Refine
Year of publication
- 2021 (50) (remove)
Document Type
- Part of a Book (50) (remove)
Has Fulltext
- yes (50)
Is part of the Bibliography
- no (50) (remove)
Keywords
- Tastsinn (11)
- Tastwahrnehmung (11)
- Weltliteratur (8)
- Film (7)
- Queer-Theorie (7)
- Genauigkeit (6)
- World literature (5)
- Philosophie (4)
- Ästhetik (4)
- Übersetzung (4)
Institute
Projektionsverhältnisse zwischen Körper, Linien und Zeichen stehen im Zentrum des Beitrags von Li-Chun Lee, der sich den Visualisierungsformen von Pulskurven im europäischen und chinesischen Kontext widmet. Mit Rekurs auf Maurice Merleau-Ponty verfolgt Lee die Frage, wie die leibliche Phänomenalität des Pulses in eine für medizinische Analysen genaue Zeichenform übersetzt werden kann. Lee kann in der Gegenüberstellung von sprachlich-metaphorischen, technischen und grafischen Übersetzungsprozessen eine Situation skizzieren, in welcher unterschiedliche Zeichenregime des Pulses und Genauigkeitsvorstellungen aufeinanderstoßen.
Mit der Darstellbarkeit des Malprozesses an sich beschäftigt sich der Maler Fernand Léger. Denn durch die Materialisierung dieser Prozesse, d. h. durch den Versuch der exakten Dokumentation, werden sie analysierbar und ihr Potential allererst begreifbar. Technische Genauigkeit wird hierbei zum methodischen Ideal.Fernand Léger strebt mit dem Gemälde "Les éléments mécaniques" nach einer auf ihre Grundbedingungen spezialisierten Malerei, um mit den maschinellen Produkten der industriellen Moderne in Konkurrenz zu treten. Larissa Dätwyler verdeutlicht, dass er sich hierfür neben dem geometrischen Formenschatz insbesondere die disziplinierte Arbeitshaltung der Zeitgenossen zu eigen macht. Durch die kontrollierte Ordnung seiner eigenen Imaginationsleistung reflektiert Léger in mehrjähriger, präzisierender Überarbeitung den eigentlichen malerischen Prozess der Bildgenese. Zudem leitet die resultierende bildimmanente Mechanik idealerweise die kombinatorische Fähigkeit der Rezipient*innen, um die Bildherstellung nachzuvollziehen. So veranschaulicht Légers Malerei die Entstehung eines Bildraums und somit die Voraussetzung für neue Möglichkeitsformen.
Mit der Darstellbarkeit des Denkprozesses an sich beschäftigt sich der französische Lyriker und Philosoph Paul Valéry. Denn durch die Materialisierung dieser Prozesse, d. h. durch den Versuch der exakten Dokumentation, werden sie analysierbar und ihr Potential allererst begreifbar. Technische Genauigkeit wird hierbei zum methodischen Ideal. Gemäß dem Beitrag von Lucas Knierzinger sucht Valéry explizit nach einer präzisen, systematisierenden Notationsform, die mit dem variierenden Schreibfluss seiner "Cahiers" in Spannung tritt und den in der Handschrift sedimentierten Denkprozess in Erscheinung treten lässt. Mit Eggerts laboratorischen Versuchsanlagen vergleichbar, bezeichnet Valéry die Interaktion von Lesen und Sehen bei der anschließenden kritischen Betrachtung dieser faksimilierten Manuskriptseiten auch als analytische 'machine à lire'.
Treue Bilder, quantifizierte Prozesse : fotografische Exaktheit zwischen Hochschule und Industrie
(2021)
In Stephan Grafs Beitrag, der sich mit den Vorgängen im Photographischen Institut der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich befasst, nimmt die Imagination eine bloß marginale Rolle ein. Wie Stephan Graf zeigt, gewinnt nach 1945 John Eggerts auf die 1920er Jahre zurückgehende Erforschung der physikalisch-chemischen Grundlagen der Fotografie an Bedeutung, d. h. das Streben nach Quantifizierbarkeit des fotografischen Prozesses. Der deutsche Physikochemiker verspricht sich schließlich Mitte der 1950er Jahre von der exakten Messung und Analyse abstrakter, in Graustufen gehaltener Bildresultate eine Systematisierung der experimentellen Variationen und letztlich eine gezielte Reproduzierbarkeit des Belichtungsverfahrens. In diesem Sinne werden die Voraussetzungen für die Entstehung und Sichtbarwerdung eines bloß latenten Bildes geklärt und grafisch veranschaulicht.
