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Brief an Lord Chandos
(2003)
Brief an Lord Chandos ...
... mit groszer Anteilnahme habe ich Ihre Klagen aufgenommen und möchte zu Ihrer Tröstung bekennen, dasz es mir vor einiger Zeit ähnlich ergangen ist: ich hatte in dieser meiner Krise aller Welt vorgemacht, ich sei an der Arbeit, muszte mir jedoch eingestehen, dasz ich in Wahrheit völlig ausgebrannt war, ja, dasz die Vorstellung mich verfolgte, ich hätte noch nie auch nur I Wort aufgeschrieben, ich würde nie wieder Pläne oder Ahnungen von Gedanken empfangen können, am allerwenigsten jene so wundertätigen Verbalträume, die mich jederzeit mitten hinein in die Produktion katapultiert hatten. Aber dann versuchte ich mich selbst aufzufangen, indem ich den Gründen meines Versagens nachzuforschen begann, und ich entdeckte, warum es mir so elend erging. …
"Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen." Wohl kein Leser hat es versäumt, den Widerspruch zu bemerken, daß der berühmte Satz einer Erfahrung gilt, die Lord Chandos macht oder erleidet, nicht aber den Sätzen, in denen er diese Erfahrung formuliert und mitteilt. Um die Paradoxie zu erklären, möchte ich vorschlagen, den Chandos-Brief als poetologisches Experiment zu lesen. Hofmannsthal zerstört - oder setzt für die Dauer eines Textes außer Kraft - , was man die Spielregel der kreativen Reproduktion nennen könnte. Seit der Goethezeit und das 19. Jahrhundert hindurch stellte sie eine unantastbare Einheit dar: als jene persönliche Instanz, die Welt vernimmt oder wahrnimmt und dem Vernommenen oder Wahrgenommenen wiederum Ausdruck gibt. Diese Instanz entfällt; nicht nur die Sprache, auch Lord Chandos selber zerfällt in Teile, in eine erlebende und in eine erzählende Person. Eine Anregung hierfür, das wäre mein zweiter Vorschlag, konnte Hofmannsthal den Schriften Ernst Machs entnehmen, zumal dem ebenso berühmt gewordenen Satz "Das Ich ist unrettbar". Was geschieht, wenn man diesen Satz auf die Autorschaft anwendet? Schließlich und drittens wäre zu bedenken, ob nicht die Erlebnisse eines Autors, dem sich der Ausdruck versagt, gleichwohl Manifestationen von Kreativität sein könnten. In diesem Sinne möchte ich besonders die "guten Augenblicke" (S. 50) des Lord Chandos erörtern. ...
Sehr geehrte Freunde des Varietés,
sehr geehrte Artisten und Claqueure,
es freut mich, daß Sie so zahlreich erschienen sind zu dieser Versammlung, und daß ein jeder von ihnen seinen Zehnt abgibt von seinem Herz, womit wir die Kosten des Mitleids mit Herrn Chandos tragen wollen. Von den Reden meiner zahlreichen Vorgänger kam viel Mitgefühl für sein Schicksal, daß der Tag davon nun bereits bis an den Rand gefüllt ist, und nur ein Seufzer noch fehlte, und schon schwappte etwas davon über und tropfte in mein Gemüt, und dann besitze auch ich ein paar Tränen. Damit will ich aber nun lieber mein Unglück beweinen. Es ist nicht so elegant gekleidet wie das des Herrn Chandos, der seinen Traum wie einen viel zu großen Anzug auf sich zurechtschneidern ließ, damit er ihm am Ende dann auch paßte. ...
Der als Sprachkrise inszeniertea "mystische Weg", den Hofmannsthal rückblickend als Weg des Lord Chandos beschworen hat, bezeichnet weniger den "Anstand des Schweigens", als vielmehr eine literarisch äußerst produktive und semiotisch folgenreiche Poetologie des inneren Sehens, der endogenen Bilder des Bewußtseins.
Die rhetorische Bravour des "Briefes" – eine Bravour, die bekanntlich ihr eigenes Dementi voraussetzt und damit zur glanzvollsten Präteritio ihrer selbst gerät –, diese Bravour also findet sich exemplarisch in einem seiner Sätze:
Es begegnete mir, daß ich meiner vierjährigen Tochter Katharina Pompilia eine kindische Lüge, deren sie sich schuldig gemacht hatte, verweisen und sie auf die Notwendigkeit, immer wahr zu sein, hinführen wollte, und dabei die mir im Munde zuströmenden Begriffe plötzlich eine solche schillernde Färbung annahmen und so ineinander überflossen, daß ich den Satz, so gut es ging, zu Ende haspelnd, so wie wenn mir unwohl geworden wäre und auch tatsächlich bleich im Gesicht und mit einem heftigen Druck auf der Stirn, das Kind allein ließ, die Tür hinter mir zuschlug und mich erst zu Pferde, auf der einsamen Hutweide einen guten Galopp nehmend, wieder einigermaßen herstellte.
Den berühmten Text, um den es hier geht, schrieb Hugo von Hofmannsthal im Sommer 1902 und veröffentlichte ihn im selben Jahr in zwei Folgen in der Berliner Zeitschrift "Der Tag". Aus demselben Sommer sind viele persönliche Briefe Hofmannsthals erhalten, die dasselbe Thema der Sprach- und Schreibkrise behandeln. Hofmannsthal erlebte in dieser Zeit längere unproduktive Phasen, die mit einem Vertauensschwund in das Wort als künstlerisches Medium und Ausdruck von Realität zusammenhingen. Im OEuvre des Autors markiert der Brief eine Zäsur zwischen den Jugendwerken und denen des reiferen Alters, die zugleich auf einen Wechsel der Gattungen verweist. Hofmannsthal verkündet hier, so schreibt Gotthart Wunberg, "seine große Absage an die lyrische Produktion seiner frühen Jahre, an die Werke, die ihn berühmt gemacht haben." Es ist der Abschied von der Magie des lyrischen Worts und die Hinwendung zu einer Prosa, die er ebenfalls als als 'reine Form' zu binden erhofft. Das Prinzip der Form - wie immer wieder bemerkt worden ist, wurde dieser Essay über das Verstummen in einer meisterhaften Prosa artikuliert - überbrückt nicht nur den Abstand zwischen Lyrik und Prosa, sondern auch den zwischen den biographischen Briefen und dem literarischen Brief.
Hofmannsthals "Gespräch über Gedichte", nur ein Jahr nach dem Chandos-Brief konzipiert und 1904 erstmals, mit dem Titel "Über Gedichte", veröffentlicht, leidet unter einer fatalen Anschuldigung. "Hofmannsthal sucht im Georgedialog das ästhetische Symbol als Opferritual zu fassen", erklärt Theodor W. Adorno in einem Essay von 1939. Er zitiert dann die berühmte Erzählung Gabriels vom ersten Opferer, mit ein paar Auslassungszeichen allerdings, und kommt zu dem Schluß: "Diese blutrünstige Theorie des Symbols, welche die finsteren politischen Möglichkeiten der Neuromantik einbegreift, spricht etwas von ihren eigentlichen Motiven aus. Angst zwingt den Dichter, die feindlichen Lebensmächte anzubeten: mit ihr rechtfertigt Hofmannsthal den symbolischen Vollzug. Im Namen der Schönheit weiht er sich der übermächtigen Dingwelt als Opfer." Blutrünstig und politisch finster, Angst und Selbstopfer - da öffnet sich ein ästhetischer und gleich auch politischer Abgrund. Denn umstandslos setzt dieser Begriffswirbel Symbol (also auch Poesie) und Blutopfer, den Dichter und den Opferer gleich.
Nachfolgende Beobachtungen zum Chandos-Brief Hofmannsthals haben die im letzten Drittel des Briefes beschriebenen "guten Augenblicke" zum Thema, die als exemplarische Darstellungen einer ästhetischen bzw. poetischen Erlebnisweise ausgewiesen werden sollen. Getragen ist also die Lektüre von der vielleicht kontroversen Voraussetzung, daß in die Schilderung der guten Augenblicke ein poetologischer Vorstellungskreis eingeht, der auch über die Grenzen des Chandos-Briefs hinaus für Hofmannsthals Schreiben bestimmend bleibt. So wird sich die Argumentation auch auf spätere Texte beziehen, zumal auf solche wie "Das Gespräch über Gedichte" oder den Vortrag "Der Dichter und diese Zeit", deren Anliegen ein explizit poetologisches ist.
Vorliegende Ausgabe der 'Mitteilungen der Hugo-von-Hofmannsthal-Gesellschaft' enthält:
Zum Tod von Renate Böschenstein-Schäfer / Karl Pestalozzi
Andreas Zimmer (14. Mai 1930 – 21. Juni 2003) / Elsbeth Dangel-Pelloquin
Tagung der Hugo vom Hofmannsthal-Gesellschaft in Wien 12. –15. September 2002 / Juliane Vogel
Jedem von uns ist das schon begegnet: ich will ein Wort verwenden. Es fällt mir einfach nicht ein. Mein Hirn macht sich auf die Suche und legt erst einmal alles andere lahm. Meine ganze Aufmerksamkeit peilt dieses eine Wort an, das sich entzieht. Ich kann mich auf nichts anderes konzentrieren. Ja, ich kann nicht einmal einschlafen, weil dieses unauffindbare Wort alle Funktionen, sogar vegetative, stört. Es hat sich mit dem ganzen Wortfeld eingekapselt, abgeschottet.
Wenn ich wenigstens ein Synonym finden könnte, irgendein Wort, das sinngemäß eine Richtung weist, ich könnte mich daran weiterhangeln, auch wenn mir der Boden unter den Wörtern abhanden gekommen ist. Grad noch das Wort davor ist verfügbar, ich klammere mich dran fest. Der Wortfluß, bisher moderat, schwemmt alles weg - und wo grad noch ein Meer von Wörtern war, nichts als eine wortlose Dürre. Nichts mehr da.
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrunde gelegten Siglenverzeichnis zitiert.
Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommen davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Biographisch gehört Hofmannsthal zu jenen Autoren [...] der Jahrhundertwende, für die bildende Kunst selbstverständlicher Teil ihrer Umwelt und Erziehung war. [...] Hofmannsthal sucht, könnte man verallgemeinernd sagen, ästhetische Erfahrung nicht an die Wissensdiskurse seiner Zeit anzuschließen, sondern sie für eine Kommunikation über sinnliches Erleben fruchtbar zu machen. Es geht ihm nicht um eine Opsis, die neue Dinge sehen will, wie in den Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts, sondern um ein Schauen, das Dinge neu sieht. Die bildende Kunst ist für Hofmannsthal das Medium, in dem er, mehr noch als im eigenen der Literatur, Bedingungen der Kreativität, der kulturellen Transformation mentaler Bilder und der Semiose bedenkt. Sie ist ein Lebensthema Hofmannsthals, das Freundschaften und Beziehungen, etwa zu dem Maler und späteren Schwager Hans Schlesinger, zu Richard Beer-Hofmann und Hermann Bahr, später zu Sammlern wie Harry Graf Kessler, Eberhard von Bodenhausen, Alfred Walter Heymel, Julius Meier-Graefe oder eben zu Ludwig von Hofmann, prägt.
Kaum ein größerer Gegensatz ist denkbar als der zwischen Ritual und Trauma. Rituale sind kollektive Wiederholungen symbolischer Handlungen, die kulturell prägende Sinnzuschreibungen und Motivationen in Umlauf bringen. In der Ökonomie des gesellschaftlichen Zeichentauschs sind sie daran beteiligt, die "Zirkulation von sozialer Energie" nach Mustern der herrschenden Zeichenordnungen zu regulieren. Rituale sind in der Regel streng kodifiziert. Deshalb ist ihr Ablauf weitgehend vorhersehbar.
Traumata dagegen sind ihrem Wesen nach unvorhersehbar. Nach Freud entsteht ein Trauma, wenn das Ich übermächtigen Sinnesreizen oder nicht kontrollierbaren Triebschüben schutzlos preisgegeben ist. Das Trauma bringt die psychische Ökonomie der Betroffenen so nachhaltig aus dem Gleichgewicht, dass die von ihm verursachten Symptome auch die Ökonomie des gesellschaftlichen Zeichentauschs stören. Während Rituale an der Stiftung von kulturellem Sinn wesentlichen Anteil haben, sind traumatische Ereignisse dadurch gekennzeichnet, dass für sie "alle kulturell vorgeprägten Sinnrahmen versagen".
"Man ficht und spricht heute schneller als vor 100 Jahren. Sogar von Demosthenes zu Cicero läßt sich die Entwicklung zum Telegraphenstil, zur mangelhaften Verknüpfung der Sätze, zur Wirkung durch abgerissene bedeutende Wörter beobachten".
Hugo von Hofmannsthal, Aufzeichnungen aus dem Nachlaß (1890?)
Die Bemerkung, die Hugo von Hofmannsthal im Alter von 16 Jahren gemacht haben soll, weist ihn schon vor dem eigentlichen Beginn seiner schriftstellerischen Laufbahn als feinfühligen Beobachter sprachhistorischer Entwicklungen, aber auch medialer Einflüsse aus. Mit seiner Ferndiagnose zur Entwicklung des literarischen Stils von Demosthenes bis Cicero, die er unter dem Eindruck des Telegraphenstils seiner eigenen Epoche vornimmt, bestätigt er nicht nur seine klassische Bildung, sondern auch seine medienkulturhistorische Zeitgenossenschaft. Der wahrgenommene Effekt ist einer der Dynamisierung und Fragmentierung von Kommunikation.
Am 26. April 1916 findet am Deutschen Theater in Berlin unter der Regie von Max Reinhardt die Uraufführung eines Balletts "Die grüne Flöte" statt, dem ein einaktiges Lustspiel vorausgeht: "Die Lästigen. Nach Molière". Die Aufführung steht unter dem Protektorat der Stadt Berlin zugunsten der zerstörten Karpatenorte; der Weltkrieg hat bereits eine für Deutschland kritische Wendung genommen. Die Kritiken in den Zeitungen am nächsten Tag reagieren ausschließlich positiv: Das Ballett erregt "helles Entzücken" und der Einakter findet Gefallen; ein Kritiker will darin sogar "den ganzen Molière in der Größe seiner Anschauungen" erkennen, das sei "echter Molière, jener Molière, der uns Deutschen heute nähersteht als manchem seiner Landsleute". Der nationalistische, von der Kriegspropaganda nicht ganz freie Ton, der Molière gegen seine eigenen Landsleute ausspielt, ist nicht zu überhören. Aber am französischen Autor selbst kommt kein Zweifel auf, der Text des Lustspiels wird in dieser und anderen Besprechungen eindeutig Molière zugewiesen.
Die Sache hat allerdings einen Haken, der den meisten Kritiken entgangen ist. Das Stück "Die Lästigen" trägt zwar den übersetzten Titel von Molières "Les Fâcheux", aber es ist nicht von Molière: von ihm stammt nur - wie der tatsächliche Verfasser Hofmannsthal in einem Brief an Pannwitz bemerkt - der "Titel und vagste Grundidee", sonst sei alles eine "völlige Improvisation", was der "ganzen breitmäuligen Presse" entgangen sei. Und an Richard Strauss schreibt Hofmannsthal: "Übrigens ganz im Vertrauen: Reinhardt spielte die letzten 6 Wochen allabendlich einen Molière, die 'Lästigen', wovon außer dem Titel keine Zeile von Molière war, sondern jedes Wort vom ersten bis zum letzten von Ihrem ergebenen Librettisten, ohne daß die Kritik 'Mau' sagte." Die Genugtuung, das Publikum und vor allem die Kritik so hintergangen zu haben, die Freude, daß der Schwindel nicht aufgeflogen ist, klingt in diesen Sätzen durch.
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrunde gelegten Siglenverzeichnis zitiert.
Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommen davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Keine andere Figur verletzt so eklatant die ungeschriebenen Regeln des Spiels, als das sich soziale Interaktion im aristokratischen Milieu von Hofmannsthals Komödie »Der Schwierige« gestaltet, wie der neu eingestellte Diener Vinzenz, der eben deshalb das Privileg erhält, den Vorhang über dem Spiel zu heben. Als Vinzenz in der ersten Szene des ersten Akts in die Räumlichkeiten des Bühlschen Palais eingeführt wird, unterrichtet er das Publikum nicht nur über den zeitgeschichtlichen Kontext des Stücks und die Lebensverhältnisse seines Protagonisten. Er bringt die Sprache auch umgehend auf jenen "Punkt", der sich für alle Beteiligten als der "Hauptpunkt" erweisen wird. "Jetzt kommt alles darauf an: geht er [Bühl] mit der Absicht um, zu heiraten?", eröffnet er dem alten Diener Lukas und fügt erläuternd hinzu: "Wenn er sich die Verwandten da ins Haus setzt, heißt das soviel als: er will ein neues Leben anfangen. Bei seinem Alter und nach der Kriegszeit ist das ganz erklärlich."
Inmitten der epochalen Katastrophe des Ersten Weltkriegs eine Komödie zu schreiben, die das konventionelle Komödienthema der Heirat im konventionellsten Komödienschema des Missverhältnisses von Absicht und Verwirklichung an einigen Repräsentanten des Wiener Hochadels durchspielt, welche den Krieg weitgehend unbeschadet überstanden haben - dass diese Konstellation beim zeitgenössischen Publikum für Irritationen sorgen könnte, hat Hofmannsthal zumindest geahnt.
Hugo von Hofmannsthal, dessen Rezeption in Frankreich durch die Übertragungen von Charles Du Bos in den 20er Jahren entscheidende Anstöße erhielt, war bereits vor dem Weltkrieg im Nachbarland kein Unbekannter. Wie eine Reihe früher Erwähnungen in Zeitschriften und literarhistorischen Darstellungen belegen, waren Gedichte Hofmannsthals und einige seiner dramatischen Arbeiten zumindest einem Kreis von Kennern vertraut. Einem breiteren Publikum dürfte sein Name vor allem als Librettist von Richard Strauss geläufig gewesen sein - seit der im Januar 1909 uraufgeführten Oper "Elektra“, seit dem "Rosenkavalier" (1911) und der "Ariadne auf Naxos" (1912). Dass sich französische Leser auch von den Gedichten und lyrischen Dramen Hofmannsthals eine Vorstellung machen konnten, war das Verdienst eines jungen Autors, dessen Name, in den Jahren nach dem Weltkrieg einer breiteren Öffentlichkeit vertraut, heute in Vergessenheit geraten ist: Henri Guilbeaux.
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrundegelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommenn davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Hugo von Hofmannsthal wird nicht müde, in seinem Essay über Victor Eftimiu die Doppelheit des "lateinisch-slawische[n] Wesen[s]" zu betonen: "[D]er Rumäne ist Lateiner und Slawe zugleich." In ihren Ausführungen zur Hofmannsthal-Rezeption in Rumänien bescheinigt die rumänische Germanistin Mariana-Virginia Lazarescu dem österreichischen Dichter eine "genaue Kenntnis des rumänischen Lebensgefühls, der rumänischen Seelen- und Mythenlandschaft und der rumänischen Volksüberlieferungen". Repräsentiert die Latinität bei Hugo von Hofmannsthal also die kulturelle, europäische, ja vielleicht sogar die universale Perspektive, so stehen das Slawische und das Walachische, die jedoch um andere und weitere Volkselemente beliebig zu ergänzen wären, für die partikulare landschafts-, heimat- und volksbezogene Dimension. Dennoch lassen sich bei Hugo von Hofmannsthal auch in dieser letztgenannten Dimension universale Perspektiven erblicken. So spricht er etwa in seinem Geleitwort zu einer Sammlung von Übersetzungen tschechischer und slowakischer Volkslieder von "dem ewig Gleichen und der beharrenden Wurzel" der Volksüberlieferung, der er zugleich eine religiöse Dimension zuspricht. So wie Hofmannsthal bzw. Borchardt im Europabegriff der Renaissance die "Gemeinbürgschaft aller an der Latinität der höheren geistigen Existenz beteiligten für Erweckung und Bewahrung dieses grundlegenden Erbes" sahen, so war Hugo von Hofmannsthals Europabegriff während und in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg von der Idee des Ineinanderklingens der zahlreichen volkshaften und sozialen Partikularismen geprägt.
