitrag befasst sich mit Zeitwahrnehmungen und Zukunftsvorstellungen, die in Romane der 1920er Jahre in Paris und New York transportiert werden. Dabei dienen Paris und New York als zwei paradigmatische Städte der Moderne, in denen Diskurse zur Modernität und Stadtentwicklung literarisch aufgearbeitet werden. Die Textanalyse konzentriert sich hauptsächlich auf drei Aspekte der Stadtdarstellung: Illusionen der Ewigkeit und des Stillstandes, Diskurse zur mechanischen (Selbst-)Zerstörung und Phantasmagorien des Untergangs. Der Vergleich zwischen Paris und New York soll dazu beitragen, kulturell bedingte Unterschiede sowie epochenspezifische Gemeinsamkeiten in den Zukunftsvisionen der jeweiligen Stadt aufzudecken.
Als ein Genre, welches Zukunftsvisionen entwirft, bietet Science Fiction eine alternative Welt zu der unseren, in welcher binäre Denkstrukturen stereotype Bilder prägen. So imaginiert Ursula K. Le Guins Roman "The Left Hand of Darkness" (1969) eine androgyne Gesellschaft. Und sowohl Vandana Singhs Erzählung "Of Love and Other Monsters" (2007) als auch Nnedi Okorafors Roman "Lagoon" (2014) erschaffen eine form- und geschlechtswandelnde Spezies von Außerirdischen. Den Erzählungen gelingt es, neue Welten zu entwerfen, die fluide Identitäten reflektieren. Sie geben Anlass dazu, die binären Denkstrukturen unserer Gesellschaft zu hinterfragen und alternative Gesellschaftsformen zu denken. Sie geben außerdem einen Hinweis darauf, in welcher Weise sich der Umgang mit binären Denkstrukturen seit der Veröffentlichung von "The Left Hand of Darkness" entwickelt hat und inwiefern es innerhalb der Literatur und unserer Gesellschaft möglich ist, diese zu transformieren.
This article studies two African American examples of provincialising Europe "from the inside", James Baldwin's essay "Stranger in the Village" and Vincent O. Carter's "The Bern Book", both set in 1950's Switzerland. It investigates how these texts reverse the ethnographic gaze at the "other" and use the rural Swiss scenario to imagine Europe as historically backward. While the authors differ in their intentions, both acts of provincialisation leave the superiority of European high culture intact.
This article examines striking similarities between stereotypical characters in Caroline Lee Hentz's US-American plantation novel "The Planter's Northern Bride" (1854), and Charlotte Brontë's classic "Jane Eyre" (1847). Especially, a connection can be made between Hentz's Italian "Madwoman in the attic" Claudia, and Brontë's transatlantic Caribbean counterpart Bertha. An intersectional methodology performed through a close reading will show how both women are literally and metaphorically trapped within spaces and stereotypes. This article transfers imagology into a global setting while extending its scope beyond investigating national characteristics.
Nationality traditionally is one of imagology's key terms. In this article, I propose an intersectional understanding of this category, conceiving nationality as an interdependent dynamic. I thus conclude it to be always internally constructed by notions of gender, sexuality, race, class, religion, age, ability, and other identity categories. This complex and multi-layered construct, I argue, is formed narratively. To exemplify this, I analyse practices of stereotyping in Honoré de Balzac's "Illusions perdues" (1843) and Henry James's "The American" (1877) which construct the so-called 'Parisienne' as a synecdoche for nineteenth-century France.
The fall of the Berlin Wall and its literary representations have often been described as a purely (white) German affair, as a discourse regarding (East/West) German identity. Taking on Leerssen's claim for a trans-/postnational imagology, this article provides an analysis of two novels depicting the fall of the Berlin Wall from transnational, not-(only)-German perspectives: Yadé Kara's "Selam Berlin" (2003) and Paul Beatty's "Slumberland" (2008). Comparing images and stereotypes used by both the Turkish-German narrator of Kara's and the African American narrator of Beatty's novel, it aims to undertake an exemplary case study of how imagology may be employed in contexts characterized by complex interferences of national, ethnic/racial, and urban ascriptions of belonging.
Shoah heute : komparatistische Perspektiven auf eine kulturanalytische Frage im 21. Jahrhundert
(2022)
Rezension zu Susanne Rohr. Von Grauen und Glamour. Repräsentationen des Holocaust in den USA und Deutschland. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2021, 386 S.
