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In den folgenden Überlegungen geht es hauptsächlich um ein unpubliziertes Konvolut Rilkes von 26 Seiten mit dem Titel "Remarques à la suite de la traduction des 'Cahiers de M. L. Brigge'", das sich in der Stadtbibliothek von Colmar befindet. 'Unpubliziert' muss allerdings insofern eingeschränkt werden, als Auszüge daraus von Maurice Betz in seinem Erinnerungsbuch "Rilke vivant. Souvenirs, lettres, entretiens" (erschienen 1937 bei Emile-Paul frères in Paris, deutsch unter dem Titel "Rilke in Frankreich. Erinnerungen, Briefe, Dokumente" 1938 bei Reichner in Wien) verwendet wurden. Hier ist nicht der Ort, im Detail auf die Zitiermethode von Betz einzugehen. Es steht aber außer Zweifel, dass Betz bewusst die oft sehr kritischen Passagen von Rilkes Bemerkungen zur Übersetzung des Malte unterdrückt hat. Es geht ihm dabei offensichtlich um die Rechtfertigung seiner Übersetzung.
Das Hauptinteresse dieses Beitrags gilt - nach einer biographischen Einbettung - dem brieflichen Austausch zwischen Catherine Pozzi und Rilke, der bis heute nur in französischer Sprache vorliegt. Im Anschluß daran wird ein wichtiger Aspekt des Verhältnisses Rilke-Valéry wenigstens kurz berührt. Angeregt wurde der Beitrag durch eine Bemerkung des Dichters und Übersetzers Philippe Jaccottet, wonach es sich bei Rilkes schrankenloser Bewunderung für Paul Valéry um einen gewissen Mangel an Klarsicht ('lucidité') handle; er, Rilke, habe den Abgrund übersehen, der ihn, im Wesentlichen, vom französischen Dichter trenne. Dies kann man auch anders sehen.
Rilke über Rilke
(2010)
Im Sommer 1925 hat Rainer Maria Rilke in Paris dem Journalisten Frédéric Lefèvre ein Interview gewährt. Erschienen ist es ein Jahr später in 'Les Nouvelles Littéraires, Artistiques et Scientifiques' vom 24. Juli 1926, unter dem Titel "Une heure avec R.-M. Rilke, le plus grand lyrique d’Autriche". Es wurde, geringfügig verändert wieder abgedruckt in einem Sammelband von Interviews mit anderen Persönlichkeiten, den Lefèvre 1927 veröffentlichte. Unmittelbar nach Erscheinen des Interviews brachten, im Juli und August 1926, die 'Süddeutsche Zeitung' und die 'Neue Leipziger Zeitung' Auszüge: "Eine Stunde mit Rainer Maria Rilke", übersetzt von Fritz Adolf Hünich, Rilkes erstem Bibliographen; Maurice Betz nahm einen Auszug in den Band "Rilke vivant" auf. Das Interview ist auch später nicht in Vergessenheit geraten, wurde aber nie näher auf seine Entstehung und seine Besonderheiten hin angesehen.
Rilke und Paris - von allen "topographischen" Themen, die man mit dem Leben und Werk eines "deutschsprachigen Dichters aus Prag" in Verbindung bringen kann, ist dieses wohl das vielseitigste, beziehungsreichste. Es ließe sich in zahlreiche Einzel- oder Unterthemen aufgliedern - systematisch, chronologisch, biographisch, werkgeschichtlich. Und es würde viele Jahre aus dem Zeitraum zwischen 1902 und 1925 erfassen müssen; zusammenhängende Jahre und auseinanderliegende. Wir beschränken uns dieses Mal auf ein einziges Jahr - 1925 - und auf einen einzigen, den größeren Teil dieses Jahres umfassenden Aufenthalt Rilkes in der französischen Metropole. Es war der letzte, den noch zu erleben dem Dichter vergönnt gewesen ist. Eine solche Beschränkung ist berechtigt. Denn in mehrfacher Hinsicht unterschied sich dieser ereignisreiche Aufenthalt grundlegend von allen vorangegangenen Lebensabschnitten, in denen Paris dem Dichter immer vertrauter, gelegentlich aber auch ermüdender geworden war. Indem wir diese Unterschiede berücksichtigen, vermögen wir zugleich den einzigartigen Charakter von "Rilke in Paris 1925" zu bestimmen und ihn abzuheben von allem, was Rilke zuvor in Paris zu erfahren wußte.
Rilke in meiner Familie
(2010)
Als Rilke starb, war ich neun Jahre alt. Mein Vater war Franz Hessel, ein Dichter, ein Schriftsteller und ein großer Übersetzer. Er hat Marcel Proust ins Deutsche übersetzt, eine große Balzac-Ausgabe betreut und war dem Rowohlt-Verlag jahrelang verbunden. Es ist mir aufgefallen, dass seine Generation ungefähr die Generation von Rainer Maria Rilke ist, und im Zusammenhang mit Rilke denke ich an drei, vier weitere Menschen aus dieser Generation, die mit meinem Vater in Verbindung standen.
Impressionen (Sommer 1925)
(2010)
Begegnung mit Rilke 1925
(2010)
Rainer Maria Rilke hatte die Prinzessin Marthe Bibesco (1888-1875) am 23. Januar 1925 in ihrer Pariser Wohnung besucht. Anlaß war die Rückgabe eines Bändchens von Racines Werken. Die Prinzessin hatte es während des Ersten Weltkriegs bei einem Besuch der Fürstin von Thurn und Taxis in ihrem böhmischen Schloss Lautschin aus der Bibliothek ausgeliehen und auf eine Gelegenheit gewartet, das Werk zurückgeben zu können. Nun sollte Rilke der Überbringer sein. Die französische Schriftstellerin und Tochter des rumänischen Außenministers Jean Lahovary hatte ihre Erinnerung an den Besuch im Oktober 1951 formuliert. Rilke hat ihre Werke mehrfach empfohlen.
[...]
Der französische Literaturkritiker und Übersetzer Charles Du Bos (1882-1939) aus dem Umkreis der Zeitschrift "Nouvelle Revue Française", ein Bekannter von Rudolf Kassner, hatte sich seit 1923 für Rilkes Werk begeistert. In seinem Journal hielt er den Eindruck eines Besuchs fest.
Ernst Zinn begann in den 30er Jahren mit der Konzeption einer philologisch einwandfreien Werkausgabe und wurde damit zum "Begründer der Rilke-Philologie", wie Michael von Albrecht es in seinem Nachruf auf Ernst Zinn 1990 formuliert hat. Doch was war es, was Ernst Zinn an Rilke fasziniert und an ihn gebunden hat? Schließlich wählte er nicht die Germanistik zu seinem eigentlichen Beruf, sondern wurde 1936 mit einer Arbeit zum "Wortakzent in den lyrischen Versen des Horaz" promoviert. Horaz und Rilke - bei aller Vielfalt im Werk Ernst Zinns bilden sie doch so etwas wie die Brennpunkte seines Schaffens. Was ist es, was ausgerechnet diese beiden Dichter verbindet?