830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Rezension zu Karl Gutzkow. Maha Guru. Geschichte eines Gottes. Hg. Richard J. Kavanagh. Münster: Oktober Verlag, 2020 (Gutzkows Werke und Briefe. Kommentierte digitale Gesamtausgabe. Hg. Editionsprojekt Karl Gutzkow. Abteilung I: Erzählerische Werke, Bd. 2).
Karl Gutzkow. Ueber Göthe im Wendepunkte zweier Jahrhunderte. Mit weiteren Texten Gutzkows zur Goethe-Rezeption im 19. Jahrhundert. Hg. Madleen Podewski. Münster: Oktober Verlag,2019 (Gutzkows Werke und Briefe. Kommentierte digitale Gesamtausgabe. Hg. Editionsprojekt Karl Gutzkow. Abteilung IV: Schriften zur Literatur und zum Theater, Bd. 3).
Karl Gutzkow. Kleine autobiographische Schriften und Memorabilien. Hg. Wolfgang Rasch. Münster: Oktober Verlag, 2018 (Gutzkows Werke und Briefe. Kommentierte digitale Gesamtausgabe. Hg. Editionsprojekt Karl Gutzkow. Abteilung VII: Autobiographische Schriften, Bd. 3).
Samuel Lovers Text "The curse of Kishogue" spielt für Sealsfield und die Konzeption seines Romans "Das Kajütenbuch" eine von der Forschung bislang unbeachtet einflussreiche Rolle. Daher sind die folgenden Resultate der Analyse für des Romans Verständnis zukünftig von Bedeutung: Übernahme epischer Konstituenten [...], Einfügung ins Romankonzept [...], Reduzierung des politischen Potentials [...], Textmengenerweiterung und inhaltliche Veränderung [...] Die produktionsästhetischen Voraussetzungen sind von den rezeptionsgeschichtlichen nicht zu trennen. Die Forschung hat zukünftig davon auszugehen, dass die Übernahme zahlreicher Erzählkonstituenten des Vorbildtextes "Der Fluch des Kishogue" die Romankonzeption maßgeblich geprägt hat und die Übernahme des eigentlichen Textes "Der Fluch des Kishogue" als dritte Binnenerzählung als ein unrechtmäßig vollzogenes Übersetzungsplagiat im engeren Sinne der Definition zu bezeichnen ist. Diese Einschätzung gewinnt zusätzlich an Plausibilität dadurch, dass die "Kishogue"-Erzählung aus der eigentlich umfangreicheren Gesamterzählung unter demselben Titel und dem politischen Kontext herausgenommen, in einen anderen Kontext, den des Romans, eingefügt worden ist, dadurch intertextuell eine politisch abgeschwächte Bedeutung als Unterhaltungsbeitrag gewonnen, was wiederum zum internationalen Erfolg des Romans beigetragen hat.
Der Zug der republikanischen Deutschen demokratischen Legion aus Paris im Frühjahr 1848 in das aufständische Baden und ihre Zerschlagung bei Dossenbach waren unzweifelhaft eine Gelenkstelle im Leben ihres Präsidenten, des Dichters Georg Herwegh (1817-1875). [...] Ob tatsächlich "Verrat" die zentrale Rolle bei der Niederlage der Legion spielte, wie Georg Herwegh in seinem Brief von 1870 verbittert behauptet und wie es auch Stephan Reinhardt in der jüngsten Herwegh-Biographie wieder übernimmt, das war die Frage, die sich dem Verfasser dieses Aufsatzes stellte. Daraufhin vorgenommene Recherchen führten zu gedruckten, inzwischen digitalisierten, bisher übersehenen Materialien zur Legion. Diese sind in den für das juristische Tagesgeschäft gedachten "Annalen der Großherzoglich Badischen Gerichte" zu finden. Es handelt sich um die breit unterfütterten Anklageschriften "wegen Hochverraths" gegen Adelbert von Bornstedt (1807-1851), den zentralen Aktivisten der Pariser Legion, und gegen Joseph Fickler (1808-1865), umtriebiger Demokrat und Redakteur der radikalen "Seeblätter" in Konstanz. In den Anklageschriften sind zwei konspirative Briefe - von Herwegh und Bornstedt an Fickler sowie dessen Antwort darauf - zur Planung einer republikanischen Erhebung von besonderem Interesse, und Briefe von Georg und Emma Herwegh vom Abend des Gefechts bei Dossenbach geben Einblicke in das Geschehen und verdeutlichen die Stimmung nach dem Kampf und gelungener Flucht. Während die Briefe zwischen Herwegh/Bornstedt und Fickler zur Aktions-Strategie aus dem Gerichtsverfahren heraus eine gewisse öffentliche Wahrnehmung fanden, blieben die stark von Emotionen und subjektiven Einschätzungen geprägten Briefe von Georg und Emma Herwegh unbeachtet. "Eine detaillierte Untersuchung zur Geschichte der Deutschen demokratischen Legion, die vorhandenes Aktenmaterial umfassend auswertet, existiert nicht." Das stellte Ingo Fellrath 1999 fest, und das gilt bis heute. [...] Die gegebene Forschungs-Lücke lässt sich gerade angesichts des Umfangs der vorhandenen Akten nicht auf die Schnelle füllen. Selbst eine Suche nach den Originalen der gedruckt in den Gerichts-Annalen gefundenen Briefe ist mit vertretbarem Aufwand kaum zu leisten.Dennoch sollen diese mitten aus dem Geschehen um die Legion stammenden Schreiben nach der greifbaren Quelle im Wortlaut vorgestellt und um einige weitere Materialen und Hinweise ergänzt werden. Im Rahmen einer inhaltlichen Einbettung und Kommentierung dieser Materialien werden einige Untersuchungsaspekte besonders in den Blick genommen. Dazu gehören die unterschiedlichen Republikanisierungs-Konzepte bei Herwegh und Fickler, Fragen von Gewaltanwendung und Todesbereitschaft sowie das Verhältnis des Freiheits-Dichters Herwegh zu Freunden und Gegnern und zum - manchmal recht eigenwilligen - "Volk". Letztlich geht es auch um das Verhältnis zwischen Revolution und Emotion.