Gregor J. Rehmer. Die dritte Generation der Shoah-Literatur. Eine poetologische Definition am Beispiel deutscher und US-amerikanischer Texte. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2021, 479 S.
Inschriften sind Formen, die durch eine besondere mediale Disposition charakterisiert sind. Was Inschriften auszeichnet, ist, neben ihrem engen Bezug zu einem materiellen Träger, ihre eigentümliche Position auf der Schwelle von Schrift und Bild. [...] Die Eigenart der Inschrift, ein Wort oder einen Text als sichtbare Zeichenfolge auszustellen, hat der italienische Epigraphieforscher Armando Petrucci im Begriff der 'scrittura esposta' zum Ausdruck gebracht. [...] Versucht man, die damit berührte spezifische Potenz der Inschrift genauer zu erfassen, liegt es nahe, zunächst auf die visuelle Dimension zurückzukommen. Es ist, so darf man annehmen, die Fähigkeit der Inschrift, als Bild zu erscheinen, die es ihr erlaubt, in den Blick des Betrachters zu treten und sich jenem als exponierte Figur vor Augen zu stellen. Mit dieser bildhaften Erscheinungsform, so ließe sich das Argument weiterführen, verbinden sich ästhetische Qualitäten der sinnlichen Eindrücklichkeit und Präsenz, die der Inschrift die ihr eigentümliche Ausdrucks- und Aussagekraft verleihen. [...] Mit dieser Erklärung ist unterdessen nur die eine Seite der Inschrift und ihrer medien- und wirkungsästhetischen Beschaffenheit erfasst. Das Besondere der Inschrift erschöpft sich nicht in deren Eigenart als ausgestellter, exponierter Zeichenformation. Die Inschrift ist nicht nur 'esposta', sondern ebenso 'scrittura'. Die besondere Gestaltungs- und Wirkungsweise der Inschrift beruht mithin nicht allein auf deren bildhafter Disposition. Die Wirkkraft der Inschrift verdankt sich, so die hier vorgeschlagene These, dem Umstand, dass diese, auch wenn sie sich als exponierte, eingängig und weithin sichtbare Gestalt zur Geltung bringt, zugleich ihren Charakter als Schrift bewahrt und diesen nicht weniger deutlich hervorkehrt. Wer eine Inschrift betrachtet, der erblickt in ihrer bildhaften Gestaltung zugleich die visuelle Form eines Textes, einer sprachlichen Äußerung. Durch ihre Gestaltung als 'scrittura' erscheint die Inschrift somit in einer Form, die in spezifischer Weise mit Momenten der Macht und Autorität versehen ist. Ist doch die Schrift dasjenige Medium, in dem uns, in einer von der Antike bis in die Neuzeit und Moderne reichenden Tradition, das Gesetz, die aufgezeichnete und materialisierte 'Stimme des Souveräns' entgegentritt. Das Besondere der Inschrift scheint also, so lässt sich vorläufig festhalten, darin zu bestehen, dass sie die Medien von Bild und Schrift in einer spezifischen Weise miteinander verknüpft. In ihr sind mediale und ästhetische Qualitäten wirksam, die teils dem Bild, teils der Schrift angehören. Auf diesem Zusammenspiel beruht auch das eigentümliche Wirkungspotential, das sich mit dieser Äußerungsform verbindet. In der Folge wird es darum gehen, dieses Zusammenwirken bildlicher und skripturaler Aspekte genauer zu erkunden und vor diesem Hintergrund die Bedeutung und Wirkkraft inschriftlicher Zeichen insbesondere in politischen Kontexten zu untersuchen.
This article reads Fred Moten's collection "B Jenkins" as literalizing the poetic appeal to the mother tongue to reveal its mediated essence. Approaching its first and last poems in terms of Friedrich Kittler's techno-psychological history of the family casts Moten's detuning of natural language in terms of cultural mastery streaked with affirmative disfluency. With the 'cant', slang slides towards a broader awareness of the limits of knowledge. There, language may emerge for perceiving the role of the technological mother tongue in our postnational age.
