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Dass sich jemand nach 17 Büchern und 20 Jahren Schreib- und Übersetzertätigkeit noch einmal derart steigern kann, hätte ich mir nicht vorstellen können. Ich habe Anders (2014), Andreas Steinhöfels vorläufig letztes Buch, mit so viel Spannung gelesen, dass es mir immer noch ein Rätsel ist, wie es ihm gelingt, die LeserInnen so nah an seinen Protagonisten heranzuführen. Was diesen Anders jedoch in seinem tiefsten Inneren bewegt, ist ein Geheimnis, das ihn sichtlich bedrückt und das er trotz größter Anstrengungen nicht entschlüsseln kann. Manchmal scheint er ganz nah dran, aber ein neunmonatiges Koma, in das Anders nach einem Unfall gefallen ist, hat alles verwischt, und er leidet darunter. ...
Nach Lektüre dieses Werks ist man zunächst geneigt, von einer Rezension im Wortsinn abzusehen, um die Autoren stattdessen einfach zu einer rundum Respekt und Bewunderung verdienenden Leistung zu beglückwünschen, haben sie doch auf nicht weniger als 1100 Seiten ihr Thema von der ausgehenden Karolingerzeit bis an die Schwelle des 16.Jahrhunderts mit hoher Kompetenz unter allen nur denkbaren Aspekten abgehandelt und diese durchgängig mit einer schier überbordenden Fülle von Belegen und Beispielen illustriert. Der durchmessene Raum reicht von Norwegen bis Byzanz und von Polen bis zur Iberischen Halbinsel; einen gewissen Schwerpunkt bilden dabei das römisch-deutsche Reich und Frankreich. Solch in einem französischen Handbuch nicht unbedingt zu erwartender Doppelakzent verdankt sich Jean-Marie Moeglin, der bereits 2010/2011 mit seiner "Deutsch-Französischen Geschichte im Spätmittelalter" ein ähnlich gelehrtes Monument vorgelegt hat. Wie sehr er in den Kulturen beider Länder heimisch ist – in München, dem für Mediävisten deutschen Bibliotheksmekka, hat er inzwischen ein zweites Zuhause –, zeigt sich bis in die Anmerkungen und in eine (mit Unternummern) weit über 3000 Titel umfassende Bibliografie, die für europäische und insbesondere eben deutsche und französische Benutzerinnen und Benutzer künftig eine unverzichtbare Referenz sein dürfte. Gerade in einem Organ vom Profil der Francia-Recensio sei darauf mit Nachdruck empfehlend hingewiesen. ...
Die umfangreiche und einem ausführlichen Quellenstudium entspringende Arbeit von Jakob Zollmann will sowohl der Entstehungs- als auch die Wirkungsgeschichte des völkerrechtlichen "Naulila"-Schiedsspruchs von 1928 nachgehen. Dieser Schiedsspruch, der eigentlich in drei Schritten getroffen wurde – 1928, 1930, 1933 –, ist ein "landmark case" des Völkerrechts und daher bis heute wirksam (S. 23). Wohl aus diesem Grund geht Zollmann ihm 100 Jahre später so detailliert nach, was mit der Aufnahme seiner Arbeit in die angesehene Reihe der "Studien zur Geschichte des Völkerrechts" honoriert worden ist. ...
Wer dem schmalen Band, der eine Art Hinterlassenschaft des 2014 verstorbenen Jacques Le Goff darstellt, gerecht werden möchte, sollte sich zunächst über die Adressaten klar werden: Wie schon häufiger wendet sich der Altmeister der französischen Mediävistik gerade nicht an ein Fachpublikum, sondern an einen weiteren Leserkreis, dem er noch einmal seine Gedanken über ein angemessenes Verständnis von Geschichte und Epochenvorstellungen nahebringen möchte. Wer sich aus wissenschaftlicher Perspektive bereits mit der Frage nach den Konstruktionen des Mittelalters auseinandergesetzt hat oder mit den Arbeiten Le Goffs vertraut ist, erfährt hier wenig grundlegend Neues (so der Autor einleitend selbst, S. 7). Die zentralen Momente und Akteure der "Erfindung" des Mittelalters wurden (mit jüngst steigender Frequenz) bereits intensiv untersucht, und auch Le Goffs Plädoyer für ein "langes Mittelalter" (S. 115–156), das sich bis zum Vorabend der Französischen Revolution erstreckt, ist bekannt. ...
In ihrer Einleitung geht Caroline Fischer zunächst auf den Begriff 'Intermedia' ein, der auf den Fluxuskünstler Dick Higgins zurückgehe und vor allem das Aufbrechen klassischer künstlerischer Ausdrucksmedien zugunsten neuer artistischer Erfahrungen und Gestaltungsräume bezeichne, die sich etwa schon in Duchamps 'ready-mades' anzeige. Zugleich sei Higgins' Begriff eine Entlehnung des britischen Romantikers T. S. Coleridge, wodurch ein spätestens seit der Romantik merklicher Wunsch nach Überschreitung künstlerisch-medialer Grenzen kenntlich werde. Zusammen mit dem nur wenig später durch Kristeva begründeten und von Genette systematisch ausgearbeiteten Begriff der Intertextualität seien somit die Grundlagen für den Begriff Intermedialität geschaffen, dessen Ursprung Fischer in einem Aufsatz des deutschen Slavisten Aage A. Hansen- Löve von 1983 verortet. Der Begriff der Intermedialität antworte damit auf die Notwendigkeit, neuen Medien und neuen Formen künstlerischer Gestaltung (z. B. happening) theoretisch gerecht zu werden. Angesichts eines inflationären und definitorisch oftmals unscharfen Gebrauchs von "Intermedialität" sollen die neun versammelten Beiträge eine präzisierende Arbeit am Begriff leisten und für künftige Arbeiten handhabbare Analysewerkzeuge bereitstellen.