Gegenstand des vorliegenden Aufsatzes ist es, einige Aspekte des Versuchs, den in Deutschland neu geprägten Begriff der "Ästhetik" nach Frankreich zu importieren, in der Zeit um 1850 zu beleuchten, einer Periode, in der die Ästhetik sich als philosophische Wissenschaft in Frankreich allmählich etabliert. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts stieß der Begriff "esthétique", der als direkte Übersetzung des deutschen Wortes "Ästhetik" geprägt wurde, auf zähen Widerstand. Schon ein schneller Blick auf die Wortgeschichte zeugt von dieser Resistenz. Zwar tauchte der Terminus "esthétique" bereits 1753 auf, aber dieser erste Beleg, der im Werk des französischsprachigen Mitglieds der Berliner Akademie der Wissenschaften Louis de Beausobre erschien, blieb lange Zeit isoliert und ohne Widerhall. In der "Encyclopédie" von Diderot und d'Alembert ist bezeichnenderweise unter "esthétique" kein Eintrag zu finden. Erst in zwei Nachbildungen der "Encyclopédie" - in die "Encyclopédie d'Yverdon" von Fortunato Bartolomeo de Felice und ins "Supplément à l'Encyclopédie" von Charles-Joseph Panckoucke - wurde ein solcher Artikel eingeführt. Dieser Importversuch blieb aber bis Anfang des 19. Jahrhunderts so gut wie folgenlos. 1835 wurde das Lemma zum ersten Mal in der sechsten Ausgabe des "Dictionnaire de l'Académie Française" aufgenommen. Den ersten wichtigen Beleg für einen regelrechten Einbürgerungsversuch liefert aber erst der zweite Band des "Dictionnaire des sciences philosophiques" von 1845. Dort ist ein Eintrag zur "esthétique" zu finden, der von Charles Bénard gezeichnet ist. Damit wurde dem Wort "esthétique" in der Sprache der französischen Philosophie sozusagen sein erster Taufschein erstellt. Wer genau war der Autor dieses langen Artikels und was hat ihn veranlasst, einen solchen Eintrag zu schreiben? Wie konnte die Ästhetik als besonderes Teilgebiet der Philosophie um 1850 neue Befürworter finden? Auf welche Hindernisse stießen ihre Fürsprecher? Auf diese Fragen sollen im Folgenden einige Antworten skizziert werden.
Wie lässt sich die Dramenkonstellation bewerten und einordnen? Hat man es mit der "Melodramatik bizarrer Exaltationsakte" zu tun? Oder mit einem Fortschreiben von "Büchners Radikalisierungsprogramm der Sozialkritik"? Oder mit "Anklängen ans Schicksalsdrama"? In der Tat: Das Stück bezeugt ein Katastrophenwachstum, wirkt pantragisch. Dieser Einakter lebt von einer Dramaturgie, die schnörkellos ins Ziel geht. Von vorn herein ist das Stück fünfter Akt. Die Katastrophe, die soziale Katastrophe, scheint vorprogrammiert. Dabei fließen verschiedene Traditionsstränge ineinander. Motivgeschichtlich geht es um das Hiob-Motiv, um das des Bettlers, um Verkennung und Wiedererkennung, um einen Vater-Sohn Konflikt, um den 'unbekannten Gegner', um Geschwisterliebe. Literargeschichtlich kombiniert das Stück aufklärerische Ansätze einer Ästhetik des Hässlichen mit Ideen-, Sprach- und Pathoselementen des Sturm-und-Drang. Ebenso schließt es sich mit seinen pessimistischen Zuspitzungen an die Schauerromantik und die Neuerungen der Schicksalstragödie an. Ebenso klingt ein Byron'scher wie jungdeutscher Zerrissenheits- und Rebellionsgestus an. Sozialgeschichtlich gesehen, bildet die 'soziale Frage' den inhaltlichen Kern. Was schauerdramatisch stilisiert wirkt, ist realistisch. Das Stück erweist sich bis in konkrete vermeintlich schauerdramatische Details hinein als ungeschminkte Sozialchronik und packende Sozialanklage gleichermaßen.[...] Die Tendenz des Stücks ist sozialkritisch und kirchenkritisch - und es zeigt unverkennbar Tendenzen von religiös-christlicher Weltverneinung. Diese Weltverneinung ist aber keine traditionell-pietistische, die erstens weiß, dass in jedem Fall eine schönere und bessere Welt wartet, und zweitens mit dem Verweis auf das bessere Jenseits das weniger bessere Diesseits stets noch zu meistern vermag. Sie basiert nicht auf der Intensivierung angelernter christlicher Gewissheiten, sondern auf dem Wanken dieser Gewissheiten. Es ist eine moderne, eine existentialistisch anmutende Weltverneinung. Nicht weil das Jenseits und weil das Gottesreich so verlockend wären, erscheinen sie als einziger Ausweg. Sie erscheinen als einziger Ausweg allein deshalb, weil das Irdische grundsätzlich pervertiert ist. In dieser Diagnose der Verderbtheit des Irdischen überschneiden sich, so scheint es, mindestens drei verschiedene Diskurse: erstens ein anthropologisch-geschichtstheoretischer Sündenfalldiskurs, der die menschliche Geschichte per se als Abweg vom göttlichen Schöpfungsplan ansieht, zweitens ein anti-institutioneller und staats- und kirchenkritischer, der wahre Moral und wahre Religion den pervertierten Institutionen von Staat und Kirche entgegensetzt, und drittens ein sozialkritischer, der Armut und Elend der Moderne vehement anprangert. Ob dieses soziale Elend von Wiese in gewisser Weise effektvoll funktionalisiert wird oder ob es tatsächlich Movens seines Einakters war, ist schwer auszumitteln. In jedem Fall wird sein Sozialdrama situiert in einem Geflecht religiöser Verstörung. Denn mit dem Zweifel an dem Irdischen wächst der am Überirdischen. Die Akteure, geworfen in Grenzsituationen wie Krankheit, Schuld und Tod, stellen auf ihre Weise Sinnfragen höchsten Ranges. Antworten finden sie nicht, und es bleibt bei wachsender Skepsis, gar Angst und Verzweiflung.
Landes vertritt die These, im Vormärz habe es keine kontinuierliche Entwicklung oppositioneller Kunst gegeben. Vielmehr hätten sich "die bildenden Künste im Schoß der Akademien auf der einen und die Tagespolitik auf der anderen Seite zuvor weitestgehend berührungslos entwickelt", so dass "Genre und Zeitgeschichte […] unvermittelt aufeinander[trafen]". Hübners Gemälde schreibt sie eine Schlüsselrolle zu, das als "eine Ikone für die untragbaren Zustände im Weberhandwerk des Vormärz" Eingang in die Geschichtsbücher gefunden habe. Während Landes überzeugt ist, derartige "sozialthematischen" Genrebilder seien "aus dem Moment geboren [und] entbehrten jeder ästhetischen Zielsetzung", werde ich in einer exemplarischen Fallstudie nachweisen, dass Hübners Weberbild sehr wohl in einer langjährigen ästhetischen Tradition steht, und zwar in jener der sozialkritischen Historienmalerei. Ich werde im Folgenden untersuchen, inwieweit Carl Friedrich Lessings Methode, die Ikonographie der Heiligenmalerei aufzugreifen und diese in seinen Historienbildern ironisch zu brechen, sich auch in diesem Werk findet. Im Jahr, als Hübner das Weberbild fertigte, fand zugleich die Wallfahrt zum Heiligen Rock nach Trier statt. Werden uns im Weberbild die skandalösen Produktionsverhältnisse vor Augen geführt, unter denen heilige und unheilige Röcke anno 1844 produziert wurden? Ist womöglich die Parodie auf die Kunst der "Nazarener", die in dem Bild zuweilen gesehen wird, mit einer inhaltlichen Aussage verknüpft? Ins Zentrum meiner Untersuchung stelle ich die Bildbetrachtung. Einzelne Bildaspekte setzte ich dabei in Beziehung zu zeitgenössischen Rezensionen und ästhetischen Reflexionen, insbesondere zu jenen in Hermann Püttmanns 1839 erschienener Schrift "Die Düsseldorfer Malerschule und ihre Leistungen seit der Errichtung des Kunstvereins im Jahre 1829. Ein Beitrag zur modernen Kunstgeschichte". Vorangestellt habe ich Zitate aus zeitgenössischen Reflexionen zur Ästhetik, um den Düsseldorfer Vormärzkontext, in dem das Bild entstand, auszuleuchten.
