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In der Literaturwissenschaft werden durch die Entwicklung und den Einsatz digitaler Verfahren auch neue Fragen literaturtheoretischer Art aufgeworfen. Die DHd AG Digital Humanities Theorie nimmt sich dieser Fragen im Kontext der digitalen Geistes- und Kulturwissenschaften an, versteht sich als Plattform des interdisziplinären Austauschs und unterstützt die Forschung durch die Schaffung von Begriffsangeboten und reflexiven Zugriffen.
Der Beitrag skizziert ein Projekt, das die Generierung impliziter Assertionen in literarischen Fiktionen untersucht, also auf die reale Welt bezogene Propositionen, die die jeweilige Fiktion nahelegt, ohne sie explizit zu formulieren. Im Rahmen des Projekts werden literaturtheoretische Fragestellungen mit Methoden aus dem Bereich der Digital Humanities verknüpft.
In diesem Beitrag wird das Projekt CAUTION vorgestellt, das sich dem narrativen Phänomen des unzuverlässigen Erzählens mithilfe verschiedener computergestützter Methoden (automatische und manuelle Annotation, Argumentvisualisierung und Deep Learning) nähert. In diesem Rahmen wird zur Beantwortung theoretisch-methodologisch relevanter Fragen zu unzuverlässigem Erzählen, aber auch zu literaturwissenschaftlicher Interpretation im Allgemeinen sowie zum Potenzial computergestützter Zugänge in diesem Zusammenhang beigetragen.
Ausgehend von der grundlegenden narratologischen Bedeutung von Ereignissen in ihrer konstitutiven Funktion für Erzähltexte wurde im Projekt "Evaluating Events in Narrative Theory" (EvENT) ein Ansatz entwickelt, mit welchem Ereignisse auf der Textoberfläche und daher maschinenlesbar modelliert werden können. Dieser Beitrag skizziert bisherige Arbeitsschritte und ausgewählte Ergebnisse des Projekts, zu denen die Generierung von Narrativitätsgraphen zählt.
Unter dem Label "Digital Humanities" (DH) werden unterschiedliche Themen, Gegenstände und Erkenntnisansprüche subsumiert. Vielen gelten die DH als Erweiterung des klassischen Methodenkanons, da sie computergestützte Verfahren für die Geisteswissenschaften in Aussicht stellen. Gleichzeitig verstärken die DH, indem sie unter anderem neue Werkzeuge anbieten, auch praxeologische Tendenzen innerhalb der Geisteswissenschaften. Infolgedessen haben sich die Rede von der Theorielosigkeit der DH sowie Erzählungen vom "Ende der Theorie" in den Diskussionen über digitale Methoden, Praktiken und Forschungsinfrastrukturen als Hauptnarrative etabliert. Dem Status der Theorie in den DH widmete sich die Tagung "Theorytellings: Wissenschaftsnarrative in den Digital Humanities", die am 8. und 9. Oktober 2020 in Leipzig stattfand und von der Arbeitsgruppe "Digital Humanities Theorie" des Verbandes "Digital Humanities im deutschsprachigen Raum" und dem "Forum für Digital Humanities Leipzig" organisiert wurde.
[Es] zeichnen sich drei grundlegend unterscheidbare Richtungen ab, die als Aufgabenfeld einer Computerphilologie gesehen werden: die Entwicklung digitaler Editionen, die Erforschung PC-basierter Literatur und die Ausbildung PC-basierter Methoden einschließlich der Entwicklung und Programmierung entsprechender Anwendungen. Diese Definition bietet Anlass zur Reflexion über die Frage nach Methodologie und Disziplinarität der Computerphilologie. Die Aufzählung […] kann jedoch nur den Ausgangspunkt markieren, da sie lediglich den Einsatzbereich des PCs absteckt. Aber darauf aufbauend lassen sich drei Thesen zur näheren Bestimmung computerphilologischer Arbeit formulieren, die nachfolgend zur Diskussion gestellt werden.
Der vorliegende Beitrag […] begründet […] die Relevanz des Kulturbegriffs in Fragen der Digitalisierung philologisch und geht erstens davon aus, daß kulturelle Kompetenz sich von philologischer Kompetenz nicht unterscheidet. Daraus läßt sich ein privilegiertes Mitspracherecht der Philologie in kulturellen Fragen ableiten. Dieses Mitspracherecht betrifft zweitens gerade Projekte der Digitalisierung, weil sie in einem engen Verhältnis zu einem der Kernbereiche der Philologie stehen: zur Edition. Die Diskussion um die "Google Buchsuche" hat bislang genau diesen Zusammenhang zwischen Kultur, Philologie und Digitalisierung vernachlässigt. Seine Berücksichtigung kann zu einer tiefenschärferen Bewertung des Unternehmens in kultureller Perspektive beitragen und zugleich den notorischen Rekurs auf den Kulturbegriff in der Google-Debatte erklären helfen.
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würden die DH eine Nische besetzen. Tatsächlich jedoch dürfen sich die traditionellen Geisteswissenschaften in Bedrängnis fühlen. Nicht nur ist es für digitale Forschungsprojekte offenbar einfacher, an öffentliche Gelder zu kommen, die den tradi-tionellen Geisteswissenschaften dann fehlen. Die DH machen durch ihre wohl noch lange nicht ausgeschöpfte Fülle theoretischer Einsatzmöglichkeiten zudem ein Versprechen auf die Zukunft, das mit Erwartungen verbunden ist, die so vielleicht nicht erfüllt werden können. Untermauert wird dieses Versprechen mit einer rasant wachsenden Anzahl von Veröffentlichungen in diesem Bereich. Und möglicherweise ist es in den DH einfacher, in hoher Frequenz zu publizieren. Daher ist es nicht erstaunlich, dass seit einigen Jahren eine Debatte geführt wird, in der es um Kritik an der jeweils opponierenden Disziplin sowie um Zuschreibungen geht.