Das künstlerische Verhältnis zwischen Richard Strauss und seinem Librettisten Hugo von Hofmannsthal ist auch heute noch in der Forschung ein kontrovers diskutiertes Thema. Viele Interpreten sind offenbar durch die sehr unterschiedlichen Temperamente beider Künstler dazu angeregt worden, ihre bewertenden Urteile weniger durch Werkanalysen als vor allem durch Persönlichkeitsstudien zu belegen.
Hugo von Hofmannsthal - Yella, Felix und Mysa Oppenheimer : Briefwechsel ; Teil II: 1906-1929
(2000)
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrundegelegten Siglenverzeichnis zitiert.
Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommenn davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Niemand kennt sich, insofern er nur er selbst und nicht auch zugleich ein anderer ist: Mit diesem Gedanken, den Friedrich Schlegel in seinem Aufsatz "Über Lessing" (1797) formulierte und der von Hofmannsthal ins "Buch der Freunde" übernommen wurde, ist eine Grundformel angedeutet, die Selbsterkenntnis und Vielseitigkeit, Identität und Differenz aufeinander bezieht. Selbsterkenntnis nicht als Monolog oder System, sondern aus dem Gespräch der Stimmen, aus dem Widerspiel von Fragment und Kritik zu entwickeln, ist ein Anliegen, das die frühromantische Kunsttheorie mit Hofmannsthal verknüpft, der eben sein "Buch der Freunde" mit der Überlegung einleitet, daß der Mensch "die Welt [braucht], um gewahr zu werden, was in ihm liegt". Zugleich hat Hofmannsthal damit die Formel des Bildungsromans getroffen, an dessen Traditionen sein Roman "Andreas" anknüpft, ohne sich ihnen integrieren zu können oder zu wollen. Andreas tritt unter dem biblischen Motto, wonach es nicht gut sei, wenn der Mensch allein ist, die Reise zu sich selbst an, die auf den Umweg über die Dissoziation und die Distanz führt. Anders als der Held des klassischen Bildungsromans erfährt Andreas jedoch die eigene Identität nicht mehr als Resultat eines Prozesses der Differenzierungen, der am Ende in die Aufhebung aller Spaltungen mündet, sondern ihm bleibt das Auseinandergetretene, Gespaltene als Ingrediens seiner Identität eingeschrieben, die nicht vollkommen, sondern fragmentarisch ist. Von hier aus tritt die Frage nach dem Fragmentcharakter dieses Romans, gar nach den Gründen des Abbruchs, hinter die Einsicht von der fragmentarischen, die Differenz nicht löschen könnenden Identität von Andreas' Selbst zurück. Die Kenntnis der gesamten Textgenese des Andreas-Romans läßt überdies deutlich werden, wie sehr sich das poetologische Programm dieses Werkes der Reziprozität von Selbständigkeit und Vergleichung, von Originalität und Tradition, von Individualität und literarischem Vorbild verdankt, denn die Orientierung an den Romanen von Moritz, Goethe, Novalis und Stifter bietet einen Generalbaß, auf dem sich die durchaus eigengewichtige Melodie von Andreas' Reise erhebt.
Die Freundschaft mit Felix Oppenheimer festigte sich nach 1893, und der Briefwechsel ist Ausdruck der häufigen Kontakte. Was dieser Freundschaft zugrunde lag, ist heute schwer zu sagen, auch weil die Briefe Oppenheimers an Hofmannsthal fast völlig fehlen. Der Ton ist immer sehr vertraulich, wird aber selten herzlich oder intim. Ein- oder zweimal zu Anfang ihrer Bekanntschaft mußte Hofmannsthal den Freund beschwichtigen, weil sich Oppenheimer vernachlässigt fühlte, der wohl spürte, daß der berühmte Freund der Gebende war. Nach Oppenheimers Heirat wird der Ton - wohl auch aufgrund der Aufgaben, die er inzwischen übernommen hatte - "geschäftsmäßiger", das Verhältnis distanzierter. Inzwischen, ab ca. 1909, war nämlich Yella zu Hofmannsthals wichtigstem Briefpartner in der Familie Oppenheim er geworden. Trotz oder gerade wegen des Altersunterschiedes von zwanzig Jahren herrschte von Anfang an ein herzlicher, inniger Ton vor.
"Stunde, Luft und Ort machen alles" - Hofmannsthals
Phänomenologie der natürlichen Gegebenheiten
(1999)
Am 4. Oktober 1891 notiert Arthur Schnitzler in sein Tagebuch:
"Vorm. Loris auf dem Spaziergang sagte: - Heute ist in der Luft etwas von der Stimmung des Ehemanns, der im 3. Jahre der Ehe erkennt, daß seine Frau doch nicht so ist, wie er sich einbildete. - Ich war frappirt."
Man mag die Selbststilisierung belächeln, mit der der 17-jährige Hofmannsthal gegenüber dem zwölf Jahre älteren Freund sein feines Sensorium für atmosphärische Verhältnisse unter Beweis stellt und so mit einer gehörigen Portion Anmaßung wie selbstverständlich davon ausgeht, daß dieser nicht über ein derart ausgeprägtes Wahmehmungs- und Differenzierungsvermögen verfügt. Dennoch ist es erhellend, die auf den ersten Blick seltsam überprägnante Beobachtung genauer zu betrachten. Hofmannsthal stellt an jenem Sonntagvormittag im Oktober fest, daß momentan eine bestimmte "Stimmung" in der Luft liegt, die Luft ist also Trägerin einer Gemütslage.
Im vorliegenden Aufsatz soll es um ein Motiv gehen, das sowohl in Hofmannsthals Selbstzeugnissen als auch in seinem Werk im engeren Sinn durchgehend begegnet: das Motiv, daß die Befindlichkeit eine Funktion der Umgebung ist, daß sie von außen kommt, ohne daß man sich dagegen wehren könnte. Und: daß es die natürliche Umgebung ist, die solche Macht über die Gefühle hat, nicht die soziale.
Merkwürdig muten Hofmannsthals Worte den heutigen Leser an, der in Anbetracht der jüngsten Jahrhundertwende über die vorhergegangene liest:
Welch ein Erlebnis aber auch, dieses neunzehnte Jahrhundert, so wie der deutsche Geist es durchzumachen hatte, [...] bis endlich in diesem ganzen scheingeistigen Bereich die Luft unatembar wurde, bis endlich aus diesem Pandämonium von Ideen, die nach Lebenslenkung gierten - als ob es lebenslenkende Ideen geben könnte - , er sich losrang, unser suchender deutscher Geist, bewährt mit dieser einen Erleuchtung: daß ohne geglaubte Ganzheit zu leben unmöglich ist - daß im halben Glauben kein Leben ist, daß dem Leben entfliehen, wie die Romantik wähnte, unmöglich ist: daß das Leben lebbar nur wird durch gültige Bindungen.
Dem 19. Jahrhundert entkommen zu sein, ist in Hofmannsthals berühmt-berüchtigter Rede "Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation " gleichbedeutend mit einem Ausbruch aus erstickender Enge zu neuem Leben. Das endlich überwundene Säkulum war für ihn charakterisiert durch komplementäre Fehlentwicklungen. Der "scheingeistige Bereich" eines philiströs auftrumpfenden Bildungskanons auf der einen Seite und auf der anderen das "Pandämonium" eines abgehobenen Wissenschaftsidealismus hatten die Ansprüche der Lebenswirklichkeit zunehmend verdrängt - zum einen durch topische "Verengung des Raumes", zum anderen durch romantische "Vergeudung des Raumes".
Primärtexte Hofmannsthals und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrundegelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommen davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Die Textüberlieferung von Hofmannsthals einzigem Romanversuch ist nach wie vor heikel, eine allseits befriedigende Lösung scheint vorerst nicht in Sicht. Dabei betrifft die Strittigkeit der Lesarten sowohl die aus dem Nachlaß edierte Handschrift in ihrer Binnenvarianz als auch die Abgrenzung der Handschrift nach außen. Während ersteres nur in einer Mikroanalyse der Handschrift und ihrer komplizierten Schichtungen möglich sein dürfte, sollen für letzteres im folgenden Beispiele - ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit gegeben werden, um die Diskussion über eine verbesserte Textdarstellung auf weitere Desiderata hinzuweisen. Es werden daher zwei Arten von Textergänzungen vorgestellt: Bei der ersten Art handelt es sich um handschriftlich überlieferte Notizen, die u.a. aufgrund namentlicher ("Mariquita") Nähe in den Umkreis des Romans gestellt werden könnten, ohne daß eine definitive Zuweisung möglich wäre. Vielmehr soll damit und der anderen hier gebotenen Art von Textergänzungen - zwei Zeitungsartikel, die Hofmannsthal selbst in das "Andreas"-Konvolut gelegt hat - das Bewußtsein für die Durchlässigkeit der Grenzen dieses Textes gestärkt werden, der sich als fluktuierende, nicht als völlig absehbare Größe im Werk Hofmannsthals bewegt
Die Antike im doppelten Aspekt von Mythos und Geschichte war lebenslang einer der von Hofmannsthal bevorzugten Themenkreise. Sein Interesse daran reicht in die ersten Anfänge zurück und setzt sich bis ins Spätwerk fort. Schon ein flüchtiger Blick auf die lange Reihe der Titel zeigt die beeindruckende Dichte der Projekte: Auf den Alexander-Stoff, der bereits Ende der achtziger Jahre in den Vordergrund rückt, folgen 1891 eine im Umriß ganz vage gebliebene "mythische Komödie", die vielleicht den Titel "Athene" tragen sollte, im Jahr darauf das Hades- und Alkibiades-Thema sowie die Auseinandersetzung mit den "Bacchen" des Euripides, die zwischen 1904 und 1918 im "Pentheus"-Plan weiter vorangetrieben wird. Ein erstes 'fertiges' Stück ist der - kurz vor "Tor und Tod" - im März 1893 entstandene Einakter "Idylle", der auf schmalstem Raum eine antikisierende Szene "im Böcklinschen Stil" gestaltet. Im Sommer 1893 werden Entwürfe zum 1906 wieder aufgenommenen "Traum" notiert, der auf einer Erzählung des Plutarch in der Demetrius-Vita 27 beruht.