Zur Affinität des Sehens : neue Tendenzen einer visuellen Ästhetik in Adalbert Stifters "Haidedorf"
(2020)
Zum Ende des 18. Jahrhunderts setzt in der Literatur- und Kunstproduktion eine neue, visuell motivierte Tendenz ein: Die Affinität des Sehens. [...] Optische (Bild-)Effekte sind insbesondere bei Adalbert Stifter zugegen - und spiegeln seine Tätigkeit als Maler und Schriftsteller. [...] Stifter kombiniert seinen realistischen Anspruch mit wissenschaftlichen Kenntnissen und liefert zugleich ein ästhetisches Konzept der Naturschilderung. Um dieses Phänomen zu ergründen, liegt eine Untersuchung der Novelle "Das Haidedorf" nahe, die als dritte Erzählung im ersten Band der gesammelten "Studien" (1844) erschien. Da die Buchfassung von der früheren Journalfassung (1840) abweicht, ist ein vergleichender Blick angezeigt. Ferner ist das bildkünstlerische Schaffen des Schriftstellers zu beachten, das den Detailrealismus in Form von Studien, Gemälden und Zeichnungen vorgibt. In der Synopse der beiden Textvarianten soll die visuelle Ästhetik, speziell die Affinität des Sehens, neu konturiert und erarbeitet werden. Ergänzend wird eine Analyse der gemalten "Felsstudie" (1840) vorgenommen, die stilistische Parallelen zum Erzähltext hat. "Das Haidedorf" öffnet nicht nur die Sicht auf akribisch erfasste Naturphänomene und -bilder, sondern formt überdies eine Allegorie auf die Dichtung. Dichtung und (bildende) Kunst treten so in ein striktes Verhältnis: Während der Protagonist und Poet als Repräsentant für die Dichtung fungiert, nutzt der Text typische Strategien des bildenden Künstlers. In der Journalfassung tritt das "Motiv der Berufung zum Propheten und Dichter" markanter hervor. Zur "Heimat der Poesie" wird schließlich die schwäbische Heide, obschon ihr die Figur für einen längeren Aufenthalt im Orient fernbleibt. Diese Alteritätserfahrung verändert das figurale Befinden und somit auch das Verhältnis zur Landschaft. Die Novelle entwirft ein ästhetisches Paradigma, das die optische Wirkung der Handlung auf verschiedenen Ebenen darstellt. Dieser Beitrag soll die prägnanten Tendenzen der visuellen Ästhetik aufspüren, an Stifters Beispielen dokumentieren und synoptisch zusammenführen.
In diesem Beitrag möchte ich mich auf zwei Texte beschränken, an denen die Parameter einer Ästhetik des Niederen eruiert werden sollen: Georg Büchners "Woyzeck" (entstanden 1836/37) und Annette von Droste-Hülshoffs "Die Judenbuche" (1842). Bei Büchner und Droste-Hülshoff handelt es sich um Literaturschaffende, die traditionell unterschiedlichen Polen des literarischen Feldes - der sozialkritisch-engagierten und der sogenannten 'Biedermeier'-Literatur - zugeordnet werden, deren Werk sich allerdings gleichsam durch eine literaturhistorische Uneindeutigkeit auszeichnet. Wie von der Forschung zunehmend herausgestellt worden ist, weist Büchners und Droste-Hülshoffs Schaffen eine die epochalen Grenzziehungen überschreitende Modernität auf: Büchners "Abgesang auf die Illusionen des Idealismus mit seinem Glauben an die Geschichte, das historische Subjekt, die Vernunft und den Fortschritt" steht diametral zum Selbstverständnis der Vormärz-Literatur, durch Agitation und Intervention die Veränderung der Gesellschaft herbeizuführen, weshalb in dem Autor immer wieder "mentalitätsgeschichtlich, aber auch in der Prägnanz seiner sprachlichen Bilder ein Vorläufer der Moderne" gesehen wird. Gleichfalls haben neuere Forschungsansätze gegen das Klischee der konservativen Heimatdichterin für Droste-Hülshoffs Werk "Charakteristika einer Modernität [herausgearbeitet], wie sie dann vor allem mit der Klassischen Moderne in Verbindung stehen, […] Selbstreflexivität, Identitäts- und Sprachkrise, Avantgardismus in der Form, Subjektivierung, Psychologisierung, Relativierung, Differenzierung." Die Ko-Lektüre der beiden Texte vermag also zum einen ästhetische "Nähe- und Distanzverhältnisse" zwischen zwei Literaturschaffenden zutage zu fördern, die in der Forschung selten zusammengebracht werden, und so einen Raum für die Neuverhandlung der traditionellen literaturgeschichtlichen Klassifikationen ihres Werks zu schaffen; zum anderen regt der Blick auf das 'unzeitgemäße' Autorenduo zu einer Neubewertung des literaturhistorischen Orts und des Modernitätscharakters der Literatur zwischen Goethezeit und Realismus an. Dahingehend werden im Weiteren "Woyzeck" und "Die Judenbuche" im Hinblick auf unterschiedliche Merkmale, die eine Ästhetik des Niederen begründen, untersucht. Dieser Merkmalskatalog soll auf der Grundlage von Erich Auerbachs Studie "Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur" (1946) erstellt werden. Auerbachs Darlegungen zur Geschichte des Realismus in der abendländischen Literatur liefern dem Erkenntnisinteresse dieses Beitrags konzeptuelle Impulse und sollen der literaturhistorischen Verortung der Ästhetik des Niederen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch mehr Schärfe verleihen.
