940 Geschichte Europas
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Es ist schon merkwürdig: Für keines der großen Konzilien des Spätmittelalters schien in den letzten Jahren eine Gesamtdarstellung so nah wie im Fall des Pisanum. Dieter Girgensohn und Hélenè Millet legten eine Fülle von Einzelstudien vor, doch keiner der beiden goss sie in die Form eines opus magnum, sieht man von einem Aufsatzband der französischen Kollegin ab. Durch Mona Kirsch erfuhr die Synode 2016 eine zwar viele Facetten erfassende Würdigung im Rahmen einer ritualgeschichtlich grundierten Geschichte des allgemeinen Konzils im Spätmittelalter, zu der für sie aber die auf Pisa folgenden und damit eng verbundenen Versammlungen von Konstanz und Basel nicht gehörten. Und nun erklärt Florian Eßer gleich mehrfach, bei seinem hier anzuzeigenden, immerhin 874-seitigen Werk handele es sich keinesfalls um eine Gesamtdarstellung. Was die Frage aufwirft, wer angesichts einer solch zerklüfteten Landschaft partieller Monumente das finale Wagnis überhaupt noch angehen mag.
Am ehesten wohl Florian Eßer selbst, der eine auf umfassender Kenntnis der ungedruckten wie gedruckten Quellen beruhende und die gesamte Forschung zum Thema rezipierende Studie vorgelegt hat, die weniger als Dissertation – die sie ist – denn fast schon als Habilitationsschrift gelten darf. Nur wünscht man sich und ihm, dass er sich künftig in der Kunst des Kürzens und Streichens übt. Denn hier wird viel in der Sache wohlgemerkt Treffendes derart breit bis in die feinsten Einzelheiten und Verästelungen ausgeführt, ja ausgewalzt, dass dem Autor am Ende dabei offensichtlich selbst nicht mehr so recht wohl war, widmet er sein Opus doch Freundin, Eltern und Freunden, "auch wenn (beziehungsweise weil) sie es vermutlich nie lesen werden" (S. 14). ...
Wer Eugenik als "bürgerliche Pseudowissenschaft" oder "präfaschistisches" Element abtut, wird der Komplexität dieses historischen Phänomens nicht gerecht. Spätestens seit Michael Schwartz die Affinitäten zwischen deutschem Sozialismus und eugenischer Sozialtechnologien für die Jahre vor 1933 nachwies, steht außer Frage, dass diese Wissenschaftsbewegung unabhängig von der nationalsozialistischen Rassenhygiene analysiert und interpretiert werden muss. Nicht zwangsläufig war eugenisches Gedankengut mit rechtslastigen, rassistischen Ideologien verknüpft, auch im linken Lager fanden die Ideen Anklang. Dass es sich um keine homogene Strömung handelte, hat die internationale Forschung bereits aufgedeckt, indem sie je nach Nation ganz unterschiedliche Stilrichtungen ausmachte. Aufgrund der unterschiedlichen Wege, welche die Eugenik auf internationaler Ebene einschlug, bietet ihre Geschichte aber auch ein herausragendes Beispiel für die "soziopolitische Bedingtheit von Wissenschaftsentwicklung" (Michael Schwartz). Fasst man Eugenik als sozialtechnologisches Programm auf, das die Fortpflanzung bestimmter Bevölkerungsgruppen nach erbgesundheitlichen Kriterien zu steuern versucht, so wird zudem begreiflich, warum sich Anfang des 20. Jahrhunderts ein weltübergreifender Trend ausbildete, der nicht notwendigerweise Euthanasie oder rassistische Züchtung anvisierte, sondern auch auf eine Präventivmedizin zum umfassenden Erhalt der Volksgesundheit abzielen mochte. Die Historisierung der Eugenik ermöglicht es, diese als Wissenschaft neu zu bewerten und ihrem Verhältnis zu Genetik, Demographie, Psychologie und anderen Disziplinen nachzugehen. ...
Nein, Langeweile kommt bei Franck Collard nicht auf, ist er doch Historiker des Gifts und der Leidenschaft. Seit seinem Werk "Le crime de poison au Moyen Âge" greift er immer wieder das Problem des Einsatzes von Gift in der Welt des Spätmittelalters, vor allem im 15. Jahrhundert, auf; einem Saeculum, in dessen erster Hälfte – zumal in einem im Innern zerrissenen und vom Hundertjährigen Krieg heimgesuchten Frankreich – ebenso das Thema der "passions" eine zentrale Rolle spielt, dem er bereits 2015 die Studie "Politique des passions et anthropologie des pulsions à la cour de Charles VII" widmete . Eine Annäherung an Jeanne d’Arc unter solches Vorzeichen zu stellen lag nahe, einmal aufgrund besagter "passions au sens de déchirements" im Königreich, sodann angesichts von Johannas "passion au sens d’exaltation affective et d’amour extrême" wie auch – mit Blick auf ihren Prozess und Tod in Rouen – wegen ihrer "passion … au sens de souffrance sacrificielle" (S. 11). ...
Trotz des enggefassten Titels bietet die vorl. Arbeit mehr als nur eine Untersuchung der angesprochenen "Waldenserprozesse", die in den Jahren 1459–60 die Einwohner von Arras und über die Stadt hinaus auch die umgebenden Territorien erschütterten. In einem breiten Panorama versucht der Autor eine Neudeutung der Häretiker- und Hexenprozesse, die über eine rein ideologiekritische Analyse materieller Interessen der Verfolger hinausgeht. In drei großen Abschnitten zum "Trugbild der Verfolgung", zum "Weg der burgundischen Herzöge zur Souveränität" und zur "Logik der Inquisition" werden Ablauf und Umfeld der Prozesse entwickelt, in denen 34 Personen verschiedenster sozialer Situierung eines Paktes mit dem Teufel beschuldigt und als Ketzer verurteilt wurden. Von besonderem Interesse mag hier die über weite Gebiete ausgreifende Entwicklung des Imaginaire eines "Hexensabbats" sein, welche den behandelten artesischen Raum mit den Randgebieten Savoyens verbindet, wo ebenfalls die Figur des magischen Flugs auf einem Stock und des Bündnisses mit dem Teufel früh präsent wird. Grundlage der Ausführungen zu Arras sind u. a. der jüngst neu edierte "Waldensertraktat" des Johannes Tinctorius sowie die bereits von Hansen publizierte Recollectio casus, status et condicionis Valdensium eines anonymen Autors, der Mitglied des Inquisitionstribunals war und vielleicht mit Jacques du Bois identifiziert werden kann, dem Dekan des Domkapitels von Arras. Wie aber lässt sich die frenetische Verfolgung von randständigen Personen ebenso wie von städtischen Honoratioren erklären, die der Stadt als ganzer massive Nachteile brachte, da die unsichere Situation ihren Ruf soweit schädigte, dass auswärtige Händler den Kontakt vermieden? Folgt man Mercier, so stand mehr im Hintergrund als eine spontane Aufwallung religiösen Fanatismus’ oder der Versuch, sich einzelner Personen unter einem unangreifbaren Vorwand zu entledigen. Detailliert geht er dem Prozessverlauf nach (soweit dies angesichts der großen Brandverluste des lokalen Archivs möglich ist), über weite Passagen anhand der chronikalischen Überlieferung Jacques du Clercqs. Diese Quelle zeigt in Verbindung mit der anonymen Recollectio den Weg zu einem geradezu entgrenzten juristischen Verfahren auf, in dessen Verlauf das Wort der Angeklagten immer mehr an Zeugniswert verlor und lediglich das gesuchte Eingeständnis der dämonischen Verbindung als vollwertige und wahrheitsgemäße Aussage akzeptiert wurde. Wenn hier die üblichen Schranken und Vorsichtsmaßnahmen beim Einsatz der Folter fallen, so ist dies in erster Linie mit dem Stellenwert zu erklären, den die Vorstellung der Majestätsbeleidigung, der "lèse-majesté", erhält. ...
Pour qui s’intéresse de près à l’histoire du Saint-Empire au Moyen Âge, l’œuvre de Robert Folz, disparu en 1996, demeure une lecture incontournable. Il revenait tout naturellement à l’université de Bourgogne, où cet élève de Marc Bloch effectua toute sa carrière universitaire, de célébrer la mémoire du grand médiéviste et du grand professeur. Ce fut chose faite le 23 mars 2001, à l’occasion d’une journée d’étude placée sous le patronage posthume de Robert Folz; une manifestation éminemment bienvenue dont la présente publication bilingue, à quelques années de distance, livre les actes. ...
