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In transkulturellen Texten der Gegenwart finden sich Praktiken der Übersetzung, Diskurse über Translationsprozesse, aber auch künstlerische Auseinandersetzungen mit übersetzten Texten. In Olga Grjasnowas 'Der Russe ist einer, der Birken' liebt spricht die Protagonistin Mascha, die Übersetzungswissenschaften im Doppelstudium studiert, mehrere Sprachen und ist zugleich - durch ihre biographische Herkunft, ihre Freundschaften und Liebesbeziehungen und durch ihren Beruf - in mehrere kulturelle Kontexte eingebunden. Durch diese vielfachen Transgressionen ist Übersetzung daher im Text auch als Transkonzept präsent.
Überleben
(2016)
Der Begriff des Überlebens hat im 20. Jahrhundert eine steile Karriere erlebt, die es rechtfertigt, von ihm als einem neuen geschichtlichen Grundbegriff zu sprechen. Eine besondere Auffälligkeit ist dabei die Veränderung des Zeitsinns dieser Kategorie, die nicht mehr nur retrospektiv, sondern zunehmend auch prospektiv in Form der Antizipation drohender Gefahren verwendet wird. Der sachliche Grund für diese semantische Innovation liegt in der – im Zusammenhang mit neuen Formen politischer Herrschaft und technologischer Entwicklungen gemachten – Entdeckung von Neben- und Spätfolgen, die über den Horizont der Gegenwart hinausreichen. Die Futurisierung des Überlebensbegriffs zeigt ebenso wie das neue Schlagwort der 'Überlebensgesellschaft' an, dass am Eingang in die Spätmoderne das Verhältnis von Mensch und Natur, Vergangenheit und Zukunft, gegenwärtigen und kommenden Geschlechtern grundsätzlich prekär geworden ist.
Ökologie
(2016)
Ist heute die Rede von ökologischem Bewusstsein, Umweltverschmutzung oder Energiequellen, so ist immer auch zugleich die Rede von der Zukunft: In Frage steht, wie ein zukünftiges Leben unter den von Menschen geschaffenen Bedingungen aussehen könnte – Stichworte sind Klimawandel, Wassermangel, Erschöpfung der Energie-Ressourcen sowie die daraus folgenden Konsequenzen: Kriege um die Territorien, in denen ein Überleben noch möglich ist. Stets werfen solchen Szenarien die Frage auf, mit welchen Mitteln und Umstellungen diese düstere Zukunft vermieden werden könnte, verhandelt werden solchermaßen eine Energieversorgung durch alternative Energiequellen, die Ausrichtung der Wirtschaft auf Nachhaltigkeit, aber auch die Frage, ob die Demokratie überhaupt in der Lage ist, angesichts der akuten und globalen Probleme rechtzeitig zu agieren.
Literatur und Kunst sind schon immer ein Barometer des Kultur- und Mentalitätswandels in der Gesellschaft gewesen. Auch heute reagieren Künstler_innen auf Veränderungen in der 'postmodernen' Welt, die sich auf solche Stichpunkte bringen lassen wie Globalisierung, Migration, Grenzüberschreitungen zwischen Nationen, Kulturen und Sprachen, Auflösung fester Identitäten. Mit künstlerischen Mitteln wird zudem – affirmativ, kritisch, ironisch – auf theoretische Konzepte Bezug genommen, mit denen Kulturwissenschaftler_innen die neuen sozialen, kulturellen und ökonomischen Lebensformen beschreiben. Zu diesen Konzepten gehört die auf Welsch zurückgehende Transkulturalität. Die damit eingeführte neue Sicht auf Kulturkontakte löst seit den 1990er Jahren zunehmend die Idee der Interkulturalität und die Prämissen der post-colonial studies ab, ganz zu schweigen von der überholten und politisch gescheiterten Multikulturalität.
Der vorliegende Band nimmt künstlerische Auseinandersetzungen mit Zeugenschaft im Film, im Theater, in der Literatur, in der Bildenden Kunst und in der Performancekunst in den Blick und stellt dabei grundlegende Fragen: Was gilt als Zeugnis und wer ist ein Zeuge? Wie verhalten sich Zeugnis, Wahrheit und Fiktion zueinander? Wie wird Zeugenschaft, wie wird die epistemische und moralische Rolle von Zeugnissen in der Kunst reflektiert und kommentiert? Dabei werden gattungsspezifische Aspekten der jeweiligen Kunstformen herausgearbeitet, aber auch allgemeinere Fragen über das Verhältnis von Kunst und Zeugenschaft thematisiert. Gewinnen wir, indem wir uns mit künstlerischer Zeugenschaft auseinandersetzen, auch einen neuen Blick auf Begriff und Phänomen von Zeugenschaft? Oder ist ein solch allgemeiner Begriff von Zeugenschaft gar nicht anzustreben angesichts der kaum überschaubaren Fülle unterschiedlicher Phänomene des Zeugnisgebens? Fragen über Fragen, auf welche dieser Band Antworten sucht. Doch wir möchten an dieser Stelle auch einige Thesen darüber artikulieren, welche Facetten von Zeugenschaft ganz spezifisch durch Kunst in den Blick geraten – und wodurch sich insbesondere die künstlerische Auseinandersetzung mit Zeugenschaft vom Umgang mit Zeugen und Zeuginnen in anderen Kontexten unterscheidet.