Annette von Droste-Hülshoff hat neben ihren zu Lebzeiten erschienenen literarischen Hauptwerken keine explizit poetologischen Schriften hinterlassen. Dieser Befund überrascht bei einer Autorin, deren Gedichte und Prosatexte in hohem Maße selbstreflexiv sind. Eine mögliche Begründung dafür, dass diese konzeptionelle Energie nicht in eine individuelle Poetik mündete, kann sich auf kulturhistorische und biographische Argumente stützen. [...] Sich auf dem Literaturmarkt mit programmatischen Schriften oder literaturkritischen Zeitschriftenbeiträgen zu positionieren, wäre für Annette von Droste-Hülshoff undenkbar gewesen. Dem Verbot zum Trotz ließ sie sich allerdings nicht davon abhalten, alle verfügbaren Journale zu lesen und sich akribisch in Diskurs und Regularien zeitgemäßer Kritik einzuarbeiten. Daraus folgten verschiedene Strategien der Camouflage und des Versteckspiels, um die gewonnenen Fertigkeiten insgeheim und in gleichsam unverdächtigen Medien zu erproben: Poetologische Reflexionen liegen subkutan in Gedichten verborgen, die oberflächlich gelesen von der westfälischen Landschaft oder einer fragilen weiblichen Identität handeln, Spurenelemente verbotener Literaturkritik finden sich in den Briefen an Schücking und Elise Rüdiger. Wenn sich die Autorin nämlich, selten genug, in Briefen und Gedichten explizit über Poesie äußert, dann überrascht sie mit denkbar schlichten und dem eigenen Modernitätsanspruch kaum angemessenen Formulierungen. [...] Das sind Ungereimtheiten, die ich in diesem Beitrag zu erklären versuche. Sowohl die erste Beobachtung, dass Droste poetologische Äußerungen versteckt, als auch die zweite, dass die bestens und aktuell informierte Autorin mitunter zu solch anachronistisch anmutenden Formeln wie den oben zitierten greift, möchte ich vor dem Hintergrund ihrer kritischen Zeitgenossenschaft diskutieren. Meine Hypothese ist, dass das Spannungsfeld in Drostes Texten kontextuellen Spannungsfeldern korreliert und zu ihnen in ein Abbild- und Reflexionsverhältnis tritt. So, nämlich kontextbezogen und als Verhältnisbestimmung gesehen, erscheinen mir Drostes Verlautbarungen über das Dichten nicht weniger politisch als die ihrer vormärzlichen Kolleg*innen. Ein solches Vorgehen erfordert einen nochmaligen Blick in die Geschichte des 19. Jahrhunderts, und zwar unter besonderer Berücksichtigung jener ungeheuren, für das Jahrhundert charakteristischen Veränderungsdynamik, die Jürgen Osterhammel im Titel seiner Studie "Die Verwandlung der Welt" zum Ausdruck bringt. Einige der Fragen, die mich während der Suche nach Annette von Droste-Hülshoffs 'ungeschriebener Poetik' in ihren Texten und Briefen beschäftigen werden, richten sich auf die besonderen, von der Autorin selbst analysierten Modernisierungserfahrungen in Westfalen.
Die anthropologische Differenzierung zwischen dem Inneren und dem Äußeren als Korrelation von Geistigem sowie Seelischem mit dem Körperlichen sowie Sinnlichen ist eine evidente Thematik der deutschsprachigen Literatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Diese Unterscheidung bricht mit dem Jahrhundertwechsel nicht ab, sondern wechselt ihr Vorzeichen. Die Dichotomie von Innerem und Äußerem wird bei Heinrich Heine in Gestalt der Gegenüberstellung von Idee und Realität aufgegriffen und politisch akzentuiert weitergeführt. In seinen Reisebildern kreist diese Kontrastierung um die Frage nach der Verwirklichung von Ideen mit politischer Brisanz und humanem Wert. Die literarische Form der Reisebeschreibung nimmt für die Thematisierung dieser Gegenüberstellung eine besondere Funktion ein, dies wird bei den Erzählwerken der "Reise von München nach Genua" und der "Ideen. Das Buch Le Grand" näher beleuchtet. Zugrunde gelegt wird die Annahme, dass eine politische Idee als ein humanes Ideal etwas Inneres darstellt, da eine solche Idee dem Geist des Menschen entspringt. Auch hier steht das Wechselverhältnis von Idee und Realität im Fokus, indem die Frage ins Zentrum gestellt wird, inwieweit eine Idee als Produkt des Geistes eine gestaltende Funktion für die sinnlich wahrnehmbare Wirklichkeit einnehmen kann. Der Schwerpunkt liegt auf dem Geistigen, und die denkmöglichen Ideen des Menschen sind das Entscheidende. Die Menge der Ideen wird auf die zeitgenössischen Humanitätsideale der Französischen Revolution beschränkt: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Diese politischen Ideen sind in ihrer reinen Form im menschlichen Leben im engeren Sinne nicht realisierbar. Dennoch können sie eine wirklichkeitsgestaltende Funktion einnehmen, indem der Mensch versucht, sich der Verwirklichung dieser Ideen soweit wie möglich anzunähern. Dieses Bestreben ist eine Sinnkonstitution des Menschen und diese Ideen sind für diejenigen, die sie teilen und in ihr eine Chance für ein besseres Leben sehen, eine intrinsische Motivation, das Innere in das Äußere zu projizieren. In Heines "Reisebildern" wird diese Übertragung mit dem Begriff der Emanzipation benannt. Bereits die narrativen Sprechsituationen dieser Erzählwerke zeigen an, dass die Gestaltung von menschlicher Lebenswirklichkeit im thematischen Zentrum steht. Emanzipation ist unumstritten ein politischer Begriff, bei Heines "Reisebildern" tritt er aber zusätzlich als ästhetisches Konzept auf. Emanzipation wird in den Erzählwerken der "Reise von München nach Genua" und "Ideen. Das Buch Le Grand" als ästhetisches Programm untersucht, das seine theoretische Ausformulierung in der "Romantischen Schule" findet.
In der Vormärz-Forschung spielt die Beschäftigung mit Rückert keine Rolle, bezeichnend ist daher, dass er im kürzlich erschienenen Handbuch zur Epoche kaum vorkommt. [...] Geht unser Interesse jedoch über das Typische oder Repräsentative hinaus und nimmt auch allgemein Formen der Gleichzeitigkeit in den Blick, dann erscheint Rückert vielleicht sogar gerade als ein prädestiniertes Untersuchungsobjekt, insofern er als ein literarisch äußerst aktiver Zeitgenosse den gesamten Zeitraum begleitet, den wir sinnvoll als Vormärz erfassen können. Besonders gilt dies für die mittlerweile weitgehend konsensfähige Epochenschwelle im Jahr 1815: Mehr oder minder synchron mit dem - natürlich erst ex post definierten - Epochenbeginn debütiert Rückert durchaus erfolgreich im literarischen Feld, mit dem Band "Deutsche Gedichte", 1814 erschienen und auch im folgenden Jahr noch breit rezensiert. Die Literaturgeschichte erinnerte diesen Band lange (und teils bis heute) als typischen Beitrag zur Befreiungskriegslyrik, meist nach seinem prominentesten Teil geführt als "Geharnischte Sonette". Sinnvoller platziert als in diesem (literatur)politischen Kontext scheint er mir allerdings im ästhetischen Diskurs zu sein, insofern er ausgeht von der Frage nach Formen und Funktionen des Kunstschönen, nach dem Verhältnis von Autonomie und Heteronomie, und dergestalt weniger auf das politische und mehr auf das literarische Feld abzielt. Diesen Perspektivwechsel werde ich im Folgenden erläutern, indem ich zunächst knapp die gängige Funktionalisierung der Literatur im Zeichen der Befreiungskriege rekonstruiere, damit sich vor dieser Folie dann das spezifische poesiologische Profil der Zeitgedichte Rückerts abzeichnen kann. Sichtbar werden soll dabei sein Beitrag zur Ästhetik seiner Zeit, der vielleicht nicht im engen Sinne 'vormärzlich' ist, aber in seinem Schwellencharakter doch dem 'Zeitgeist' entspricht.