Völlig zu Recht ist diese bei Jean-Bernard Marquette an der Universität Bordeaux 3 gearbeitete Dissertation mit dem "Prix de la fondation Charles-Higounet" der Académie nationale des sciences, belles-lettres et arts de Bordeaux ausgezeichnet worden, steht sie doch würdig in der guten regionalgeschichtlichen Tradition dieses großen Gelehrten, dessen Arbeiten und Methoden sich immer wieder mit der deutschen landesgeschichtlichen Forschung auseinandergesetzt haben. ...
Rezensionen über Festschriften laufen Gefahr, sich in Plattitüden zu ergehen. Denn die Gründe sowohl für den Charme als auch die Crux der Festgaben hängen eng zusammen: Dankbar möchte man der zu ehrenden Person ein Stück von dem zurückgeben, was diese Person zur Forschung beigetragen hat. Nun ist aber auch wissenschaftliches Schreiben ein kreativer Prozess und Erkenntnis und Relevanz fallen nicht auf einen gut gemeinten Wunsch hin vom Himmel, weil jemand Geburtstag hat. Auch dies ist eine Plattitüde, doch muss es erwähnt werden, da auch Heribert Müller, "sich solchen Ehrungen gegenüber Skepsis bewahrt [hat]". Wenn der Jubilar sich wenige Jahre nach der letzten Festgabe – betont keine Festschrift – zu seinem 70. Geburtstag nun doch mit einer solchen beschenkt sieht, wird er dies den Herausgeberinnen sowie Autorinnen und Autoren wohl in Hinblick auf diese in Umfang als auch Qualität überdurchschnittliche Festschrift gewiss nachsehen. ...
Da wird gegen Ende ein schon recht großer Anspruch formuliert: "Aus genuin historischer Sicht bieten die Ergebnisse dieser Studie Anknüpfungspunkte für ein neues Narrativ, eine neue Interpretation der spätmittelalterlichen französischen Geschichte." Und mehr noch: "Aus systematisch-komparatistischer Sicht lässt sich die Frage nach der Spezifik bzw. der Übertragbarkeit des französischen Beispielfalles unter Rückgriff auf soziologische Theorieentwürfe schließlich auch auf weitere historische Formationen jenseits der spätmittelalterlichen Epoche ausweiten" (S. 427). Hoch die Erwartungen also in der Sache und nicht ganz so hoch an Sprache und Stil. Und französische Leserinnen und Leser, an die sich das Buch sicher nicht zuletzt auch wendet, werden entzückt sein über Juwele kristallklarer Verständlichkeit und federleichter Eleganz wie: "Aus diesen Überlegungen ergibt sich zugleich, dass systematisch-komparatistische Ansätze die jeweiligen Vergleichsgegenstände unter Zugrundelegung externer Analysekategorien zuallererst konstituieren und die im einzelnen zu betrachtenden Phänomene dadurch überhaupt erst vergleich- und operationalisierbar machen müssen" (S. 438). ...
Dieses Überblickswerk über die Geschichte der von Kampers ausdrücklich als Wisigoten bezeichneten Westgoten ist in einen historisch-erzählenden Teil (I–IV) sowie eine strukturelle Analyse des Reiches von Toledo (V) unterteilt, dem Kampers u. a. deswegen besondere Aufmerksamkeit widmet, weil es "im Standardwerk über die Goten von Herwig Wolfram nicht mehr behandelt wird" (S. 15). ...
Gerhard Dilcher und Diego Quaglioni setzen mit diesem Band die Veröffentlichung der Ergebnisse einer zweiteiligen Tagung zu den Anfängen des öffentlichen Rechts fort, die in den Jahren 2006 und 2007 in Trient im Centro per gli Studi Storici Italo-Germanici in Verbindung mit der rechtswissenschaftlichen Fakultät der dortigen Universität veranstaltet wurde (vgl. Francia-Recensio 2009/1–Mittelalter). Die Anfänge des öffentlichen Rechts sind in den letzten Jahren verstärkt auf Interesse gestoßen und waren vor kurzem Gegenstand eines von Jacques Krynen und Michael Stolleis herausgegebenen Tagungsbandes zu "Science politique et droit public dans les facultés de droit européennes (XIIIe–XVIIIe siècle), Frankfurt/M. 2008". Trotz des ähnlichen Themas ist die Konzeption beider Bücher sehr verschieden und ergänzt sich in mancher Hinsicht, zumal der geografische Rahmen des Trienter Bandes sich der Zielsetzung der Veranstaltung entsprechend auf Italien und Deutschland zur Zeit der Staufer konzentriert. In beiden Fällen werden die gesamteuropäische Bedeutung und Ausstrahlung der mittelalterlichen italienischen Rechtswissenschaft und wichtiger Autoren wie Bartolus und Baldus deutlich. ...
Schillernde und problematische Gestalten stehen im Mittelpunkt dieser Publikation, mit der G. Lecuppre eine gekürzte Fassung seiner 2002 in Poitiers verteidigten Dissertation vorlegt. Die "falschen Fürsten" des Mittelalters haben schon mehrfach die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen, wenngleich aus unterschiedlichen Perspektiven: Während Tilman Struve die "falschen Friedriche" unter dem Paradigma der Fälschung anging, untersuchte Rainer C. Schwinges die "falschen Herrscher" des Spätmittelalters als Indikatoren einer durch Krisen geprägten Mentalität. Trotz solcher Einzelfallstudien fehlte bislang aber eine monographische Darstellung des Phämomens in breiterer und vergleichender Anlage. Lecuppres Arbeit befriedigt daher zweifellos ein Desiderat der Forschung. Ausgehend vom derzeit wieder stärker in den Vordergrund tretenden Problemfeld der Identität und der Identifikation, bemüht sich der Autor anhand von Beispielen des 12. bis 15. Jhs. um eine Typologie des politischen Hochstaplers und dessen Umfeld. Die Auswahl der exemplarischen Fälle konzentriert sich dabei auf Fürstenfiguren, so dass etwa die "falschen Jeanne d’Arcs" nur kurz in den Blick geraten (über das Register aber erschließbar sind). In vier Abschnitten widmet sich Lecuppre den kulturellen Parametern der Vorspiegelung falscher Herrscheridentitäten (Kap. 1–3), den Etappen und Praktiken des Verlaufs einer solchen Hochstapelei (Kap. 4–6), den gesellschaftlichen Hintergründen und den Reaktionen der in Frage gestellten Herrscher (Kap. 7–8) sowie der Verbindung der politischen Hochstapelei mit dem Phänomen des Messianismus (Kap. 9–10). Die strukturell orientierte Analyse zergliedert die jeweiligen Einzelfälle recht stark, so dass dem Leser nicht immer sofort ein eingehender Überblick gelingt: Das Exempel dient als Ansichtsmaterial für systematisierende Erwägungen. Zahlreiche Sprünge über Zeit und Raum hinweg, vom "falschen Balduin IX." in Flandern über den "falschen Waldemar II." von Brandenburg oder Giannino Baglione, den "falschen Johann I. von Frankreich", zu Perkin Warbeck, dem "falschen Richard von York" in England machen daher den Nachvollzug der einzelnen Geschichten im Detail nicht immer einfach. ...