Zeitreisender
(2016)
Mit dem Begriff Zeitreise wird die Vorstellung ausgedrückt, dass man sich durch die Zeit auf eine wie auch immer geartete Weise bewegen kann, indem man von einer Stelle zu einer anderen reist. Eine Zeitreise verbindet also zwei (oder mehr) Orte in der Zeit. Im weiteren Sinn wäre jeder Lebenslauf eine solche Reise vom Zeitort der Geburt bis zum Zeitort des Todes. Im engeren Sinn ist jedoch für Zeitreisen eine zeitliche Diskrepanz zwischen persönlicher Zeit und externer (äußerer, umgebender) Zeit zu veranschlagen: Obwohl ein Zeitreisender Minuten, Stunden oder Jahrtausende in der externen Zeit überbrücken kann, läuft seine persönliche Zeit, seine Lebenszeit kontinuierlich weiter.
Wunsch
(2016)
Wünsche sind gedanklich-sprachliche Repräsentationen von abwesenden Dingen oder Zuständen, deren Anwesenheit für den Wünschenden erstrebenswert – 'wünschenswert, wünschbar' – ist. Dabei ergibt sich eine enge Verbindung von Wünschbarkeit und Zukünftigkeit: Es gehört zum Charakteristikum vieler Wünsche, dass in ihnen das Erwünschte als 'noch nicht' anwesend, aber als in Zukunft erreichbar vorgestellt wird. Ein solches Herbeiwünschen eines zukünftigen Zustands kann auf möglichst vollständige Befriedigung abzielen, etwa wenn das Aussprechen eines Geschenkwunsches – oder auch seine Niederschrift auf einem Wunschzettel – dafür sorgen soll, dass man später genau die gewünschte Gabe erhält. Am theoretisch namhaftesten findet sich diese Reduktion des Wünschens auf den Augenblick seiner Erfüllung in Sigmund Freuds Deutung des Traums als einer „Wunscherfüllung“, die „bequem“ und „vollkommen egoistisch“ gewährt werden könne.
Worst case
(2016)
Die Rede vom 'worst case' ist appellativ; sie tendiert zum Alarmismus und drängt zur Entscheidung. Die beschworene Möglichkeit katastrophaler zukünftiger Ereignisse erzeugt Handlungsdruck und Ordnungseffekte im Hier und Jetzt. Sie ist nie allein Warnung, sondern immer auch Aufforderung, dem drohenden 'worst case' um jeden Preis zuvorzukommen. Der Imperativ lautet, mit dem Hereinbrechen des Unerwarteten, Unvorstellbaren zu rechnen und ihm mit allen Mitteln entgegenzuwirken. Genau hier liegt das Problem. Gezieltes präventives Handeln erfordert verlässliches Wissen; doch dieses ist für den 'worst case' prinzipiell nicht verfügbar. Der schlimmste vorstellbare (Un-)Fall ist präzedenzlos, eine drohende radikale Diskontinuität. In Ermangelung von Erfahrungswissen ist alles, was über ihn gewusst werden kann, Wissen im Konjunktiv.
Weltkulturerbe
(2016)
In der 1972 verabschiedeten 'World Heritage-Konvention' der Unesco gelobt jeder der Unterzeichnerstaaten "Erfassung, Schutz und Erhaltung in Bestand und Wertigkeit des in seinem Hoheitsgebiet befindlichen […] Kultur- und Naturerbes sowie seine Weitergabe an künftige Generationen". So wie in dieser Formel, ist das Konzept des 'Erbes' auch sonst begriffs- und diskursgeschichtlich mit dem der intergenerationellen Übertragung verknüpft. Das gilt für alle drei Aspekte des Erbe-Begriffs, wie er sich – in eben dieser Dreigliedrigkeit – seit dem 19. Jahrhundert herausgebildet hat: für die zivilrechtlich kodizifierte Eigentumsübertragung, für die biologische Weitergabe von Eigenschaften (bzw. deren Anlagen) und für die kulturelle Traditionsbildung. Was aber heißt es eigentlich, Praktiken der Weitergabe von 'Kultur' mit der Bezeichnung 'Erbe' zu belegen?
"Weiblichkeit im Werden" möchte die "Mädchengedichte" Rilkes, die hautpsächlich 1898 während seines Aufenthalts in Italien entstanden sind, mit der "Geburt der Venus" in Verbindung bringen und diskutieren. Letztere gehört zum Zyklus der "Neuen Gedichte" (1907) und reiht sich, 1903 in Rom geschrieben, in die Erzählgedichte "Hetärengräber", "Alkestis" und "Orpheus. Eurydike. Hermes" ein. Welchen Status, welchen Stellenwert haben die Mädchengedichte im poetischen Werdegang Rilkes, welche Thematik und "Topoi" lassen sich darin ausmachen? Und welcher qualitative Sprung trennt die "Mädchengedichte" der Frühzeit von der "Geburt der Venus"?