Ausgehend von drei Beispielen aus den 1840er Jahren - Luise Mühlbachs Erzählung "Das fluchbeladene Haar" (1845), Annette von Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" (1842) und August Lewalds Erzählung "Das Gespenst um Mittag" (1840) - möchte mein Beitrag den vitalen Zusammenhang herausarbeiten, den fantastische Texte im Vormärz zu poetologischen und zeitkritischen Fragen der Epoche unterhielten. Alle drei Werke erschienen in Magazinen und Sammelbänden, die sich in erster Linie an ein Lesepublikum aus dem mittleren und höheren Bürgertum richteten, das sich seinerseits über handelnde Figuren und Erzählinstanzen in den Texten repräsentiert fühlen konnte. Ihm oblag es - so die These - den ästhetischen Reiz von Schauerromantik und Horror zu genießen, oder die Texte außerdem als Angebote einer kritischen Auseinandersetzung mit Diskurs- und Machtverhältnissen ihrer Zeit zu begreifen. Während es zwischen den drei Werken auf der Plotebene keine Berührungspunkte gibt, überschneiden sie sich strukturell, insofern sie die pragmatisch-realistische Schilderung sozialer Verhältnisse mit archaischen Narrationen von rachedurstigen Untoten, schicksalhafter Vergeltung und Bestrafung aus dem Jenseits kombinieren. Dies als bloße Stilzutat im Sinne eines 'phantastischen Tons' abzutun, den die Texte bedienen, oder einen "Dualismus von Irrationalität und Realismus" an der Grenze zum Komischen zu vermuten, greift eindeutig zu kurz. Die folgenden Überlegungen werden zeigen, dass über die ästhetischen Mittel der Fantastik vielmehr eine Perspektive auf die Zeitumstände angeboten wird, die nicht anders als kritisch genannt werden kann. Gespenster, Revenants und Rachegeister werden als Ausgeburten ganz realweltlicher Missstände der Restaurationsepoche bestimmt, innerhalb derer sie für Gerechtigkeit oder zumindest für die Sichtbarmachung von Unrecht sorgen. Um es pointiert zu sagen: Der Verdacht liegt nah, dass es bei Lewald, Droste-Hülshoff und Mühlbach aufgrund von ungerechter Güterverteilung, Klassengegensätzen und sozialer Ungleichheit in der modernen Gesellschaft spukt. Ob diese Deutung trägt und was dies über den diskursiven Ort der Fantastik im Vormärz aussagt, soll im Folgenden unter Bezug auf die Texte sowie zeitgenössische Debatten um das Gespensterhafte in Kunst und Gesellschaft überprüft werden.
Noch bevor Begriffe wie Immanenz, Realität oder Unmittelbarkeit zu gängigen Gegenständen der Ästhetik werden konnten, entwickelt Weiße ein System, in dem er der Realität und dem Hässlichen einen Platz einräumt. So stellt sein Werk ein Zeugnis der Anfänge dieser Entwicklung dar, die bereits wenige Jahre später fester Bestandteil der Ästhetiken wurde. Dies blieb jedoch nicht ohne Folgen für die Rezeption seines eigenen Werkes, in der nur selten Weißes eigene Argumentation eine Rolle spielte, der Fokus vielmehr auf die Ergebnisse gerichtet war, die bei den Nachfolgern in der Regel konsequenter und stringenter ausgeführt worden waren. Nichtsdestotrotz stellt gerade dieses frühe umfassende Werk Weißes ein interessantes Dokument des Beginns eines Paradigmenwechsels im Nachdenken über das Schöne im Vormärz dar, dessen Tragweite sich bei Erscheinen von Weißes Abhandlung noch nicht abzeichnete. Der folgende Beitrag möchte diese initialen Weichenstellungen in ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Ästhetik beleuchten, wobei besonderes Augenmerk auf dem Moment der Gleichzeitigkeit liegen soll, die das Potential des Neuen, bisher so noch nicht Gedachten, mit den Denkweisen der Goethezeit versöhnen soll. Und nicht zuletzt könnte die Betrachtung dieses frühen Entwicklungsstadiums auf dem Weg zu einer modernen Ästhetik auch Aufschluss geben über das Verhältnis der beiden konträren literarischen Tendenzen des politischen und des restaurativen Schreibens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Vischers Freiheitsbedürfnis war unersättlich, und er war ständig auf der Suche nach Trost und Orientierung in einer orientierungslosen Zeit. Vischer hoffte, dies nicht nur in der Kunstschönheit in fernen Ländern zu finden, sondern vor allem in der Literatur, der Dichtung und der Philosophie. Der erste Teil des Goethe'schen Faust und Hegels Philosophie sollten daher in der zerrissenen, stürmischen Vormärzzeit zum Rettungsanker für ihn werden. Vischer wird sich von diesen Reisebegleitern nie gänzlich befreien, sie werden mehr oder weniger ausdrücklich sein ganzes Leben an seiner Seite sein, wenn er sich auf die Suche nach einem (unmöglichen) Gleichgewicht zwischen den beiden Seelen in seiner gespaltenen Brust macht: der systematischen (mit offensichtlichen Anklängen an Hegel) und der zerrissenen (die klar auf den Faust anspielt). Wir wollen, von der ersten ausgehend, beide analysieren.
Im 15. Abschnitt seiner Aesthetik kommt Theodor Mundt auf den Humor als 'burleske Philosophie' zu sprechen. Als erster deutscher Ästhetiker hatte der von dem berühmt-berüchtigten Verbotsbeschluss des Bundestags vom 10. Dezember 1835 gegenüber dem sogenannten Jungen Deutschland hart getroffene Autor 1837 in seiner Abhandlung Die Kunst der deutschen Prosa systematisch die "zeitgemäße Stellung" der deutschen Prosa und damit deren Vorrangstellung gegenüber der Poesie begründet. [...] Richtete Mundt in dieser Abhandlung den Fokus noch auf die "Emancipation der Prosa", ist es in der Aesthetik nun "das Prinzip der Unmittelbarkeit" als "Philosophie der That". Mundt selbst spricht im Vorwort selbstbewusst von dem "von mir neu aufgestellte[n] Prinzip der Aesthetik". [...]