Im Mittelpunkt der Darstellung stehen zwei Angehörige der Familie Clough. Anne Jemima (Annie) Clough wurde 1820 in Charleston, North Carolina, geboren und starb 1892 im englischen Cambridge. Ihre Nichte Blanche Athena (Thena) Clough kam 1861 in Derbyshire auf die Welt und starb 1960 in London - das erklärt Anfangs- und Enddatum des Untertitels. Die Geschichte, die Gillian Sutherland in dieser lebendigen und materialreichen Familienbiografie erzählt, hat zwei Fluchtpunkte. Das Schicksal der Cloughs ist eng verflochten mit der Geschichte von Newnham College, Cambridge, wo Sutherland lehrt. Zudem geht es der Autorin um das Verhältnis zwischen bildungsbürgerlichen Berufen und 'gentility', d. h. einem finanziell abgesicherten und nach den Maßstäben der englischen Oberschicht respektablen Lebensstil. Annie Clough war die Tochter eines Kaufmanns, der mehrfach bei dem Versuch scheiterte, von Amerika oder England aus im Fernhandel oder Finanzwesen, vor allem im Handel mit Baumwolle, sein Glück zu machen und ein respektables Vermögen zu erwerben. Die Übersiedlung der Familie nach Amerika war Ausdruck der Hoffnung auf das Potenzial des Baumwollmarktes; die Rückkehr nach Liverpool ein erster Ausdruck des Scheiterns. Aber während die Bank von Annies Großvater nur einmal in Konkurs ging und mittelfristig alle Schulden tilgen konnte, machte das Handelshaus ihres Vaters zweimal bankrott. Die Notwendigkeit, zum Unterhalt der Familie beizutragen, brachte Annies Bruder, den in Oxford als Theologen ausgebildeten, Spezialisten als Dichter bekannten Arthur Clough dazu, sich zunächst als Vorsteher eines Studentenwohnheims des Londoner University College, dann als Beamter im 'Erziehungsministerium' zu versuchen - beides letztlich mit mäßigem Erfolg. Das lag freilich auch daran, dass Clough, den die Debatten im Umkreis des Oxford Movement zum Atheisten hatten werden lassen, als Lehrer in einem noch weitgehend theologisch geprägten Umfeld nur schwer tragbar schien; eine akademische Karriere in Oxford blieb ihm ebenso verschlossen wie die Aussicht auf eine Pfarrei. Annie Clough wählte ebenfalls den Weg in den Bildungsbereich. Freilich fehlte ihr eine formale Ausbildung, die über den Schulbesuch selbst hinausgegangen wäre. Mithin waren auch ihre Unternehmungen als Lehrerin und Schulleiterin eher provisorischer Natur; dazu kam der frühe Tod des Bruders und das Bedürfnis, mit für dessen Kinder zu sorgen. Annie Clough engagierte sich somit aus Überzeugung, aber auch aus ökonomischem Interesse für einen Ausbau der Frauenbildung. 1871 wurde sie Vorsteherin eines vor allem auf Betreiben Henry Sidgwicks gegründeten Wohnhauses für bildungswillige Frauen in Cambridge. Die Universität hatte soeben Vorlesungen für weibliches Publikum geöffnet und damit eine Kernforderung der akademischen Frauenbewegung erfüllt. Ähnliche Vorlesungen wurden bereits in anderen Teilen Englands angeboten. In Cambridge ergab sich aber das Problem, dass in der Stadt keine geeigneten Unterkünfte für alleinstehende Damen zur Verfügung standen. Das spätere Girton College befand sich damals noch in Hitchin; das Cambridger Modell sah zudem vor, dass Frauen ganze Vorlesungszyklen besuchen sollten, die sich vorwiegend an männliche Studenten "in residence" richteten, was wiederum die Begleitung durch eine Anstandsdame erforderte. 1875 wurde aus dem zunächst fünf Damen beherbergenden Wohnheim Newnham Hall, 1879 Newnham College, nach Girton das zweite Frauencollege der Universität. Die Autodidaktin Clough wurde von einer quasi-Hausdame zum College Principal. Auf diesem Posten folgte ihr Thena Clough, die zu den ersten Newnham Studentinnen gehört hatte. Der zweite Teil des Buches kreist um die Funktionsweise des Colleges, den langen Kampf um die Zulassung von Frauen zu Universitätsexamen und das intellektuelle Milieu Newnhams, ohne doch ganz zur breiten College Geschichte zu werden. So gerät freilich die These aus dem Blick, bildungsbürgerliche Aktivitäten seien finanzielle Rettungsanker der englischen Oberschicht gewesen, die es erlaubten, ohne großen Aufwand einen respektablen Lebensstil zu sichern (2 f.), der normalerweise auf Handelskapital oder Landbesitz gegründet gewesen wäre. Im Falle der männlichen Cloughs mag das so gewesen sein (auch Thenas Bruder machte eine eher wenig distinguierte Karriere im civil service), bei den Frauen der Familie wird aber bereits deutlich, dass die These kaum verallgemeinerbar ist. Zudem fehlen systematische und detaillierte Angaben zum Einkommen der Cloughs; über weite Strecken scheint ein Rest von Familienvermögen und ein dichtes Verwandtschaftsnetzwerk wichtiger gewesen zu sein als der Beruf. "The Power of Mind" passt da - auch mit Blick auf Annie Cloughs angeheiratete Cousine Florence Nightingale und andere Angehörige des weiteren Bekanntenkreises - als Erklärungsmodell schon besser.
Der Band ist das Ergebnis einer Tagung, die vom 22. bis 24. Juni 2006 in Trient abgehalten worden ist. Einleitend weisen Diego Quaglioni und Gerhard Dilcher auf den Nutzen des Austauschs zwischen italienischer und deutscher Geschichtswissenschaft auf dem Feld der kaiserlichen Gesetzgebung der Staufer hin, insbesondere in Bezug auf die roncalische Gesetzgebung. Dilcher verweist auf die komplizierte Überlieferung und den ambivalenten Charakter der einzelnen roncalischen Gesetze, in denen sich mittelalterliche und deutsche Rechtstraditionen mit römisch-justinianischen Traditionen unter einem neuen Ordnungs- und Gesetzgebungswillen des Herrschers vermischten. ...
Die Habilitationsschrift des Frankfurter Historikers Gregor Rohmann will keine Ideengeschichte des krankhaften Tanzens präsentieren, sondern wählt einen diskursiven, semiotischen Ansatz zur Deutung und Bewertung eines mittelalterlichen Phänomens, das unter dem Begriff der »Tanzwut« in der interdisziplinären Forschung sehr unterschiedliche Bewertungen erfahren hat. Galt die Tanzwut in der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts vorwiegend als physisch bedingte Krankheit (Chorea Huntington, Veitstanz) bzw. psychische Epidemie, wird die Tanzwut unter der Prämisse einer diskursiven Körpergeschichte zunehmend als kulturell beeinflusstes, dynamisches Krankheitskonzept interpretiert, das sich durch Einbettung in verschiedene Beziehungsgeflechte in einem stetigen Deutungswandel befindet. Daran anknüpfend zielt Rohmanns Studie auf ein neues Verständnis der Tanzwut auf der Basis umfangreicher epochenübergreifender Quellenbelege. ...
"Auch der Verein für Hamburgische Geschichte (VHG) hat lange Zeit vermieden, sein größtes Versagen zu thematisieren", konstatiert der aktuelle Vereinsvorsitzende im Vorwort des Buches. Damit rückt er die Studie explizit in den Kontext der Bewältigungs- und Aufarbeitungsforschung zum Umgang von Ministerien und Parlamenten mit der NS-Vergangenheit, deren Konjunktur noch nicht vorüber ist. Auch von Verlagsseite wird das umfängliche Werk als "erste kritische Detailstudie zur NS-Geschichte eines deutschen Geschichtsvereins" beworben. ...
Am 19. Januar 1919 nahmen erstmals auch Frauen an den Wahlen zur Deutschen Nationalversammlung teil. Der am 10. November 1918, dem Tag nach der Abdankung des Kaisers und der Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann, gebildete Rat der Volksbeauftragten erließ als eine seiner ersten Amtshandlungen ein neues Wahlgesetz. Für alle Parlamente auf kommunaler, Länder- und Reichsebene wurde das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht für Männer und Frauen ab 21 Jahren dekretiert. Damit durften alle erwachsenen Deutschen wählen, unabhängig vom Geschlecht, von Besitz und Steuerleistung. Die bis dahin überall geltende Beschränkung des Wahlrechts auf Männer war damit abgeschafft und auch das in Preußen geltende Dreiklassenwahlrecht, das bis dahin die Stimmengewichtung an die Steuerleistung gekoppelt hatte. ...
Dieser Band versammelt die Vorträge einer Tagung der Johannes- Althusius-Gesellschaft e. V., die vom 26.–29.5.2016 in Wittenberg stattfand.
