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Der Beitrag diskutiert einige Möglichkeiten, die Annahmen der gestalttheoretischen Wahrnehmungspsychologie für die literaturwissenschaftliche Metrikanalyse fruchtbar zu machen. Die Analyse metrisch gebundenen Sprachmaterials wird zunächst mit einem Wort Max Wertheimers als "Realteilung" beschrieben, in der hypothetische Einheiten (Versfüße, Takte, Verszeilen) rekonstruiert werden, von denen man zunächst "nicht mit Sicherheit weiß, ob sie auch ebenso als Teile in dem Ganzen waren". […] Im Anschluss an bereits vorliegende Applikationen der Gestalttheorie auf Fragen der Metrik […] werden zunächst einige Probleme erörtert, die mit der dort vorherrschenden Analyse quasivisueller Bauprinzipien verbunden sind. Das erste Problem besteht in der häufig anzutreffenden Gleichwertigkeit zwei- und dreisilbiger Füße (bzw. ein- und zweisilbiger Auftakte), die eine Analyse nach 'Versfüßen' häufig unplausibel erscheinen lassen. […] Ein zweites Problem stellt sich angesichts der anachronistischen Reanalyse ursprünglich syllabischer Versmaße nach Versfüßen oder Takten. […] Drittens wird diskutiert, ob es tatsächlich die Ähnlichkeit von Untereinheiten ist, durch die Einfachheit oder Optimalität hergestellt wird, oder nicht eher bestimmte Verlaufsschemata. […] [A]bschließend [wird] die Verwertbarkeit der hier vorgestellten Prinzipien für die Textanalyse [überprüft] […]. Als Beispiel dient das Gedicht "Sachliche Romanze" von Erich Kästner.
Architextur
(2003)
Der Wechsel vom mechanischen zum elektronischen Paradigma, von der klassischen zur modernen episteme bedeutet, so geht aus der hier angestellten Untersuchung hervor, eine große Herausforderung für die Architektur. Solange sich das mechanische Paradigma, die klassischen episteme sich selbst als Architektur erkennen konnten, kann das non-fundamentalistische Paradigma seine Identität in der Art von Architektur nicht mehr finden. (Oder: sie erfindet keine mehr dafür.) Im mechanischen Paradigma konnte man, was wirklich ist und was Wirklichkeit ist am Haus, an dessen fest fundierter, zur harmonischen Einheit gefügter hierarchischer Ordnung zum Zweck der Umschließung ablesen. Das Gebäude konnte auch für das Denkgebäude der episteme ohne weiteres zum Vorbild und Leitbild werden. Die Art von Architektur besitzt aber kaum mehr Gültigkeit für ein Weltbild, das aus Zufallsmomenten und Entgleitungen, aus unregelhafter Mehrdimensionalität, Simultaneität und Virtualität besteht. Um die entgleitende Position des Identitätsstifters einigermaßen restaurieren zu können, sollte die Architektur ihre Konventionen der Formgestaltung, ihre Konventionen der Theoriebildung, ja ihre ganze Architeturidentität ändern. Die ver-störenden Gesten der Grenzverschiebungen in Philosophie und Architektur des Dekonstruktivismus optieren vielleicht dafür.
Als Hartmann von Aue vor gut 800 Jahren seine Version der Gregoriuslegende niederschrieb, mag ihm der Ödipusmythos bekannt gewesen sein, aus der Perspektive eines mittelalterlichen Gelehrten war dieser jedoch ein Überbleibsel aus einer vorchristlichen und damit gottesfernen Zeit und eher über den Umweg der christlichen Allegorese interessant. Wahrscheinlicher ist es hingegen, dass für ihn die Legende vom heiligen Papst eine historisch wahre, die Allmacht Gottes unter Beweis stellende Geschichte war. Thomas Mann versteht Hartmanns Gregorius hingegen in Folge seiner Beschäftigung mit den mythologischen Ursprüngen der europäischen Kultur als Variante des Ödipusdramas Sophokles’ und versucht in dem Erwählten die antiken Quellen zum einen auf einer literaturhistorischen Ebene freizulegen, zum anderen jedoch auch im Rahmen der psychoanalytischen Theorie zu interpretieren. Im Folgenden wird diesem Interpretationsansatz anhand der Differenzen der Textfassungen nachgegangen, um die Frage zu erörtern, welche Elemente des Ödipusmythos Thomas Mann aus der Gregoriuslegende herausgearbeitet hat. ...