Im Folgenden möchte ich Mundts Schrift in ihren Hauptmomenten vorstellen und dabei schlaglichtartig derartige Schnittstellen erhellen: die Idee einer großen, die modernen Differenzerfahrungen aufhebenden Vermittlung und deren politische Implikationen (1.); die Möglichkeiten einer politischen Artikulation im Rahmen der philosophischen Ästhetik des Vormärz (2.); die dynamische Begriffsordnung der "Aesthetik", deren Bewegungsemphase und das zugleich bemerkbare Erproben formativer Kräfte (3.); Phantasie und Idealisierung (4.) und schließlich den für Mundts Schrift wichtigen Begriff des Bildes (5.). Die Verbindungslinien, die sich zwischen Mundts "Aesthetik" und der Ästhetik des Jahrhunderts zeigen werden, sind dann zugleich Ausweis von Kontinuitäten, die sich zwischen den beiden Jahrhunderthälften, zwischen Vormärz und Nachmärz erstrecken.
Wie immer man Vischers Argumentation einordnet, deutlich machen sollte man sich zunächst, dass sie nicht allein kunstphilosophisch orientiert ist, sondern den Austausch mit sich seit den 1830er Jahren zusehends pluralisierenden und von der Zeitordnung, die Hegels Geschichtsphilosophie vorgibt, emanzipierenden literatur- und kunsthistoriografischen Diskursen sucht, womöglich sogar das Ergebnis literatur- und kunstgeschichtlicher Revisionen dieses Zeitraums ist. Dies würde bedeuten, dass es nicht allein (und vielleicht nicht einmal primär) das Gebiet der philosophischen Ästhetik (Kunstphilosophie) ist, innerhalb dessen Vischers Moderne ihre Konturen gewinnt. Im Mittelpunkt stehen würde demgegenüber die empirisch orientierte, d. h. an Einzelwerk und -künstler interessierte Kunst- und Literaturforschung. Wenn wir im Weiteren diese These verfolgen, so nicht so sehr aus dem Interesse heraus, den Anteil kunstphilosophischer Konzeption im Denken Vischers tatsächlich marginalisieren zu wollen. Interessant ist vielmehr die Möglichkeit, in heuristischer Absicht die Elemente der kunst- und literaturgeschichtlichen Rede als eigenständige Diskursformationen in der Betrachtung scharfstellen zu können. Mit diesem Ziel soll es zunächst darum gehen, das Verhältnis von Romantik und Moderne im Haushalt der hegelianischen Literatur- und Kunstgeschichtsschreibung um 1840 zu bestimmen. Gefragt werden soll zudem: Wie lässt sich Vischers im Plan zu einer neuen Gliederung der Ästhetik entworfenes Moderne-Ideal in diesen Rahmen integrieren (Kap. I)? In einem zweiten Schritt wird schließlich ganz konkret jenen Spuren nachgegangen, die Vischers Argumentation im Einflussgebiet kunst- und literaturgeschichtlicher Diskursmuster seiner Zeit zu verorten erlauben (Kap. II). Abschließend wollen wir die Ergebnisse in eine Konturierung des Moderne-Begriffes einbringen (Kap. III).
Nach wie vor ist die Geschichte der ästhetischen und auch der poetologischen Debatten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, was ihre Breite und Heterogenität angeht, ein blinder Fleck der Forschung. Das überrascht angesichts der Dynamik der Verschiebungen innerhalb der Paradigmata des Schönen nach 1800, die der erstarkenden Bedeutung des Sehens im Horizont medialer Formerweiterungen ebenso Rechnung trägt wie der philosophischen Ausrichtung der Phänomenologie, der wachsenden Bedeutung der Psychologie und auch dem steigenden Einfluss von wissenschaftlichen Ordnungen auf die Künste. Allenthalben verschaffen sich neue Konzepte des Schönen, der Kontinuität, der Brüchigkeit und der Kritik, des Verhältnisses von Idee und Realität, von Phänomen und System, von Erscheinung und Abstraktion Ausdruck und werden wiederum in Ästhetik 'betrachtet' und eingeordnet.
Nach wie vor ist die Geschichte der ästhetischen und auch der poetologischen Debatten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, was ihre Breite und Heterogenität angeht, ein blinder Fleck der Forschung. Das überrascht angesichts der Dynamik der Verschiebungen innerhalb der Paradigmata des Schönen nach 1800, die der erstarkenden Bedeutung des Sehens im Horizont medialer Formerweiterungen ebenso Rechnung trägt wie der philosophischen Ausrichtung der Phänomenologie, der wachsenden Bedeutung der Psychologie und auch dem steigenden Einfluss von wissenschaftlichen Ordnungen auf die Künste. Allenthalben verschaffen sich neue Konzepte des Schönen, der Kontinuität, der Brüchigkeit und der Kritik, des Verhältnisses von Idee und Realität, von Phänomen und System, von Erscheinung und Abstraktion Ausdruck und werden wiederum in Ästhetik 'betrachtet' und eingeordnet. Das vorliegende Jahrbuch holt mit seinem Themenschwerpunkt die Komplexität dieser Entwicklung nicht ein, kann das auch im hier zur Verfügung stehenden Rahmen nicht. Es versteht sich als Impuls für notwendig weitere Forschungen.
[...] Die dialektische Begriffsentfaltung schöner Kunst in ihren Momenten des Häßlichen, Komischen, Erhabenen ist nicht, wie das Vorurteil will, sophistische Begriffsspielerei; sie ist der angestrengte Versuch, die Möglichkeit bzw. Ermöglichung schöner Kunst unter den ihr "ungünstigen", "prosaischen" Lebensverhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft zu entwickeln. Alle ästhetischen Theorien des Häßlichen greifen ein in die Debatte über den Vergangenheitscharakter schöner Kunst; sie melden sich zu Wort als Theorie gegenwärtiger Kunst; sie übernehmen präventiv die Gewährleistung schöner Kunst im Status ihrer drohenden Verabschiedung: sie behandeln sie als suspendiert. [...]
Deutsche Schriftsteller und Künstler in Rom, Paris und London - die Reihenfolge der Städte ist mit Bedacht gewählt. Zu Recht nimmt Paris nämlich eine Stellung zwischen Rom und London ein. Das gilt nicht nur in geographischer, sondern auch in ästhetischer, literarischer und geschichtsphilosophischer Hinsicht. [...]
Hatten wir zu zeigen versucht, daß in der Romantik die "glückliche Vereinigung des Entgegengesetzten" - Kritik und Ethos - konstitutiv für die Gattung der Charakteristik wurde, so stoßen wir am Ende des Idealismus und der Kunstperiode auf die Verbindung von Kritik und Humor. [...] War freilich die Charakteristik in der Romantik mit ihrer Synthesebildung aus Philosophie, Philologie, Historie und Poesie die höchste Form der Kritik, ist sie jetzt im Vormärz nur noch eine gewichtige Vorübung für andere Bildungsarten.