Die umfassende Thematik wurde auf vier Aspekte konzentriert: 1) Religion und Konstitutionalisierung 2) die Bedeutung der Reformation für Rechts- und Staatslehren der frühen Neuzeit, 3) Völkerrecht, 4) Recht, Gehorsam und Religion. Dem folgt auch die Gliederung des Buches. Leider ist die Einleitung des Herausgebers sehr formal. Angesichts einiger sehr anregender neuer Forschungsthesen bzw. -ergebnisse wäre der inhaltliche Schwung der Tagung gleich als Eröffnung gut vermittelbar gewesen. ...
Dieses Buch war lange überfällig. Wer sich mit Frauen im 20. Jahrhundert beschäftigt, vermisste einen Überblick über die aktuellen Forschungen zur "Frauengeschichte" der Weimarer Republik. Die Autorin liefert eine frische und gut lesbare Zusammenfassung der bisher geleisteten Forschungen und kann andeuten, welche weiteren Fragen gestellt werden müssen. Wie schon vor ihr Matthew Stibbe, mit seinem ebenfalls sehr gelungenen Überblick interpretiert Boak die Weimarer Republik als "Post-war society". Folgerichtig beginnt sie ihre Darstellung mit einem langen Kapitel über Frauen im Ersten Weltkrieg. Schlüssig argumentiert sie, dass der Krieg das Leben der meisten Frauen erheblich veränderte, aber nur sehr wenige Emanzipationsgewinne zu finden seien. An dieser Stelle weist sie die These Ute Daniels von einer "Emanzipation auf Leihbasis" als unangemessene Formulierung zurück. ...
Le livre, issu d’un colloque tenu en 2010 dans l’enceinte de l’Historisches Kolleg, relève de la gageure. Il entend déporter l’accent de la première décennie du concile de Bâle, celle de son apogée, vers la seconde, quand l’assemblée perd peu à peu le soutien des princes et voit fondre ses rangs jusqu’à son autodissolution finale. La difficulté ne tient pas seulement au peu d’intérêt qu’inspire de prime abord cet échec annoncé. Elle réside aussi dans les lacunes de la documentation: passé 1443, s’interrompent à la fois les protocoles du concile et la chronique de Jean de Ségovie, qui fournissaient jusquelà un indispensable fil conducteur. Il vaut pourtant la peine d’étudier »Bâle après Bâle« autrement que sous les couleurs fanées d’un lent et irrésistible déclin. Même affaibli, le concile a continué à peser sur le jeu politique et sur les débats du temps, ce qui a contraint la papauté de Nicolas V à des accommodements. Aussi bien sa dispersion en 1449 ne sonnetelle pas le glas du conciliarisme, puisque celuici demeura vivace jusqu’à Vatican I. On ne peut que féliciter Heribert Müller d’avoir voulu ainsi, comme il s’en explique dans l’introduction, prendre toute la mesure d’un concile unique dans l’histoire par sa durée. ...
Le dernier livre du professeur Heribert Müller s’inscrit dans l’ample projet encyclopédique que le spécialiste de Bismarck Lothar Gall mène depuis 1988 et dont les 100 volumes retracent l’histoire de l’espace politique allemand, du Moyen Âge au XXe siècle. La crise ecclésiastique de la fin du Moyen Âge est étudiée dans une perspective à la fois synthétique et scientifique. Dans l’"Enzyklopädie deutscher Geschichte" (EDG), fidèle à la collection "Oldenbourg Grundriss der Geschichte", l’analyse se déploie en trois temps. À la synthèse chronologique de faits historiques (p. 1–58), succède le commentaire historiographique des principaux travaux de recherche (p. 59–123); enfin, la bibliographie thématique rassemble les sources éditées et les principaux ouvrages cités (p. 125–152). Le cheminement du lecteur dans l’ouvrage est facilité par des rubriques marginales et un triple index (p. 153–163). Que chacune des trois parties suive, à quelques nuances près, le même plan permet de faire une lecture transversale du livre. L’auteur paraît y inciter, qui émaille la synthèse historique de quelques remarques historiographiques. Dans le paysage éditorial français, la collection "Nouvelle Clio", publiée aux Presses universitaires de France depuis 1966, suit la même orientation synthétique et scientifique, qui s’avère précieuse pour les étudiants comme pour les spécialistes. Mais à la différence des manuels français, les volumes de l’"EDG" forment, grâce au travail d’édition et au soin apporté à la mise en page, de véritables essais
Quand un professeur atteint l’âge de la retraite, il est de coutume de lui offrir un volume en son honneur. Le cas le plus fréquent est un volume d’hommages, de ses collègues et anciens étudiants. Plus rarement, c’est un recueil des articles rédigés par luimême qui est proposé. On peut débattre de la meilleure solution, mais la seconde a l’avantage d’offrir au souscripteur ou à l’acheteur un ensemble d’études publiées dans des revues ou des actes de colloque divers, et c’est celle qui a été choisie par les étudiants de Heribert Müller, à l’occasion de ses soixantecinq ans, le 16 mars 2011. ...
Eine gute Biografie sollte ein Schlüssel sein zu einer Zeit, ihren Strukturen und Charakteristika. Die Doppelbiografie der Brüder von Eichthal aus der Feder von Hervé Le Bret erfüllt diese Forderung in besonderer Weise. Denn die mannigfachen Tätigkeits- und Interessengebiete der beiden ungleichen und doch innig verbundenen Brüder geben Einblick in weite Bereiche des europäischen Geistes- und Wirtschaftsleben des 19. Jahrhunderts. In der Verflechtung der beiden Biografien ergibt sich so ganz von selbst eine enge Verbindung von internationaler Banken- und Kulturgeschichte. ...
Solche Bücher gab es vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland auch: Prachtwerke zur nationalen Erbauung eines seiner selbst nicht mehr ganz sicheren Publikums, das ein unüberhörbares Mahlen des Zahns der Zeit doch tapfer ignorieren wollte. Wer den Band aufschlägt und in der vorangestellten "Liste d’honneur des souscripteurs" als erläuterndes Prädikat hinter einem Namen "catholique et royaliste" liest, hat rasch Gewissheit: Mit Wissenschaft hat das teure Produkt nichts zu tun, viel dagegen mit Fragen wie der, "que notre Louis IX est bien nommé saint Louis, et non Saint Louis selon une mode universitaire qui se répand depuis quelques années" […]. J’écris donc comme dans les livres de ma religion, […]. De même, pour le héros de ce livre, et suivant la mode des anciens, j’écris Roi avec majuscule quand je parle de lui, car c’est le Roi par excellence, […]« (S. 14). In diesem Stil sprechen vier umfangreiche Kapitel über den König, königliche Symbolik, seine Umgebung und die Heraldik der Kapetinger; opulent illustriert mit Reproduktionen aus Handschriften des 13.–16. Jahrhunderts (darunter aus dem um 1250 entstandenen Krönungsordo BnF lat. 1246), schönen Faksimiles der Bulle Papst Gregors IX. für Ludwig IX. von 1239, der Gründungsurkunde der Sainte-Chapelle (1246), einer zur Unlesbarkeit verkleinerten Frankreichkarte aus dem 19. Jahrhundert, Photos der Sainte-Chapelle, Beispielen der Chartreser Glasfenster, Siegeln (u. a. des Königs, seiner Mutter, Margarethes von Provence, Peters II. von Courtenay, Rudolfs II. von Vermandois, Odos III. von Burgund, des Reimser Domkapitels), Münzen, der sog. "Cassette de St-Louis" (um 1236), Fotos erhaltener Teile des Krönungsornats (Sporen, Schwert Karls des Großen), Reproduktionen verlorener Stücke nach der "Collection Gaignières" und anderer gelehrter Werke des 17. und 18. Jahrhunderts (u. a. Félibien), Historiengemälden des 17. und 18. Jahrhunderts, nicht zuletzt zahlreichen Malereien von Claude de Gallo in der Art von Kinderbuchillustrationen (Ludwig IX. im Krönungsornat und zu Pferd, Blanche von Kastilien und Margarethe von Provence, Robert I. von Artois, Karl von Anjou und viele mehr) und einer bonbonfarbenen "Reconstitution de la sainte couronne ou couronne de S. Louis" von Jörg Mauriange. ...