Ist es wichtiger, welchen Namen man sich im jeweiligen kulturellen Kontext zulegt, und sagt der bei der Geburt gegebene Name weniger über die soziokulturelle Dimension aus als ein später angenommener? Für Miguel de Cervantes’ Don Quijote scheint diese Annahme formgebend zu sein: denn den Namen ‚Don Quijote‘ kennt heute fast jeder, den ursprünglichen Namen dieser fiktiven Figur dagegen, der im Roman in verschiedenen Versionen angegeben wird, weiß nicht einmal mehr der Erzähler selbst zweifelsfrei zu nennen. […] Onomastische Überlegungen und Forschungen gibt es inzwischen zu nahezu allen weltliterarisch bedeutsamen Texten […]. Interessant beim Don Quijote ist hierbei, dass eine vielschichtige Überlegung angestellt werden muss: allein bezüglich des Namens der Hauptfigur sind zum einen die Motivationen zu betrachten, die der Autor bei der Namensgebung seiner Figur hatte, und welche Rezipientenbeeinflussung ihm somit durch die Wahl des Namens ‚Don Quijote‘ vorschwebte. Zum andern ist aber auch die Motivation zu analysieren, die der Erzähler seiner Figur, welche er ja diesen und andere Namen ersinnen lässt, unterstellen möchte. Des Weiteren muss auch der ursprüngliche innerfiktive Name der Hauptfigur Beachtung finden und dabei besonders die Tatsache, dass der Erzähler sich dazu entschieden hat, diesen Namen bis zum Ende des Romans in der Schwebe zu lassen und in verschiedenen Variationen anzubieten. Hinzu kommen noch zusätzliche Beinamen, die der Ritter im Laufe des Romans annimmt.
Hans Henny Jahnns „Fluss ohne Ufer“ ist vor allem als Text martialischer sexueller Gewaltakte in die Literaturgeschichte eingegangen. Eine Perspektive, die ich aufbrechen oder verschieben möchte, indem ich sie in eine poetologische Fragestellung überführe. Die obsessive Beschäftigung mit dem Tod im Text soll also nicht, wie dies in der bisherigen Forschung häufig der Fall ist, als Deckdiskurs eines nekrophilen homosexuellen Autors verstanden werden. Meine These ist, dass sie auf eine poetologische Konzeption des Textes selbst verweist, der an der Selbstzerstörung des Protagonisten aufzeigt, dass es kein Ohneeinander von Schreiben, Schrift und Tod gibt. Oder: dass die Obsession, die Nekrophilie, schon im Schreiben liegt und nicht etwa bloß beschrieben wird. Eine wesentliche Funktion kommt in diesem Zusammenhang der Setzung von Eigennamen unter Schriftstücke, der Signatur, sowie feierlichen Akten der Umbenennung zu. Wer wann welchen Namen tragen kann und unter welchen Bedingungen dieser Name etwas bezeugt – dies ist das zentrale Thema vor allem des zweiten Teils der Romantrilogie „Die Niederschrift des Gustav Anias Horn, nachdem er 49 Jahre alt geworden war.“
Dem Namen kommt in der menschlichen und gesellschaftlichen Rede eine grundlegende, konstitutive Bedeutung zu: Es ist der Name, der sowohl die je spezifische Eigenheit seines Trägers indiziert als auch seine Stellung und seine Beziehungen zu anderen im Bereich des Sozialen allererst definiert. Diese in doppelter Hinsicht begründende Rolle des Namens haben, aus einer philosophischen bzw. kulturwissenschaftlichen Sicht, in neuerer Zeit vor allem die Untersuchungen von Tilman Borsche und Matthias Waltz dargelegt. Während Borsche aus philosophischer Sicht die erzeugende, die Gegenstände des Erkennens, Denkens und Sprechens hervorbringende und bestimmende Kraft des Namens betont, gilt Waltz’ Augenmerk demgegenüber stärker der gesellschaftlichen und institutionellen Wirkungsweise des Namens: Dabei hält er die Rolle der Namen für so grundlegend, dass sie – über eine bloß nachträgliche Beschreibung des Gegebenen weit hinaus gehend – Kategorisierungen hervorbringen, die die Formen unseres gesellschaftlichen Sprechens und Handelns weitreichend bestimmen. [...] Eigennamen erweisen sich als Kristallisationspunkte sui generis in Prozessen kultureller Bedeutungsstiftung und fungieren als Möglichkeit der Selbstverortung, Selbstreflexion sowie Fremdwahrnehmung. Die ausgewählten literarischen Textbeispiele reflektieren eindringlich die kulturelle Relevanz der Eigennamen und verdeutlichen zugleich ihre Bedeutung als Gegenstände kulturwissenschaftlicher Forschungen.
