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Psychiatrie
(2016)
In der Psychiatrie hat die Prognose über den Verlauf und den Ausgang von Erkrankungen eine Schlüsselstellung inne. Sie verknüpft die Erkenntnis, welche Ursachen eine Erkrankung besitzt, und die Frage, welche Therapie geboten ist, mit einem Wissen, wie die Krankheit verlaufen und ausgehen wird. Jedoch stehen einer Vorhersage der Zukunft zahlreiche Hindernisse entgegen, die einerseits in der Kontingenz des Lebens selbst, der Individualität der Patienten oder auch der Ungewissheit, ob und wie Therapien anschlagen, liegen. Jedoch ist in der Psychiatrie eine Prognose schwierig, weil vielfach unklar ist, was eine Krankheit überhaupt ist, welche Ursachen sie besitzt und wie sie von anderen Krankheiten zu unterscheiden ist. Dennoch entsteht im 19. Jahrhundert ein unmittelbarerer Nexus von Diagnose und Prognose, der den epistemologischen Kern der Psychiatrie definiert. Im 20. Jahrhundert wird der Nexus von Diagnostik und Prognostik auf neue Weise gefasst. Die Psychiatrie wird zu einer Zukunftswissenschaft, die nicht mehr nur vorhersagt, wie eine Krankheit, Erkrankung oder Störung verlaufen und ausgehen wird. Vielmehr schafft sie ein neuartiges Verständnis dafür, was psychische Gesundheit sei und nimmt insbesondere das Verhältnis von manifester, akuter Erkrankung und zukünftiger, wahrscheinlicher Erkrankung in den Blick.
Meteorologie
(2016)
Die Wetterkunde setzt sich aus vier Tätigkeitsfeldern zusammen: Datensammlung, Modellentwicklung, Prognostik und Wettersteuerung. Die Vorhersage zukünftiger Wetterereignisse stellt mithin nur eines von mehreren Aufgabengebieten dar. In ihrer Geschichte verlief die Entwicklung der vier Felder lange Zeit weitgehend separat. In den Agrar- und Seefahrergesellschaften der Antike führten Stadtverwaltungen und Tempel kalendarische Aufzeichnungen über alle Arten von Himmelsereignissen. Kosmologische Modelle wurden in der Naturphilosophie entworfen. Aristoteles unterschied dabei den Gegenstandbereich der 'Uranologie', die sich mit feststehenden Körpern wie Fixsternen und sich regelmäßig bewegenden Körpern wie Planeten beschäftigt, von dem der 'Meteorologie', die es mit singulären oder unregelmäßigen Ereignissen wie den Witterungserscheinungen zu tun hat. Für Prognosen in diesem Bereich stützte man sich auf Erfahrungswerte und ein Denken in Wenn-dann-Strukturen: Das Auftreten oder Ausbleiben von Himmelsphänomenen oder ihrer Kombination und das Verhalten von Pflanzen und Tieren zu bestimmten Tageszeiten wurde als Anzeichen für zukünftige Wetterereignisse gedeutet. Dieses Wissen bezog sich allein auf die alltägliche Nutzanwendung und war nicht an Erklärungen interessiert. In der Antike muss deshalb nicht die Meteorologie, sondern die Wetterprophetie als das wetterkundliche Zukunftswissen gelten. Die Mittel zur Beeinflussung des Wetters schließlich bestanden in Zaubern und Gebeten.1 An dieser Trennung der verschiedenen Tätigkeitsfelder der Wetterkunde änderte sich im Mittelalter und in der frühen Neuzeit kaum etwas.
Politische Arithmetik
(2016)
Quantitative Methoden markieren somit von Anfang an den methodischen Kern der politischen Arithmetik. Darüber hinaus gehen Erkenntnis und Regulierung eine feste Verbindung ein. Politische Arithmetik zielt nicht nur auf ein 'Wissen' von der Bevölkerung, sondern ebenso auf die 'Steuerung' der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung. Damit geht es sowohl um die 'Vorhersage' als auch um die 'Herstellung' der Zukunft. Im bevölkerungswissenschaftlichen Dispositiv verbinden sich epistemische und operative Aspekte.
Astrologie
(2016)
Die Astrologie stellt bis heute die populärste und bekannteste Disziplin des Zukunftswissens dar, ist sie doch über Tages- und Wochenhoroskope unmittelbar mit der Prognose künftiger Ereignisse befasst und als solche im alltäglichen Mediengebrauch präsent. Und obwohl sie mit den okkulten Praktiken der Esoterik, Mantik, Alchemie oder dem Tarot assoziiert wird, erfreut sie sich im westlichen Kulturkreis wachsender Beliebtheit. Während populäre astrologische Weissagungen nicht zuletzt durch die Lehre der Tierkreiszeichen allgegenwärtig sind, ist meist unbekannt, dass die Anfänge der Astrologie weniger individualprognostischer als ökonomischer und politischer Natur waren.
