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Laura Basten sichtet den schriftstellerischen und künstlerischen Nachlass von Maria Benemann, einer Protagonistin im Umfeld von Expressionismus und Bauhaus, die heute allenfalls als Fußnote in den Biographien prominenter Männer gewürdigt wird. Aus der Perspektive der Editionswissenschaft reflektiert Basten die Möglichkeiten und Probleme, den Nachlass Benemanns wieder einer größeren Leserschaft zuzuführen. Neben Besonderheiten, die den Nachlass selbst betreffen, diskutiert sie dabei auch kanonpolitische Fragen und erörtert, wie eine Edition beschaffen sein müsste, die ein Werk aus bis dato nicht publizierten oder schwerlich zugänglichen Texten zuallererst herstellt.
Andreas Bülhoff und Annette Gilbert geben einen Einblick in die von ihnen im Rahmen des DFG-Projekts "Artefakte der Avantgarden 1885–2015" begründete "Library of Artistic Print on Demand". Dabei zeigen sie anhand ausgewählter Artefakte, wie PoD-Publikationen als programmatisch schlecht gemachte Bücher die Restriktionen des Literaturbetriebs und der PoD-Plattformen gleichermaßen unterlaufen. Zugleich ist der Status dieser Artefakte äußerst prekär: Der Eingang dieser Publikationen in die Bestände der Bibliotheken kann darum auch als ein kulturpolitisches Anliegen begriffen werden.
Mette Biil Sørensen demonstriert an mehreren "Foto-Texten" W. G. Sebalds die weitreichenden Folgen verlegerischer Entscheidungen zur Platzierung und Rahmung von Photographien und Schriftelementen in der 'materiellen Übersetzung' von Text und Buch-Objekten.
Die Übersetzung literarischer Werke wird meist in erster Linie mit der sprachlichen Übersetzung eines Textes aus einer Ausgangssprache in eine Zielsprache konnotiert, was Roman Jakobson mit dem in der Übersetzungswissenschaft einschlägigen Begriff 'interlingual translation' oder auch 'translation proper' bezeichnet hat. Diese Konnotation macht sich sowohl bei der allgemeinen Leser*innenschaft als auch zuweilen in der praktischen Handhabung einer literarischen Übersetzung im Verlagswesen geltend. Im Anschluss an die jüngsten Entwicklungen der Literaturforschung zur Materialität von gedruckten Büchern stellt sich jedoch die Frage, woraus eigentlich der Gegenstand einer literarischen Übersetzung besteht. Wird alleine der sprachliche Gehalt eines Textes einem Übersetzungsprozess unterzogen oder soll vielmehr das gesamte Buchobjekt in die Zielsprache und Kultur übertragen werden? Diese Frage stellt sich insbesondere bei solchen literarischen Werken, die aus mehreren bedeutungstragenden Elementen bestehen, so wie es bei literarischen "Foto-Texten" der Fall ist. In diesem Beitrag wird untersucht, welchen Einfluss die Übertragung vor allem visuell-materieller Bedeutungsträger auf die Deutungsangebote literarischer "Foto-Texte" ausübt, anhand von Beispielen aus W. G. Sebalds (1944–2001) zwei Werken "Die Ringe des Saturn" (1995) und "Austerlitz" (2001) in deutschen, englischen, dänischen und schwedischen Ausgaben.
Tobias Vogt erhellt am frühen Beispiel der hintergründigen Bildsprache der Michelin-Werbung um 1900 die untrennbare Verflechtung von Kunst, Ökonomie und Publikationsstrategien in der französischen Avantgarde und rekonstruiert zugleich die Material- und Kulturgeschichte des Kautschuks zwischen Reifenproduktion und Collage.
