830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Ein Ballett zu schreiben sei etwas vom Schwierigsten, das man sich vorstellen könne, erklärt Theophile Gautier in einem Artikel für die Zeitung "La Presse" vom 4. Februar 1839, und er präzisiert: "Il n'est pas aisé d'écrire pour les jambes". Trotzdem geglückt ist offenbar das romantische Handlungsballett "Giselle", zu dem der Dichter und Feuilletonist gemeinsam mit Vernoy de Saint-Georges und Jean Coralli das Libretto verfaßt hat. Das zweiaktige Tanzstück ist jedenfalls seit seiner erfolgreichen Uraufführung 1841 bis heute nicht aus dem Repertoire der klassischen Kompanien verschwunden und hat zahlreiche Reinszenierungen erfahren.
Daß sich auch Hugo von Hofmannsthal für die (französische) Ballettwelt zu Zeiten Gautiers interessiert hat, belegt unter anderem der Text "Prima Ballerina. Ein Tag aus dem Leben einer Tänzerin" von 1917. Die Handlung dieser Tanzdichtung ist um etwa 1860 anzusiedeln. Im Gegensatz zu Gautiers Texten für und vor allem über das Ballett, die dieses maßgeblich (mit-)geprägt hatten, kommt Hofmannsthals Schriften zur bewegt-theatralen Kunstform in zweifacher Weise ein Randstatus zu. Erstens bilden in seinem OEuvre die Ballettexte eher einen marginalen Bereich, zweitens bewegt sich Hofmannsthal mit seinen Versuchen in diesem Genre als Autor am Rand des literarischen Kanons.
Aus Zeitgründen kommt es im Vorspiel zu Hofmannsthals "Ariadne auf Naxos" zu einer drastischen Maßnahme. In der Garderobe des Theaters, bei den Vorbereitungen zu einer festlichen Soiree im Haus des reichsten Mannes von Wien, haben sich die anwesenden Künstler einer unerwarteten Anordnung des Gastgebers zu fügen. Das Abendprogramm, bestehend aus der Opera seria "Ariadne" und der italienischen Buffo-Posse "Die ungetreue Zerbinetta und ihre Liebhaber" muß gekürzt, d.h. seine Abwickelung beschleunigt werden, ohne daß der Veranstalter auf einen der beiden Programmpunkte verzichten müßte. Auf seinen Wunsch hin werden die zwei musikalischen Darbietungen nicht hintereinander, sondern gleichzeitig aufgeführt:
"[…] es ist nun einmal der Wille meines gnädigen Herrn, die beiden Stücke, das lustige und das traurige, mit allen Personen und der richtigen Musik, so wie er sie bestellt und bezahlt hat, gleichzeitig auf seiner Bühne serviert zu bekommen."
Die Komödie wie die Tragödie haben sich in den gemeinsamen Raum einer, wie es mehrfach heißt, "wüste[n] Insel" und in dieselbe Zeit zu finden. Dieser Gleichzeitigkeitsbefehl ist mehr als nur die Willkür eines ungebildeten Kaufmanns, er bedeutet den Kollaps traditioneller Gattungsordnungen. Die hier nun folgenden Überlegungen möchten die experimentellen Bedingungen aufzeigen, die ihn fällig und möglich machen und zugleich die Folgen benennen, die aus der dekretorischen Aufhebung gattungspoetologischer Unterschiede resultieren.
Ad fontes! : Hugo von Hofmannsthal im Herbst und Winter 1913/1914 ; Daten, Fakten, Korrekturen
(2008)
"Ad fontes!" - daß sich dieses 1511 von Erasmus von Rotterdam programmatisch formulierte Motto auch heute noch in den Niederungen editorischer Kleinarbeit zu bewähren vermag, zeigt der Versuch, einmal exemplarisch den Ungereimtheiten und Widersprüchen auf den Grund zu gehen, die über Ereignisse und Korrespondenzen in Hofmannsthals Leben während der wenigen Monate zwischen August 1913 und Anfang Januar 1914 in Umlauf sind. Außer den unentbehrlichen Hauptquellen in Gestalt der Originalhandschriften geben 'Nebenquellen' wie Tagespresse oder Theater-Spielpläne nicht selten entscheidende Fingerzeige, die, zusammen mit einer kritischen Gesamtanalyse der vorgegebenen Inhalte, zur Lösung strittiger Fragen und Datierungen beitragen können.
Hofmannsthal 16/2008
(2008)
Marcel Proust musste bekanntlich einiges dafür tun, um die Aufregung zu lindern, die im Freundes- und Bekanntenkreis aufgekommen ist, wenn es um die Durchschaubarkeit biografischer Vorbilder für die eine oder andere seiner Figuren ging. Die Tatsache, dass der Autor die eigene Homosexualität von der Erzählerfigur auf andere Protagonisten gleichsam umgelenkt hat, spielt dabei eine zwar wichtige, aber nicht die entscheidende Rolle. Statt biografischem Voyeurismus kommt es darauf an, die Bewegungen, die zwischen Fiktion und Realität in beiden Richtungen verlaufen, genau zu erfassen.