Posthumanismus
(2016)
Dass "der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand", war 1966, als Michel Foucault 'Les mots et les choses' mit dieser Prognose eines dritten epistemischen Bruchs der abendländischen Diskursordnung beschloss, kaum noch eine Provokation. Die nur zu gezielt missverstandene Rede vom "Tod des Menschen" war keineswegs so neu, wie Kritiker des von der Diskursanalyse angeblich beförderten 'Antihumanismus' glauben machen wollten: Diagnosen wie diejenige von Oswald Spengler, "der faustische Mensch" sei "zum Sklaven seiner Schöpfung geworden", oder Günther Anders’ "Frage der Verwandlung oder Liquidierung des Menschen durch seine eigenen Produkte" gehörten angesichts von Massenvernichtungswaffen, kybernetischer Modellbildung und Reproduktionsbiologie zum festen Inventar eines kulturpessimistischen Diskurses im 20. Jahrhundert, der zu Beginn des 21. folgerichtig in Francis Fukuyamas Ankündigung einer 'Posthuman Future' mündete, in der Genmanipulation und Neuropharmakologie die natürlichen Grundlagen von Ethik, Menschenrechten und Demokratie zerstören werden.
Klima
(2016)
Einer der ältesten Gegenstände der Zukunftsprognose ist das Wetter. Als "Bühne der Götter", von der aus sich gleichermaßen Strafgerichte, Prüfungen und Geschenke über die Menschen ergießen, ist Wetter das Paradigma einer ungewissen Zukunft, an die sich gerade darum bestimmte Wissensformen und Praktiken der Prädiktion knüpfen: Wetterorakel, Lostage, Almanache mit Wetter-Regeln oder auch Prophezeiungen wie die von den sieben fetten und sieben mageren Erntejahren, die Joseph dem Pharao weissagt (1. Mose 41). Während die Antike diesen Techniken mantischer Wettervorhersage eine große Zuverlässigkeit zuspricht, ist mit der Verwissenschaftlichung modernen meteorologischen Wissens die empirisch belastbare Vorhersage kurz- und mittelfristiger Wetterereignisse außerordentlich schwer geworden. Anders das Klima: "Climate is what we expect, weather is what we get". Klima ist Durchschnitt, Dauer und Regelmäßigkeit, Wahrscheinlichkeit und Wiederkehr: der Zyklus der Jahreszeiten, die Erwartbarkeit von Niederschlägen, Temperaturen und Winden, die Häufigkeit bestimmter Wetterverhältnisse in einer gegebenen Region. Es bewegt sich in einem Raum der Extrapolationen, Wahrscheinlichkeiten und Durchschnittsbildungen zwischen Einzelereignissen, deren kontingentes Auftreten in statistische Häufigkeit umgerechnet wird. So wird aus Regentagen eine bestimmte Niederschlagsmenge, aus Wärme- und Kälteperioden werden Temperaturkurven, aus desaströsen Stürmen jahreszeitlich wechselnde Windperioden.
Worst case
(2016)
Die Rede vom 'worst case' ist appellativ; sie tendiert zum Alarmismus und drängt zur Entscheidung. Die beschworene Möglichkeit katastrophaler zukünftiger Ereignisse erzeugt Handlungsdruck und Ordnungseffekte im Hier und Jetzt. Sie ist nie allein Warnung, sondern immer auch Aufforderung, dem drohenden 'worst case' um jeden Preis zuvorzukommen. Der Imperativ lautet, mit dem Hereinbrechen des Unerwarteten, Unvorstellbaren zu rechnen und ihm mit allen Mitteln entgegenzuwirken. Genau hier liegt das Problem. Gezieltes präventives Handeln erfordert verlässliches Wissen; doch dieses ist für den 'worst case' prinzipiell nicht verfügbar. Der schlimmste vorstellbare (Un-)Fall ist präzedenzlos, eine drohende radikale Diskontinuität. In Ermangelung von Erfahrungswissen ist alles, was über ihn gewusst werden kann, Wissen im Konjunktiv.