Seine Annäherung an die Antike, soweit sie an die attischen Tragiker anknüpft, fühlt sich dem eingestandenen Ziel verpflichtet, den "Anschluß an große Form" zu suchen und damit, vom lyrischen Drama weg, die wirkliche Bühne zu erobern. Dabei geht es ihm von Anbeginn darum, die antiken Stücke aus ihrer "maskenhaften Starrheit zu lösen", wie es anläßlich des "Alkestis"-Plans im Januar 1894 heißt; ein Gedanke, den auch Hermann Bahr 1923 im Rückblick seines Tagebuchs formuliert, wenn er daran erinnert, daß er und Hofmannsthal sich vor drei Jahrzehnten vor der "Gypsgriechelei der Heysezeit" zu retten versucht hätten, ganz im Einklang mit Max Reinhardt, der die Unlust, antike Dramen zu spielen, dem "gipsernen " Charakter der vorliegenden Übersetzungen und Bearbeitungen anzulasten pflegte.
Die Jahreswende 1908/09 erleben Gerty und Hugo von Hofmannsthal auf Schloß Neubeuern am Inn als Gast des Barons Jan Wendelstadt und seiner Gemahlin Julie. Eingeführt worden war der Dichter dort bereits am 1. Dezember 1906, zusammen mit Harry Graf Kessler, von seinem Freund Eberhard von Bodenhausen. Damals schon traf er dessen Schwägerin Ottonie, Gräfin Degenfeld Schonburg. Die Gräfin hatte ein halbes Jahr zuvor geheiratet. Eine außergewöhnlich tiefe Liebe verband sie mit ihrem Mann, dem Grafen Christoph Martin von Degenfeld-Schonburg, Bruder der Baronin Wendelstadt, die auch mit dessen frühem Tod nicht enden sollte. Zu diesem Zeitpunkt, Anfang Dezember 1906, befand sie sich in der glücklichsten Phase ihres Lebens. Sie hatte damals wohl kaum Augen für den neuen Gast, zumal Neubeuern gewohnt war, bedeutende Persönlichkeiten aus dem kulturellen Leben zu empfangen. Gräfin Ottonie war viel zu beschäftigt mit sich selbst. Wie scharf ist nun der Kontrast, als Hofmannsthal sie 1908 wiedersieht. Seelisch und körperlich zusammengebrochen, ist sie zu diesem Zeitpunkt an den Rollstuhl gefesselt. Die 26jährige Frau hat im März ihren Mann verloren, drei Monate nachdem sie ihre Tochter zur Welt gebracht hatte. Durch die schwere Geburt - sowie die physischen und besonders die psychischen Anstrengungen während Krankheit und Tod ihres Mannes - verlor sie allen Lebensmut. Der seelische Zusammenbruch hat seine körperlichen Symptome. Anderthalb Jahre lang bleiben ihre Beine gelähmt. Während einer Schlittenfahrt in den ersten Januartagen des Jahres 1909 (Hofmannsthals bleiben nur bis zum 3. in Neubeuern) gewinnt der Dichter Einblick in den depressiven Gemütszustand der jungen Witwe und wohl zu diesem Zeitpunkt schon rät er ihr, Trost und Hilfe in der Welt der Literatur zu suchen.
Hugo von Hofmannsthal - Maximilian Harden : Briefwechsel / herausgegeben von Hans-Georg Schede
(1998)
Die Korrespondenz zwischen Hugo von Hofmannsthal und Maximilian Harden bietet Einblicke in eine Bekanntschaft, die während der Dauer eines Jahrzehnts - 1896 bis 1908 - zwischen persönlicher Verbundenheit und geschäftlichen Interessen wechselhaft schillerte. Harden galt als schwierig. Fast alle seine Freundschaften endeten in spektakulären Zerwürfnissen oder in bitterem Schweigen. Das hatte verschiedene Ursachen: etwa seine exponierte Stellung als der wohl prominenteste Publizist der Regierungszeit Wilhelm II., der sich mit der Mißgunst seiner weniger einflußreichen Kollegen und mit der Feindschaft derer, die er in seinen Artikeln oft unbarmherzig angriff, auseinandersetzen mußte; ferner ein nicht unbegründetes Mißtrauen, ob die Aufmerksamkeiten, die ihm entgegengebracht wurden, ihm "als Menschen" galten, wie er einmal mit Blick auf Harry Graf Kessler an Hofmannsthal schrieb, oder nicht lediglich einem "über das Papier einer Wochenschrift Verfügenden" (Brief von Pfingsten 1905); schließlich der agonale Grundzug seines ebenso unbestechlichen wie selbstgerechten Charakters, sein Einzelgängertum und sein Wissen um die eigene, immer am Rande der Erschöpfung über Jahrzehnte fortgesetzte gewaltige Arbeitsleistung. All dies trug dazu bei, den persönlichen Umgang mit ihm zu komplizieren.
Hofmannsthal hat sich herausgeberisch in verschiedener Weise betätigt. Ich beschränke mich auf das für Hofmannsthal Wesentliche: auf die im Insel-Verlag erschienenen "Deutschen Erzähler" und - aufs engste damit verbunden - seine führende Rolle bei der Programmgestaltung der Offizin "Bremer Presse" und ihres nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten Verlags. Beiseite bleiben das von Hofmannsthal, Rudolf Alexander Schröder und Rudolf Borchardt herausgegebene Jahrbuch "Hesperus", von dem nur ein Band 1909 das Licht der Welt erblickte, der ausschließlich Beiträge der drei Freunde enthielt. Der Plan eines zweiten Jahrbuchs scheiterte 1913. - Ebenso können die herausgeberische oder redaktionelle Mitarbeit Hofmannsthals am "Morgen" (1907/1908), die spätere an Richard Smekals "Theater und Kultur" (1920 bis 1923) und am Jahrbuch der Nietzsche-Gesellschaft, der von Ernst Bertram und Thomas Mann mit anderen herausgegebenen "Ariadne" (1925), als periphere Betätigung übergangen werden.
Nach ersten knappen Hinweisen von Karl Dachs und Rudolf Hirsch haben Eugene Weber und Wolfdietrich Rasch ausführlicher dargelegt, daß die Uraufführung von Büchners "Wozzeck"-Tragödie am 8. November 1913 im Münchener Residenztheater maßgeblich durch Hofmannsthal angeregt worden ist, der den Text eingehend bearbeitet und dem Fragment sogar einen Schluß hinzugedichtet hat. Die Briefe, die er in diesem Zusammenhang an CIemens von Franckenstein geschrieben hat, wurden auszugsweise zunächst von Weber und Rasch und nunmehr vollständig durch Ulrike Landfester publiziert. - Außer diesem Briefwechsel gibt es zum Münchener "Wozzeck"-Projekt jedoch noch eine weitere Korrespondenz, und zwar zwischen Hofmannsthal und Alfred Roller, die im Folgenden - mit zwei Schreiben von Eugen Kilian an Roller - mitgeteilt werden soll.
Primärtexte Hofmannsthals und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrunde gelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommen davon sind in der Regel Rezensionen. Ordnungsnummern, die nicht der numerischen Reihenfolge entsprechen, verweisen auf die zugehörige Stammnummer. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Hugo von Hofmannsthal lernte die Fürstin und spätere erfolgreiche Schriftstellerin Mechtilde Lichnowsky Anfang 1909 in Berlin kennen. [...] Wahrscheinlich wurden schon bald Briefe mit Verabredungen ausgetauscht. Die ersten gesichert datierten Briefe der hier veröffentlichten Korrespondenz stammen aus dem Frühjahr 1910. [...] Auch wenn die vorliegende Korrespondenz Lücken aufweist und vermutlich über das letzte hier dargebotene Briefzeugnis hinaus, die Trauerbekundung um den Tod von Wilhelm Freiherr Schenk von Stauffenberg, andauerte, vermag sie doch einen Eindruck von dieser vielschichtigen Beziehung zu geben. [...] Unter den Themen, die der Briefwechsel anschlägt dominiert das Gespräch über Hofmannsthals Werke, Projekte und Theateraufführungen. Besonders Anteil nimmt Mechtilde Lichnowsky an Max Reinhardts Berliner Inszenierung des "König Ödipus". [...] Sämtliche Texte der Korrespondenz werden aus den Handschriften geboten; lediglich Hofmannsthals Briefe an seinen Vater und an seine Frau Gerty, die im Deutschen Literaturarchiv Marbach a.N. aufbewahrt werden, sowie die Auszüge aus seinen Tagebüchern, werden nach den Kopien im Freien Deutschen Hochstift, Frankfurt a.M., zitiert.
Die Freundschaft zwischen Hugo von Hofmannsthal und Clemens von Franckenstein hat bisher in der Forschung wenig Beachtung gefunden. Nicht nur ist die Korrespondenz der beiden Männer nur in verstreuten Auszügen publiziert worden; ihre Freundschaft stand vor allem immer in gewissem Maß im Schatten derer zwischen Hofmannsthal und Clemens' jüngerem Bruder Georg von Franckenstein. Mit Georg von Franckenstein verband Hofmannsthal eine tiefe, warme Beziehung, dokumeniert durch einen Briefwechsel, der weitaus umfangreicher ist als derjenige mit Clemens, und Georg war es auch, an den Hofmannsthal die Worte schrieb: "immer aber ist zwischen uns die Wurzel der Freundschaft, Vertrauen, gesund und heil geblieben und wird es hoffentlich, bis der Tod des einen von uns unsere Freundschaft in dieser Welt auflöst."! Durchaus ebenfalls herzlich, fehlt dem Briefwechsel Hofmannsthals mit Clemens doch insgesamt der Grundton inniger Zuneigung, der denjenigen mit dem jüngeren Bruder auszeichnet, und die in gemeinsamer Liebe zur Sprache begründete Selbstverständlichkeit des vertraulichen Austausches.
Bei aller gelegentlichen Spröde der Korrespondenz zwischen Franckenstein und Hofmannsthal ist die hier von letzterem beschworene Sympathie auf den zweiten Blick das solide Fundament einer Beziehung, die in dem Maß an Bedeutung gewann, in dem Dichter und Musiker einander gegenseitig schöpferische Impulse zu geben vermochten.
Hugo von Hofmannsthal lernte die Fürstin und spätere erfolgreiche Schriftstellerin Mechtilde Lichnowsky Anfang 1909 in Berlin kennen. Am 18. Februar schreibt er an seinen Vater:
Heute trinken wir Thee in dem neuen ganz amerikanisch prunkvollen Esplanade-Hotel bei der Fürstin Lichnowsky, geb. Arco, die eine ganz charmante junge Frau ist.
Wahrscheinlich wurden schon bald Briefe mit Verabredungen ausgetauscht. Die ersten gesichert datierten Briefe der hier veröffentlichten Korrespondenz stammen aus dem Frühjahr 1910. Hofmannsthal und Mechtilde Lichnowsky begegneten sich zumeist im Rahmen der Premieren von Hofmannsthals Stücken und im Ambiente der vornehmen Berliner Salons der Gräfin Harrach, Schwiegermutter von Mechtilde Lichnowskys Schwester Helene, und Cornelia Richters, der Tante von Hofmannsthals Freund Leopold von Andrian, in denen Aristokratie, Großbürgertum, Intellektuelle und Künstler vor dem Ersten Weltkrieg miteinander Umgang pflegten. Hofmannsthal, der die Berliner Gesellschaft in "Leute, Leute, Leute" und "die paar Menschen", welche ihm wichtig waren, unterteilte, fand in der Gräfin Lichnowsky nicht nur eine jener schönen kultivierten Frauen, die ihn anzogen, sondern auch einen Menschen, mit dem er sich im Gespräch austauschen konnte und auf dessen Urteil er Wert legte.
Man kann eine literarische Konzeption oder ein literarisches Milieu auch durch seine Bereitschaft zu Theoriebildung und Programmatik kennzeichnen. In der Wiener Kultur um 1900 ist die Anzahl literaturästhetischer und kunstkritischer Arbeiten beträchtlich; die bereits genannten repräsentativen Autoren wie auch zahlreiche halb vergessene Kritiker haben daran teil. Allein auch hier fällt ein bezeichnender Umstand ins Auge. Mustert man die kritischen Schriften der wichtigsten, Bewegung und Milieu wirklich prägenden Schriftsteller, ist die Tatsache nicht zu übersehen, daß die größte Aufmerksamkeit Fragen der Drarnentheorie sowie der Poetik lyrischer Dichtung und kleiner Prosaformen gilt.
Für eine Theorie großer Erzählgattungen ist dagegen kein ausgeprägtes Interesse zu erkennen. Zwischen Kraus oder Hofmannsthal und der folgenden Generation liegt eine poetologische Zeitenscheide. Um den Dingen gerecht zu werden, ist es erforderlich, zwischen einem programmatischen bzw. poetologischen Diskurs und gelegentlichen kritischen Äußerungen über Lektüre zu unterscheiden.
Primärtexte Hofmannsthals und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrunde gelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommen davon sind in der Regel Rezensionen. Ordnungsnummern, die nicht der numerischen Reihenfolge entsprechen, verweisen auf die zugehörige Stammnummer.
Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen
aufgenommen.
Die "Elektra" von Hofmannsthal und Strauss veranlaßte Carl Dahlhaus zu einem Plädoyer für die klassische Tragödie sophokleischer Prägung, die weder durch die Sprachkunst Hofmannsthals noch durch die Musik von Strauss in der Oper zur Gänze wieder zugänglich wurde, ja der Musik recht eigentlich überhaupt nicht erreichbar ist. Lapidar fiel ein Satz, als stammte er selbst aus einem antiken Drama oder aus der aristotelischen Poetik: "denn an die tragische Dialektik reicht Musik nicht heran." So viel Musik - entweder für sich genommen oder in der Oper - vermag, so wenig kann sie alles ausrichten. Entgegen einer verbreiteten Überzeugung war und ist Theater mehr, als Oper sein kann. Reicht Musik indessen an die komische Dialektik heran? Diese Frage läßt sich an den 1911 in Dresden uraufgeführten "Rosenkavalier" stellen, der nicht nur das nach "Elektra" zweite Ergebnis der Gemeinschaftsproduktion von Hofmannsthal und Strauss war, sondern auch, wie man weiß, zu einem beispiellosen, weltweiten Publikumserfolg geworden ist. Opern, die danach noch Welterfolge wurden, waren, so scheint es, für lange Zeit in den allermeisten Fällen keine Komödien mehr.
Hugo von Hofmannsthal - Robert und Annie von Lieben : Briefwechsel / herausgegeben von Mathias Mayer
(1996)
Das Gewicht, das der Begegnung zwischen dem "Naturforscher und Erfinder" Robert von Lieben und Hofmannsthal zukommt, ist ihrer hier vorgelegten Korrespondenz nicht zur Gänze zu entnehmen. Zu wenig ist über ihr persönliches Verhältnis aus Zeugnissen Dritter bekannt, zu viele Briefe - vor allem nach der Jahrhundertwende - müssen wohl verlorengegangen sein. Was aber den Rang dieser Berührung der Sphären unmißverständlich dokumentiert, ist die Rolle, die die Figur Robert von Liebens im Werk Hofmannsthals eingenommen hat. Dreimal, so scheint es, hat sich Hofmannsthal daran gemacht, Züge des Freundes entweder in einen fiktiven Kontext hinüberzuspiegeln oder - im ergreifenden Nachruf auf den Frühverstorbenen - sein "geistiges Antlitz" für die Nachwelt festzuhalten. Die Werke, in denen Liebens Physiognomie verwandelt aufscheint, sind durch mehr als dreißig Jahre getrennt und zeigen die anhaltende Faszination durch einen Mann, der nicht zu den engsten Freunden des Dichters zählte.
In der "Allgemeinen Kunst Chronik" (Wien) findet sich in der 24. Nummer (zweites Novemberheft, S. 661f.) des Jahrgangs 1891 eine Buchbesprechung Hugo von Hofmannsthals, die er in der Folge nicht wieder erwähnt hat (etwa brieflich oder in einer der Titellisten für eigene Ausgaben). Dadurch ist sie der Aufmerksamkeit der Forschung bislang entgangen und weder bibliographisch erfaßt noch jemals wieder gedruckt worden. Es handelt sich um eine Besprechung von Ola Hanssons Aufsatzsammlung "Das junge Skandinavien". Hofmannsthal hatte im Sommer desselben Jahres in der "Kunst Chronik" bereits seinen Bericht über "Die Mozart-Zentenarfeier in Salzburg" veröffentlicht.
Alle weiteren Aufsätze aus dem Jahr 1891, soweit wir von ihnen wissen, sind in der "Modernen Rundschau" erschienen. Bemerkenswert ist der hier mitgeteilte kleine Aufsatz insofern, als er das Spektrum der von Hofmannsthal schon in seinen frühesten Arbeiten mit Aufmerksamkeit bedachten nichtdeutschsprachigen Literaturen um den Bereich der skandinavischen Literaturen erweitert. Es zeigt sich, daß sich sein Blick von Anbeginn seiner kritischen Tätigkeit auf ganz Europa richtet.
Die Beschäftigung mit den bildenden Künsten ist schon für den frühen Hofmannsthal, und nicht nur in seinem Erstlingsdrama, prägend. Es dürfte also nicht überraschen, daß er dann in der späteren Phase, wo er über die Stellung des modernen Dichters prinzipiell nachdenkt, auch dessen Beziehung zur bildenden Kunst miteinbezieht. Neu ist nach der Berührung mit der italienischen Renaissance seit der Jahrhundertwende das Rembrandt-Erlebnis. Davon zeugen mehrere ab 1903 erworbene Monographien in seiner Bibliothek, Anspielungen in zahlreichen Aufsätzen wie "Shakespeares Könige und große Herren" (1905) und nicht zuletzt die Entwürfe zu dem Monolog "Rembrandts schlaflose Nacht".
In einem bislang unveröffentlichten Manuskriptblatt, das wohl auch aus dieser Zeit stammt, bringt Hofmannsthal einen Vergleich mit der Technik Rembrandts, um den Arbeitsprozeß des Dichters anschaulich zu verdeutlichen:
Ahnung und Darstellung des Dunstkreises um den Menschen herum: wie die sich kreuzenden (und das Ganze formenden) Lichtcentren bei Rembrandt, wodurch anderes als die Gestalten hervorgerufen wird.
Der Dichter ist in seinem Schaffen bestrebt, den größeren Lebenszusammenhang des Menschen zu eruieren.
Das Erfahrungsmodell, durch dessen Vermittlung in der europäischen Kultur Wirklichkeit aufgefaßt und dargestellt wird, ist dasjenige der "Lesbarkeit der Welt". Niemand war sich dessen genauer bewußt als der junge Hugo von Hofmannsthal, der in der kulturgesättigten Atmosphäre der Jahrhundertwende aufwuchs: einer Welt aus Schriftzeichen, einer Welt der Aufzeichnungen und Archive, einer Welt schließlich der universellen Verfügbarkeit allen Wissens aus allen Kulturen. In der Gestalt des Wunderkindes Hofmannsthal war auf vollkommene Weise die Sprach-, Wahrnehmungs- und Wissenskrise der Jahrhundertwende repräsentiert, die - wie keine andere Epoche der Kulturgeschichte - aus Glanz und Last der Überlieferung ihr Selbstbewußtsein wie ihre tödliche Melancholie bezog.
Um die Frage des Lesens dessen, was nie geschrieben wurde, und jene andere Frage der Nicht-Lesbarkeit der Welt, wie sie auf vielfache Weise im Werk des frühen Hofmannsthal zum Ausdruck kommen, soll es in den hier angestellten Überlegungen gehen. Im Jahr 1909, also schon im Rückblick auf jene Zeit früher Verwirrungen der neunziger Jahre, macht Hofmannsthal sich eine Reihe merkwürdiger Notizen. Sie nehmen ihren Ausgang von der Idee des Schöpferischen und der Möglichkeit solchen Schöpferturns in einer übersättigten Kultur und mögen wohl Vorstudien zu einem geplanten Aufsatz über dieses Thema sein.
"Oft sagte er aus dieser Stimmung heraus: Unser Gespräch mit Franzosen bleibt doch immer das Bankett des Fuchses mit dem Storch - ewiges Mißverständnis".
