830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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"Oft sagte er aus dieser Stimmung heraus: Unser Gespräch mit Franzosen bleibt doch immer das Bankett des Fuchses mit dem Storch - ewiges Mißverständnis".
Die Quelle dieses von Hofmannsthal - laut Zeugnis von C. J. Burckhardt - häufig zitierten Vergleichs der Deutschen und Franzosen mit dem Verhältnis der beiden Tiere zueinander ist bekannt; es ist die Fabel La Fontaines: "Le Renard et la Cigogne", die ihrerseits auf Äsop und Phaedrus zurückgeht. Weniger bekannt ist dagegen, daß Hofmannsthal die Fabel nicht als erster auf die beiden Völker bezogen hat, sondern daß er den Vergleich bereits bei Madame de Staël und bei Goethe vorfinden konnte. Es ist reizvoll, die jeweiligen Ausführungen miteinander zu konfrontieren und an der unterschiedlichen Akzentuierung des Vergleichs nicht nur die kulturellen Positionen der Autoren abzulesen, sondern zugleich verschiedene Spielarten des Fremdverstehens kennenzulernen.
Man täusche sich nicht über den Grundcharakter des "Buchs der Freunde". Wir lesen in ihm und glauben zunächst, locker aufeinanderfolgende Fragmente vor uns zu haben. Der Briefwechsel mit der an der Herausgabe beteiligten Katharina Kippenberg deutet darauf, daß Hofmannsthal ihr bei der Zusammenstellung die größte Freiheit gewährt hat. Dabei scheint eine offene, von Goethes "Maximen und Reflexionen" oder von Novalis' Fragmenten beeinflußte Gesinnung gewaltet zu haben. Die vier von Hofmannsthal bestimmten Unterabteilungen halten sich bewußt an sehr allgemeine Definitionen. Je länger man sich indes mit den einzelnen Texten einläßt, um so entschiedener muß man sich von der Vorstellung lösen, man habe es hier mit einer improvisierten Textsammlung zu tun. Die vielen aus größeren Zusammenhängen herausgebrochenen Zitate könnten auf Fragmentarität schließen lassen. In Wahrheit eignet ihnen eine Konsistenz, die sich von den in ihrer Ganzheit zitierten abgerundeten Aphorismen oder von Hofmannsthals originalen Formulierungen in nichts unterscheidet. Wer hier Unfertiges, Provisorisches, Zufälliges erwartet, wird sogleich eines Besseren belehrt. Viele dieser Texte sind in ihrer Form und in ihrem Inhalt einer Lebens- und Kunstlehre verpflichtet, die von großer Strenge und Entschiedenheit zeugt. Wo immer man einzelne Beispiele herausgreift, vernimmt man aus ihnen eine Richtlinie, die durch Abweisung und Festlegung eine deutliche Wertvorstellung einprägt, die sich von der Folie moderner Unsicherheit im Benehmen, Fühlen und Denken abhebt.
Hugo von Hofmannsthal und Julius Meier-Graefe : Briefwechsel / herausgegeben von Ursula Renner
(1996)
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrundegelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommenn davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Obwohl Fragment geblieben, steht der "Andreas" im Zentrum von Hofmannsthals Schaffen. Um die Bedeutung und den fragmentarischen Status des "Andreas" zu erklären, ist ein Blick auf seine Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte unerläßlich.
Hofmannsthal arbeitete an seinem Romanprojekt "Andreas" zwischen 1907 und 1927. Circa 500 Manuskriptseiten umfaßt der "Andreas" im Nachlaß Hofmannsthals. Davon entfallen annähernd 100 Seiten auf den relativ geschlossenen Hauptentwurf von 1912/13, - er wurde postum, im Jahre 1930, unter dem Titel "Andreas oder die Vereinigten" erstmals veröffentlicht - der Rest verteilt sich auf insgesamt knapp 400 Entwürfe, Skizzen, Notizen und Exzerpte.