Der autobiographisch markierte Prosatext "The Argonauts" von Maggie Nelson aus dem Jahr 2015 kreist um die Beziehungsgeflechte der Ich-Erzählerin und zugleich Autorin Maggie Nelson, die sich in den queeren Künstler*innenszenen der US-amerikanischen Westküste bewegt. [...] Dieser Aufsatz geht der Frage nach, inwiefern "The Argonauts" als paradigmatisches Beispiel innovativer zeitgenössischer Literatur durch die Mittel der Autotheorie neue Weisen der Subjektivität erzeugt, welche verkörpert, hybrid und relational sind, und daher auch (bio-)politisch relevant gemacht werden können. Der Fokus auf die biopolitische Dimension bildet eine neue Perspektive auf Nelsons vielrezipierten Text, ebenso wie durch die Literaturanalyse ein neuer Blick auf aktuelle biopolitische Diskurse geschaffen werden kann. Zunächst soll der Begriff der Biopolitik mit Bezug auf Paul B. Preciado und Rosi Braidotti vor dem Hintergrund des globalisierten, digitalisierten 21. Jahrhunderts abgesteckt werden, in dessen Kontext auch "The Argonauts" eingebettet ist. [...] In einem nächsten Schritt soll auf die Verhandlung von queerer Identität und deren biopolitische Implikationen in "The Argonauts" genauer eingegangen werden, um des Weiteren das Verhältnis von Inhalt und Form unter die Lupe zu nehmen. Im Text lassen sich verschiedene Weisen der Transformation feststellen, die sowohl Nelsons Reflexionen um Sprache und Identität prägen als auch die Prämissen ihres experimentellen Schreibens bilden. Schließlich wird im letzten Abschnitt noch einmal der Begriff der Techno-Biopolitik mit den Ergebnissen der Analyse zusammengeführt.
Die dystopische Jugendliteratur hat sich in den letzten Jahren zu einem politischen, kulturellen und ästhetischen Genrephänomen entwickelt. [...] Die anhaltende Bedeutung der dystopischen Literatur in der Populärkultur zeigt bereits auf, dass sich auch aus literaturwissenschaftlicher Perspektive mit diesem Genrephänomen auseinandergesetzt werden sollte. Im aktuellen Forschungsdiskurs der Literaturwissenschaften wird der Aktualität und Relevanz dieses Phänomens bereits begegnet, indem sowohl das Genre als auch einzelne Werke auf verschiedene Aspekte hin untersucht werden. Die Forschungsschwerpunkte liegen hierbei jedoch vordergründig in der Untersuchung von psychologischen und soziologischen Aspekten der Protagonist*innen im Hinblick auf Fragen der Ökokritik, der Gender Studies oder der Kulturwissenschaften. Jedoch fehlen im gegenwärtigen Diskurs fast gänzlich Fragen nach einer eventuell vorherrschenden Biopolitik im Genre oder aber in konkreten Werken, obwohl diese in zahlreichen der fiktiven Weltbilder eindeutig gegeben ist. Dieser Beitrag erweitert den bereits bestehenden Diskurs um die Fragestellung, welche Formen einer dystopischen Biopolitik im zeitgenössischen Jugendroman am Beispiel der Reihe "Divergent" zu finden sind und wie diese literaturwissenschaftlich analysiert werden können. Da eine vollständige Analyse der drei Romane und all ihrer relevanten Aspekte zur Biopolitik den Rahmen dieses Beitrags überschreiten würde, werden einige Analyse-Schwerpunkte gebildet. Diese bestehen sowohl aus der Untersuchung des Wirklichkeitsmodells der Romane und der Thematik Biopolitik als auch aus der literarischen Darstellung. Durch die Untersuchung dieser Aspekte wird deutlich, inwiefern literarische Werke, auch dystopische Romanreihen, als Aushandlungs- und Reflexionsraum für aktuelle biopolitische Fragestellungen fungieren können. Zunächst werden die vier elementaren biopolitischen Inhalte der Romane herausgearbeitet und in Bezug zu den Ausführungen Foucaults gesetzt: Gesellschaftssystem der verschiedenen Fraktionen, neue technische Möglichkeiten der fremdgesteuerten Bewusstseinskontrolle, das Leben als und in einem Experiment und die Differenzierung von genetisch perfekten und genetisch defekten Menschen. Anschließend wird ein Blick auf die literarische Umsetzung in Form der Raum-/ Zeitstruktur und der Charakterkonstellation geworfen. Diese beiden Aspekte unterstützen das bewusste Einfühlen der Leser*innenschaft in die Romansituation und ermöglichen auf diese Weise sowohl eine Auseinandersetzung mit der Biopolitik aus ethischer Sicht als auch eine Vergegenwärtigung der Parallelen zur Alltagswelt der Leser*innenschaft. Abschließend werden ein Fazit und ein kurzer Ausblick formuliert.