The article is devoted to a historical German settlement in present-day Slovakia, since the small German minority of the lumberjacks/woodcutters (Slovak. Huncokári) has received little attention. The urgency of the need for research is also pointed out, since there are only very few speakers of this dialect left. The article therefore informs about some background of the settlement history, the present state and about approaches for ethnological field research.
The article deals with the promotion of the German language abroad through Germany’s foreign cultural and educational policy. An important concern of the German intermediary organizations abroad is access to culture and education across geographic, political and social borders, but scientific and economic policy. interests, which benefit the needs of the German market, also play a major role. Regarding the fact that more and more skilled workers who are ultimately lacking in their countries of origin are migrating to Germany, the article questions whether it is always a so-called triple-win model.
The stories about the Vaser Valley in the northern Romanian Forest Carpathians have not only fascinated the population of the region, but also famous writers who have always tried to collect the stories and tales from the historical region of the Vaser Valley. The best-known author of this region, who turned his lifelong work into this spectacular project, is the German-speaking ethnologist and writer, of Romanian origin, Anton-Joseph Ilk. His book Die mythische Welt des Wassertales includes a remarkable collection of legends and tales from this region, presented in their orally transmitted stories. The main themes of the stories naturally include customs and traditions, whereby certain values and principles were passed on not only to he children and grandchildren, but also to all succeeding generations.
The present contribution provides an analysis of Dirk Oschmann’s volume, Freiheit und Fremdheit. Kafkas Romane [Freedom and Foreignness. Kafka’s novels]. The main idea, already announced in the title, is followed throughout the entire volume. A corpus of texts consisting of Kafka’s three novels and some of his best short stories is analyzed (Die Verwandlung, Bericht für eine Akademie, and In der Strafkolonie). The selected texts are considered stories of internal or external displacement that address and depict freedom and foreignness mostly using spatial displacement. The method used is close reading, the author carefully interprets text passages, goes into details, nuances of meaning, and linguistic features of the Kafkaesque texts. The analysis draws on syntagms and statements made by characters who discuss these themes.
This paper is an attempt to peel out the core of historical and autobiographical reality in Klara Blumʼs poems, to show their militant character and ideological limits, and to analyze them as contemporary documents whose relevance lies less in the originality of their language than in the consistency of their historical and intellectual substance.
Cosmin, a twelve-year-old Roma boy from Transylvania, only goes to school for a short while. For his mother, it is more important, that he, the only male of a household with many mouths to feed, help her with work. But Cosmin’s teacher does not give up and proposes a bargain: If Cosmin’s mother lets her children go to school, she will get electricity from the school to be able to watch TV. Due to this arrangement, Cosmin returns to school for a few days, becomes a little thief and embarks on a journey that can become an opportunity for him. A kind of a bildungsroman, a coming of age novel focused on the ups and downs between two worlds on Romanian soil, that could not be more different from one another: the Romanian majority and the Roma minority. This article sets out to document life at the brink of society, with all of its facets.
A.E. Johann (1901-1996), relying on his experience of over sixty years of travelling around the world, left behind a wealth of literary and journalist material, in which he often addresses topics and issues related to the United States of America. This paper’s objective is to analyze the reflections and observations of this writer and journalist included in the travel report from the period of the Weimar Republic and entitled America. Untergang am Überfluß (1932) as compared with his later creative output of a more autobiographical nature and developed between 1989 to 1992 (Dies wilde Jahrhundert, 1989; Schön war die Welt. Erinnerungen an die großen Reisen, 1992). Thus, continuity and change in his perception and image of America will be investigated; moreover, at attempt will be made to answer the question to what extent this perception and image have evolved throughout six decades (or one should rather ask why this image hardly changes with the passage of time and the emergence of new circumstances). This once very popular writer, whose books were sold in high volume, for many years could not enjoy the attention and focus of literary scholars. Accordingly, this paper aims to expand the knowledge about him and boost the discussion on German (anti-) Americanism.
In his tale „Der Wortmann“, the Transylvanian-German author Traugott Teutsch tells the story of Peter Emerich, an influent man in his community, who is keen on getting rich and climbing up the social ladder, while preserving the image of an honest person. The article follows through different stages the evolution of his mindset up to the point where he repents of his past actions, tries to make amends for some of his mistakes and decides to lead an unselfish life of faithful service to the community. Guilt, repentance and redemption are some of the main topics followed in this article, which constituted also some of the founding stones of the Transylvanian-German collective mentality.
The German-speaking Saxon minority from Transylvania, a region in Romania, has almost disappeared due to the historical events after World War II and the fall of communism in December 1989. Therefore, the literary work that was created before 1990 is often considered to be a “lieu de mémoire”, a place of remembrance, for the Saxon culture. This article deals with the question whether Maria Haydl’s short stories can be considered as such or do they show too much influence of the politically imposed writing style in order to be authentic.
In comparison to the Transsylvanian-Saxon or to the German-speaking Bukowina literature the modernists exerted a more reduced influence on the literature of the Banat Swabians. Franz Xaver Kappus (1883-1966) influenced the literary modernists in the Western part of Romania especially through his expressionistic texts. He became famous thanks to his correspondence with Rainer Maria Rilke. The masterpiece Die lebenden Vierzehn (The Fourteeen Survivors) (1918) is swayed by a collective catastrophe and represents a certain kind of utopia, which anticipates the end of the world. A dread causing image with a peculiar unreality shapes the event. Kappus’ fantasy does not shrink back from images of dread and horror. As in the expressionistic literature any destruction of the harmonious beautiful principle comes about in dread. The grotesque features belong to the expressionistic character of the book. It is interesting that the dreadful and the grotesque show their demonic side and with it they destroy the familiar reality. Such a development demonstrates that Kappus follows a tradition to which also E. T. A. Hoffmann, Frank Wedekind, Franz Kafka or Georg Heym belong. There are also streaks of naturalism in the novel.
The novel “Wasserzeichen” was published at the Pop Publishing House in Ludwigsburg, Germany, in 2018. The destiny of the main character of the aforementioned literary work is undoubtedly linked to the Transylvanian city of Cluj-Napoca. After finishing high school in Brașov, the young Eginald – who is not the same as the author of the novel – arrives in Cluj-Napoca where he first goes to the Faculty of Protestant Theology, from which he is relegated; afterwards, he starts the courses of another faculty, but before finishing his studies he is arrested by the Securitate. The life story of the young Transylvanian Saxon turns out to be a troubled one – full of defining experiences for his existence. Due to the relationships with the people whom he meets there, the romantic entanglements, and the betrayals he experiences, he matures quickly. The 1st person narrator becomes a true man in this predestinate space.
Using the example of Herta Müller‘s novels written after her emigration into the Federal Republic of Germany, the article shows how digital tools can be used to classify the fragmented space that unfolds in the writings of the Nobel Prize winner into a clear model structure. Quantitative research methods are combined with a database-driven GIS analysis toolkit to illustrate the weighting of the fictionalized locations given their gravity centers and polarities. The series of maps show both the density and spread of the action places, as well as the meanings which are attached to the literary space.