Der Titel des Bandes macht zunächst einmal neugierig. Er scheint dem Leser ein weitgespanntes Spektrum von Beiträgen europäischer Dimension zu verheißen. Diese Erwartung wird nicht eingelöst. Die Ernüchterung des Rezensenten wäre sicherlich geringer gewesen, wenn man den Band "Beiträge zu einer Geschichte der Hofkultur in Frankreich und Burgund mit Ausblicken auf England" (o. ä.) genannt hätte. Das wäre zwar sperriger, aber zugleich ehrlicher gewesen, denn, wie Werner Paravicini treffend in seinem Geleitwort schreibt (S. 2), für diesen Band trugen "französische, belgische und deutsche Forscher, jüngere Leute, [...] Einzelstudien vor und nahmen ihren Stoff hier aus einem Roman, einer Chronik, einer besonderen Handschrift oder einer ganzen Büchersammlung, dort aus Skulptur, Malerei, Architektur und Musik". ...
Der vorliegende Band widmet sich für den Zeitraum von 1815 bis heute dem deutsch-französischen Verhältnis in 15 Einzelstudien, die entweder kulturwissenschaftlich ausgerichtet sind oder die dem Thema vor Ort in regionalen Fallbespielen nachgehen. Gemeinsame Klammer ist dabei der Rhein und dessen Anliegerregionen, womit die Herausgeber sich an neuere historische Forschungstrends anschließen. Anders als bisher wird der Rhein allerdings weder als deutschnationaler Fluss noch als natürliche französische Grenze wie vor 1945, aber auch nicht wie heute vielfach als europäisches Symbol verstanden, sondern als hybrider Raum, in dem verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Interessen unter gegebenen Rahmenbedingungen aufeinandertrafen, was zu speziellen Prozessen und hybriden Strukturen in den jeweiligen Regionen führte. Das Ziel, die bisher dominierenden politisch motivierten Interpretationen in Frage zu stellen und die regionalen Besonderheiten und Widersprüche genauer wahrzunehmen, um die vorherrschenden nationalen und europäischen Interpretationen besser einzuordnen, erreicht der Band dabei vor allem durch die auf breiter Archivalienbasis erstellten Beiträge. ...
Dies ist keine Gefälligkeitsbesprechung, dies ist, mehr noch, eine Jubelanzeige, handelt sie doch von einer Jubilarin und zwei Jubiläen. Der Unterzeichnende – oft genug hat er mit scharfer Rezensentenklinge gefochten – darf eine Kollegin rühmen, die nach ihrer Pensionierung als Forschungsdirektorin am C.N.R.S. 2011 in Bourges mit einem internationalen Kongress geehrt wurde (Église et État, Église ou État? Les clercs et la genèse de l’État moderne) und die in den letzten Jahren als Summa ihrer Forschungen zum großen abendländischen Schisma gleich drei Bände vorlegen konnte, von denen zwei wiederum Konzilien jener Zeit mit Jubiläumsdatum galten: So gab Hélène Millet 2009 die Akten einer Tagung heraus, die, wesentlich von ihr konzipiert und organisiert, im Jahr zuvor aus Anlass des sechsten Centenariums des Konzils von Perpignan an ebendiesem Ort stattgefunden hatte 1 . Damit rückte sie jene Synode Benedikts XIII. gegen das anstehende und ihn bedrohende Pisanum in klareres Forschungslicht, die im Deutschen seit der Edition ihrer Akten durch Franz Ehrle (1889/1900) als "Afterconcil von Perpignan" allenfalls randhaft zur Kenntnis genommen wurde. H. Millet hat danach selbst noch wiederholt zu Inhalt und Ertrag dieses Kolloquiums Stellung genommen, so schriftlich in "cristianesimo nella storia" (29, 2008, S. 219–229) und mündlich im Rahmen einer Tagung über den "Languedoc médiéval" im Februar 2011 in Montpellier. 2009 war zudem das Jahr, in dem sie unter dem Titel "L’Église du Grand Schisme 1378–1417" eine Auswahl ihrer – meist frankreichzentrierten – Studien zur Kirchenspaltung vorlegte 2 . Immer wieder lassen sie ihre Kompetenz im prosopographisch-biographischen Bereich und damit auch ihre – computergestützten – Erfahrungen in der Kanoniker- und Kapitelforschung aufscheinen, aus denen wiederum das von ihr inspirierte und mittlerweile wohletablierte Unternehmen der Fasti Ecclesiae Gallicanae großen Nutzen gezogen hat und zieht. ...
"Heutzutage liegt es in der Verantwortung der Ingenieure, bessere Gesellschaften aufzubauen", schrieb Jean Coutrot im März 1939, "sie sind es, die über die notwendigen Methoden für diese Aufgabe verfügen, nicht etwa die Juristen oder Politiker". In Rationalisierung, Planung und Erziehung sahen Technokraten wie Coutrot die Lösung zu den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Problemen der Nation. Seit den zwanziger Jahren mehrten sich in Frankreich Schriften, in denen der Management-Gedanke als universales Heilmittel propagiert wurde: Jede Tätigkeit könne und müsse durch Organisation verbessert werden. Denkfabriken wie die Bewegung Redressement français, die Gruppe X-Crise oder der Comité national d’organisation français bildeten laut Jackie Clarke das Rückgrat eines scientific organisation movement , in dem eine Elite von Managern und Technokraten Visionen einer rationalen sozio-ökonomischen Neuordnung Frankreichs entwickelte. ...
Wer dem schmalen Band, der eine Art Hinterlassenschaft des 2014 verstorbenen Jacques Le Goff darstellt, gerecht werden möchte, sollte sich zunächst über die Adressaten klar werden: Wie schon häufiger wendet sich der Altmeister der französischen Mediävistik gerade nicht an ein Fachpublikum, sondern an einen weiteren Leserkreis, dem er noch einmal seine Gedanken über ein angemessenes Verständnis von Geschichte und Epochenvorstellungen nahebringen möchte. Wer sich aus wissenschaftlicher Perspektive bereits mit der Frage nach den Konstruktionen des Mittelalters auseinandergesetzt hat oder mit den Arbeiten Le Goffs vertraut ist, erfährt hier wenig grundlegend Neues (so der Autor einleitend selbst, S. 7). Die zentralen Momente und Akteure der "Erfindung" des Mittelalters wurden (mit jüngst steigender Frequenz) bereits intensiv untersucht, und auch Le Goffs Plädoyer für ein "langes Mittelalter" (S. 115–156), das sich bis zum Vorabend der Französischen Revolution erstreckt, ist bekannt. ...
Die umfangreiche und einem ausführlichen Quellenstudium entspringende Arbeit von Jakob Zollmann will sowohl der Entstehungs- als auch die Wirkungsgeschichte des völkerrechtlichen "Naulila"-Schiedsspruchs von 1928 nachgehen. Dieser Schiedsspruch, der eigentlich in drei Schritten getroffen wurde – 1928, 1930, 1933 –, ist ein "landmark case" des Völkerrechts und daher bis heute wirksam (S. 23). Wohl aus diesem Grund geht Zollmann ihm 100 Jahre später so detailliert nach, was mit der Aufnahme seiner Arbeit in die angesehene Reihe der "Studien zur Geschichte des Völkerrechts" honoriert worden ist. ...
Das hochwertig ausgestattete Buch vereint elf der im Jahre 2017 in Goslar gehaltenen Vorträge zum Jubiläum der tausendsten Wiederkehr des Geburtstages Heinrichs III. Der Rezensent beteiligte sich in dieser Reihe mit einem Beitrag, der wegen seiner umfangreichen Thematik ("Das salische Reich und Europa zur Zeit Kaiser Heinrichs III.") nicht in eine Kurzfassung gegossen werden konnte, was hier der Fairness halber bemerkt werden muss. ...