Christin Krüger betrachtet den Zusammenhang zwischen Gliederpuppe bzw. Marionette und der Konstitution eines (literarischen) Textes. So ist die Gliederpuppe in Heinrich von Kleists Essay "Über das Marionettentheater" nicht nur Gegenstand der Erzählung, sondern ein Phänomen des Textes selbst, indem die gegliederte Rede zum Akteur eines "Artikulationsspektakels" wird. Dies verbindet Kleists Schrift mit den über Jean Starobinski vermittelten Anagramm-Studien Ferdinand de Saussures, in denen die Gliederpuppe als zentrale Reflexionsfigur wieder auftaucht, und mit der eingehenden Beschäftigung Hans Bellmers mit Puppen, die nicht zuletzt in der Illustration von Kleists "Marionettentheater" kulminiert.
Magnus Wieland untersucht in seinem Beitrag die Bedeutung von Hüten, die sich als motivischer und biographischer roter Faden durch die Kunst der Avantgarde ziehen. Vielsagend ist die etymologische Anspielung auf die 'Vor-Hüte' der Avantgarde, da sich anhand kopfloser oder fortfliegender Hüte die antibürgerliche Ästhetik der Avantgarde 'in nuce' skizzieren lässt.
Die vielgestaltige Kunst der europäischen Avantgarden hat besondere Dinge, Objekte oder Artefakte hervorgebracht, die hier ins Zentrum einer interdisziplinär erarbeiteten Sammlung historischer Fallstudien gerückt werden. Die Beiträge untersuchen aus Sicht der digitalen Gegenwart sprechende Gegenstände wie Hüte, Puppen, Bücher in print on demand, Fototexte, Audiokassetten und diverse Archivalien, zudem einzigartige kulturhistorische und künstlerische Produktionen, etwa das 'Michelin-Männchen', Hannah Höchs 'Hampelfrau' und Schreibautomaten. Eine neu akzentuierte Literaturgeschichte der Objekte zeichnet sich hier ab, zugleich eine andere Geschichte der Avantgarden von ihren Rändern her.
Die theoretische Vorstellung von Berührung als einer Verbindung durch Trennung, wird, wie Karin Harrasser herausstellt, im Rahmen der politischen Nähe- und Distanzreglementierung der Corona-Pandemie zu einer alltäglichen Erfahrung, die dazu veranlasse, noch einmal neu über das Verhältnis von Berührung und Grenze nachzudenken. Harrassers Beitrag beschäftigt sich mit einem Denken des Halbdurchlässigen in drei Episoden aus Ovids "Metamorphosen" (Arachne, Marsyas und Niobe). Ihre Analyse, in der auch Diego Velázquez' Gemälde "Die Fabel der Arachne" und Tizians "Die Häutung des Marsyas" eine zentrale Rolle spielen, plädiert für das Denken eines "taktvollen Berührbarmachens" und einer Annäherung jenseits von harten Grenzen.
Mit Berührung als Phänomen der Grenze und Entgrenzung befasst sich Sandra Fluhrer, und zwar in Texten, die Erscheinungen der Pflanzenwelt in Verbindung mit dem taktilen Sinnesvermögen des Menschen bringen. Ihr Beitrag untersucht Berührung als "exzentrische Denkfigur" in Johann Wolfgang von Goethes Morphologie, Emanuele Coccias "Philosophie der Pflanzen" und in der politischen Anthropologie Helmuth Plessners. Der "Metaphysik der Mischung" in Coccias Pflanzenlehre, die Fluhrer als Aktualisierung der Goethe'schen Metamorphosen und als Gegenwehr zu einem aktuellen Identitäts- und Grenzdenken liest, stellt sie Plessners auch gesellschaftliches Interesse an einem "Berühren auf Distanz" und "exzentrischer Positionalität" zur Seite, das ebenso statische Identitätsvorstellung zurückweise.
Vera Kaulbarsch findet in zwei Gedichten Rilkes, in "Die Rosenschale" und "Das Rosen-Innere", Berührung nach Novalis' Vorbild, als eine Bewegung der Annäherung und Zuwendung, der Distanz eingeschrieben bleibt. Rilke nähert sich in Kaulbarschs Lesart der Berührung nicht von außen, etwa mit männlichem Blick; die Berührungen vollziehen sich als Berührungen des Rilke'schen Dings mit sich selbst, nicht nur der Blütenblätter, sondern auch als lautliche Selbstberührungen des Kunstdings Gedicht.