Biopolitik und Biomacht in der Jugendliteratur. Thanatopolitik in Lois Lowrys "Hüter der Erinnerung"
(2023)
Was verstehen wir unter "Freigabe"? Das Freigeben, das Freigegebenwerden. Synonyme: Entlassung, Freilassung. [...] In Lois Lowrys 1993 erschienenem Roman "Hüter der Erinnerung" - im Original "The Giver" - ist die Tragweite dieses Terminus enorm: "Freigegeben zu werden ist für einen aktiven Bürger eine endgültige Sache, eine schreckliche Strafe, ein niederschmetternder Beweis menschlichen Versagens." Während es im Original "release" heißt, enthält die deutsche Übersetzung durch "frei" im Begriff im Kontext des Verfahrens eine Mehrdeutigkeit, die am Ende erörtert wird. Es soll im Folgenden sowohl mit dem Original als auch mit der Übersetzung textnah gearbeitet werden. [...] Es wird deutlich, dass mit dem Begriff des Freigebens eine ganz neue Denotation einhergeht, sodass "Freigeben" letztlich nichts anderes als ein Euphemismus ist, der die eigentliche Bedeutung, die Konsequenz des Vollzugs für die Sprecher*innen verschleiert. Ein ausgeprägtes Sprachregime und eine Vernichtungspolitik treten hier eng verflochten auf. Das Bezeichnen von Dingen, Handlungen und Ritualen ist dabei eine Voraussetzung für die Umsetzung des totalitären Regimes, wie im Folgenden unter anderem deutlich werden soll. Zusätzlich soll beispielhaft betrachtet werden, welche stilistischen Mittel für die Darstellung eines extremen biopolitischen Gesellschaftsmodells in einem Jugendroman für ein Lesepublikum ab dem jungen Alter von zwölf Jahren vorliegen. Dabei soll die Frage beantwortet werden, wie in "Hüter der Erinnerung" ein totalitäres System etabliert und welche Wirkung auf die Leser*innenschaft erzeugt wird. Lässt sich vielleicht eine gewisse schonende Vermittlung gegenüber der jungen Zielgruppe bezüglich des ernsten, 'belastenden' Themas feststellen?
"The Eyes of God run over all the world" : Biopolitik in Margaret Atwoods "The Handmaid's Tale"
(2023)
Im Folgenden soll untersucht werden, wie sich eine Biopolitik in "The Handmaid's Tale" gestaltet. So sollen die Kontrollmaßnahmen der Republik Gilead betrachtet werden sowie die dabei wichtige Rolle der Religion. Die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die Bevölkerung werden vor allem an der Protagonistin und Erzählerin 'Offred' sichtbar, da sie ihre Perspektive auf das Leben in Gilead zeigt. Vor allem an ihrer Person werden Möglichkeiten des Widerstandes deutlich, obwohl sie als Handmaid - Gileads 'Variante' einer Leihmutter - einer der hierarchisch niedrigsten Stellungen in Gilead angehört.
Im Nachwort von "Dune" schreibt Brian Herbert, der Sohn von Frank Herbert, über den Krieg gegen die Maschinen im Dune-Universum. In diesem Krieg befreiten sich die Menschen von den intelligenten Maschinen und es wurde ein Gesetz zum Verbot der Herstellung der Maschinen aufgestellt: "Thou shall not make a machine in the likeness of a human mind". Aber, und das ist die Tragik dieses Ausgangspunktes, es entsteht im Gegensatz zum Kampf um die eigene Souveränität eine neue Beherrschung des Menschen. Diese Wende, welche die Künstliche Intelligenz aus der Welt verbannt hat, aber die Biopolitik mit anderen Techniken fortführt, soll im Folgenden anhand der Bereiche Religion, Politik und Psychologie herausgearbeitet werden. Denn indem in "Dune" die künstliche Intelligenz verbannt wird, treten Herrschafts- und Kontrolltechniken wieder in den Vordergrund, die in den aristokratisch-feudalen Gesellschaften eine bedeutende Rolle einnahmen.