The articles in this volume represent anthropological approaches to the study of external and internal boundaries in Europe. The authors raise fascinating methodological and empirical questions by approaching European societies from the perspective of a discipline usually working on the basis of greater cultural distance between scholars and the objects of their research. Moreover, the volume tackles a subject usually understood as a political project and a political problem, E.U. Europe, in an original non-political-science perspective. The volume's case studies are all based on bottom-up views of Europe, with fieldwork the methodology of choice. The first articles focus on institutions. Cris Shore and Daniela Baratieri's article focuses on the ambivalent results of attempts by European schools, which cater mainly to Eurocrats in Brussels and Luxemburg, to replace nationalism with a sense of European identity or nationhood, while Gregory Feldman discusses Estonian programs for the integration of Russian-speakers and Davide Però addresses the position of Italy's left-wing parties and public to the "new immigration." While these essays argue that "Europe" may not be as destructive to national (institutional) boundaries or the nation state as is often supposed, the next block of articles tackles migration across boundaries in a more conventional perspective, focusing on particular immigrant groups. Helen Kopnina discusses Russians in London and Amsterdam, while Christina Moutsou focuses upon immigrants in Brussels and Jacqueline Waldren examines Bosnians in Mallorca. To me, the case study of Turkish migrants in West Berlin by Sabine Mannitz is particularly intriguing, because it uses the peculiar experience of a lesson on Jews' fate in the Holocaust in which the teacher cast immigrants as permanent outsiders in Germany to explore pupils' sense of boundaries, and the East-German West-German divide appeared to loom much larger for immigrants than that between foreigners and Germans. The last section focuses on concrete and contested boundaries in European states and towns: William F. Kelleher, Jr. discusses Northern Ireland, Greek towns are the focus of Venetia Evergeti and Eleftheria Deltsou's article and South Tyrol is examined by Jaro Stacul. The volume makes for diverse and diversifying reading, and can only be highly recommended to anyone interested in innovative perspectives on the fate of the European project.
Nach Lektüre dieses Werks ist man zunächst geneigt, von einer Rezension im Wortsinn abzusehen, um die Autoren stattdessen einfach zu einer rundum Respekt und Bewunderung verdienenden Leistung zu beglückwünschen, haben sie doch auf nicht weniger als 1100 Seiten ihr Thema von der ausgehenden Karolingerzeit bis an die Schwelle des 16.Jahrhunderts mit hoher Kompetenz unter allen nur denkbaren Aspekten abgehandelt und diese durchgängig mit einer schier überbordenden Fülle von Belegen und Beispielen illustriert. Der durchmessene Raum reicht von Norwegen bis Byzanz und von Polen bis zur Iberischen Halbinsel; einen gewissen Schwerpunkt bilden dabei das römisch-deutsche Reich und Frankreich. Solch in einem französischen Handbuch nicht unbedingt zu erwartender Doppelakzent verdankt sich Jean-Marie Moeglin, der bereits 2010/2011 mit seiner "Deutsch-Französischen Geschichte im Spätmittelalter" ein ähnlich gelehrtes Monument vorgelegt hat. Wie sehr er in den Kulturen beider Länder heimisch ist – in München, dem für Mediävisten deutschen Bibliotheksmekka, hat er inzwischen ein zweites Zuhause –, zeigt sich bis in die Anmerkungen und in eine (mit Unternummern) weit über 3000 Titel umfassende Bibliografie, die für europäische und insbesondere eben deutsche und französische Benutzerinnen und Benutzer künftig eine unverzichtbare Referenz sein dürfte. Gerade in einem Organ vom Profil der Francia-Recensio sei darauf mit Nachdruck empfehlend hingewiesen. ...
Nein, hier sollte keine Gesamtwürdigung von Person und Werk des Pierre d’Ailly vorgenommen oder dessen Epoche im Spiegel seiner Person unter vorwaltend kirchlich-politischen Aspekten analysiert werden, zumal darüber schon in jüngerer und jüngster Zeit Studien von Bernard Guenée sowie von Hélène Millet und Monique Maillard-Luypaert handelten. Vielmehr galt es auf der Pariser Tagung im März 2017, deren – sorgfältig redigierte, u. a. mit Auswahlbibliografie, Handschriftenverzeichnis, Personenregister und Zusammenfassungen der Beiträge in Französisch und Englisch versehene – Akten hier anzuzeigen sind, die vielfältigen Aspekte und Facetten der aktiven und schriftstellerischen Tätigkeit eines Mannes zu untersuchen, den man als "esprit universel" und "intellectuel engagé" charakterisieren mag, wie es Jacques Verger, Mitherausgeber und Mitglied der das Kolloquium in der Hauptsache tragenden Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, einleitend tut (S. 10f.). ...
Mit diesem umfangreichen Werk zur Rolle der bäuerlichen Gesellschaft im Gesellschaftssystem der fränkischen Welt des 6. bis 9. Jahrhunderts ist nicht nur der Versuch gemacht worden, Quellenstellen zu kompilieren, systematisieren und analysieren, sondern eine anthropologisch begründete "vision totale" des Themas zu liefern. Dabei geht es dem Autor darum, das karolingische Gesellschaftssystem in seiner Gesamtheit (S. 9.) unter besonderer Berücksichtigung der Perspektive der bäuerlichen Welt zu behandeln (S. 14). Die Studie umfasst drei große Teile ...
Richtete sich das lange unter der Federführung von J.-Ph. Genet un d W. Blockmans betriebene Forschungsunternehmen zur »Entstehung des modernen Staates« vor allem auf die Epoche des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit aus, so nimmt der vorliegende Band einen strukturellen Vergleich ausgewählter Aspekte der Staatlichkeit des antiken Rom und des spätmittelalterlichen Europas in den Blick. Wie D. Nicolet in seiner Zusammenfassung treffend hervorhebt (S. 419–426, hier S. 420), wird dieser Vergleich ganz im Sinne der programmatischen Vorgaben des spiritus rector Genet (S. 3–14) vorrangig als Kontrastierung durchgeführt. Zwar verweisen einige Autoren auf mögliche Resultate einer Zusammenschau, grundsätzlich bleibt die komparative Synthese aber weitgehend dem Leser überlassen. Dieser kann sich zu ausgewählten "Strukturbereichen" – der Zeit(-wahrnehmung/-rechnung), der Raum(-ordnung), der Verwandtschaft, der (schriftlichen) Kommunikation und dem Recht – in jeweils gedrängten Synthesen und zuweilen auch in Fallstudien informieren. ...
L’ouvrage est le fruit d’un colloque tenu les 30 juin et 1er juillet 2006 au Zentrum für Europäische Studien de l’université de Cologne. La corruption, vaste et universel thème par-delà les siècles, les continents, les États, les régimes politiques … Juristes, sociologues et politistes s’en sont emparés, plus que les historiens: citons Paul Veyne, Jakob van Klaveren, Jean-Claude Waquet et quelques secteurs bien documentés, la corruption dans l’Angleterre parlementaire, celle de la république de Weimar, instrumentalisée par les nazis, celle du régime nazi. L’universalité du phénomène, le champ très ouvert de ses manifestations doivent éviter la tendance à une généralisation facile; la corruption doit être contextualisée et datée avant que d’être conceptualisée. ...
Das von Gerd Althoff 1993 geprägte Konzept der "Spielregeln der Politik" erlebt seit über zwei Jahrzehnten Konjunktur. Mit dessen Hilfe war es der jüngeren Mediävistik möglich, herrscherliche und fürstliche Entscheidungen, welche die ältere Forschung allein im Lichte von Rechtsnormen und ökonomischen Interessen interpretiert hatte, auch als Produkte von Erwägungen kulturpolitischer Natur einzustufen. Mit der Ausnahme eines Beitrags von Franz Felten zu kurialen Verhandlungen im 14. Jahrhundert ist jedoch diese Kategorie bisher nur auf kaiserliche, königliche und fürstliche Höfe angewandt worden, während die päpstliche Kurie weitgehend unberücksichtigt geblieben ist. ...
Das Buch von Joachim Ehlers enthält der Zielsetzung der Reihe "Wissen" entsprechend eine relativ kurze und kompakte monographische Darstellung des Hundertjährigen Krieges, bei der die Aufgabe der Wissensvermittlung im Vordergrund steht. Damit hat es für deutsche Leser dieselbe Funktion, die in Frankreich die in einem sehr ähnlichen Format erscheinenden Bände der Reihe "Que sais-je?" erfüllen. Dort wurde eine vergleichbare Darstellung des Hundertjährigen Krieges von Philippe Contamine (La guerre de Cent ans, 9. aktualisierte Auflage, Paris 2010) veröffentlicht. ...
Professeur émérite d’histoire médiévale à l’Université libre de Berlin, spécialiste d’Hugues de Saint-Victor et d’Henri le Lion, mais aussi de la société et de la culture médiévales, de l’Europe du haut Moyen Âge et de la France des Capétiens, l’auteur propose ici un petit livre qui fournit un excellent aperçu du devenir de la chevalerie entre les XI e et XV e siècles: origine, évolution et finalement déclin de l’ordo militaris dans l’espace européen. Il s’agit d’une belle approche d’une réalité et de ses représentations rituelles et symboliques, à travers notamment Hastings, les croisades, les joutes et les tournois. ...
