940 Geschichte Europas
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Hans von Hentig war ein impulsiver Abenteurer mit wenig Respekt vor Autorität. Und er war ein extrem schreibfreudiger Wissenschaftler, der zu den Begründern einer modernen, durch die Verbindung juristischer und medizinisch-psychologischer Kenntnisse und Zugänge bestimmten Kriminologie gehörte. Hans von Hentig wurde 1887 als Sohn des Rechtsanwalts Otto Hentig geboren. Dieser hatte zunächst in Berlin praktiziert, bevor er als Spezialist für Wirtschaftsrecht 1893 zum Verwalter der Güter Karl Egon IV. zu Fürstenberg und 1900 zum Staatsminister des Herzogtums Sachsen Coburg und Gotha wurde; letzteres Amt brachte der Familie die Nobilitierung ein. ...
Die internationale Herkunft der für die Herausgabe und die Studien verantwortlichen Autoren und Autorinnen ist ein wichtiges Merkmal dieses Sammelbandes zur frühen Geschichte des Nationalsozialismus in Deutschland. Die Beiträge des 14. Bandes der Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte stammen je zur Hälfte von englischen und deutschen sowie männlichen und weiblichen Fachleuten. Beides ist sowohl positiv wie leider noch nicht alltäglich. Mit dieser Vorausschau können hohe Erwartungen geweckt werden, und – um es vorwegzuschicken – diese werden auch voll und ganz befriedigt. ...
In der Forschung zum 18. und 19. Jahrhundert gelten Vereine - zumal in Deutschland - meist immer noch als zentrale Bereiche einer im Prinzip liberalen und zukunftweisenden "Zivilgesellschaft", in der frei von repressivem staatlichem Einfluss und fern von überlebten korporativen Traditionen politische Aushandlungsprozesse im Rahmen einer liberalen Bürgergesellschaft erprobt werden konnten. Das Bild hat freilich einige Risse bekommen [1], die aber bislang eher als ehrwürdige Patina zu fungieren scheinen denn als Anzeichen für grundlegenden Restaurierungsbedarf. Die Arbeit von Stefanie Harrecker lenkt den Blick nun auf eine andere Art Verein, der in vielem wirkungsmächtiger war als die intensiv untersuchten stadtzentrierten liberalen Assoziationen. Der Landwirtschaftliche Verein in Bayern, der 1810 seine Tätigkeit aufnahm, war zwar formal ein privater Verein, wies aber von Anfang an enge personelle und finanzielle Beziehungen zum Staat auf, die sich im Laufe der Zeit eher intensivierten als abschwächten. Ziel des Vereins war einerseits die Produktionssteigerung der Landwirtschaft, etwa durch die Popularisierung neuer Anbaumethoden; andererseits verstand sich der Verein auch als Lobby der Landwirtschaft gegenüber der Regierung, und zwar sowohl im Parlament als auch im öffentlichen Raum, in dem er mit unterschiedlichen Publikationen präsent war. Der Verein hatte regionale Zweigstellen, engagierte sich im Bereich der landwirtschaftlichen Ausbildung, und richtete Feste und Feierlichkeiten aus (darunter das Oktoberfest), in deren Rahmen beispielsweise Vieh gezeigt und prämiert wurde. Angesichts der spannungsreichen Beziehungen zwischen Regierung und Parlament, Staat und Öffentlichkeit im Bayern des 19. Jahrhunderts war klar, dass auch der Landwirtschaftliche Verein keinen ganz stabilen Platz in der informellen Landesverfassung haben konnte. Anfang des 19. Jahrhunderts dominierte die Autonomie, die moderate oppositionelle Tendenzen (die freilich zum guten Teil aus der Verwaltung kamen) einschließen konnte. Das galt vor allem im Rahmen der Diskussion über die Abschaffung des 'Feudalsystems', also die Veränderung der Besitz- und Abhängigkeitsverhältnisse in ländlichen Regionen. Nach intensiver Verwicklung in die politischen Intrigen der frühen 1830er Jahre geriet der Verein, der damals unter Mitgliederschwund litt, unter stärkere staatliche Aufsicht. Diese trug mit dazu bei, dass der Verein 1848/49 die Chance verpasste, zum Sprachrohr der Veränderung zu werden; stattdessen fügte er sich in das Programm der Stärkung eines partikularen Profils Bayerns, das Maximilian II. verfolgte. Selbst Ludwig II. interessierte sich noch hinreichend für den Verein und seine öffentliche Wirkung, so dass er sich für eine Präsentation von preisgekrönten Tieren vor allen Festbesuchern, nicht nur vor den Fachleuten, einsetzte. Die Reichsgründung von 1870 bedeutete zwar nicht das Ende des Landwirtschaftlichen Vereins, wohl aber das seiner herausragenden Bedeutung; die Integration in ein deutsches Netzwerk landwirtschaftlicher Vereine endete mit weitgehendem Relevanzverlust. Die Frage, ob der Verein seinen selbst gesteckten hohen Zielen gerecht wurde, ist nicht ganz leicht zu beantworten. Die Publikationen, die populär waren, waren selten die innovativsten. Überhaupt gab es immer wieder Gelegenheit, über Sinn und Aufgaben des Vereins zu