Die Quelle dieses von Hofmannsthal - laut Zeugnis von C. J. Burckhardt - häufig zitierten Vergleichs der Deutschen und Franzosen mit dem Verhältnis der beiden Tiere zueinander ist bekannt; es ist die Fabel La Fontaines: "Le Renard et la Cigogne", die ihrerseits auf Äsop und Phaedrus zurückgeht. Weniger bekannt ist dagegen, daß Hofmannsthal die Fabel nicht als erster auf die beiden Völker bezogen hat, sondern daß er den Vergleich bereits bei Madame de Staël und bei Goethe vorfinden konnte. Es ist reizvoll, die jeweiligen Ausführungen miteinander zu konfrontieren und an der unterschiedlichen Akzentuierung des Vergleichs nicht nur die kulturellen Positionen der Autoren abzulesen, sondern zugleich verschiedene Spielarten des Fremdverstehens kennenzulernen.
Man täusche sich nicht über den Grundcharakter des "Buchs der Freunde". Wir lesen in ihm und glauben zunächst, locker aufeinanderfolgende Fragmente vor uns zu haben. Der Briefwechsel mit der an der Herausgabe beteiligten Katharina Kippenberg deutet darauf, daß Hofmannsthal ihr bei der Zusammenstellung die größte Freiheit gewährt hat. Dabei scheint eine offene, von Goethes "Maximen und Reflexionen" oder von Novalis' Fragmenten beeinflußte Gesinnung gewaltet zu haben. Die vier von Hofmannsthal bestimmten Unterabteilungen halten sich bewußt an sehr allgemeine Definitionen. Je länger man sich indes mit den einzelnen Texten einläßt, um so entschiedener muß man sich von der Vorstellung lösen, man habe es hier mit einer improvisierten Textsammlung zu tun. Die vielen aus größeren Zusammenhängen herausgebrochenen Zitate könnten auf Fragmentarität schließen lassen. In Wahrheit eignet ihnen eine Konsistenz, die sich von den in ihrer Ganzheit zitierten abgerundeten Aphorismen oder von Hofmannsthals originalen Formulierungen in nichts unterscheidet. Wer hier Unfertiges, Provisorisches, Zufälliges erwartet, wird sogleich eines Besseren belehrt. Viele dieser Texte sind in ihrer Form und in ihrem Inhalt einer Lebens- und Kunstlehre verpflichtet, die von großer Strenge und Entschiedenheit zeugt. Wo immer man einzelne Beispiele herausgreift, vernimmt man aus ihnen eine Richtlinie, die durch Abweisung und Festlegung eine deutliche Wertvorstellung einprägt, die sich von der Folie moderner Unsicherheit im Benehmen, Fühlen und Denken abhebt.
Hugo von Hofmannsthal und Julius Meier-Graefe : Briefwechsel / herausgegeben von Ursula Renner
(1996)
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrundegelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommenn davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Obwohl Fragment geblieben, steht der "Andreas" im Zentrum von Hofmannsthals Schaffen. Um die Bedeutung und den fragmentarischen Status des "Andreas" zu erklären, ist ein Blick auf seine Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte unerläßlich.
Hofmannsthal arbeitete an seinem Romanprojekt "Andreas" zwischen 1907 und 1927. Circa 500 Manuskriptseiten umfaßt der "Andreas" im Nachlaß Hofmannsthals. Davon entfallen annähernd 100 Seiten auf den relativ geschlossenen Hauptentwurf von 1912/13, - er wurde postum, im Jahre 1930, unter dem Titel "Andreas oder die Vereinigten" erstmals veröffentlicht - der Rest verteilt sich auf insgesamt knapp 400 Entwürfe, Skizzen, Notizen und Exzerpte.
Hofmannsthals Fragmente sollen hier nicht nach Grenzen und Gründen ihres Status abgesteckt werden. Die Beleuchtung einer "Ästhetik des Fragmentarischen" wirft ihr Licht wohl weniger auf die sogenannten Fragmente Hofmannsthals als auf den Teil seines oeuvres, den man als das vermeintliche Werk von den Fragmenten abzusetzen pflegt. Damit hängt zusammen, daß von einer Ästhetik des Fragmentarischen wohl nur in Verbindung mit einer Ethik des Fragmentarischen im Werk Hofmannsthals die Rede sein kann. Es geht daher auch um die Ortung einer fragmentarischen Identität bei Hofmannsthal. Die Gründe für eine solche, vielleicht paradox anmutende Umschreibung vom Ästhetischen zur Ethik, vom Fragment zum Werk scheinen gerade aufgrund auch editorischer Erfahrungen im Umgang mit Hofmannsthal gerechtfertigt: Es ist zunächst die zwar angesichts der großen Torsi wie "Andreas", "Silvia im 'Stern'", "Timon" oder "Kaiser Phokas" verständliche Frage nach den Gründen für den Abbruch der Arbeit, aber dann gerade ihre immer nur unbefriedigend - kann man sagen: unvollständig? - ausfallende Antwort, die zu einer resignativen Einstellung führt. Im Fall des "Andreas"-Romans, um hier das wertvollste aller Fragmente stellvertretend anzuführen, sind schon von den ersten Lesern die unterschiedlichsten Versuche unternommen worden, den Abbruch, die Brüchigkeit durch eine eindeutige Antwort zu glätten und damit den Fragmentcharakter zu nivellieren.
Dem kürzlich von Werner Volke an dieser Stelle veröffentlichten Briefwechsel zwischen Hugo von Hofmannsthal und Alfred Walther Heymel (Teil I) kann man einen ersten Hinweis auf die Beschäftigung mit einem Gegenstand entnehmen, der Hofmannsthal offensichtlich sehr am Herzen lag. Am 28. August 1905 läßt er den Freund wissen:
Ich lese den 23ten November in einem 'Künstler-Verein' den Leuten einiges von meinen Arbeiten. Tags vorher möchte ich im Saal eines Herrn Leuwer der sich mir durch Nennung Deines Namens empfahl, vor einem kleinen Kreis über ein Thema sprechen, das mich interessiert: nämlich über die Stellung der Dichter unter den Leuten in dieser unserer Zeit. (HJb 1, 51).
Einen Monat später, am 26. September 1905, bietet er das Thema, nun etwas abgewandelt, Oscar Bie für die "Neue Rundschau" an: "[ ... ] zeigen Sie, bitte, wenn Sie wollen, einen Aufsatz an: Der Dichter und diese Zeit. Zu dem Aufsatz dieses Titels hab' ich ein starkes Material liegen [ ... ]" (B II 216). Allerdings, stellt er fest: "Ob ich das aber fertig bringe? Es vor Dezember zu schreiben, ist absolut ausgeschlossen." (Ebd.) Die Niederschrift erwies sich als langwierig und mühevoll, der Vortrag - unter dem Titel "Der Dichter und diese Zeit" - wurde erst ein Jahr später gehalten, der Druck in der "Neuen Rundschau" erfolgte im März 1907.
Hofmannsthal und Majakowskij. Hofmannsthal und Picasso. Hofmannsthal und Malewitsch. Hofmannsthal und Beuys. - Was Hofmannsthal seinem Chandosbrief nachgerufen hatte - "fernes Fremdes als nah verwandt spüren zu machen" (BW Andrian 161) -, kann als Leitsatz gelten für den vorliegenden Beitrag, der Hofmannsthal mit Namen in Verbindung bringt, von denen man bisher ziemlich genau wußte, wie wenig sie mit diesem Dichter zu tun haben.
Alban Berg begann seine kompositorische Laufbahn als Komponist von Klavierliedern, die Teil einer quantitativ frappierenden Liedproduktion im Wien der Jahrhundertwende sind: Das Klavierlied hatte zu dieser Zeit in Wien schon eine lange, vor Franz Schubert beginnende Gattungstradition und erlebte als Gattung von besonderer Lokalbedeutung nun einen späten, abschließenden Höhepunkt. Kaum ein Oeuvre eines in Wien lebenden Komponisten dieser Zeit zeigt nicht die Anziehungskraft eines musikalischen Lyrismus. Das gilt für Wilhelm Kienzl, Julius Bittner, Carl Lafite, Joseph Marx ebenso wie für Franz Schreker, Alexander von Zemlinsky, Arnold Schönberg, Alban Berg, Anton von Webern sowie für die beiden bedeutendsten Lied-Komponisten dieser Zeit - Hugo Wolf und Gustav Mahler. Ihre Liedkompositionen markieren zugleich einen zweifachen gattungsgeschichtlichen Wendepunkt, denn war Wolf der letzte, in dessen Schaffen das Klavierlied zwar noch einen alles dominierenden Rang einnahm, sich aber endgültig vom bis dahin gültigen Strophenlied-Modell ablöste und zum Deklamationslied entwickelte, so führte Mahlers Entwicklung von frühen, späterhin orchestrierten Klavierliedern zum Orchestergesang und zur Synthese zwischen Lied und Symphonik.
Das Fragment: Ein Kunstwerk?
(1995)
Um diese nicht nur auf Hofmannsthal bezogene Fragestellung zu begründen, muß ich gleich erklären, daß meine intensive Beschäftigung mit Hofmannsthal mehr als dreißig Jahre zurückliegt. Nur etwa fünf Jahre lang, von den späten Fünfzigerjahren bis zum Abschluß des dritten Bandes der englischen Hofmannsthal-Auswahl, der 1963 erschien, stand Hofmannsthal im Mittelpunkt meiner Tätigkeit. Obwohl ich Gedichte von ihm und lyrische Dramen schon spätestens in den frühen Fünfzigerjahren übersetzt hatte, wurde ich nur während dieser intensiven Beschäftigung ausnahmsweise auch zum Forscher, indem ich Hofmannsthals Bibliothek im Hause seines Sohns Raimund wenigstens zum Teil sichtete und die in den Büchern enthaltenen Anmerkungen und Aufzeichnungen - darunter auch solche zu geplanten eigenen Werken – zu entziffern versuchte, was mir in manchen Fällen nicht ohne die Hilfe der Tochter Hofmannsthals, Christiane, gelungen wäre, schon weil mir die in österreichischen Schulen gelehrte Stenographie ganz fremd und unentzifferbar blieb. Damals faszinierte mich jede Einzelheit der weit schweifenden Lektüre Hofmannsthals und deren Verarbeitung in eigenen Werken, gerade weil es mir als Herausgeber von zwei Auswahlbänden und für die Einleitungen dazu um das Erfassen der Ganzheit des Schaffens Hofmannsthals ging, wobei ich alles scheinbar heterogene, vereinzelte oder sich widersprechende verknüpfen wollte und die untergründige Einheit suchte.
