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Im alltäglichen Gespräch lässt sich beobachten, dass bei vielen in der Bundesrepublik aufgewachsenen Personen die Kinderbücher Astrid Lindgrens einen hohen Stellenwert und einen starken Einfluss auf Lebensvorstellungen und Werte des zwischenmenschlichen Miteinanders haben. Wenn die eigene Lebenswelt - wie etwa bestimmte Situationen, Lebensumstände, zwischenmenschliche Beziehungen, die äußere Umwelt, das Lebensgefühl - als besonders beglückend, ja geradezu als ideal empfunden werden, ziehen viele Menschen Parallelen zu den in den Texten Astrid Lindgrens modellierten Lebenswelten. Umgekehrt wird auch versucht, die eigene Lebenswelt nach dem Muster dieser Textwelten zu gestalten, um das Leben so schön, harmonisch und beglückend zu gestalten, wie es die Figuren in den Texten vorleben. Da Texte, die einen solch prägenden Eindruck auf uns ausüben und einen so hohen Stellenwert für die eigenen Lebensvorstellungen und die Lebensgestaltung haben, in der Regel auch an die Nachkommen weitergegeben werden, werden die in den Büchern modellierten Lebensvorstellungen und Werte häufig über mehrere Generationen hinweg tradiert und erhalten einen wichtigen identitätsstabilisierenden Platz im kollektiven Gedächtnis. So können bestimmte Welt-, Lebens- und Wertkonstrukte innerhalb einer Gesellschaft über einen längeren Zeitraum Bestand haben und ein fester Teil des gesellschaftlichen Diskurses werden. Ausgehend von diesen Beobachtungen und Hypothesen scheint es lohnend zu sein, folgende Fragen zu stellen: 1. Lässt sich die eingangs formulierte Alltagsbeobachtung von der Wichtigkeit der Bücher Astrid Lindgrens für die Lebensvorstellungen vieler Deutscher auch durch eine umfassende Untersuchung, also durch konkretes Zahlenmaterial, bestätigen? Oder allgemeiner gefragt: Gibt es Bücher, in denen viele Menschen eine ideale Lebenswelt wiederfinden? 2. Falls es wirklich eines oder mehrere solcher Bücher gibt: Wie genau sieht eine solche ideale Lebenswelt für uns aus? Um diese Fragen zu beantworten, wende ich eine Untersuchungsmethode an, die aus drei Schritten besteht: erstens einer quantitativen Befragung zur Ermittlung eines Textkorpus; zweitens einer literaturwissenschaftlichen Analyse der so ermittelten Texte zur Untersuchung der Rezeptionsangebote dieser Texte; drittens Leitfadeninterviews, um herauszuarbeiten, welche der Textangebote tatsächlich von den Rezipienten aktualisiert werden.
Was ist heut' des Deutschen Größe? : Weimarer Klassik, nationale Identität, kulturelles Gedächtnis
(2006)
Auf den naiven ersten Blick verstehen sich die drei im Untertitel genannten Kategorien von selbst, wobei es heutzutage leichter sein dürfte, weiterhin selbstverständlich von der "Weimarer Klassik" zu reden, schwerer jedoch, diese als integralen Bestandteil einer nationalen Identität der Deutschen zu behaupten. Zu fragen bleibt also immer wieder neu, was die "Weimarer Klassik" denn darstellt, welche Rolle diese im kulturellen Gedächtnis der "deutschen Nation" (was immer denn beides ist) spielt und ob so etwas wie eine "nationale Identität" mit dem "kulturellen Gedächtnis" und der "Klassik" heute noch zu tun hat. Zudem wäre zu klären, ob wir über die vergangene, die gegenwärtige oder eine gewünschte, zukünftige historische Rolle und normative Geltung dieser drei Kategorien sprechen.
Die folgende Skizze verbindet Betrachtungen zur Wirkungsgeschichte des Deutungsmusters „Goethe und Bismarck" (ohne sich jedoch an die zeitlichen Grenzen des Weimarer „Silbernen Zeitalters" halten) mit der Schilderung von Ereignissen im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, die in direkter Beziehung zur zeitgenössischen Goethe- und Bismarckverehrung stehen. In diesem Zusammenhang sind der Besuch Bismarcks in Jena 1892 sowie die Erbauung des Weimarer Bismarck-Turmes 1900/1901 von besonderem Interesse. Nicht geleistet werden kann an dieser Stelle eine lückenlose Rekonstruktion der regionalen Fest- und Feierkultur, in der sich die Verschränkung von „Goethe" und „Bismarck" — über die hier thematisierten Ereignisse hinaus — nachzeichnen ließe. Doch dienen die folgenden Bemühungen der Rekonstruktion eines kulturellen Klimas und der entsprechenden Diskurse, in dem während der Jahrzehnte zwischen den sogenannten „Einigungskriegen" und dem Ersten Weltkrieg über Leistungen und Chancen des „klassischen Erbes" für Weimar und Deutschland debattiert wurde.
Im 21. Jahrhundert stehen Medien, insbesondere soziale Medien und deren Einfluss auf Kinder und Jugendliche zunehmend im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens. Sozialen Medien wird eo ipso eine wichtige Funktion in der individuellen Meinungsbildung wie auch gesellschaftlichen Rollenvergabe
zugesprochen. Im Rahmen des vorliegenden Vortrags sollen auf Grundlage des theoretischen Ansatzes der Medialisierung folglich auch die gesellschaftlichen Veränderungen und der soziale Wandel vor dem Hintergrund der medialen Omnipräsenz dargestellt werden. Dabei wird der Versuch unternommen, einen(sozial)medialen Korpus der jüdisch-europäischen Erinnerungskultur zu erstellen. Das angedachte Korpus setzt sich aus der ARD und ZDF-Mediathek zusammen. Exemplarisch wird die Zukunftspodcast der Tagesschau mal angenommen. Keine Zeitzeugen mehr? Was dann? vorgestellt. Die vorgestellten Korpora sind ferner als eine Form der bezeugten Berichterstattung zu verstehen, die ein Gedenken an den Holocaust und die Gräueltaten auch in Zukunft wachhalten sollen. Neben den (deutsch-)jüdischen Studien, der deutsch-jüdischen Literatur und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Thematik, lassen sich medialen Aufzeichnungen in Form von Video- oder Audiomaterial eine große Bedeutung zuweisen. In der Hoffnung, dass sich Geschichte nicht wiederholt, übernehmen mediale Korpora in diesem Sinne eine wichtige Funktion in der Aufrechterhaltung der Erinnerung an die Verbrechen des NS-Regimes und dem Verbleib im kollektiven Gedächtnis. Demnach können mediale Korpora in Form bezeugter Berichterstattung ein aktives Engagement im Akt des Erinnerns anregen und die Sensibilität im Hinblick auf etwaige zukünftige Verbrechen fördern. Das Ziel des Beitrags besteht demzufolge darin, die Entstehung, Erstellung und Funktion eines möglichen (sozial)medialen Korpus‘ der jüdisch-europäischen Erinnerungskultur zu skizzieren. Darüber hinaus werden informative Diskursmöglichkeiten und weitere Anregungen für die Implementierung einer digitalisierten Erinnerungskultur in Schulen und anderen Bildungsinstitutionen gegeben.
Die Entscheidung, "Flüchtling" zum Wort des Jahres 2015 zu erklären, bewirkte zweierlei: Sie rief Flucht und Vertreibung in das kulturelle Bewusstsein zurück und rückte ihre medialen Repräsentationsformen in das Blickfeld der Migrationsdiskurse. Der literarische Diskurs der Migration interessiert sich für ästhetische Darstellungsformen von Migrationsformen. Er hinterfragt festgefahrene Vorstellungsmuster und problematisiert die bedeutungskonstruierenden und -konstituierenden Schemata der Migration, zu denen auch die erzwungenen Formen Flucht und Vertreibung zählen. Der literaturwissenschaftliche Diskurs geht der Frage nach Figurationen des Flüchtlings nach und untersucht, in welchen kulturellen Bedeutungszusammenhängen Flüchtlingsfiguren verortet werden, an welchen poetischen Mitteln diese Verortung erprobt wird und welche Erkenntnisse aus dem literarischen Diskurs des Flüchtlings gewonnen werden können. Dieser Diskurs verlöre aber an Wirkung, würde er jene begriffliche Signifikanz nicht auch in ästhetischer Hinsicht begründen. Zugleich gilt es die Wechselwirkung des Literarischen und Gesellschaftlichen im methodischen Vorgehen zu berücksichtigen. Ohne die Wechselwirkung an dieser Stelle historisch vertiefen zu können, sollen die Semantiken, die der öffentlich-politische Diskurs dem Flüchtlingsthema bisher zugeschrieben hat, herangezogen werden, denn in diesen Semantiken lässt sich eine Symbolik erkennen, die Aufschlüsse über das Verständnis des Kulturellen nach einer Definition ex negativo geben kann: Symptomatisch ist die dreifache Annahme, Flüchtlinge betrachteten identitätsstiftende Kriterien der aufnehmenden Gesellschaft nicht als verbindlich, sie teilten deren Geschichte nicht und könnten daher auch nicht an deren Gedächtnishorizont teilhaben; dieses Verständnis erfasst den Flüchtling nicht als Phänomen kultureller und globaler Prozesse, sondern verortet ihn an den Grenzen des Eigenen im Sinne einer Erscheinung außerhalb des eigenkulturellen Raumes.
Nach Charles de Gaulle sind die Zehn Gebote deshalb so knapp und einleuchtend, weil sie ohne Mitwirkung von Juristen zustande kamen. Analoges scheint cum grano salis auch für vorliegenden Tagungsband im Blick auf Kirchengeschichtsschreibung zu gelten: Als einziger Ordinarius dieser Zunft war Thomas K. Kuhn 2015 beim Symposion in Gera vertreten, welches vom Forschungsprojekt "Thüringen im Jahrhundert der Reformation" an der Schiller-Universität Jena in Kooperation mit dem Institut "Deutsche Presseforschung" der Universität Bremen ausgerichtet wurde. Sein Beitrag "Reformierte Aufklärung. Die Reformation bei Georg Joachim Zollikhofer" behandelt den Schweizer Prediger an der Leipziger Hugenottengemeinde. Dieser war nicht an reformatorischer Hagiographie noch an dogmatischer Fixierung reformatorischer Lehrinhalte interessiert, sondern begriff Reformation als emanzipatorischen Initialprozeß. Über Fragen nach Rechtsbindung, Befreiung von kirchlichen und staatlichen Hierarchien und Vernunftgebrauch bei Prüfung von Schrift und Bekenntnis kam es zu Spannungen mit der lutherischen Spätorthodoxie, aber auch zum überkonfessionellen Dialog mit Aufklärern wie Basedow, Campe, Garve, Gedike, Resewitz, Semler, Spalding und Weiße, ja, sogar zum Wunsch und zur Denkbarkeit einer protestantischen Union, wie sie erst nach dem Reformationsjubiläum von 1817 in Preußen realisiert wurde.
"Reformation als Aufklärung" - so eine Kapitelüberschrift Kuhns – war kein reformiertes Spezifikum Zollikhofers, sondern zieht sich als roter Faden durch den Tagungsband.
Lange Zeit schien der Kolonialismus im Geschichtsbewusstsein der Deutschen eine nebengeordnete bzw. beiläufige Rolle zu spielen und die Beteiligung Deutschlands am Kolonialprozess wurde wenig Achtung geschenkt. Erst die Entstehung einer schwarzafrikanischen postkolonialen Literatur in Deutschland hat dazu beigetragen, die Kolonialerfahrung als gemeinsames Erbe zwischen Deutschen und Afrikanern sichtbar zu machen. Im Mittelpunkt von Texten afrikanischer Autoren in deutscher Sprache steht das Zurückschauen auf vergangene Ereignisse, die aus verschiedenen Perspektiven thematisiert werden. Der vorliegende Beitrag untersucht am Beispiel von zwei kamerunischen Texten die Erinnerung an die deutsche Kolonialvergangenheit. Diese postkoloniale Aufarbeitung der Kolonialerinnerung, wie sie von Daniel Mepin und Philomène Atyame dargestellt wird, kreist um Vergangenheitsbewältigung und gegenseitige Kulturannäherung. Um dieses Ziel zu erreichen, bieten Jan und Aleida Assmann mit dem Begriff "Kulturgedächtnis" theoretische Grundlagen, die meine Überlegung plausibler machen können.
Der Aufsatz beschäftigt sich mit der Bedeutung der Überreste der ehemaligen deutschen Orte in Tschechien in der zeitgenössischen tschechischen Populärkultur. Es wird zuerst das steigende Interesse an den Ruinen sowie die Verwandlung ihrer Semantik in der Erinnerungskultur skizziert. Daraufhin wird die Problematik der Ruinen als Erinnerungsorte aus einer theoretischen Perspektive erfasst und im Kontext der ästhetischen Theorie der Ruine gedeutet. Schließlich konzentriert sich der Aufsatz auf die Krimiserie "Vzteklina" (Tollwut), an deren Beispiel die Funktion der Ruinen in den gegenwärtigen Repräsentationen der Vertreibung veranschaulicht wird. Das Ziel des Aufsatzes ist, die Ambivalenzen im Prozess des kollektiven Erinnerns und Vergessens aufzuzeigen.
Rezension zu Ingeborg Hoesterey: Pastiche. Cultural Memory in Art, Film, Literature. Bloomington, Indianapolis (Indiana University Press) 2001. 139 Seiten.
Hoesterey schließt mit ihrer Studie zum Pastiche in den verschiedenen ästhetischen Medien, die einerseits an ästhetische Diskurse der Gegenwart anschließt, andererseits eine Fülle von Beispielen vorstellt und kommentiert, die Kluft zwischen Theorie und Praxis: Das Buch bietet einen zugleich historischen wie systematischen (wenn denn in postmodernen Zeiten dergleichen noch möglich ist) Aufriß zur Ästhetik des Pastiches, und es trägt dessen doppelter Bedeutung als besonders zeit-gemäße und besonders verbreitete Kunstform Rechnung.
Der Wald ist "klassischer Morast" (Heine): Was für die Grimm'schen Märchen der Deutsche Wald, ist für das österreichische Horrorgenre seit Andreas Prochaskas "In drei Tagen bist du tot" 1 (2006) und 2 (2008) der Wald österreichischer Mittelgebirge. Elfriede Jelineks Werk verbindet beides und führt uns dabei zur griechischen Tragödie hin bzw. zurück - das lässt sich aus dem Workshop "Elfriede Jelinek - eine Ästhetik der Übergänge" schließen, den die Jelinek-Spezialistinnen und Literaturwissenschaftlerinnen Uta Degner und Christa Gürtler von der Universität Salzburg am 17.1.2020 im Atelier des Kunstquartiers und in DAS KINO in Salzburg veranstaltet haben.