streiten, etwa wenn es darum ging, die Rolle von Festen und Fachmessen abzuwägen. Manche spektakuläre Aktionen (so der Plan, Seidenraupen in Bayern anzusiedeln) gehörten in ihrer praktischen Wirkung nicht gerade zu den Sternstunden der Agrarökonomie. Dagegen spielte der Verein eine erhebliche Rolle bei der Etablierung landwirtschaftlicher Forschungs- und Lehreinrichtungen und bei der Mobilisierung staatlicher Zuschüsse für solche Zwecke. Er engagierte sich für die Belange der bäuerlichen Bevölkerung und bemühte sich - trotz einer erkennbaren München-Fixierung - um eine flächendeckende Versorgung des Landes mit Bibliotheken und lokalen Vereinen. Stefanie Harreckers Buch liefert einen mustergültig recherchierten, abgewogenen Einblick in das Leben eines nicht ganz dem konventionellen Bild entsprechenden Vereins, der zwischen privatem Klub, wissenschaftlicher Gesellschaft und Lobby angesiedelt war. Dabei kommen sowohl die kleinen Vereinsquerelen zur Sprache als auch die Rolle des Vereins im Kontext der landwirtschaftlichen Entwicklung - insofern handelt es sich bei diesem sehr lesenswerten Buch um einen herausragenden Beitrag zur Vernetzung der allgemeinen mit der viel zu stark vernachlässigten Agrargeschichte. Anmerkung: [1] Etwa durch Eckhart Trox: Militärischer Konservativismus. Kriegervereine und "Militärpartei" in Preußen zwischen 1815 und 1848/49, Stuttgart 1990. Redaktionelle Betreuung: Peter Helmberger
Wie kein anderer Ort ist Auschwitz zu einem Synonym für die nationalsozialistische Terrorpolitik geworden. Mit Majdanek teilt die Stadt das Schicksal, sowohl ein Konzentrations- als auch ein Vernichtungslager beherbergt zu haben. Mindestens 1,1, möglicherweise sogar anderthalb Millionen Menschen wurden in Auschwitz ermordet, vor allem europäische Juden, aber auch nichtjüdische Polen, Sinti und Roma. Mit Monowitz und seinen Nebenlagern befand sich hier zudem "das erste von einem Privatunternehmen initiierte und finanzierte Konzentrationslager" (S. 43). Jenseits dieses dreiteiligen Lagerkomplexes sollte in Auschwitz eine deutsche Musterstadt entstehen. Auf den Reißbrettern nationalsozialistischer Visionäre avancierte die Stadt "zum Ideal ökonomischer Erschließung und rassischer Auslese, zum Zukunftsmodell der deutschen Herrschaft im eroberten Land" (S. 51). Kurzum: an keinem anderen Ort manifestierte sich die symbiotische Verbindung zwischen Lebensraum und Vernichtung deutlicher als in dieser im deutsch-polnischen Grenzgebiet gelegenen Stadt. Dies rechtfertigt es, Auschwitz eine Überblicksdarstellung in einer Reihe (C. H. Beck Wissen) zu widmen, deren historische Veröffentlichungen in der Regel größere Epochen behandeln, zumal über Auschwitz noch immer keine Monografie erschienen ist. ...
Die Suche nach der Frau, ihrem Ort, ihrer Rolle sowie ihren Handlungsbereichen und Tätigkeitsfeldern im Dritten Reich markieren verschiedene Stationen der historischen Frauenforschung zum Nationalsozialismus der letzten dreißig Jahre. Während sie in den 1970er-Jahren Frauen im privaten Bereich des NS-Systems verortete, betonten Untersuchungen der 1990er-Jahre die ambivalente Stellung der Frau im nationalsozialistischen Staat. Wenngleich die NS-Rhetorik sowie die sozialpolitischen Maßnahmen des Regimes auf eine Stärkung patriarchaler Strukturen zielten, erweiterten sich dennoch im Dritten Reich die Tätigkeitsfelder und Handlungsmöglichkeiten von Frauen. Trotzdem gilt der nationalsozialistische Staat nach wie vor in der historischen Forschung als eine "Männergesellschaft". ...
Dass in Bremen an einer Uferböschung des Flüßchens Ochtum ein alter – mit Stacheldraht bespannter – Schleppkahn als Konzentrationslager gedient hat, erfährt, wer den "Benz-Distel" aufschlägt. Drei Bände des großen Werkes über die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager liegen nun vor. Auf ursprünglich sieben, mittlerweile neun Bücher, die in halbjährlichem Abstand bis zum Frühjahr 2009 im Verlag C.H. Beck erscheinen werden, ist die Gesamtgeschichte der Lager angelegt, die Wolfgang Benz und Barbara Distel initiiert haben. Das mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnete Herausgeberteam der "Dachauer Hefte" treibt bereits seit Jahrzehnten die Forschung zu den nationalsozialistischen Konzentrationslagern voran. Im Zentrum des schon wegen seines schieren Umfangs eindrucksvollen Projekts steht die Topografie der Lager, genauer: der Umstand, dass die Nationalsozialisten Deutschland und das gesamte besetzte Europa flächendeckend mit einem Netz von Haftstätten überzogen haben. "Der Ort des Terrors" heißt denn auch die mit Mitteln der Kulturstiftung des Bundes und des Auswärtigen Amtes geförderte Gesamtdarstellung der Lager. ...