Wie kein anderes Unternehmen steht der frühere Flick-Konzern für die enge Verbindung zwischen Wirtschaft und nationalsozialistischem Regime. Sein Wachstum wurde im Dritten Reich von kaum einem Unternehmen übertroffen. Der Konzern profitierte im großem Ausmaß von "Arisierungen", war ein bedeutender Rüstungsproduzent und beschäftigte zehntausende von Zwangsarbeitern. Das alliierte Militärtribunal in Nürnberg zog die leitenden Direktoren zur Verantwortung und verurteilte führende Männer des Konzerns. Das genaue Ausmaß der Verstrickung des Unternehmens in die Verbrechen des Dritten Reiches entzog sich aber lange einer umfassenden Aufarbeitung und wurde durch den Umstand erschwert, dass es heute den Konzern nicht mehr gibt. Dabei ist das Unternehmen wie kein zweites durch seinen Namen mit Affären und Skandalen verbunden. Der Bogen reicht von der so genannten "Gelsenberg"-Affäre in der Weimarer Republik über den Parteispenden-Skandal der Bonner Republik bis zur Eröffnung der Berliner Flick-Kollektion im Jahr 2004. Aus diesem Grunde ist es nicht nur begrüßenswert, sondern auch überfällig, dass das Münchener Institut für Zeitgeschichte sich in einer breit aufgestellten Studie der Geschichte des Konzerns widmet. ...
Wohl kaum ein anderes Falsifikat des Frühmittelalters, mit Ausnahme vielleicht der Falschen Dekretalen des sogenannten Pseudo-Isidor (Paschasius Radbertus), hat die Forschung derart intensiv in Atem gehalten wie das Constitutum Constantini . Seit Lorenzo Valla in seiner bahnbrechenden Studie aus dem Jahr 1440 ( De falso credita et ementita Constantini donatione ) das Dokument mit inhaltlichen Argumenten als apokryph erweisen konnte, hat die Frage nach Entstehungszeit und -ort Dutzende von Forschergenerationen beschäftigt. Da – angeblich – Konstantin der Große nach der Heilung vom Aussatz und anschließender Verlagerung seines Amtssitzes von Rom an den Bosporus die gesamte Westhälfte des Römischen Reiches dem Papst überlassen habe, damals Silvester I. (314–335), lag selbstredend die alte Frage nach dem Cui bono nahe: Aufgrund der Tatsache, dass der Apostolische Stuhl eindeutiger Nutznießer der Konstantinischen Schenkung ist, konnte folglich die Fiktion nur an einem Ort entstanden sein, nämlich in Rom. Diese Sicht der Dinge schien eindeutige Bestätigung zu erfahren durch die philologische, hier vor allem quellenkritische Analyse des Textes: Nicht wenige Passagen ähneln solchen Formulierungen, wie sie in der Korrespondenz der Päpste Paul I. (757–767) und Hadrian I. (772–795) anzutreffen sind, einer Briefsammlung, die gemeinhin unter dem Rubrum Codex Carolinus bekannt ist (Unikat: Cod. Wien lat. 449, saec. IX ca. med., nordalpine Schriftheimat, wohl direkte Kopie des Originals aus dem Jahr 791). So dominierte in der Forschung über Jahrhunderte die Position, das Constitutum Constantini sei ein Produkt der kurialen Kanzlei des späteren 8. Jahrhunderts. Nur vereinzelte Stimmen wurden laut, die fränkischen Ursprung und thematischen Zusammenhang mit dem pseudoisidorischen Fälschungskomplex postulierten, demnach eine Genese im mittleren 9. Jahrhundert favorisierten (in diesem Sinn dezidiert die wichtige Studie von Hermann Grauert, Historisches Jahrbuch 3–5, 1882–1884, dazu unten mehr). Letztere Position ließ sich vor allem deshalb nachdrücklich vertreten, weil erstens die frühesten Handschriften des Constitutum Constantini (geschrieben in den 850er/860er Jahren) gleichzeitig die ältesten Überlieferungsträger der pseudoisidorischen Dekretalen sind (u. a. Vatikan Ottobonianus latinus 93; Vatikan latinus 630; dann der noch nirgendwo gebührend beachtete Cod. Rennes 134, der keineswegs ins 11., sondern ins mittlere 9. Jahrhundert zu datieren ist (New Haven 442 enthält das CC erstaunlicherweise nicht) sowie die frühesten Zeugen der Version A2 wie etwa Aosta 102, Ivrea LXXXIII, Rom Vallicellianus D 38 und Sankt Gallen 670); und weil zweitens keinerlei zweifelsfreie Rezeption des Constitutum Constantin i vorliegt bis zu der Zeit, als es eben Eingang fand in die Sammlung falscher Papstbriefe, die ab den 830er Jahren im Kloster Corbie fabriziert wurden. Corbie, die abbaye royale an der Somme, ist demnach der überlieferungsgeschichtlich früheste Ausgangspunkt des Constitutum Constantini . Dazu gesellt sich die Abtei Saint-Denis, in deren Formelsammlung (Cod. Paris latinus 2777, der hier interessierende Teil geschrieben saec. IX 2 ) das Falsifikat ebenfalls enthalten ist. Der Version des Parisinus – dies haben eingehende Untersuchungen im Rahmen eines Oberseminars im Wintersemester 2008/09 klar bestätigt – kommt eine eindeutige textqualitative Präferenz zu gegenüber der pseudoisidorischen Traditionsform, die redigiert und sprachlich geglättet wurde. Das Constitutum Constantini , so wird man mit dem derzeit gültigen Forschungsstand (Horst Fuhrmann) festhalten können, ist kein Produkt der Fälscherwerkstatt in Corbie. Gleichwohl sollten überlieferungsgeschichtliche Spezifika (Corbie und Saint-Denis als herausragende geistige Zentren des Frankenreichs, demgegenüber aber keine frühe Präsenz des Constitutum Constantini in Rom) gebührende Beachtung finden.
An diesem Punkt setzt Johannes Fried an. ...
Ce volume rassemble les actes d’un colloque tenu en octobre 2001 avec l’objectif de contribuer à une meilleure connaissance du rôle des cours dans »la poussée de scientifisation« (Verwissenschaftlichungsschub) du XIIIesiècle. Plus précisément, c’est l’articulation entre »transferts culturels« (Kulturtransfer) – un concept forgé pour l’étude des relations franco-allemandes à l’époque moderne et, par la suite, lui-même transféré à celle de l’histoire de l’Amérique – et »société de cour« (Hofgesellschaft) qui est ici visée. Il s’agit de mieux comprendre les modalités de circulation et de production des savoirs, les pratiques intellectuelles en vigueur et les connaissances recherchées dans les mondes curiaux. ...
Published in good time for the 2014 "Karlsjahr", marking 1200 years since the emperor’s death, Johannes Fried’s latest book is intended to make specialist scholarship on Charlemagne accessible to a broad audience. Judging by the impressive sales figures, it has admirably fulfilled that purpose. That is not however to say that it is an anodyne synthesis of current research. The picture of the Frankish ruler it provides is very much the author’s own, as he himself emphasises, so there is little danger that it might be lost to sight amongst the many other biographies currently available. ...
Dieser Sammelband widmet sich sehr verschiedenen Aspekten der Konzilien von Pisa, Konstanz und Basel und des Konziliarismus des 15. Jahrhunderts. In seiner Zusammenfassung am Ende muss Werner Maleczek gestehen, dass eine thematische Gliederung der Aufsätze kaum möglich ist. Der "vielgestaltige Reichtum" der Beiträge lässt diese Gliederung nicht zu. In ihrer thematischen Unterschiedlichkeit ist ihnen aber doch eine gemeinsame Spannung eigen. Es ist schon erstaunlich, einen Sammelband zu Themen zu erhalten, über die eine nahezu unüberschaubare Fülle an Literatur erschienen ist, und bei der Lektüre gewissermaßen den Eindruck zu gewinnen, dass es sich um ein neues Forschungsfeld handelt. Es wird immer wieder nach Grundsätzlichem gefragt. Fast könnte man sagen, dass die Fragen "Was ist ein Konzil?" und "Was ist Konziliarismus?" die Hauptthemen des Buches sind. Auf diese Weise enthält der Band, aus meiner Sicht, sehr viele Gedanken, die das Potential haben, die Forschung zu alten Themen zu erneuern. Auf diesen Aspekt möchte ich mich konzentrieren, auch, wenn das heißt, dass Einiges oder sogar Vieles Erwähnenswertes übergangen werden muss. ...
