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Dem literaturwissenschaftlichen Begriff der ‘Gattung’ wird seit jeher Skepsis entgegengebracht. Neben der Fundamentalkritik des italienischen Philosophen Benedetto Croce verweist in den 1960er Jahren auch der Germanist Peter Szon-di im Rahmen seiner Untersuchungen zur Zwittergattung des lyrischen Dramas im Fin de Siècle auf den Fassadencharakter von Gattungsetiketten, wenn er konstatiert, dass der Name oder Begriff einer Gattung eine Identität in der Sache vortäusche, die er mitnichten verbürgen könne. Angesichts solch pointierter Auffassungen, die Gattungskonzepte als pure Begriffsfiktionen vollständig infrage stellen, ist es sinnvoll, sich einen Überblick über die unterschiedlichen Auffassungen von dem, was Gattungen sein sollen, zu verschaffen und sich die historische Bedingtheit dieser Konzeptionen zu verdeutlichen. Spricht man von literarischen Gattungen und deren Beschreibung, so hat man es immer mit theoretischen Konstrukten sowie mit unterschiedlichen Textbegriffen zu tun. Beide sind veränderlich und in ihrer Fähigkeit, literarische Phänomene zu klassifizieren, auch in je spezifischer Weise begrenzt.
Die Kernfrage ist die nach der Gültigkeit von Universalien in den Geisteswissenschaften. Während naturwissenschaftliche Gattungsbegriffe (Forschungsirrtümer beiseitegelassen) nominale Setzungen sind, gibt es in den Kulturwissenschaften strenggenommen soviele Genera wie Einzelexemplare. Faktisch baut sich in Gestalt unserer Sachwörterbücher und abstrakt in einem imaginären Gesamt-Lexikon der Literaturwissenschaft die Hierarchie der idealen Zusammenführungen auf, aus regionalen und nationalen Traditionen. Hinzu treten Transfer-Traditionen und natürlich die mächtigen einzelnen Stifter oder Gestalter von Gattungen, an denen die historischen Teile der Definitionen nicht mehr vorbeikommen. So oder so, historisch-kulturelle Begriffe sind multiplen Verschiebungen unterworfen. Daher ist ebenso klar, dass Sachwörterbücher immer nur einen Moment abbilden können. Die Ungenauigkeit, die der Wissenschaftler bedauert, wird also "nur" historiographisch oder "fotografisch" aufgefangen. Damit ist freilich nicht beschlossen, dass Genauigkeit a) nicht doch wünschbar und b) wenn vielleicht in toto unerreichbar, nicht doch steigerbar sei. Wo liegen also die Optimierungsmöglichkeiten für die literarische Formterminologie auf interkultureller Ebene?