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Am 19. Januar 1919 nahmen erstmals auch Frauen an den Wahlen zur Deutschen Nationalversammlung teil. Der am 10. November 1918, dem Tag nach der Abdankung des Kaisers und der Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann, gebildete Rat der Volksbeauftragten erließ als eine seiner ersten Amtshandlungen ein neues Wahlgesetz. Für alle Parlamente auf kommunaler, Länder- und Reichsebene wurde das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht für Männer und Frauen ab 21 Jahren dekretiert. Damit durften alle erwachsenen Deutschen wählen, unabhängig vom Geschlecht, von Besitz und Steuerleistung. Die bis dahin überall geltende Beschränkung des Wahlrechts auf Männer war damit abgeschafft und auch das in Preußen geltende Dreiklassenwahlrecht, das bis dahin die Stimmengewichtung an die Steuerleistung gekoppelt hatte. ...
Gertrud Bleichröder, 23 Jahre alte, noch unverheiratete Tochter einer großbürgerlichen, jüdischen Bankiersfamilie, führte während einiger Monate des Jahres 1888 Tagebuch. Dabei handelte es sich nicht um Anfänge schriftstellerischer Ambitionen oder den Versuch, den Alltag, das gesellschaftliche und politische Leben schreibend zu durchdringen. Es war auch keine sentimentalische Selbstbespiegelung, obwohl sie dieses Tagebuch auf Anraten eines Freundes begann, um in einer späteren Zukunft sich vergewissern zu können, "wie man früher zu Eltern gestanden hat und Duldung und Teilnahme für neue Ideen verlangt, was man später aller Wahrscheinlichkeit nach wieder andern verweigern wird" (74). Meist sind es kurze Notizen, oft in unvollständigen Sätzen, mit denen die Autorin knapp ihre Beschäftigung und die Begegnungen des jeweiligen Tages festhält, Stichworte zu ihrem Alltag. Nur gelegentlich sind ausführlichere Beschreibungen oder Reflexionen enthalten. Diese gehen jedoch nicht über das rein Persönliche hinaus. Gertrud Bleichröder schreibt nichts über Geld, Vermögen, das Bankhaus des Vaters. Politische Themen, auch der Tod Kaiser Wilhelms und die kurze Regierung Friedrichs III., werden erwähnt, doch auch dies geschieht mehr nebenbei. All dies ist nicht der Gegenstand dieses Tagebuchs, sondern fließt als Hintergrund ihres Lebens mit ein. Das Tagebuch Gertrud Bleichröders gibt Einblick in den Alltag einer jungen Frau des Großbürgertums, in ihr Selbstverständnis und ihre Zukunftshoffnungen. Das Rollenbild wird sichtbar, das von ihr erwartet, hübsch und charmant, eine gute Gesellschafterin und anregende Plauderin, belesen, gebildet, doch nicht allzu kritisch zu sein. Deutlich wird auch der Umgang der jungen Frau mit diesem Rollenbild, das sie trotz mancher kritischen Äußerung nicht grundsätzlich infrage stellt, sondern vielmehr mit sich hadert, wenn sie ihm nur ungenügend entspricht (zum Beispiel 35). ...
Im Sommer 1912 feierte die Essener Fried. Krupp AG das Doppeljubiläum des hundertsten Jahrestages der Firmengründung und des hundertsten Geburtstages von Alfred Krupp, der als Sohn des eigentlichen Firmengründers Friedrich Krupp das Unternehmen aus kleinsten Anfängen an die Weltspitze geführt hatte. Es war das in seiner Art erste und größte Industriejubiläum im Kaiserreich, das durch den zweitägigen Besuch Kaiser Wilhelms II. in Essen am 8. und 9. August 1912 zusätzlichen Glanz erhielt. Klaus Tenfelde beschreibt dieses Jubiläum zunächst als Ausdruck der herausgehobenen Stellung des größten deutschen Unternehmens, des "besonderen Großunternehmens" (9), das schon seit Jahrzehnten eine "gegenseitig machtstützende Verbindung" (7) mit dem preußischen Königshaus, seit der Reichsgründung dann mit dem deutschen Kaiserhaus verband. Tenfelde belässt es nicht beim Krupp-immanenten Blick, sondern erschließt das Ereignis über den unternehmensgeschichtlichen, über den wirtschaftsgeschichtlichen Fokus hinaus der Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Kaiserreiches. Er betrachtet das Jubiläum als einen Ausdruck der Festkultur des Kaiserreiches, das Einblicke in dessen Gesellschaft und ihr Selbstverständnis ermöglicht. Anhand der umfangreichen Quellen des Krupp-Archivs und vieler Bilder, die nicht nur illustrieren, sondern als Quelle ernst genommen werden, zeigt Tenfelde, wie sich die Struktur der wilhelminischen Gesellschaft in den Feierlichkeiten abbildet. ...