Man gelangt zu interessanten Ergebnissen, wenn man folgende Verse von Ludovico Ariosto genauer untersucht, die gleich zu Beginn des Werkes, fast als Auftakt des Romans, zitiert werden: "Oh quante sono incantatrici, oh quanti / incantator tra noi che non si sanno." Diese Verse stammen aus dem VIII. Gesang des Ritterepos "Orlando furioso", der besonders wichtig ist, da gerade hier der Held zum ersten Male vorgestellt wird. Eine weitere symbolische Bedeutung ist in diesem Gesang ebenfalls zu erkennen, denn gerade hier läßt der zitierte Zauber die Liebenden "la lor prima forma", d.h. ihr urprüngliches, wahres Antlitz zurückgewinnen. Berücksichtigt man auch die Tatsache, daß der Held bei seinem ersten Auftreten schon im Aufbruch begriffen ist, so kann behauptet werden, daß bereits an dieser Stelle das Thema der Bildungsreise eingeführt wird, die sich allmählich in Selbstsuche verwandeln wird. Parallelen zum "Andreas" beginnen somit schon ansatzweise sichtbar zu werden. Gerade bei seinem ersten Auftritt hat der Aufbruch des Helden Orlando nichts Zufälliges an sich, sondern weist schon auf die immanente Struktur des Werkes hin, wo jede einzelne Gestalt im Begriff ist, sich fortzubewegen, um vor jemandem zu fliehen oder um jemandem zu begegnen. Eine unaufhörliche Bewegung der Trennung und Vereinigung durchzieht das ganze Werk.
Jede Episode wird durch eine weitere aufgehoben; auf diese Weise erhält man den Eindruck einer unaufhaltsamen Mobilität, und während sich die ganze Darstellung ins Endlose ausweitet, weisen die einzelnen Geschehnisse einen fragmentarischen Charakter auf.
Ariosto selbst hat sein Werk nie als abgeschlossen betrachtet und daran immer wieder, bis zu seinem Tode - im Jahre 1533 - gearbeitet.
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrundegelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommenn davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
[…] denn bei den vielen Fehlern, mit denen mich
meine Vorfahren und das Schicksal ausgestattet
haben, habe ich vielleicht doch die Tugend der Treue
der Gefühle, einer unerschütterlichen Anhänglichkeit
an meine Freunde und eine Fähigkeit, nichts aus dem
Leben zu verlieren [...]
Heymel an Otto Vrieslander. Berlin, 22. Mai 1912
Hofmannsthals Aufsatzentwurf "Die neuen Dichtungen Gabriele d’Annunzio’s" aus dem Jahre 1898, der hier zum ersten Male abgedruckt ist, belegt anhaltendes Interesse und eine um die Jahrhundertwende noch einmal aufllammende Sympathie, die erst 1912 in offene Ablehnung umschlagen wird. Gegenstand des ersten Teiles "Zwei Verherrlichungen der Stadt Venedig", welcher als beinahe abgeschlossen gelten kann, ist ein Bändchen von D’Annunzio mit dem Titel "L’Alllegoria dell’ autunno" (1895). Hofmannsthal kaufte es auf seiner Italienreise 1898. Über welche Dichtungen er darüber hinaus noch schreiben wollte, ist nicht bekannt. Einer genaueren Rekonstruktion der Beziehung zwischen D’Annunzio und Hofmannsthal bis zu diesem Zeitpunkt gelten die folgenden Hinweise.
In ihren Memoiren "Mein Leben" schreibt Alma Mahler-Werfel über ihren ersten Mann Gustav Mahler:
Er war ein Zölibatär und fürchtete das Weib. Seine Angst, 'heruntergezogen' zu werden, war grenzenlos, und so mied er das Leben ... also das Weibliche!
In diesem Satz spiegeln sich die im Wien der Jahrhundertwende zirkulierenden Weiblichkeitstheorien. Da ist die große magische Chiffre der Zeit: das Leben, als eine untere, gefährliche Macht, der man erliegen kann. Da ist ferner der Dualismus, dessen vielfaltige Varianten das Denken der Zeit bestimmen: Geist und Leben, Sittlichkeit und Sinnlichkeit, Über-Ich. Es sind die Antipoden, in denen die Jahrhundertwende die überkommenen Prinzipien der Moral und den kulturellen Bestand der Tradition den natürlichen, triebhaften Kräften des Lebendigen entgegensetzt. Da werden schließlich diese Antipoden in einer räumlichen Opposition angeordnet und in einer simplen Gleichung auf die Geschlechter verteilt. Man könnte meinen, Almas Urteil über Mahler sei inspiriert von Otto Weiningers "Geschlecht und Charakter" von 1903, besonders von dessen Vorstellung, daß das Leben den Mann von seiner Pflicht, von der Befolgung des kategorischen Imperativs abhalten könne und daß dieses Leben im Weiblichen inkarniert sei; dieses führt nach Weininger ein seelenloses, rein triebhaftes Dasein und zieht den Mann herunter, sofern er nicht zölibatär - in Weiningers Terminologie "keusch" - lebt.
Am Anfang allen literarischen Sprechens steht eine Schwellenerfahrung: der Schritt aus der erlebten Welt, dem vorsprachlichen Ereignis, aber auch dem abgenutzten Alltagsdiskurs in den Raum des Textes, der zunächst ein Raum des Schweigens ist. Es scheint, als gewinne, je weiter der Prozeß der Moderne voran schreitet, diese Schwellenerfahrung zunehmend an Intensität und als wüchsen parallel hierzu die Schwierigkeiten auf seiten des Autors, den Raum des Schweigens mit der Sprache seines Textes zu füllen. Die Erfahrung der Schwelle kann so stark werden, daß der Schritt in den Text die Qualität eines mystischen Durchbruchserlebnisses gewinnt, so etwa bei Peter Handke: "da ist noch jedesmal neu und vielleicht sogar gesteigert, eine Schwelle zu überwinden, von der ich glaube, daß sie eine verbotene Pforte ist - nicht 'glaube', sondern von der ich empfinde. Was ich mir eigentlich nicht erklären kann." Wenn Handke im Fortgang des großen Gesprächs mit Herbert Gamper dennoch einen Eindruck von der Anstrengung zu vermitteln versucht, ...
"Meine Heimat habe ich behalten", schrieb der 52jährige Hofmannsthal 1926 an den Schweizer Diplomaten Carl Jakob Burckhardt, "aber Vaterland habe ich keins mehr, als Europa" - und er fügte hinzu: "ich muß dies fest erfassen, nur die Klarheit bewahrt vor langsamer Selbstzerstörung. " Selbstzerstörung meint: "den Rest [des] Lebens in unfruchtbarer Verbitterung" darüber zu verlieren, daß mit dem Zusammenbruch Österreichs so viel Erhaltenswertes und Bewahrenswertes vernichtet wurde. Das Kriegsende hatte Hofmannsthal tief erschüttert: "Welche Welt, in die wir geraten sind", schrieb er: "Das nackte Gebälk tritt hervor und zittert bis in die Grundfeste." In den Jahren, die folgten, wurde ihm zur Gewißheit, daß sich nicht nur die europäische Landkarte verändert hatte, sondern daß die politischen und sozialen Umwälzungen, die dem verlorenen Krieg gefolgt waren, eine neue geistige Fundierung des alten Kontinents erforderten. Unablässig bewegte ihn die Frage: Was kann politisch und kulturell den Weg in die Zukunft weisen? Die Antwort führte ihn immer wieder zu Europa. Die 'Idee Europa' wurde für ihn zum "umfassendsten und wichtigsten Begriff" seiner Existenz: "[...] ich sehe nicht, welcher der Ströme des wirklichen geistigen Lebens [...] nicht durch eine mutige und nüchterne Geistesoperation gezwungen werden könnte, in das Becken dieses großen Begriffes zu münden."
Rudolf Kassner schrieb in einem "Avis für die künftige Philologie Hofmannsthalscher Texte", der Dichter habe das Wort "Wirklichkeit ... fast nie" gebraucht: "Um so häufiger die Worte: Gebärde, Ton, Sprache, Leben ... ". Was hier als apercu ausgesprochen wird, hat inzwischen die Qualität methodischen Verfahrens gewonnen; eine kulturwissenschaftlich geöffnete Germanistik, die den Leibraum nicht nur dichterischer, sondern selbst diskursiver Texte anvisiert, wird gerade bei Hofmannsthal auf eine Prägnanz und zugleich auf einen Variantenreichtum von Gebärden stoßen, die, auch nach den Arbeiten von Mauser und Austin, weitere Erforschung lohnen. Bezieht man in die Lektüre nicht nur die abgeschlossenen Texte, sondern auch die im Rahmen der Kritischen Ausgabe vorgelegten Dramen- und Erzählungsfragmente ein, dann wird zudem deutlich, dass Hofmannsthal mit gestischen Mustern arbeitete, die in den unterschiedlichsten narrativen Kontexten eine gewisse Stabilität bewahren und sich damit für die Beantwortung der Frage, welche schriftstellerische Strategie denn eigentlich die auseinanderstrebenden Fragmente noch zusammenhält, geradezu anbieten. Aus der Vielzahl jener Muster soll im folgenden ein relativ elementares vorgestellt werden, das seine textstrukturierende Kraft über weite Teile des Werks verbreitet.
Im Jahr 1895 verherrlichte Annunzio bei irgend einem festlichen Anlaß die Stadt Venedig in einer Rede, die sich nicht mit den Reden vergleichen läßt, welche man bei ähnlichen Anlässen zu halten pflegt. Er gab dieser Rede, als sie später veröffentlicht wurde, die Überschrift: "Allegorie des Herbstes", und in der That bildet ihren Inhalt die Vision und Schilderung einer hochzeitlichen Vereinigung Venedigs mit dem Herbst. Man fühlt sich an jene frostigen Personificationen erinnert, an jene Kunstform, deren sich drei vergangene Jahrhunderte bis zur völligen Erschöpfung ihres Reizes, ja über die Grenze des Erträglichen bedienten.
