Arbeitspapiere / Fachbereich Rechtswissenschaft, Goethe-Universität = Research paper / Faculty of Law, Goethe University
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2022, 4
Der Beitrag stellt dar, wie Online-Plattformen in den Bereichen Urheberrecht, Hassrede und Desinformation in der EU reguliert wurden. Die Analyse ergibt einen Regulierungskreislauf, der in vier Phasen ablief. Bis zum Jahrtausendwechsel war es die Legislative, die einen allgemeinen gesetzlichen Rahmen für die Online-Kommunikation in Gestalt von Äußerungsverboten und Haftungsprivilegierungen definierte. Dieser Rahmen wurde im folgenden Jahrzehnt von den Betreibern der neu entstehenden Plattformen unter Ausnutzung ihres privatautonomen Gestaltungsspielraums implementiert. In der dritten Phase ab ca. 2010 verschärften die Judikative und die Exekutive die sich aus dem allgemeinen gesetzlichen Rahmen ergebenden Mindestanforderungen an die Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen, Hassrede und Desinformation. In der vorläufig letzten Phase des Regulierungskreislaufs ab 2017/2018 ergriff wieder der Gesetzgeber die Initiative, indem die Standards, die in den Phasen zwei und drei entwickelt worden waren, kodifiziert und teilweise nochmals angehoben wurden. Damit ist der Kreislauf der unionalen Plattformregulierung allerdings nicht zu seinem Ende gekommen. Vielmehr ist bereits erkennbar, dass sich nun wieder eine eher experimentell-tastende Phase privatautonomer Implementierung und ko-regulativer Fortentwicklung des neuen gesetzlichen Rahmens anschließt. Der Beitrag schließt mit einer kurzen Bewertung dieser Entwicklung hin zu mehr hoheitlicher Kommunikationskontrolle.
2022, 3
Der Beitrag nimmt kritisch zum gegenwärtig anhängigen EU-Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) Stellung. Die Kernthese lautet: Big Tech muss reguliert werden, aber nicht wie im DSA vorgesehen. Zur Untermauerung dieser Position werden fünf grundlegend problematische Aspekte des DSA benannt. Es wird gezeigt, dass die derzeit verhandelten Fassungen des DSA (1) die Vertragsfreiheit nicht kommunikationsmächtiger Vermittlungsdienste missachten, (2) automatisiertes Overblocking begünstigen, (3) auch legale, aber in unspezifischer Weise „schädliche“ Äußerungen ins Visier nehmen, (4) einen vagen und für die Kommunikationsregulierung generell unpassenden Risikopräventionsansatz verfolgen und (5) eine Kommunikationsüberwachungsbürokratie errichten, die ihrerseits keinen zureichenden öffentlich-demokratischen Kontrollen unterliegt. Als Reaktion auf diese Befunde wird vorgeschlagen, (1) nur sehr großen Online-Plattformen inhaltliche Vorgaben im Hinblick auf ihre AGB zu machen, (2) die Verpflichtung/Berechtigung zum Einsatz automatischer Moderationssysteme auf offensichtlich rechtswidrige Inhalte zu beschränken, (3) im DSA auch keine indirekten Pflichten zur Unterdrückung legaler, aber „schädlicher“ Inhalte vorzusehen, (4) das systemische Risiko des Art. 26 Abs. 1 Buchst. c DSA ersatzlos zu streichen und (5) die DSA-Bürokratie staatsfern auszugestalten und einer parlamentarischen Kontrolle zu unterwerfen.
2022, 2
Der Beitrag bietet einen Überblick über den entstehungsgeschichtlichen Hintergrund sowie den Inhalt des ursprünglichen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) 2017, seine Wirkungen in der Praxis und die Änderungen durch die NetzDG-Reform 2021. Es wird gezeigt, dass aus einem Regelwerk mit engem Fokus auf die Durchsetzung des Strafrechts in OnlineNetzwerken ein Plattformregulierungsgesetz wurde, das sowohl Löschgebote (Strafrecht) als auch Löschverbote (Meinungsfreiheit) prozeduralisiert. Während das NetzDG 2017 keinen nennenswerten Niederschlag in gerichtlichen oder behördlichen Entscheidungen fand und inzwischen auch kaum noch eine Rolle in der Löschpraxis der Netzwerke spielt, dürfte es dazu beigetragen haben, dass die Netzwerkbetreiber ihre privaten Kommunikationsregeln verschärft haben. Hintergrund für diese „Flucht in die AGB“ ist, dass die großen Netzwerkbetreiber und der Gesetzgeber dasselbe Nahziel verfolgen: Einer Verrohung der Debattenkultur soll aus ökonomischen bzw. gesellschaftspolitischen Gründen entgegengewirkt werden. Der Beitrag schließt mit einem Ausblick auf den Digital Services Act (DSA), mit dem der Compliance-Ansatz des NetzDG europäisiert würde.
2022, 1
Der Beitrag bietet eine Übersicht der unionalen und deutschen Rechtsbegriffe zur Bezeichnung von Diensten im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). Neben Rechtsquellen der ersten Regulierungsgeneration (insbes. E-Commerce- und InfoSoc-Richtlinie) werden 26 Gesetze bzw. Gesetzesvorschläge aus den letzten fünf Jahren in die Bestandsaufnahme einbezogen. Die einzelnen Dienstebegriffe werden erläutert und nach Maßgabe ihrer technisch-sozialen Funktion klassifiziert. Die vergleichende Analyse arbeitet Unterschiede und Überschneidungen sowie allgemeine dogmatische Grundsätze heraus, etwa zur Beurteilung multifunktionaler Dienste. Besonderes Augenmerk gilt Diensten wie sozialen Netzwerken und Messengern, deren juristische Einordnung ungeklärt ist. Der Beitrag schließt mit begrifflichen Reformvorschlägen für das künftige Digitalrecht.