John Wilkes war eine der aufsehenerregendsten Figuren der englischen politischen Geschichte des ausgehenden 18. Jahrhunderts. 1725 wurde er als Sohn eines vom Nonkonformismus zum Anglikanismus konvertierten Londoner Unternehmers geboren. Es ist bezeichnend für das Streben der Familie nach sozialem Aufstieg, dass er zum Rechtsanwalt ausgebildet werden sollte; diesem Ziel diente auch ein Studienaufenthalt in Leiden. 1747 erwarb er durch die Heirat mit Mary Mead neben verstreutem Landbesitz ein Gut in Aylesbury, das ihm den Weg ins Parlament erleichterte, allerdings nicht verhindern konnte, dass er sich im Zuge des Wahlkampfs hoch verschuldete. Politisch stand er zunächst dem Kreis um William Pitt d. Ä. nahe, was dazu führte, dass er durch den Regierungswechsel, der Georgs III. Krönung folgte, Aussicht auf politische Ämter und das sich daraus ergebende Einkommen verlor. Stattdessen stellte er seine spitze Feder in den Dienst der Opposition, und seine Konflikte mit Regierung und Parlamentsmehrheit wurden bald zur Prinzipienfrage. Im Frühjahr 1763 wurde er wegen eines persönlichen Angriffs auf den ersten Minister des Königs, dem er ein Verhältnis mit der Königinmutter andichtete, erstmals verhaftet - was einen illegalen Eingriff in die parlamentarische Immunität darstellte, der Wilkes zunächst hohen Schadensersatz versprach. Im Herbst 1763 folgte allerdings eine formgerechte Anklage wegen Blasphemie, die sich auf einen pornographischen Text, den "Essay on Woman", bezog. Da seine Position aussichtslos schien, floh Wilkes nach Frankreich; seine Flucht zog die Ächtung nach sich, was wiederum bedeutete, dass er seine Schadensersatz-Forderungen vor Gericht nicht mehr geltend machen konnte. In Paris lebte Wilkes vor allem von mehr oder weniger geheimen Zuwendungen der wohlhabenden Mitglieder seiner 'Partei'. Die wachsende Schuldenlast und das Gefühl, von seinen Gönnern nicht hinreichend unterstützt zu werden, brachten Wilkes 1768 zurück nach England. Der Versuch, sich in den engeren Rat der Stadt London wählen zu lassen, scheiterte; allerdings gelang es Wilkes, sich - auch aus dem Gefängnis - drei Mal in Folge für den Wahlkreis Middlesex im Parlament wählen zu lassen. Die Wahl wurde dreimal annulliert, beim letzten Mal erkannte das Unterhaus den unterlegenen Kandidaten als rechtmäßig gewählt an. Vom unappetitlichen Propagandisten wurde Wilkes so zum Symbol für den Widerstand gegen die politische Willkürherrschaft einer parlamentarischen Oligarchie, die danach strebte, die Zusammensetzung des Parlaments durch Kooptation zu bestimmen. Die Kritik von Wilkes' Anhängern deckte sich in diesem Punkt in mehrfacher Hinsicht mit der Begründung amerikanischer Forderungen nach politischer Unabhängigkeit; ganz weitreichende Interpretationen weisen ihm sogar eine entscheidende Rolle für den Ausbruch der amerikanischen Revolution zu. [1] Wilkes wurde zum Liebling eines radikalen Londoner Kleinbürgertums. Er wurde Londoner Stadtrat, Bürgermeister, Kämmerer und setzte durch juristische Winkelzüge 1774 das Recht durch, über die Debatten eines Parlaments öffentlich berichten zu dürfen, dem er seit 1782 wieder angehörte. Die letzten Jahre seines Lebens sind weniger aufregend und weniger bekannt. In vielerlei Hinsicht wurde Wilkes zum gemäßigten Konservativen, der die Französische Revolution kritisch betrachtete und sogar ein einigermaßen vertrautes Verhältnis zu dem - allerdings nicht mehr ganz bei Verstand befindlichen - Georg III. aufbaute. Von den radikalen Forderungen der 1770er Jahre blieb vor allem die Unterstützung der religiösen Toleranz übrig. Wilkes starb 1797. Das Leben von John Wilkes ist seit George Rudés klassischer Darstellung der Gegenstand einer ganzen Reihe von Monographien gewesen; eine weitere ist angekündigt. [2] Vor diesem Hintergrund geht es Sainsbury weniger darum, noch eine Biographie zu schreiben, sondern Paradoxien der öffentlichen Wirkung von Wilkes zu entschlüsseln. Er fragt etwa danach, wie ein chronisch zahlungsunfähiger und -unwilliger Patron ausgerechnet zum Idol der kaufmännisch orientierten Londoner Bevölkerung werden konnte oder welche Rolle Wilkes sexuelle Ausschreitungen für seine Popularität spielten. Daraus ergibt sich der thematische Aufbau des Buches, das in sechs Teile gegliedert ist: Familie, Ehrgeiz, Sex, Religion, Klasse, Geld. Wilkes erscheint in (fast) allen diesen Bereichen als Grenzverletzer, dem es gelang, seine ungewöhnlichen Verhaltensweisen (Trennung von seiner Frau; aristokratische Ambitionen und Volksnähe) als kalkulierte Provokation gegenüber 'denen da oben' zu präsentieren. Eine solche Strategie war in vielem prekär, da sie auf subtilen Bedeutungsunterschieden beruhte. So versuchten Wilkes' Verteidiger seine sexuellen Ausschweifungen als Zeichen einer Potenz darzustellen, die sich von den verweichlichten, bisexuellen Praktiken einer perversen Aristokratie abhob - obgleich Wilkes diesen später von ihm kritisierten Zirkeln angehört hatte. Auf einer ähnlich spitzfindigen Argumentation beruhte die Unterscheidung zwischen den unvermeidbaren Schulden einer politischen Figur wie Wilkes und der Kaufleute bedrückenden Zahlungsverweigerung sozialer Eliten. Sainsburys sehr lesenswerte Interpretation der vielen Gesichter des John Wilkes beruht auf einer außerordentlichen Kenntnis der Briefe, Flugschriften und Karikaturen der Zeit. Was ihm allerdings auch nicht gelingt, ist, die Jahre nach 1774 stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Als es in der Öffentlichkeit Still um Wilkes wurde, verlor auch sein öffentliches Bild offenbar seine Konturen. Anmerkungen: [1] James Lander: A Tale of Two Hoaxes in Britain and France in 1775, in: Historical Journal 49, 2006, 995-1024. [2] Vgl. etwa George Rudé: Wilkes and Liberty: A Social Study of 1763 to 1774. Oxford 1962; Peter D. G. Thomas: John Wilkes: A Friend to Liberty. Oxford 1996; Arthur H. Cash: John Wilkes: The Scandalous Father of Modern Liberty. New Haven 2006.
Der vorliegende Band zu "Frontier Catalonia" liefert einen Beitrag zu Grenzen, Grenzräumen und Grenzphänomenen auf der Iberischen Halbinsel. Letztere wurden 1988 mit spezifischem Bezug auf die islamische Welt in einer Ausgabe der "Revue du monde musulman et de la Méditerranée" thematisiert. Ausgiebige Untersuchung mit Bezug auf verschiedene iberische Regionen erfuhr dieses Thema in mehreren Studien von Philippe Sénac, Pascal Buresi und Stéphane Boissellier. Letztlich spielt es auch im kürzlich erschienenen Sammelband "Christlicher Norden – Muslimischer Süden" eine gewichtige Rolle, so in mehreren Aufsätzen zur "Liminalität" bestimmter Akteure, aber auch zur Mobilität von Texten und künstlerischen Ausdrucksformen, der Darstellung "des Anderen" oder auch gezielter Expansionsbemühungen von christlicher Seite. ...