Die vorliegende Werkbiographie Mira Lobes ist Ergebnis eines Forschungsprojekts am Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Theorie der Biographie in Wien. Daraus entstanden eine Ausstellung im Jahre 2014/15 mit dem Titel "Ich bin ich. Mira Lobe und Susi Weigel" anlässlich des hundertsten Geburtstags der Schriftstellerin, die der Verfasser mitkuratiert hat. Seine Forschungen wurden 2014 als Dissertation in Wien vorgelegt. Es ist die erste umfassende Darstellung zu Leben und Werk der erfolgreichen und kanonisierten Autorin, vermag über den Blick auf die Einzelperson hinaus außerdem wichtige Erkenntnisse über das kinderliterarische Leben in Österreich seit den 1950er Jahren zu vermitteln. Denn neben den Ausführungen zu Mira Lobe selbst berücksichtigt Huemer eine Vielzahl anderer Aspekte: die Publikationswege Lobes, die Verlagslandschaft, die IllustratorInnen ihrer Bücher wie auch zum Teil die Rezeption der Werke. Dies alles wurde erreicht durch eine akribische Auswertung des recht verstreuten Nachlasses sowie durch zahlreiche Interviews mit noch lebenden Weggefährten, die eine wichtige Rolle im Leben der Autorin gespielt haben. ...
In ihrer Dissertation nimmt Margarete Hopp 287 Bilderbücher zu den Themen Sterben, Tod und Trauer in den Blick, die zwischen 1946 und 2011 in Westdeutschland erschienen sind. Das Korpus besteht aus Sach- und Tierbilderbüchern, realistischen, fantastischen sowie märchenhaften Bilderbüchern. Nur zehn der insgesamt 287 Texte stammen aus der Zeitspanne zwischen 1946 und 1971, d. h. der Zeit vor dem kinderliterarischen Paradigmenwechsel. ...
Narrative Delikatessen stellt den Auftakt der Schriftenreihe für Kulturökologie und Literaturdidaktik dar, die das Ziel verfolgt, Forschung zu präsentieren, die sich mit Motiven und Inhalten im Kontext von Kulturökologie auseinandersetzt, wobei interdisziplinär und anwendungsorientiert vorgegangen werden soll.
Diese Intention wird ausgezeichnet umgesetzt: Als Grundlagen für die Untersuchungen kommen u. a Gender Studies, Raumtheorie, Ethik, Erzähltheorie und Spieltheorie zum Einsatz. Mit Kochbuch, Tugendlehre, dramatischer Inszenierung, Roman und TV-Serie werden zahlreiche Genres, die mit unterschiedlichen narrativen Mitteln arbeiten, aufgegriffen. ...
Volksaufklärung im 19. Jahrhundert? Der Autor dieser monumentalen vierbändigen Teilausgabe - die das betreffende "Biobibliographische Handbuch" nunmehr für das 19. Jahrhundert fortschreibt - stellt sich selbst programmatisch diese Frage und verweist auf die Widerstände, die sich ergaben, als an die bisher erbrachten Forschungsleistungen zur Volksaufklärung im 18. Jahrhundert für diesen Zeitraum angeknüpft werden sollte. Aber allen Vorbehalten zum Trotz erwies sich, dass die Volksaufklärung nach den zwei Jahrzehnten ihres Höhepunkts - und zwar 1780-1800 - keinesfalls abbrach. Die anfängliche Befürchtung, "Rückgang, Verfall", gar "ein Dahinsiechen der Aufklärung“ beobachten zu müssen, wich, so der Autor, einer "Riesenüberraschung" (Bd. 3.1, S. XLIII). Am Ende erscheint zumindest anhand der Literatur, die als "Volksaufklärung" klassifiziert werden kann (und in der Einleitung zu den Bänden findet sich nochmals ein präzisierender Eingrenzungs- und Definitionsversuch), die Epochenschwelle 1800 als hinfällig. Denn mit Blick auf diese Textgattung war "Aufklärung" keinesfalls an ein Ende gelangt. Es gab bemerkenswerte Kontinuitäten, aber auch Diskontinuitäten, und teilweise veränderten sich Inhalte und Themen.
Vor allem erfolgte Volksaufklärung nunmehr, so der Autor nicht ohne einen sichtlich kämpferischen Duktus, der angesichts der vorliegenden und eher in eine andere Richtung weisenden Resultate vielleicht als etwas ideologisch eingeübt erscheint, "meist ohne staatliche Unterstützung und oft gegen massive staatliche und ultramontane Repression" (Bd. 3.1, S. LXIX).
Vorrangig gilt die Aufmerksamkeit des Autors den Texten der Songs und den in sie eingewobenen literarischen Zitaten (Dylans "vielfarbige Textgewebe", ), nicht der Musik, ebenfalls einer in erheblichem Maße zitierenden, auch nicht der eigenwilligen Stimme und performance. Die Studie ist denn auch dezidiert literaturwissenschaftlich und -kritisch ausgerichtet, was im Hinblick auf die Profession des Autors nicht verwundert: Detering lehrt Neuere deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Göttingen. Seine Untersuchung ist literaturästhetisch und poetologisch, werkgenetisch und in einem heute fast schon vergessenen Sinne philologisch geprägt. Der hierbei erkennbare Wunsch nach tiefgehender 'Literarisierung' eines populärmusikalischen Werkes zusammen mit der kunstreligiösen Aufladung der Songs machen die Studie nobilitierungsanfällig und führen zu Verklärungen und Mythisierungen, stellen aber zugleich ein beträchtliches ebenso heuristisches wie hermeneutisches Potential bereit, das der Autor nicht selten brillant zu nutzen weiß.