Gerade die Unauffälligkeit, mit der es ihm gelingt, Gegebenheiten der Zeitgeschichte im Kontext der aristokratischen Zusammenkünfte als Teil der erfundenen Welt erscheinen zu lassen, gehört zu den fesselndsten Zügen des Romans 'In Swanns Welt‘. Eine in diesem Zusammenhang jedenfalls sehr bemerkenswerte Figur ist diejenige der Königin von Neapel. Sie gehört im fünften Teil des Romans "La Prisonnière" (erschienen 1923) zu denjenigen Gästen, die Baron Charlus in die Gesellschaft eingeladen hat, die die Verdurins veranstalten.
Das Buch "Kohelet" des Alten Testaments, auch unter den Titeln "Der Prediger Salomo" oder "Ecclesiastes" überliefert, entstand wahrscheinlich im 3. Jahrhundert vor Christus. Vor allem die Eingangskapitel gehören zu den bekanntesten Texten der sogenannten biblischen Weisheitsbücher. Das kann allein schon die Tradition einiger 'Geflügelter Worte' durch die Jahrhunderte bezeugen wie etwa die folgenden Sätze oder Wendungen: "Es ist alles ganz eitel"; "Nimmersatt"; "Und geschiehet nichts Neues unter der Sonne"; "Ein jegliches hat seine Zeit"; "Sich gütlich tun"; "Viel Büchermachens ist kein Ende".
Spuren eines Einflusses auf das Werk Hofmannsthals scheinen sich etwa im Auftrittsmonolog des "Jedermann" zu finden, wenn er mit seinem stattlichen "Haus", seinem "Hausgesind" oder seinen "Meierhöf voll Vieh" prahlt; denn auch "Kohelet" rühmt sich der von ihm gebauten "Häuser", in denen sein "Gesinde, im Hause geboren" für ihn arbeitet, sowie seiner großen "Habe an Rindern und Schafen".
Diese Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten sind allerdings nur indirekt, weil die direkte Vorlage für Jedermanns Eingangsmonolog eine Dichtung des Hans Sachs ist. Die Textpassage findet sich nicht in Hofmannsthals Hauptquelle, dem "Everyman" aus dem 15. Jahrhundert. So gestaltete sie Hofmannsthal nach seiner zweiten "Jedermann"-Quelle, dem 1549 gedichteten Geistlichen Spiel "Ein comedi von dem reichen sterbenden menschen, der Hecastus genannt".
"Wir haben diesen Dichter geliebt" : Hugo von Hofmannsthal und Eduard Korrodi ; Briefe und Dokumente
(2017)
Der Schweizer Journalist, Essayist und Literaturkritiker Eduard Korrodi, geboren am 20. November 1885 in Zürich, ist heute, mehr als 60 Jahre nach seinem Tod am 4. September 1955, selbst in Literaten- oder Germanistenkreisen nahezu unbekannt. Seinen Zeitgenossen hingegen galt er als wegweisender Mentor und Anreger, als "schweizerischer Geisteswärter", als "das literarische Bundesgericht" der Schweiz und allmächtiger "Literaturpapst". Diese einzigartige Position eines "Entdeckers" und "Erweckers", "Richters" und "Vernichters" hat er in der Feuilletonredaktion der "Neuen Zürcher Zeitung" zwischen 1915 und 1950 über 35 Jahre hin behauptet - "geliebt, geehrt" und "angegriffen", immer aber "ernst genommen", so dass kaum ein Schweizer Schriftsteller der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihn nicht in Tagebüchern oder Memoiren "erwähnt" oder "in gereizter Weise 'behandelt'".
Als jüngster Sohn des angesehenen Lehrers, Schulbuchautors und Lyrikers "für den Hausgebrauch" Johann Heinrich Korrodi (1834-1910) und der Marie Zurgilgen (1852-1950), die der Vater 1882 in dritter Ehe geheiratet hatte, besucht Korrodi die Schule in Zürich und ab Oktober 1898 das Kollegium "Maria Hilf" in Schwyz. Ab dem Wintersemester 1905/06 studiert er deutsche Philologie, Alt-Isländisch und Kunstgeschichte in seiner Heimatstadt und wird hier, nach einem Berliner Auslandssemester im Winter 1907/08 bei Erich Schmidt und Richard Moritz Meyer,10 im Januar 1910 mit der von Adolf Frey (1855-1920) betreuten Dissertation "Stilstudien zu C.F. Meyers Novellen" zum Dr. phil. promoviert.
Hofmannsthal 25/2017
(2017)