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Carlos Spoerhase wendet sich dem Verhältnis von Teil und Ganzheit im Denken der literarischen Form zu. Für die Imagination ganzheitlicher Werke - als Paradebeispiel dient Spoerhase die Shakespeare-Apologie der Romantik - sei nicht allein die Vollständigkeit der Teile und ihr ausgewogener Bezug zum Ganzen, sondern auch die Beziehung der Teile untereinander zentral. Zwar erfolgten literarische Ganzheitsvisionen immer wieder über Analogien mit dem Menschen, der Architektur oder biologischen Systemen. In der Regel garantiere aber ein "nichtsinnliches Prinzip, das im Innern des Werkes situiert wird", erst dessen "ganzheitliche Formstiftung". Anders als es etwa die Prominenz der stabilen Unterscheidung zwischen 'System' (als Musterbeispiel geschlossener und einheitlicher Ganzheit) und 'Aggregat' (im Sinne einer lockeren Anhäufung) in der Dichtungstheorie um 1800 suggeriere, würden literarische Werke zwangsläufig keineswegs mit "maximalen Einheitlichkeitszuschreibungen" versehen. An Goethes Poetik etwa lasse sich das Bemühen um eine "Gradierung von Ganzheit" ablesen. Ganzheit ist demnach weniger eine den Teilen vorangehende oder übergestülpte Totalität. Vielmehr sind es die unterschiedlichen und vielfältigen Verknüpfungsweisen der Teile, die über Art und Konzeption der Ganzheit literarischer Werke entscheiden.
Friedrich August Wolfs "Prolegomena zu Homer" (1795) waren in der intellektuellen Welt des späten 18. Jahrhunderts eine kleine Sensation. Wolf zeigte in seiner Schrift, dass die großen Epen der Antike nicht Produkt eines einzigen genialen Schöpfers waren, sondern "dieser kunstvolle Aufbau erst das Werk späterer Jahrhunderte" war. [...] Die Frage der ursprünglichen Formeinheit des Epos wurde von den Zeitgenossen heiß diskutiert. Dass das Problem der epischen Formeinheit die Gemüter er hitzte, ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass es beim "Epos als einheitsvoller Totalität" (Hegel) um nichts Geringeres geht als einen Gründungsmythos der modernen Literatur. Denn der Roman, der sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zur dominanten literarischen Gattung entwickelte, bezog sich auf das Epos als seinen Fluchtpunkt. Dabei definierte sich der Roman als heterogenes Gebilde durch den Gegensatz zu der vermeintlich homogenen Formeinheit des Epos. Diese Gegenüberstellung wurde durch Wolfs Zweifel an der ursprünglichen Einheit des Epos radikal infrage gestellt.
Die enorme Bedeutung der performativen Rede für den philosophischen Diskurs um 1800 macht Andrea Polaschegg auch für Friedrich Schlegels Wiener Vorlesungen "Geschichte der alten und neuen Literatur" von 1812 geltend. Nicht über deren weitgespannten Gegenstandsbereich, sondern über den Gebrauch des Deutschen reihe sich Schlegel in genau die Literaturgeschichte ein, die seine Vorlesungen überhaupt erst begründeten. Das entscheidende Medium dieser Geschichte sei für Schlegel unweigerlich die Muttersprache, denn nur in ihr könnten sich jene Nationalerinnerungen artikulieren, die eine Literatur bildeten. Von daher müsse der Ort seiner Rede in deren Analyse stets einbezogen werden, schließlich sei das Deutsche in Habsburg weder Schul- noch Amtssprache gewesen.
So aufschlussreich die versuchte Alternativbildung der romantischen Ethnographie zur Ethnographie der Aufklärung für den Historiker sich darstellt, insbesondere den spezifischen Versuch Schlegels, ein kritisches Gegenstück zu Montesquieus und Mme de Staëls Überlegungen zum deutsch-französischen Verhältnis zu schreiben, so ist die ethnographische Verschiebung des kritisierten Schlechten zum Bösen nicht zu verharmlosen. Ernst Robert Curtius und in seinem Gefolge Ernst Behlers These von der vorbildlichen Vermittlungsleistung der beiden Kulturen Frankreich und Deutschland durch Friedrich Schlegel, etwa im Sinne von Heinrich Heine und Romain Rolland, ist neu zu überdenken.
Die dialektische Begriffsentfaltung schöner Kunst in ihren Momenten des Häßlichen, Komischen, Erhabenen ist nicht, wie das Vorurteil will, sophistische Begriffsspielerei; sie ist der angestrengte Versuch, die Möglichkeit bzw. Ermöglichung schöner Kunst unter den ihr "ungünstigen", "prosaischen" Lebensverhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft zu entwickeln. Alle ästhetischen Theorien des Häßlichen greifen ein in die Debatte über den Vergangenheitscharakter schöner Kunst; sie melden sich zu Wort als Theorie gegenwärtiger Kunst; sie übernehmen präventiv die Gewährleistung schöner Kunst im Status ihrer drohenden Verabschiedung: sie behandeln sie als suspendiert. [...] Eine Kontroverse zwischen angemessener philosophischer Reflexion moderner Kunst und ästhetischer Theorie steht bislang aus. Aus der Optik einer Einzelwissenschaft heraus ist hier nur auf ihre Aktualität zu verweisen; sie ist merkliches Desiderat gar für Spezialforschungen wie diese über Schlegels 'Studium-Aufsatz'.