Judith Sieber zeichnet die Entwicklung und Verwendung von statistischen Grafen in William Playfairs "Commercial and Political Atlas" (1786) nach. Dabei arbeitet sie die gesellschaftspolitische Ausrichtung der sich etablierenden Methode der visuellen Statistik heraus. In der Wiedergabe des Übergangs vom Vertrauen in numerische Genauigkeit (tabellarische Vermittlung von ökonomischem Wissen) zu Playfairs Anwendung visueller Statistik, die auf größtmögliche Einfachheit und Anschaulichkeit abzielt, erläutert sie Playfairs Gewichtung von Anschaulichkeit vor Genauigkeit im Kontext der schottischen Aufklärung. Hierbei wird deutlich, dass der Wendepunkt zur anschaulichen Darstellungsform begleitet ist von Fragen nach der Zugänglichkeit und Sichtbarmachung von Wissen sowie der politischen Rolle der eigenen Wissenschaftsdisziplin.
An den Begriff der Genauigkeit ist ein Gemenge von Medien, Techniken, Fähigkeiten und Parametern gekoppelt, die der vorliegende Sammelband zusammenführen möchte, um Genauigkeit als vielfältige, instabile Kategorie vorzustellen. Ihr scheinbares Gegenstück, die Imagination, wird zweifellos mitgedacht, aber anstatt einer dichotomen Gegenüberstellung soll im Sinne von Musils "phantastischer Genauigkeit" gerade auf die Verwobenheit und gegenseitige Abhängigkeit von Imagination und Genauigkeit aufmerksam gemacht werden - freilich im Wissen um die Unabschließbarkeit, die sich mit der Öffnung auf ein immer schon disparates und heterogenes Problemfeld aufdrängt.
In der Bekämpfung eines Virus scheint die Zeit aus den Fugen, Unsicherheit und Prekarisierung werden normal - es ist eine Zeit identitärer, individualisierender Immunisierung. Wie kann dann aber eine Zeitlichkeit verstanden werden, die das "Normale" infrage stellt? Isabell Lorey argumentiert für eine queere Zeitlichkeit, die es ermöglicht, in der Gegenwart unruhig zu bleiben. Sie plädiert für eine Sozialität, die auf wechselseitiger Sorge und queeren Schulden basiert und an gemeinsamer kontaminierender Immunisierung interessiert ist.
In den Filmen "Old Joy", "Wendy and Lucy" und "Certain Women" werden die zentralen Themen der US-amerikanischen Regisseurin Kelly Reichardt um Armut und Prekarität als Beschäftigung mit Zeitlichkeit deutlich. Der Artikel interessiert sich weiterführend dafür, wie diese Fragen in ihren Filmen auch als queer gelesen werden können. Hierfür werden verschiedene Bewegungen untersucht, die chrononormativen Zuschreibungen entgegenstehen und potentielle Öffnungen und Gefüge zeitigen. Es handelt sich um filmische Unterbrechungen und kleine Brüche, die eine Unklarheit, Abweichung oder Übertretung und die Neuformulierung von Zeit(ver)läufen und Räumen erlauben. Damit offenbart sich ein filmisches Denken, das sich im Bild selbst, in der Kameraführung oder durch Verbindungen in der Montage äußert.
In diesem Text werden zwei Film- bzw. Mediennetzwerke aus Kanada betrachtet, in denen prekäre Lebensbedingungen nicht nur thematisiert werden, sondern durch die Partizipation und Kollaboration von Filmschaffenden und Bürger*innen Handlungsmacht generiert werden soll. "Challenge for Change" setzte sich ab den 1960er Jahren u. a. gegen Armut ein, "Wapikoni Mobile" ist ein zeitgenössisches indigenes Vlog- und Filmnetzwerk. Beide Projekte werden als handlungsbasierte Dokumentarphilosophien verstanden. Sie werden mit Gilbert Simondon als mögliche Milieus für kollektive Individuationen konzeptualisiert. "Challenge for Change" und "Wapikoni Mobile" werden als technisch-sozial-ästhetische Milieus verstanden, in denen aktivistische und kulturelle Interventionen und Individuationen keinen Gegensatz bilden. "Wapikoni Mobile" wird zudem hinsichtlich seines Potentials für eine Filmkultur des Anthropozäns diskutiert, in der es um die Beziehung von Welt und Mensch geht, die in dokumentarischen Filmen verhandelt wird und die nicht nur abbildet, sondern ebenfalls - mit Gilles Deleuze - ein Band zur Welt knüpft.