Überleben
(2016)
Der Begriff des Überlebens hat im 20. Jahrhundert eine steile Karriere erlebt, die es rechtfertigt, von ihm als einem neuen geschichtlichen Grundbegriff zu sprechen. Eine besondere Auffälligkeit ist dabei die Veränderung des Zeitsinns dieser Kategorie, die nicht mehr nur retrospektiv, sondern zunehmend auch prospektiv in Form der Antizipation drohender Gefahren verwendet wird. Der sachliche Grund für diese semantische Innovation liegt in der – im Zusammenhang mit neuen Formen politischer Herrschaft und technologischer Entwicklungen gemachten – Entdeckung von Neben- und Spätfolgen, die über den Horizont der Gegenwart hinausreichen. Die Futurisierung des Überlebensbegriffs zeigt ebenso wie das neue Schlagwort der 'Überlebensgesellschaft' an, dass am Eingang in die Spätmoderne das Verhältnis von Mensch und Natur, Vergangenheit und Zukunft, gegenwärtigen und kommenden Geschlechtern grundsätzlich prekär geworden ist.
Manifest
(2016)
In der Frühphase der Französischen Revolution zeigt sich [...] eine Zäsur in der historischen Betrachtung von politischen Texten, die sich als Manifeste ausweisen: Die Vergangenheitsorientierung wird zum Anachronismus; erst durch die Ausrichtung auf Zukunft wird das Manifest zu einem zentralen Instrument politischer Kommunikation. Seit der Französischen Revolution wird in Manifesten Zukunft angekündigt und rhetorisch hergestellt. Das Manifest soll eine Mobilisierung hervorrufen, die das formulierte Programm realisiert. Dabei muss diese Zukunftsvorstellung nicht ausführlich entwickelt werden, häufig reicht es aus, sie anzudeuten und anzukündigen. Damit unterscheiden sich Manifeste von Utopien: Während die Utopie eine möglichst umfassende Fiktion einer zukünftigen Gesellschaftsform als Regulativ gegenwärtigen Handelns entwirft, begnügt sich das Manifest mit einer andeutenden Rhetorik des Futurischen und mit indexikalischen Zeichen, die das Neuartige, wenn auch nicht unbedingt Spezifizierte der Zukunft in der Gegenwart verankern. Diese Kopplung zwischen verheißener Zukunft und gegenwärtigem Handeln zeigt sich auch in der Etymologie: Der Ausdruck Manifest stammt vom lateinischen Verb 'manifestare' 'offenlegen', der Wortstamm verweist aber auch auf das Wort 'manus', ‚die Hand‘, so dass die Bedeutung 'handgreiflich machen' mitschwingt. Im Folgenden soll nicht versucht werden, die Gattungsform zu definieren oder eine Typologie der Manifeste zu entwerfen. Stattdessen geht der erste Teil des Beitrags auf einige historische Stationen der Geschichte des Manifests ein, worauf die folgenden beiden Abschnitte sich zwei konkreten Manifesten widmen: Karl Marx' und Friedrich Engels' 'Manifest der Kommunistischen Partei' (1848) und Bruno Latours 'An Attempt at a Compositionist Manifesto' (2010).
Science-Fiction
(2016)
Science-Fiction (SF) gilt seit dem frühen 20. Jahrhundert als dasjenige literarische, filmische und seit den 1960er Jahren zunehmend auch pop-kulturelle Genre, welches wie kaum ein anderes für die fiktionale Ausgestaltung der Zukunft zuständig ist. Und dennoch stand SF lange Zeit in dem Verdacht, eine ästhetisch anspruchslose und tendenziell machistische, wenn nicht offen sexistische, nationalistische und gewaltverherrlichende Unterhaltung für technikbegeisterte weiße Männer mittlerer Bildung und jüngeren Alters zu liefern. Die Literaturwissenschaft hat diese Einschätzung allerdings bereits seit längerem revidiert. So erschienen in den letzten Jahren mehrere Publikationen, die die Bedeutung von SF als "wide-ranging, multivalent and endlessly cross-fertilising cultural idiom" hervorhoben. Vor allem das zunehmende Interesse an den Übergangsregionen von Kunst und Wissen(schaft) hat dem Genre zu neuer kultur-, literatur-, film- und medienwissenschaftlicher Attraktivität verholfen. Dennoch bleibt SF nach wie vor eine genrepoetische und ästhetische Herausforderung, da das Verhältnis zu benachbarten Erzählformen wie Utopie/Dystopie, Horror und Fantasy umstritten ist, die historische Datierung der Gattungsgeschichte ungeklärt bleibt und die grundsätzliche Frage nach der Eigenständigkeit von SF als Genre bis heute Gegenstand kontroverser Auseinandersetzungen ist. Aus pragmatischen Gründen werden diese Themen im Folgenden ausschließlich anhand der 'literarischen' SF diskutiert.