Die deutschsprachige ästhetische und kulturtheoretisch-anthropologische Debatte des ausgehenden 18. Jahrhunderts thematisiert in unterschiedlichsten Kontexten immer wieder den Umgang mit Fremdheitserfahrung. Sie umfasst in diesem Zusammenhang unterschiedlichste theoretische Modelle der prekären Vermittlung zwischen gegensätzlichen Polen wie besonderer Einzelerfahrung und allgemeinem Erfahrungsganzem, zwischen Einzelphänomen und Kontext, zwischen Fragment und Totalität oder zwischen Singularität und Universalität. Entsprechende Fragestellungen rücken in der Zeit der Spätaufklärung vor allem mit Blick auf die Vermittlung (inter)kultureller Fremdheit in den Fokus des theoretischen und literarischen Interesses: Dies gilt vor allem für die Kulturpraxis inner- und außereuropäischer Reisen, die im Rahmen der zeitgenössischen 'Reisemode' zu Debatten über die Möglichkeit kosmopolitischen Weltbürgertums, über Modi interkultureller Begegnung oder die Legitimität kolonialer Expansion ebenso wie zur Entwicklung einer konkreten ethnopoetischen Reise- und Reisedarstellungspoetik Anlass gibt. Dieser philosophisch-theoretischen und literarischen Konjunktur von Reisediskursen korrespondieren gleichzeitig unterschiedliche Entwürfe einer transnationalen vergleichenden Kulturgeschichte, die immer wieder in kulturelle Hierarchisierungsmodelle münden, in denen europäischen Kulturen erwartungsgemäß eine wenn nicht qualitative oder normative, so doch immerhin strategische Überlegenheit zuerkannt wird. Hiermit verbinden sich drittens frühe Ansätze zur Theorie und Praxis 'weltliterarischer' Bildung sowie Appelle für eine grenzüberschreitende Beschäftigung mit literarischen und kulturellen Artefakten als Vorläufermodelle komparatistischer Literatur- und Kulturwissenschaft.
Die ‚Neue Mythologie’ ist, so wie sie sich in Friedrich Schlegels Notizheften und seinem „Gespräch über die Poesie“ darstellt, ein literarischer Kunstgriff theoretischer Selbstbehauptung. Er macht seinen Anspruch, die überlieferte wie die zeitgenössische Philosophie und Wissenschaft zu überbieten, zugleich als rhetorische Strategie durchsichtig.
Die Anforderung nach einem ‚Winckelmann der Poesie’ steht bei Herder und Friedrich Schlegel für die Neukonzeption von Literaturgeschichte, die an der ‚Geschichte der Kunst des Altertums’ Maß nimmt. Doch führt die Auseinandersetzung mit diesem Werk bei beiden zu gegensätzlichen Geschichtskonzepten. Es geht dabei um den Zusammenhang von Geschichte und System, den Herder im Widerspruch zu Winckelmann durch historische Objektivitätsillusion negiert und Schlegel in Übersteigerung der Winckelmannschen Ansprüche forciert. Daraus folgt beim jungen Schlegel die Überblendung von statisch taxonomischem und dynamischem Geschichtsmodell, die dann allerdings nicht von Schlegels eigenen Arbeiten zur Literaturgeschichte, sondern von der idealistischen Kunstphilosophie Schellings und Hegels fortgesetzt wird.
Rezension zu Andreas Härter: Digressionen. Studien zum Verhältnis von Ordnung und Abweichung in Rhetorik und Poetik. Quintilian - Opitz - Gottsched - Friedrich Schlegel. München (Fink) 2000 (= Figuren; Bd. 8). 336 Seiten.
Eine Studie über die Abschweifung (lat. 'excursus', 'egressio' oder 'digressio') setzt sich nolens volens einem Vorwurf aus, nämlich selbst abschweifend zu sein. Nun, dieser Vorwurfkann Andreas Härters Habilitationsschrift, die 1998 von der Universität St. Gallen angenommen wurde, in keiner Weise gemacht werden. Im Gegenteil, seine Studien zu Quintilians 'Institutio oratoria', Opitz' 'Buch von der Deutschen Poeterey', Gottscheds 'Versuch einer Critischen Dichtkunst' und Friedrich Schlegels kunsttheoretischen Schriften, insbesondere den 'Athenäums'-Fragmenten, sowie dessen Roman 'Lucinde' sind alles andere als unsystematisch und abschweifend.