2015, 8
Untersucht wird aus verfassungsrechtlicher und kriminal-politischer Sicht, ob auch in Deutschland das Tragen einer Vollverschleierung (Burka, Niqab u.ä.) im öffentlichen Raum mit strafrechtlichen Mitteln verboten werden könnte. Obwohl derartige Praktiken mit dem Grundsatz der Geschlechtergleichheit und den Grundlagen einer offenen Bürgergesellschaft kollidieren, spricht sich die Verf. im Ergebnis gegen ein strafrechtliches Verbot aus.
2015, 7
Die Gründung der Universität durch jüdische Frankfurter Bürger ermöglichte es, in Frankfurt auch Juden, Liberale und Linke zu berufen. So entstand an der Juristischen Fakultät ein Lehrkörper, der liberalem Ideen sowie damals modernen Materien wie dem Völkerrecht, dem Arbeitsrecht und dem Wirtschaftsrecht gegenüber aufgeschlossen war. Dazu trug besonders die Einbeziehung kenntnisreicher Frankfurter Praktikerjuristen als Lehrbeauftragte und Honorarprofessoren bei. Diese Fakultät wurde 1933 zerschlagen. Nach 1945 konnte der Wiederaufbau mit wenigen Angehörigen der alten Fakultät unterstützt von einigen Neuberu-fungen beginnen. Dabei gaben prominente Persönlichkeiten wie Franz Böhm und Walter Hallstein der neuen Fakultät sofort wieder ein liberales Profil. Bei der Vergrößerung des Lehrkörpers durch Schaffung neuer Lehrstühle und erneute Einbeziehung von Praktikerjuristen bereicherten auch Vertreter moderner Rechtsmaterien die Fakultät. Die Studentenunruhe der Jahre 1968 ff. traf die Fakultät in der Phase eines Generationenwechels. Mit dem Plan einer einphasigen Juristenausbildung nach eigener Konzeption scheiterte der Fachbereich. Stattessen refor-mierte er das Lehrprogramm nach methodischen Kriterien. Die Studierendenzahlen nahmen ständig zu mit einem parallel dazu stetig wachsenden Anteil von Studierenden ausländischer Herkunft. Am Ende des 20. Jahrhunderts besaß der Frankfurter Fachbereich ein methodisch wie inhaltlich modernes, liberales Profil.
2015, 6
Die These des Beitrags lautet, dass die Ausweitung des Anwendungsbereichs zentraler Materien des Wirtschaftsrechts Ausdruck und weiterer Treiber einer generellen Ökonomisierung der Gesellschaft ist. Hierbei handelt es sich um die Generalisierung ökonomischer, effizienzorientierter Denk- und Handlungsmuster zu einem Analyse- und Bewertungsprinzip für sämtliche sozialen Beziehungen. Zur Überprüfung dieser These sollen die Grenzen des Anwendungsbereichs des Marktverhaltens- und Unternehmens-rechts abgeschritten werden. Die kritisch-normative Pointe geht dahin, vom Wirtschaftsrecht mehr Reflexivität zu verlangen: Es muss die nicht genuin öko-nomischen Gründe für die Begrenztheit seines Regulierungsanspruchs in seine Tatbestandsvoraussetzungen integrieren.
2015, 4
Nach vorherrschender Lesart prallen im Internet Exklusivitäts- und Zugangsinteressen aufeinander. Das Urheberrecht soll diesen Konflikt in ein angemessenes Gleichgewicht bringen. Im folgenden Beitrag werden die Auseinandersetzungen um das digitale Urheberrecht anders gedeutet. Demnach ist die Online-Kommunikation von zwei koexistierenden Kulturen geprägt, die sich je verschieden zum Urheberrecht verhalten. Die Ausgestaltung des digitalen Urheberrechts wird mit darüber entscheiden, ob das dynamische Nebeneinander von Exklusivitäts- und Zugangskultur fortdauert oder ob eine der beiden Kulturen verdrängt wird. Das Urheberrecht ist folglich als Teil der Internetregulierung zu betrachten.
2015, 4 [engl.]
According to the prevailing view, the purpose of digital copyright is to balance conflicting interests in exclusivity on the one hand and in access to information on the other. This article offers an alternative reading of the conflicts surrounding copyright in the digital era. It argues that two cultures of communication coexist on the internet, each of which has a different relationship to copyright. Whereas copyright institutionalizes and supports a culture of exclusivity, it is at best neutral towards a culture of free and open access. The article shows that, depending on the future regulation of copyright and the internet in general, the dynamic coexistence of these cultures may well be replaced by an overwhelming dominance of the culture of exclusivity.
2015, 5
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 28. Januar 2015 entschieden, dass Kinder, die durch künstliche Befruchtung im Wege einer Samenspende gezeugt worden sind, gegen Reproduktionsmediziner und -kliniken einen Anspruch auf Auskunft über die Identität des Samenspenders haben können. Die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs setzte kein bestimmtes Mindestalter der „Spenderkinder“ voraus. Der nachfolgende Beitrag analysiert die Konstruktion dieses Anspruchs vor dem Hintergrund eines durch neue Reproduktionstechnologien und gewandelte gesellschaftliche Vorstellungen veränderten Abstammungsrechts. Nach Methodenkritik und Rekonstruktion aus einer gesellschaftlich-institutionellen Perspektive eröffnen sich weitere Aussichten auf zukünftige Formen von Vaterschaft und ein entsprechend zu verwirklichendes Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung.