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Der Prozess einer allmählichen, stellenweise auch plötzlichen Umorientierung literarischer Wertmaßtäbe um 1830 soll an einem Fallbeispiel konkretisiert werden, nämlich der zeitgenössischen publizistischen Rezeption von Grabbes Dramen. Gefragt wird nach den Details eines literaturkritischen Diskurses, in dessen Verlauf die sakrosankte Gattungsnorm der Tragödie 'hohen Stils' suspendiert wird zugunsten eines offeneren Dramenkonzepts, das vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder aufgegriffen und fruchtbar gemacht wird. Die Reaktionen auf Grabbes Dramen bieten sich für eine solche Fallstudie zum einen deshalb an, weil seine Dramen bei ihrem Erscheinen äußerst kontrovers diskutiert werden, und zum anderen, weil die dazu nötigen mühseligen positivistischen Vorarbeiten, nämlich das Auffinden und Sammeln zeitgenössischer Rezensionen, in diesem Fall schon seit Jahrzehnten abgeschlossen und publiziert sind: Zwischen 1958 und 1966 veröffentlichte der Grabbe-Forscher Alfred Bergmann in einer sechsbändigen, bislang von der Forschung weitgehend unbeachtet gebliebenen Dokumentation Grabbes Werke in der zeitgenössischen Kritik sämtliche erreichbaren publizistischen Äußerungen zu den Dramen Grabbes.
Seit Jahrhunderten zieht sich die stereotype Klage deutscher Schriftsteller, insbesondere deutscher Bühnenautoren, über zu Unrecht bevorzugte ausländische Konkurrenz durch Korrespondenzen und Publikationen. Ein Blick auf die Produktionszahlen des Buchgewerbes, die sich zwischen 1820 und 1845 explosionsartig von 3 772 Büchern auf 13 008 Bücher entwickeln, bestätigt zumindest die erhebliche Bedeutung der Übersetzungen für den deutschen Buchmarkt: 1845 waren ca. 48% der in Deutschland herausgebrachten Romane Übertragungen aus anderen Sprachen. Der Buchmarkt reagiert damit selbstverständlich nur auf die veränderte gesellschaftliche Situation. Einerseits wird das Bürgertum in immer stärkerem Maße zur Zielgruppe des literarischen Marktes, der so erst seine Dynamik entwickeln kann; andererseits ist diese Zielgruppe verstärkt an unterhaltsamer, spannender Literatur interessiert, die ihr vorrangig in Form der französischen und englischen Romanliteratur geboten wird. Im Bereich des Theaters ist die Entwicklung durchaus mit der auf dem Buchmarkt vergleichbar. Auch hier entwickeln sich die reinen Zahlen mit einer enormen Rasanz: Gab es 1836 kaum 50 Theater in Deutschland, so sind es 1840 bereits ca. 100, am Ende des Jahrhunderts dann weit über 300. Auch diese Entwicklung ist den Veränderungen im Publikum geschuldet.
Da Frankreich und dessen jüngste Geschichte für Börne mehr bedeuteten als ein Motiv seines schriftstellerischen Interesses und seiner Lebenswelt unter anderen, weil ihm sowohl Frankreich wie Deutschland, ob ausgesprochen oder latent, Welt und Gegenwelt waren, in denen sich Existenz wie Denken abspielten und abspiegelten, kann in diesem Rahmen nur auf wenige Facetten seines Schreibens eingegangen werden. Es wird sich daher im Wesentlichen um die Rolle handeln, die Frankreich und besonders Paris für seine Arbeit als Journalist und als Zeithistoriker
wie für den Ansatz seines geschichtsphilosophischen Denkens überhaupt gespielt haben.
Der jüdische Schriftsteller und aggressiv-polemische Publizist Saul Ascher (1767-1822) fing nach den napoleonischen Befreiungskriegen das Befinden einer Generation von deutschen Intellektuellen mit einem Reizwort ein. "Die höchsten Interessen der menschlichen Natur, Religion, Vaterland, Recht, erwarben in dem Gemüth der deutschen Denker nunmehr ein eigenes Gepräge, das sich durch eine Gemüthsäusserung aussprach, die man füglich 'Germanomanie' benennen könnte." Gemeint waren die Überlegungen eines Ernst Moritz Arndt, Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Ludwig Jahn, Friedrich Schlegel, Friedrich W.J. Schelling, Adam Müller und Ludwig Tieck, um die Verschiedenheit der Religion, der Verfassungen und Fürstentümer in einem deutschnationalen Geist zu einigen.
Aschers trennscharfe, aber polemisch übersteigerte Analyse der sogenannten 'Germanomanen', die er an anderer Stelle als "transzendentale Idealisten und Identitäts-Philosophen" identifizierte, erschien zu einem Zeitpunkt, als auch die Neue Welt von einer Welle der germanophilen Begeisterung erfasst wurde. Der wichtigste und am meisten rezipierte Autor der amerikanischen "Germanomanie" war Johann Wolfgang Goethe (1749-1832).
Obgleich die Brüder Johann Friedrich (1795-1865) und Friedrich Gottlob Franckh (1802-1845) zu den wirkungsmächtigsten Verlegern in Süddeutschland gehörten und politisch bewegte Biographien aufweisen, existieren bis auf wenige kleinere Festschriften keine modernen Darstellungen, die der Bedeutung des Verlagsunternehmens gerecht würden. Es hatte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Firma profiliert, die sich mit einem neuen Selbstverständnis und spektakulären Vermarktungsstrategien nicht nur im süddeutschen Raum schnell einen Namen machte. Die Gebrüder Franckh spezialisierten sich auf preiswerte Lieferungswerke und Buchreihen, die nicht allein über den regulären Sortimentsbuchhandel, sondern vielmehr über die weit verzweigten Kolportagenetzwerke im süddeutschen Raum ihren Absatz fanden. In der Gründungsphase bemühte sich der Verlag um die Einbindung junger, noch wenig bekannter Autoren aus dem Schwäbischen Dichterkreis. Zu den namhaftesten Autoren zählten Wilhelm Waiblinger, Wilhelm Hauff, Eduard Mörike und Carl Spindler. [...] Das Spekulieren auf den schnellen ökonomischen Erfolg, kurzfristige Auf- und Zukäufe von Firmenanteilen, schnelle Inhaber- und Geschäftsführerwechsel, eine von schnellen Entscheidungen geprägte Strategie, die nach dem Ende der Napoleonischen Kriege für den süddeutschen Buchhandel zum Markenzeichen wurde, blieb dem norddeutsch-protestantischen Buchhandel zunächst suspekt. Der vorliegende Beitrag versteht sich lediglich als Forschungsskizze, gilt es das Verlagsunternehmen der Brüder Franckh im Rahmen des Editionsprojekts "Digitale Gesamtausgabe der Werke Karl Gutzkows" an anderer Stelle gründlich aufzuarbeiten. Hier soll versucht werden, den Verlag der Gebrüder Franckh als ein im Vormärz womöglich prototypisches Unternehmen zu profilieren und seine Bedeutung für die Vormärzforschung aufzuzeigen.
Die erste Hypothese: Die Börne-Forschung machte besonders seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts bedeutende Fortschritte; sie ließ die 'Dramaturgischen Blätter', sozusagen das Debut des Autors, nicht unbeachtet; diese liegen mittlerweile, so der Eindruck, recht kenntlich vor den Augen der Interessierten, klar und heiter wie eine
schöne Landschaft unter der Sommersonne - und doch verdunkeln einige prinzipielle Schwierigkeiten, die sich mit dem Werk verbinden, das Verständnis bis zur Gegenwart.
Die zweite Hypothese: Konnte die bisherige Forschung den 'Dramaturgischen Blättern' nicht völlig auf den Grund sehen, ihren Kern nicht zu Tage fördern, so ist erstens immer noch die schon von Tröger und Inge und Peter Rippmann
benannte Ursache virulent: die "mangelhafte Erfassung der auf Börne direkt einwirkenden geistigen Richtungen". Sowie ein Zweites, damit Verbundenes: "die komplexe wie komplizierte Substanz" von Börnes Schaffen. Das trifft auf das ganze zu wie auf Teile davon, auf Teile wie auf Details darin.
Janina Schmiedel nimmt die Synthese von romantischen und vormärzlichen Schreibweisen und das gleichzeitige Ineinander von Poetischem und Politischem in Heinrich Heines lyrischem Werk in den Blick. Anhand des Zyklus' "Neuer Frühling", der die zweite große Sammlung "Neue Gedichte" (1844) einleitet, zeigt sie, wie der von Heine nie vollständig vollzogene Abschied von der Romantik mit seinem Schreiben des Politischen (in den 30er und 40er Jahren) korrespondiert.
Literatur ist ein Spiegel ihrer Zeit, sie ist aber zugleich auch ein Spiegel ihrer selbst. Mit anderen Worten: Literatur ist in der Umbruchsituation aufgefordert, nicht nur diese, sondern auch sich selbst im Rahmen ihrer geänderten Produktionsmöglichkeiten (und das sind nun einmal die spezifischen Darstellungsmodi der Literatur) zu reflektieren. Es scheint also ein Perspektivwechsel gegenüber der älteren Vormärzforschung angebracht. Die Literatur der Jahre zwischen 1815 und 1848 wäre dann nicht länger ein vornehmlich politischer, sondern ein poetologischer Akt, also eine durch neue Produktionsbedingungen erzwungene Form der poetischen Selbstreflexion - und zwar mit den Mitteln der Poesie selbst. Ziel einer solchen Poetologie wäre also die Darstellung der veränderten Bedingungen im Medium der Literatur: 'Dichtung' stellt sich und ihre Verfahrensweisen dar. Im Sinne einer Poetologie werden so die literarischen Reflexionsmuster der Literatur auf ihre ureigensten Produktionsverhältnisse rückbezogen, ohne in Literatur wenig mehr als einen Spiegel der gewandelten technischen und sozialen Realitäten zu sehen: Vielmehr reicht die Reflexionsfähigkeit der Literatur bis in die syntaktische und semantische Gestaltungsebene hinein.
Goethe wird hier weitgehend im Gegenlicht erscheinen. Gegenlicht: das heißt in unserem Fall im Licht seiner Kritiker
und Gegner, insbesondere im Licht, in dem ihn Ludwig Börne sieht. In einer solchen Beleuchtung wird keine ganzheitliche Gestalt erkennbar, es werden lediglich Konturen wahrnehmbar; der selbstgeworfene Schatten des visierten Gegenstandes erschwert das Erkennen einzelner Züge. So wird meist ein unvorteilhaftes, ein dem Gegenstand der Betrachtung kaum gerecht werdendes, sogar ein entstellendes Licht entstehen. In einem derart unadäquaten Bild erschien Goethe sowohl in dem überhellen, blendenden Licht seiner blinden Verehrer, seiner 'Fans', wie wir diese Weise unreflektierter Anhängerschaft heute nennen würden, in einem Licht also, das die differenzierenden Züge ausblendete und ihn mit einer Art Aureole umgab, - ebenso wie in der bewußt ungünstigen
Beleuchtung, in die ihn seine von den 'Goetheanern' provozierten Kritiker stellten.
Die Literatur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts reagiert auf die dynamisierte Fortbewegungsform der Eisenbahnfahrt. Zwei mögliche Reaktionen konkurrieren miteinander: eine euphorische, die in ihrer Darstellung die neuerfahrene Dynamik in die Textgestaltung einzuholen versucht; und eine kritische, die die neue Dynamik als Gefahr einer Entfremdung fasst. Beide Formen der Auseinandersetzung stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander, unterscheiden sich jedoch in ihrem poetologischen Reflexionspotential. Die poetologisch reflektierten Texte bilden zugleich ein Korrektiv zum Fortschrittsoptimismus. [...] Die durch die poetologischen Reflexionen gewährleistete Entschleunigung des Textes wirkt als Korrektiv der euphorischen Vorstellung einer "Beschleunigung als Heilserwartungsrest".