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Das Staatsangehörigkeitsrecht verankert rechtlich Vorstellungen über Zugehörigkeit und bestimmt wer vollumfängliche Rechte in einer Gesellschaft hat und wer nicht. Jahrzehntelang wurde Migration in Deutschland als etwas temporäres betrachtet. Im Staatsangehörigkeitsrecht galt bis zur Reform 1999/2000 weitgehend das „ius sanguinis“, das Abstammungsrecht, das auf einem rassistischen und völkischen Staatsverständnis beruht. Diese Reform bedeutete somit mehr als eine reine Gesetzesänderung. Sie war eine Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland und die Veränderung der Vorstellung deutscher Identität. Als Reaktion entbrannte infolge der Reformpläne eine hitzige, rassistische Debatte in der Öffentlichkeit über ebendiese Fragen, die unter dem polarisierten Schlagwort „Doppelpass“ verhandelt wurde. Es war die lauteste migrationspolitische Debatte dieser Zeit.
Kurze Zeit vor Beginn dieser Debatte war die rechtsterroristische Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) abgetaucht, um einem Haftbefehl zu entgehen. Der NSU war ein deutsches, neonazistisches Netzwerk, in dessen Mittelpunkt drei Terrorist*innen standen. Sie verübten über einen Zeitraum von zwölf Jahren eine rassistische Mordserie an neun Personen türkischer, kurdischer und griechischer Herkunft sowie drei Sprengstoffanschläge auf migrantische Orte und ermordeten eine Polizistin. Den ersten ihrer Sprengstoffanschläge begingen sie nur einen Monat nach der Unterzeichnung der Reform. Wenige Monate nach dem Inkrafttreten des Gesetzes begannen sie mit dem Anschlag auf Enver Şimşek ihre rassistische Mordserie.
Diese Arbeit untersucht anhand der Struktur der Historisch-Materialistischen Politikanalyse das Migrationsregime um die Staatsangehörigkeitsreform von 1999/2000 und wie der NSU darin verortet werden kann.
Die Kontextanalyse stellt auf der Grundlage einer Literaturrecherche die relevanten historischen und strukturellen Faktoren der Debatte sowie des NSU dar. Im nächsten Schritt werden mithilfe einer Analyse von Zeitungsartikel aus dieser Zeit die relevanten Akteur*innen identifiziert und in die vier Hegemonieprojekte neoliberal, sozial, linksliberal-alternativ und konservativ gruppiert. Darauffolgend wird der Ablauf der Debatte in vier Phasen darstellt und als Aushandlung der vier Hegemonieprojekte rekonstruiert. Dabei zeigt sich, dass kein Projekt sich vollumfänglich durchsetzen und Hegemonie erreichen konnte, sie jedoch unterschiedlich stark in den Medien repräsentiert wurden.
Im letzten Schritt betrachtet diese Arbeit Verbindungen dieser Migrationsregime-Analyse zum NSU. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass der NSU kein Akteur im Migrationsregime um die Staatsangehörigkeitsdebatte von 1998/99 war. Aufgrund der geringen Erkenntnisse über spezifische Meinungen des NSU zum Staatsangehörigkeitsrecht, können keine kausalen Beziehungen hergestellt werden. Dennoch zeigt diese Arbeit Gemeinsamkeiten in den Weltbildern, Annahmen und migrationspolitischen Zielen des NSU, des konservativen Hegemonieprojektes sowie Teilen der Bevölkerung auf. Dadurch wird ein Beitrag dazu geleistet den NSU als Produkt und Teil der deutschen Gesellschaft zu begreifen.
Dass es mit der parlamentarischen Kontrolle in Deutschland nicht weit her ist, hat Andreas Voßkuhle, oberster deutscher Verfassungsrichter, erst jüngst in seiner Urteilsbegründung zu Fiskalpakt und Euro-Rettungsschirm der Politik ins Stammbuch geschrieben. Nirgends aber wird das dieser Tage so deutlich wie im Bereich der Sicherheitspolitik. Die Tatsache, dass der Militärische Abschirm-Dienst (MAD) über Monate wichtige Dokumente im Zusammenhang mit den NSU-Morden dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss vorenthielt, ist schon an sich bedenklich. Dass dieser Umstand vom verantwortlichen Minister, der die Papiere kannte, als “unsensibel” entschuldigt wird, zeigt zusätzlich, welche Geringschätzung dem Parlament und seiner Kontrollfunktion von Seiten der Sicherheitsbehörden entgegengebracht wird...