Am 24. und 25. Oktober 2011 veranstalteten Sybille Steinbacher vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien und Raphael Gross vom Fritz Bauer Institut, Geschichte und Wirkung des Holocaust Frankfurt/Main in Kooperation mit der Österreichischen HochschülerInnenschaft die Tagung "Der Holocaust und die Geschichte der Völkermorde im 20. Jahrhundert. Zur Bedeutung und Reichweite des Vergleichs". Im Mittelpunkt der Wiener Tagung standen Fragen nach der Entwicklung des Topos "Singularität des Holocaust", der Einordnung des nationalsozialistischen Judenmords in die Reihe der Völkermorde und dessen Vergleichbarkeit, beispielsweise mit den stalinistischen Verbrechen. Weiters wurde diskutiert, ob und wie den Zeitgenossen des "Dritten Reichs" die Gewaltexzesse gegen Zivilisten und ethnische Minderheiten zur Zeit des Ersten Weltkriegs bewusst waren. Ziel war es, die Bezüge der noch relativ jungen Komparativen Genozidforschung und der Holocaustforschung zu beleuchten, ferner den Merkmalen "ethnischer Säuberungen" nachzugehen und die Verbrechensgeschichte des letzten Jahrhunderts an ausgewählten Beispielen, wie dem Völkermord an den Armeniern, zu analysieren. ...
Mitten im Land der Täter: Das 13. Dachauer Forum zur Zeitgeschichte beschäftigte sich mit der sozialen Realität der Überlebenden der Shoah in Deutschland. Die Situation der ehemaligen jüdischen Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau sowie der überlebenden Jüdinnen und Juden, die in den DP-Einrichtungen in Stadt und Landkreis untergebracht waren, fand hier besondere Beachtung. Nachfolge des langjährigen Projektleiters Bernhard Schoßig übernahm mit diesem Jahr Sybille Steinbacher (Universität Wien), die zudem die wissenschaftliche Leitung des diesjährigen Symposiums innehatte. ...
Das griechische Recht ist, so stellt der Verfasser dieser Passauer juristischen Dissertation zu Recht fest, nicht hinreichend erforscht worden. Althistoriker behandeln es nebenher mit, typischerweise ohne juristische Expertise; Spezialisten für antike Rechtsgeschichte wenden sich zumeist anderen Rechtskulturen zu. Zeitler will in diese Lücke vorstoßen, mit einem Schwerpunkt auf dem Prozess des Sokrates – nun gerade einer der meistdiskutierten Fälle griechischen Rechts. Doch sind diesem gerade knapp 30 Seiten von etwas mehr als 200 gewidmet. ...
Im Jahre 2002 hat die Thüringer Landesregierung, damals noch von Bernhard Vogel geführt, die Stiftung Ettersberg zur vergleichenden Erforschung europäischer Diktaturen und ihrer Überwindung ins Leben gerufen. Die Stiftung selbst führt dies auf einen Impuls zurück, den der Buchenwaldhäftling Jorge Semprún anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Jahre 1994 gegeben habe.1 Die Verleihung erfolgte in Weimar, unweit des Ettersbergs mit seiner doppelten Lagertradition (KZ Buchenwald und Sowjetisches Speziallager Nr. 2). Die Stiftung ist der "vergleichenden Erforschung europäischer Diktaturen im 20. Jahrhundert und ihrer demokratischen Transformation gewidmet". Die Erwartungen richten sich in besonderem Maße auf "prospektive Geschichtsforschung, die nicht nur Erinnerungsarbeit leistet, sondern darüber hinaus die nachfolgenden Generationen für die latenten Gefährdungen von Freiheit und Demokratie sensibilisiert". In diesem Sinne fühlt sich die Stiftung auch für die "kritische Analyse von Gegenwartsentwicklungen" zuständig. Sie wird von HansJoachim Veen geleitet, über viele Jahre ein führender Kopf des Forschungsinstituts der KonradAdenauer-Stiftung. Mit der Stiftung Ettersberg ist eine weitere zeithistorische Forschungseinrichtung ins Leben gerufen worden, die sich neben den bestehenden Spezialorganisationen in Dresden, München und Potsdam platzieren muss. Besonders in Hinblick auf das Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich um eine blanke Funktionsdublette handeln könnte. Natürlich ist eine solche wunderbare Kapazitätsvermehrung nach dem Modus der segmentären Differenzierung alles andere als unproblematisch und es mag allein der Glaube Trost spenden, dass Konkurrenz doch das Geschäft belebt. Jedenfalls wird man genau hinsehen müssen, ob die wissenschaftliche Praxis der kommenden Jahre das Engagement der öffentlichen Hände wirklich rechtfertigen kann. ...