Hofmannsthals Fragmente sollen hier nicht nach Grenzen und Gründen ihres Status abgesteckt werden. Die Beleuchtung einer "Ästhetik des Fragmentarischen" wirft ihr Licht wohl weniger auf die sogenannten Fragmente Hofmannsthals als auf den Teil seines oeuvres, den man als das vermeintliche Werk von den Fragmenten abzusetzen pflegt. Damit hängt zusammen, daß von einer Ästhetik des Fragmentarischen wohl nur in Verbindung mit einer Ethik des Fragmentarischen im Werk Hofmannsthals die Rede sein kann. Es geht daher auch um die Ortung einer fragmentarischen Identität bei Hofmannsthal. Die Gründe für eine solche, vielleicht paradox anmutende Umschreibung vom Ästhetischen zur Ethik, vom Fragment zum Werk scheinen gerade aufgrund auch editorischer Erfahrungen im Umgang mit Hofmannsthal gerechtfertigt: Es ist zunächst die zwar angesichts der großen Torsi wie "Andreas", "Silvia im 'Stern'", "Timon" oder "Kaiser Phokas" verständliche Frage nach den Gründen für den Abbruch der Arbeit, aber dann gerade ihre immer nur unbefriedigend - kann man sagen: unvollständig? - ausfallende Antwort, die zu einer resignativen Einstellung führt. Im Fall des "Andreas"-Romans, um hier das wertvollste aller Fragmente stellvertretend anzuführen, sind schon von den ersten Lesern die unterschiedlichsten Versuche unternommen worden, den Abbruch, die Brüchigkeit durch eine eindeutige Antwort zu glätten und damit den Fragmentcharakter zu nivellieren.
Dem kürzlich von Werner Volke an dieser Stelle veröffentlichten Briefwechsel zwischen Hugo von Hofmannsthal und Alfred Walther Heymel (Teil I) kann man einen ersten Hinweis auf die Beschäftigung mit einem Gegenstand entnehmen, der Hofmannsthal offensichtlich sehr am Herzen lag. Am 28. August 1905 läßt er den Freund wissen:
Ich lese den 23ten November in einem 'Künstler-Verein' den Leuten einiges von meinen Arbeiten. Tags vorher möchte ich im Saal eines Herrn Leuwer der sich mir durch Nennung Deines Namens empfahl, vor einem kleinen Kreis über ein Thema sprechen, das mich interessiert: nämlich über die Stellung der Dichter unter den Leuten in dieser unserer Zeit. (HJb 1, 51).
Einen Monat später, am 26. September 1905, bietet er das Thema, nun etwas abgewandelt, Oscar Bie für die "Neue Rundschau" an: "[ ... ] zeigen Sie, bitte, wenn Sie wollen, einen Aufsatz an: Der Dichter und diese Zeit. Zu dem Aufsatz dieses Titels hab' ich ein starkes Material liegen [ ... ]" (B II 216). Allerdings, stellt er fest: "Ob ich das aber fertig bringe? Es vor Dezember zu schreiben, ist absolut ausgeschlossen." (Ebd.) Die Niederschrift erwies sich als langwierig und mühevoll, der Vortrag - unter dem Titel "Der Dichter und diese Zeit" - wurde erst ein Jahr später gehalten, der Druck in der "Neuen Rundschau" erfolgte im März 1907.
Hofmannsthal und Majakowskij. Hofmannsthal und Picasso. Hofmannsthal und Malewitsch. Hofmannsthal und Beuys. - Was Hofmannsthal seinem Chandosbrief nachgerufen hatte - "fernes Fremdes als nah verwandt spüren zu machen" (BW Andrian 161) -, kann als Leitsatz gelten für den vorliegenden Beitrag, der Hofmannsthal mit Namen in Verbindung bringt, von denen man bisher ziemlich genau wußte, wie wenig sie mit diesem Dichter zu tun haben.
Alban Berg begann seine kompositorische Laufbahn als Komponist von Klavierliedern, die Teil einer quantitativ frappierenden Liedproduktion im Wien der Jahrhundertwende sind: Das Klavierlied hatte zu dieser Zeit in Wien schon eine lange, vor Franz Schubert beginnende Gattungstradition und erlebte als Gattung von besonderer Lokalbedeutung nun einen späten, abschließenden Höhepunkt. Kaum ein Oeuvre eines in Wien lebenden Komponisten dieser Zeit zeigt nicht die Anziehungskraft eines musikalischen Lyrismus. Das gilt für Wilhelm Kienzl, Julius Bittner, Carl Lafite, Joseph Marx ebenso wie für Franz Schreker, Alexander von Zemlinsky, Arnold Schönberg, Alban Berg, Anton von Webern sowie für die beiden bedeutendsten Lied-Komponisten dieser Zeit - Hugo Wolf und Gustav Mahler. Ihre Liedkompositionen markieren zugleich einen zweifachen gattungsgeschichtlichen Wendepunkt, denn war Wolf der letzte, in dessen Schaffen das Klavierlied zwar noch einen alles dominierenden Rang einnahm, sich aber endgültig vom bis dahin gültigen Strophenlied-Modell ablöste und zum Deklamationslied entwickelte, so führte Mahlers Entwicklung von frühen, späterhin orchestrierten Klavierliedern zum Orchestergesang und zur Synthese zwischen Lied und Symphonik.