830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Als 1983 der Roman "Die Klavierspielerin" erschien, war Elfriede Jelinek längst keine unbekannte Größe mehr. Der Roman beginnt damit, dass die Klavierspielerin Erika Kohut "wie ein Wirbelsturm in die Wohnung" "stürzt", "die sie mit ihrer Mutter teilt". Es gibt Sätze, deren Gehalt sich geradezu in einer Disproportion zu ihrer Länge befindet, so auch dieser Satz -naturgemäß, weil er der erste des Buchs ist und dadurch das Privileg hat, das Meiste zu sagen und in die riesige Einheit eines Romantextes einzustimmen, und wir die Stimme des Romans an der Stimme dieses ersten Satzes messen. Jedes Satzglied ist mit so viel Information geladen, dass die Aussagekraft des Satzganzen seinen syntaktisch-strukturellen Rahmen sprengt und Sinnsignale in seine nächste Umgebung bzw. über diese hinaus sendet. "Sie ist Nichts. Und nichts gibt es mehr für sie", heißt es im Roman "Die Klavierspielerin" von der Protagonistin Erika Kohut. Je ferner man im Abseits ist, desto näher befindet man sich an dem Abgrund, der "Nichts" heißt. "Die Klavierspielerin" ist ein Roman über das Außenseitertum darüber, wie man ins Abseits kommt. Das Abseits liegt zwischen dem Weg und dem Nichts: hier das Leben, dort der Abgrund.
"Elisabeth II." gehört zu denjenigen Theaterstücken Thomas Bernhards, die weder "eine besonders große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben" noch im akademischen wissenschaftlichen Betrieb eingehend behandelt worden sind. War das fehlende Interesse für "Elisabeth II." anfangs durch das geringe wissenschaftliche Interesse an Bernhards Theaterstücken schlechthin zu erklären, so verlor diese Erklärung mit dem Erscheinen der lediglich dem Bühnenwerk Bernhards gewidmeten Untersuchungen ihre Plausibilität. "Elisabeth II." ist, abgesehen von der gelegentlichen Erwähnung im Kontext anderer Theaterstücke bzw. anderer Werke, außerhalb des fachlichen Diskurses geblieben und scheint sich bis dato mit ihrer germanistischen Randexistenz zu begnügen.
Das letzte der drei Gedichte unter dem Titel „Schutt“, ein Text von nicht zu überbietender Prägnanz, Strenge und Verhaltenheit, entstand vermutlich mehr als ein Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg. Karge sechs Zeilen, veröffentlicht erstmals 1965. Die wie beiläufig vorgetragenen Verse lassen an den verlegenen Versuch eines Kindes denken, gegen seinen Willen ein Gedicht aufsagen zu müssen. Doch ist das fiktive Ich die Stimme einer geprüften Frau, die, identisch mit dem realen Ich, während eines Luftangriffs verschüttet, drei Tage lang lebendig begraben war. Der Schock, dazu Alpträume der Erinnerung an die eigenen Eltern, die noch in der letzten Phase des Krieges Bomben zum Opfer fielen, das Bewußtsein, sie tot aus den Trümmern ihres Hauses hervorgegraben zu haben, ließen sie verstummen. Zögernd löst sie sich aus dem Zustand der Verstörung. Widerstrebend, aus welchem Antrieb auch immer, gibt sie das Schweigen auf. Mühsam sucht sie die Sprache wiederzugewinnen. Die Erfahrung der Katastrophe, die Vergangenes und Gegenwärtiges miteinander verkettet, hat seelische Wunden hinterlassen. Wie sind die Folgen solcher Heimsuchung zu verarbeiten? Äußert sich in dem Gedicht eine vom Tode Verschonte oder eine zum Leben Verurteilte? Wie steht es um die Beziehung der verschütteten Stimme zum verstummten Wort?
Wie die anderen Erzählungen des Bandes "Das dreißigste Jahr" handelt dieser zwischen Lyrik und Prosa changierende Monolog - "Undine geht" - von Sprache und Gewalt, von existentieller Wahrheit des Individuums und Anpassung an die gesellschaftliche Norm, von der quälenden Last der Erinnerung und der Freiheit zur Rebellion. Wohl erstmals in ihrem Werk stellt Bachmann hier die Frage nach der Möglichkeit der Kommunikation zwischen Mann und Frau von jenem dezidiert weiblichen Standpunkt aus, der die späte Prosa ihres "Todesarten"- Zyklus kennzeichnen wird. Nicht zuletzt setzt der Text eine poetologische Reflexion fort, die implizit in Gedichten und Erzählungen, explizit in Essays und Vorlesungen, um die Möglichkeit einer neuen, radikal anderen, nicht entfremdeten Sprache kreist.
Paul Celan: Todesfuge
(2000)
Die „Todesfuge” ist das Gedicht Celans, das ihn am meisten bekannt gemacht hat und mit dem er lebenslang identifiziert wurde. Die Veröffentlichung der „Todesfuge” – die wahrscheinlich noch 1944 in der Bukowina entstanden ist – rief eine heftige Debatte über die Unvereinbarkeit des Grauens und der Gewalt von Auschwitz mit der ästhetischen Schönheit der Lyrik hervor. Auch in Jahren, in denen Celan durch öffentliche Lesungen bekannt geworden war, gehörte das Gedicht zu seinem ständigen Repertoire. Seit Beginn der sechziger Jahre las er aber die „Todesfuge“ immer seltener. Grund dafür war Celans Unzufriedenheit mit der Fixierung des Publikums auf eine Komposition, die ihm fast als implizite Negation seiner poetischen Weiterentwicklung erschien – die „Todesfuge“ spielt in bezug auf Celan eine Rolle, die man oft mit der von Picasso bedeutendem Bild „Guernica“ verglichen hat – doch die Gefahr einer Banalisierung und die unleugbare Tendenz zu kritischen Floskeln innerhalb der Rezeption (Celan als „Klassiker der Gegenwartslyrik”) hatten sich im Laufe der Zeit derart vergrößert, daß seine Vorbehalte verständlich sind.