Und wirklich scheinen sich die gewaltigsten visionären Augen und der kühnste an unerhörten Gleichnissen reichste Freund, den die lateinischen Völker im jetzigen Zeitraum besitzen, endgültig dieser majestätischen lateinischen Kunstform zugewandt zu haben: der gewaltigen, das gesammte Dasein umschließenden Allegorie, den prunkvoll hinrauschenden Triumphzug, der aus blendenden Gleichnissen aufgethürmten Ehrensäule. Seit einigen Jahren sehe ich kein Werk von ihm entstehen, das nicht dastünde wie eine Trophäe.
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrundegelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommenn davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Im Frühjahr 1900 verbrachte Hugo von Hofmannsthal einige Wochen in Paris. Der Aufenthalt in der französischen Metropole, die ganz im Zeichen der Weltausstellung stand, wurde für Hofmannsthal zu einer Phase dichter Erlebnisse und Begegnungen. Die hier gewonnenen Impulse schlugen sich in einer Flut von Einfallen nieder, deren Verflüchtigung Hofmannsthal nur mit Mühe vorbeugen konnte, wie es in einem Brief vom 19.1.1900 an Ria Schmujlow-Claassen heißt: Ich habe die Skizze von 4 oder 6 Erzählungen wie im Fieber hingeschrieben, ein Ballet entworfen, ein Vorspiel zur Antigone in Versen ausgeführt (für Berlin), von andern kleinen lyrischen Stücken ein Scenarium gemacht und sitze zwischen Trümmern, halbfestgehaltenen Gestalten, Details wie Rodin zwischen Gypshänden, Füßen und abgebrochenen Flügeln [ ... ]
Seine Rückkehr aus Paris kündigte Hofmannsthal in demselben Schreiben "auf einem Wagen voll Manuscripten im Mai" an. Zu den "Trümmern", die Hofmannsthal auf seinem 'Musenwagen' aus Paris mitbrachte, gehören die Bruchstücke eines "dreitheiligen Spiegels": die dramatischen Entwürfe "Leda und der Schwan", "Das Festspiel der Liebe" und "Der Besuch der Göttin", die gleichzeitig nebeneinander entstanden sind. Unter dem Titel "Spiele der Liebe u. des Lebens" sollten diese Dramen im letzten von drei geplanten Bänden mit Werken aus den Jahren 1889 und 1900 zusammengefaßt werden.
Auch hier beweget sich in reiner Luft
nachdenklich und ergriffene Gestalt:
allein sie hängt nicht bange am Bezirk
des Tempels, hebt den leichten Fuß hinweg
und wagt sich einsam in das starrende
befremdliche Gefilde und empor
und drängt tiefathmend, einsam, großen Strom
des schicksalvollen Aethers sich ins Herz.
H.H.
Im November 1992, vier Jahre nach dem Abschluß der Abteilung 'Gedichte' in der Kritischen Ausgabe Sämtlicher Werke Hugo von Hofmannsthals, erwarb das Freie Deutsche Hochstift ein Exemplar der Erstausgabe von Rudolf Alexander Schröders erstem Gedichtband: "Unmut. Ein Buch Gesänge", mit dem Druckvermerk: "Erschienen im Verlage der Insel bei Schuster & Loeffler. Berlin SW. 46 im Oktober 1899. Gedruckt in der Officin W. Drugulin in Leipzig". Auf das Vorsatzblatt schrieb Hofmannsthal das zitierte Gedicht und versah es mit seinen Initialen. Weitere Handschriften zu diesem Text sind nicht bekannt. Offenbar hat der Dichter Schröders Lyrikband verschenkt und ihn mit seinem eigenen Gedicht für den Empfänger kommentiert. Wer der Beschenkte gewesen ist, wissen wir nicht.
[...]
wie dünn ist alles Glück! ein seichtes Wasser:
Man muß sich niederknieen, daß es nur
bis an die Schultern reichen soll.
[...]
merk auf, merk auf! Einmal darf eine Frau
so sein, wie ich jetzt war, zwölf Wochen lang,
einmal darf sie so sein!
[...]
und Wangen haben, brennend wie die Sonne.
Hofmannsthal: "Die Frau im Fenster".
Dianora zu Braccio
Trotz aller seelischen Zwiespalte habe ich nie im Leben
ein stärkeres Lebensgefühl, eine wildere Lebensfreude,
ein größeres Bedürfnis, mich ganz und gar an alles
Schöne hinzugeben gefühlt, wie jetzt. Wie nahe stehen
einem in solchen Augenblicken die Verse der "Frau im
Fenster"! Man liest sie wie eigene hinaus geschrieene
Bekenntnisse.
Alfred Walter Heymel an Eberhard von Bodenhausen.
Berlin, 3. April 1912
Eine Notiz Hofmannsthals aus dem Jahr 1918 lautet:
Takt - den wunderbarsten Takt hat die Natur in ihrer unaufhörlichen Chiffernsprache, den Tieren. Die wundervolle Uebereinstimmung bei einem Reh zwischen der Intellektualität, der horchenden neugierigen Weise, der bestimmten Geschlechtlichkeit, der Aufmerksamkeit auf alles - der Abstand vom Reh zum hinbrütenden Raubtier - die Singvögel, die unaufhörliche Sprache, dies sich Hergeben in der kleinen Geschäftigkeit, die Unsichtbarkeit des Geschlechtes.
1921 zeichnet er auf:
Tiere haben mit dem Menschen das Werk gemeinsam, aber die Rede und die Tat, diese beiden Magieen sind dem Menschen vorbehalten.
Diese beiden Bestimmungen, einmal der Eigenart der einzelnen Tier-Chiffern, einmal dem Verhältnis von Mensch und Tier geltend, sollen Orientierungshilfen bieten bei dem Versuch, die Besonderheit der Tierbilder innerhalb von Hofmannsthals poetischer Zeichensprache zu erfassen. Der Versuch ist nicht einfach.
Im Frühwerk Hugo von Hofmannsthals folgen die dramatischen Revenants einander dicht auf dem Fuße. Totentänze, Moralitäten, Lehrgedichte, platonische Dialoge - Formen vorbürgerlicher Theaterkunst, mit dem Odium des Undramatischen sämtlich behaftet, wagen sich nach langem Schweigen wieder auf die Bühne. Wiederbelebt gehen sie aus dem dramatischen Laboratorium eines frühreifen Alchimisten hervor und fordern flüchtige Aufmerksamkeit dort, wo der feste hölzerne Halt des großen Dramas zu schwanken begann. In der Reihe der poetischen Wiedergänger ist dem "Prolog", oder, in unscharfer Trennung von diesem, dem "Vorspiel" ein nicht geringer Platz angewiesen. Eigenen und fremden Stücken setzt Hofmannsthal einleitende, einstimmende Verse voran, Prologe und Vorspiele erweisen sich als irreduzible Bestandteile seiner Dramatik. So ist das Fragment »Der Tod des Tizian«, so sind "Der Tor und der Tod", "Die Frau am Fenster" mit einem poetischen Vorspann ausgestattet, so wird Schnitzlers "Anatol" eine sanfte Ouverture vorangestellt, so werden Pagen, Studenten und Dramaturgen mit einer Rede an das Publikum beauftragt und die Aufführungen griechischer Tragiker und Komödiendichter mit einem prologischen Kommentar versehen.
Hofmannsthals vielleicht dunkelste Verse, in ihrem Wortlaut auf vielerlei Weise verstanden und mißverstanden, enthalten doch eines, das nicht widerleglich ist: die Gebärde des Spätgeborenen, der nimmt und vergeudet, in dessen Händen das Überlieferte flüssig wird und sich in neuer Fülle verströmt. Dies gilt für Themen und Motive des kulturellen Erbes, dies gilt vielleicht noch mehr für die Traditionen der Gattungen, die in HofmannsthaIs Werk noch einmal aufleben. Der Einakter als literarische Form ist kein nationales, er ist ein europäisches Phänomen. Vielleicht gibt es keinen Autor der Jahrhundertwende, dem diese Tradition verfügbarer wäre als gerade Hugo von Hofmannsthal: die spanische Welt des Theaters und seiner Entreméses aus dem Goldenen Zeitalter, die französische Überlieferung von Rousseau über Musset und Carmontelle bis zu Mallarme und zu dem Flamen Maeterlinck, die englischen wie die italienischen Quellen - sie flossen für den jungen Österreicher gleichermaßen, wie ihm gleichermaßen auch die Zeugen der großen musikdramatischen Überlieferung gegenwärtig waren. Alle diese Elemente sind es, die, aus fremden Händen in seine übergehend, sich an die neue Form verschwenden, mit der er auf die Wahrnehmungskrise der Jahrhundertwende schreibend und verwandelnd reagiert: an den Einakter in seiner wiedererstandenen Gestalt als 'lyrisches Drama'.
Mit den Worten: "Die Zeit ist auf der Flucht" charakterisiert Ernst Moritz Arndt 1807 den 'Geist der Zeit'. Er diagnostiziert damit zugleich ein Welt- und Lebensgefühl, das zur bestimmenden Signatur der Moderne werden sollte; neue, immer schnellere Verkehrsmittel, die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts und der Lebensrhythmus der modernen Metropolen führen zur Allgegenwart des 'Prinzips vitesse'. Wenn sich Marcel Proust in der Figur seines Erzählers am Ende eines geschwindigkeitsbesessenen (oder auch: geschwindigkeitsgeschädigten) Zeitalters auf die Suche nach der verlorenen Zeit macht, wirft dieser Schreib-Vorgang ein bezeichnendes Licht auf das Phänomen der Modernität. Müsste sich nicht auch die Kunst im Prozess der Geschwindigkeit auflösen und das Schicksal der Moderne teilen, mit der Zeit unmodern werden? Prousts Antwort ist hier nicht unser Thema; ihr Problemhorizont aber bestimmt das Verhältnis der Moderne zur flüchtenden Zeit.
Primärtexte Hofmannsthals und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrundegelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt.
Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefallen aufgenommen.