Aus dem Leben das Werk und aus dem Werk das Leben zu verstehen, lautet die Devise. Das Leben lässt sich deshalb aus dem Werk verstehen, weil auch und gerade das Werk, wie Peter Szondi Schleiermacher referiert, „aktive, aktuelle Äußerung des Lebens“ ist. Gerade dort, wo es Werk wurde, war das Leben wirklich Leben im Sinne Schleiermachers „hervorbrechendem Lebensmoment“ […], also bezeichnend für den Autor als Individuum und nicht gleichgültig allgemein. Aus der Menge der Erlebnisse eines Lebens gelten also nur die als wichtig, die es wert sind, in die Welt der Dichtung einzugehen. So kann der Interpret bei seiner Arbeit gar nicht fehlgehen, da am Leben des Autors nur das von ‘bleibender Bedeutung’ ist, was vom Werk ‘abgespiegelt’ wird. Im Zirkel zwischen Leben und Werk, Wahrheit und Dichtung bleibt dann nichts mehr übrig, das zum wechselseitigen Verstehen nichts beitrüge – alles andere wird aus der hermeneutischen Lektüre ausgeschlossen. Ich möchte nun diesem hermeneutischen Zirkel bei der Arbeit zusehen, um seine ungeheure Produktivität und seine Grenzen zu erkunden. Dazu greife ich aus der deutsche Literaturgeschichte einen Fall heraus, der besonders geeignet ist, die selbstverständliche Annahme eines Zusammenhang von Leben und Werk bei der Produktion wie der Rezeption von Texten vorzuführen und zu irritieren[:] Der Fall George Forestier.
Das Mißverhältnis zwischen der relativ geringen Zahl verurteilter Mörder und der Unzahl von Morden, die dem Fernsehpublikum allabendlich verabreicht werden, bedarf einer Erklärung. Die These lautet, daß der Fernsehkrimi der Durchsetzung gesellschaftlicher Macht- und Rechtsverhältnisse in den Köpfen des Publikums dient. Er nimmt aktuelle gesellschaftliche Probleme auf, spielt sie an den Grenzen der Legalität durch und macht den Verbrecher dingfest. Die Formen, in denen dies geschieht, zeigen mehr oder weniger genau den Wandel der staatlichen Verhältnisse an. Der Fernsehkrimi übernimmt daher unter den Bedingungen der Mediendemokratie die Funktion älterer Institutionen der Selbstverständigung: der griechischen Tragödie, des bürgerlichen Trauerspiels und der verschiedenen Formen des Kriminalromans. Drehbuchautoren, Regisseure und Schauspieler erarbeiten sich in günstigen Fällen zwischen den staatlich dominierten Fernsehanstalten und dem Publikum, das an spannender Unterhaltung interessiert ist, einen Freiraum, der das staatliche Herrschaftsinteresse mit Mitteln der Kunst unterläuft. Eine Typologie des Fernsehkrimis kann die Produktionen daher zwischen dem staatssprengenden Krimi, der strikt allenfalls in Kinoproduktionen möglich ist, und dem staatstreuen Krimi, der zur Langeweile neigt, aufspannen. Der "Tatort" findet in der Konkurrenz der Landesmedienanstalten relativ günstige Bedingungen vor und bietet sich für eine Analyse an. Als Beispiel für den staatstreuen Krimi wird die Folge "Bienzle und der Tod im Teig" (Tatort Stuttgart, 2003), für den staatssprengenden Krimi der italienisch - französische Kinofilm "Die Macht und ihr Preis" (1976) angeführt. Dazwischen lassen sich verschiedene Strategien ansiedeln, die den Autoren und Regisseuren das Ausweichen vor den (in den Rundfunkräten präsenten) staatlichen Institutionen erlauben: Komik und Groteske (Tatort Bremen: "Eine unscheinbare Frau", 2007) sowie Ästhetisierung. Dafür werden der Kieler Tatort "Borowski und das Mädchen im Moor" (2008) und die Kölner Folge "Mutterliebe" (2003) genauer analysiert. Sie zeigen, daß die traditionellen Mittel der Kunst wohl immer noch am besten geeignet sind, um die Machtansprüche der staatlichen Institutionen wirksam zu unterlaufen — selbst im Fernsehkrimi, der am ehesten zwischen die politischen Fronten gerät, wie neuere Diskussionen um mehrere Tatort-Folgen gezeigt haben.
Aus postkolonialer Perspektive gilt der Exotismus im Anschluss an Edward Said als die spezifische Ästhetik des Imperialismus, als Projektion westlicher Wunschphantasien, als ästhetische Ausbeutung des Fremden im Imperium der westlichen Kulturproduktion. Von einem „Ausstieg aus dem kolonialen Syndrom“, mithin von Postkolonialismus, könne man erst sprechen, wenn die diskursive Strategie des Exotismus nicht mehr funktioniere. Die einschlägigen literaturwissenschaftlichen Nachschlagewerke erklären, dass der Begriff Exotismus als Entlehnung aus dem Französischen zu Beginn des 20. ahrhunderts Eingang in die deutsche Sprache gefunden habe. Gerhart Pickerodt verweist im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft auf „früheste bekannte Belege“ bei dem österreichischen Expressionisten Robert Müller aus dem Jahr 1914.