Die Essayistik Herta Müllers
(2022)
The article follows the two volumes of essays The King Bows and Kills (2003) and Always the same snow and always the same uncle (2011) written by Herta Müller. Politics and aesthetics define the Nobel laureate’s writing, with her essays anchored in Romania’s recent history. They are of a political nature, offer retrospectives on their life in Romania beyond the Iron Curtain, insights into the dictatorial past, persecution by the secret service, the betrayal of closest friends, but also contain reflections on the role of the language, the preference for Romanian, on the use of “The King” in their fictional texts, explain their “alien gaze”. Always the same snow and always the same uncle focuses on the deportation of the Romanian Germans to the Ukraine, with the information serving as a companion work to the novel Hunger angel. The betrayal of closest friends is also discussed, whereby the insight into their files and the past of Oskar Pastior/Otto Stein’s files are used.
Inhalt
I. Literaturwissenschaft und Landeskunde
Markus FISCHER (Bukarest):
Blaublütige Dracula-Fantasie mit idyllischer Coda –
Dana Grigorceas dritter Roman Die nicht sterben ……………….….. 15
Grazziella PREDOIU (Temeswar):
Die Essayistik Herta Müllers…………………………………………………….. 34
Claudia SPIRIDON-ȘERBU (Kronstadt):
Herta Müllers fiktionalisierter Raum, mit Karten lesen –
ein Beispiel aus der Praxis………………………………………………….…..….. 50
Andreea DUMITRU (Hermannstadt):
Das Werden eines Schicksals. Die Stadt Klausenburg als Angelpunkt
einer Existenz in Eginald Schlattners Roman Wasserzeichen .…….70
Roxana NUBERT/ Ana-Maria DASCĂLU-ROMIȚAN (Temeswar):
Der Schriftsteller Franz Xaver Kappus als Vertreter der literarischen
Moderne im Banat…………………………………………………………………….… 84
Sunhild GALTER (Hermannstadt/Sibiu):
Maria Haydls Dichtung als Erinnerungsort siebenbürgisch-sächsischer Kultur? ……………………………………………………………………………..114
Lăcrămioara-Marilena POPA (Hermannstadt/Sibiu):
Das Türkenbüchlein des Ungenannten Mühlbächers – ein
vergessener Bestseller des Mittelalters – heute wieder aktuell? 126
Marius-Daniel STROIA (Hermannstadt/Sibiu):
Schuld und Erlösung in Traugott Teutschs Erzählung
„Der Wortmann“……………..…………………………………………………… 136
Ioana CRĂCIUN-FISCHER (Bukarest):
“Aus jeder Schwäche schmiede ich ein Schwert.” Jüdische Identität und weibliches Selbstbewusstsein in Klara blums Lyrik ………..155
Elẑbieta NOWIKIEWICZ (Polen):
Amerikabild (er) des Reiseberichterstatters und Reiseschriftstellers
A.E. Johann …………………………….……………………………………………… 172
Ana KARLSTEDT (Bukarest):
Fremdheitskonstruktionen in Karin Gündischs Roman COSMIN.
Von einem der auszog, das Leben zu lernen……………………………..193
Teodora ȚUGUI-CARABA (Hermannstadt/Sibiu):
Die mythische Erzählwelt des Wassertales nach Anton Joseph-Ilk: phantastische Gestalten und ihre Symolik………………………………….208
II. Sprach- und Übersetzungswissenschaft
Doris SAVA (Hermannstadt/Sibiu):
Nix für die Katz: Laienlexikografie………………………..……….…… 225
Sigrid HALDENWANG (Hermannstadt/Sibiu):
Das Substantiv Pomānǝ,die damit belegten Wortbildungskonstruktionen und das Verb pomenin in den siebenbürgisch-
sächsischen Mundarten …………………………………………………..…. 243
Ellen TICHY (Prishtina/ Berlin)/Blerta ISMAJLI (Prishtina):
Förderung der deutschen Sprache durch die Auswärtige Kultur-
und Bildungspolitik Deutschland: ein Triple-Win-Modell?….258
Ioana CONSTANTIN (Hermannstadt/Sibiu):
Übersetzen zwischen Kompetenz and Identität ………………. 278
Georg SCHUPPENER (Ústí nad Labem):
Sprache und Kultur der deutschen Holzfäller in den Kleinen
Karpaten…………………………………………………………………….…….. 293
Adeline-Alexandra BERDIE (Hermannstadt/Sibiu):
Mehrsprachigkeit in Mediasch. Ein Beitrag zur Linguistik
Landscape..…..……………………………………………………………………. 305
III. Bücherschau
Maria SASS (Hermannstadt/Sibiu):
Zum mittelalterlichen Dichter und Philosophen Dante
Aligheri (1265-1321)…..……………………………………………..…….… 315
Maria SASS (Hermannstadt/Sibiu):
Rezension…………………………….……………………………………………… 322
All three hitherto published novels by Dana Grigorcea do explicitly refer to Romania. Had her first novel been set in the Danube Delta and her second in Bucharest, so the plot of the recently released novel "Die nicht sterben" is located in the touristic town B. (= Buşteni) at the foot of the Carpathian Mountains. Based on Bram Stoker’s Dracula as literary pre-text, the plot of "Die nicht sterben" interweaves elements of Romanian history, Romanian contemporary events as well as elements of the family history of the first-person narrator. The present paper is focused especially on the female narrator’s bodily, erotic and flying fantasies. The social and moral revolt which manifests itself first and foremost in the vampiresses’ urge to impale, subsides in the end in uncritical idyllic and narcissistic self-reflection.
Juden, Philister und romantische Intellektuelle : Überlegungen zum Antisemitismus in der Romantik
(1992)
[...] Verschärfte Angriffe auf Juden fallen oft mit historischen Krisen zusammen. So grundiert auch hier die besondere Krisensituation der Napoleonischen Kriege den Konflikt, während ihn die Auseinandersetzung mit den Hardenbergschen Reformen in Preußen radikalisiert. Das Zusammengehen von Juden- und Philisterangriff aber leitet sich aus der spezifisch romantischen Zeitdiagnose her, einer Globalisierung der Krise und einer gleichsam apokalyptischen Alarmierung des Jetztzeitbewußtseins; ansteht das Überleben der Menschheit, ihr Untergang oder ihre Wiedergeburt. [...]
Der Beitrag untersucht die Poetik des anonymen um 1929 erschienenen pornografischen Lyrikbandes "Die braune Blume". Der Text wird im obszönen und pornografischen literarischen Diskurs kontextualisiert. Seine Poetik ist, wie die Analyse zeigt, von einer restriktiven ökonomischen Regel geleitet und von einer einzigen Metapher bestimmt. Im Rückgriff auf Slavoj Žižeks Identifizierung des MacGuffin von Hitchcock mit Lacans Objekt klein a wird die Metapher der braunen Blume als poetisches Floralobjekt gelesen
Das "Wendt-Passionsbüchlein"
(2022)