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Am 16. April 1994 fanden sich 18 Personen in einem Tagungsraum des Bielefelder Mövenpick-Hotels zusammen, um eine literarische Gesellschaft neuartigen Typs zu gründen: das Forum Vormärz Forschung. Neuartig insofern, als diese Vereinigung nicht zu dem Zweck gegründet wurde, einer Autorin/ einem Autor die Ehre zu erweisen, ihr/sein Andenken zu pflegen und ihrem/ seinem Werk neue LeserInnen zuzuführen, sondern um eine ganze Epoche zum Gegenstand ihrer vielfältigen Bemühungen zu machen und zwar möglichst interdisziplinär: den Vormärz. Für die LiteraturwissenschaftlerInnen, HistorikerInnen, TheologInnen, Kunst- und MusikwissenschaftlerInnen, die sich hier zusammenfanden, galt und gilt es als ausgemacht, dass Vormärz die einzig sachgerechte Bezeichnung für den Zeitraum zwischen 1815 (Wiener Kongress) und 1849 (Ende der Revolution von 1848/49) ist und eben nicht die konkurrierenden Epochenbezeichnungen Biedermeier oder Restaurationszeit. [...]
In der Krisen- und Umbruchzeit des Vormärz wurden pädagogische Fragen entlang der Grenze zwischen politischen, religiösen und sozialen Problemlagen kommuniziert, indem politische, religiöse und gesellschaftliche Herausforderungen pädagogisch interpretiert wurden. Erziehung und Bildung waren Gegenstand in Pamphleten, konzeptionellen Schriften, Briefen und Aufrufen, sie wurden in Zeitschriften verhandelt und waren literarisches Sujet. In der Verbreitung und Umsetzung oppositioneller pädagogischer Ideen waren Akteurinnen und Akteuren Grenzen gesetzt: Grenzen der obrigkeitsstaatlichen Zensurbehörden, aber auch Grenzen des staatlichen Bildungswesens, die der Umsetzung alternativer pädagogischer Ideen kaum Raum ließen. Pädagogische Konzeptionen und Praktiken der Opposition waren aufgrund ihrer kritischen Ausrichtung umstritten und daher einerseits klandestin, subversiv und konspirativ, sie zielten andererseits aber auch auf das Auditorium einer bürgerlichen Öffentlichkeit, da sie mit der Hoffnung verbunden waren, Emanzipationsprozesse ihres Klientels zu initiieren. Aus der Sicht der Zensurbehörden bargen sie daher Gefahrenpotential und Sprengkraft, weshalb pädagogische Akteurinnen und Akteure mit Zensurbestimmungen und Vereinsverboten in der Folge der Karlsbader Beschlüsse konfrontiert waren, mit Flucht, Verhaftung und Verfolgung - häufig blieb ihnen nur der Weg in die Emigration. Umgekehrt wurden Erziehung und Bildung auf Seite der restaurativen Mächte auch als Mechanismen des Erhalts der bestehenden gesellschaftlichen und politischen Strukturen und Privilegien profiliert. Auf pädagogischem Feld wurden im Vormärz insgesamt Interessen- und Machtkonflikte zwischen "Emanzipation und Sozialdisziplinierung" ausgetragen.
Entgegen der Vielschichtigkeit und Komplexität pädagogischen Denkens und Handelns im Vormärz zeigen sich in der Forschungslage jedoch Desiderate. So wurden pädagogische Themen bis dato nur wenig wahrgenommen. Ausgehend von diesem Befund fokussiert der vorliegende Thementeil des Jahrbuchs das Thema "Zwischen Emanzipation und Sozialdisziplinierung. Pädagogik im Vormärz". In den folgenden Beiträgen werden pädagogische Handlungs- und Themenfelder aus verschiedenen disziplinären Perspektiven aufgegriffen. Dabei wird es deutlich, dass im pädagogischen Diskurs des Vormärz nicht nur verschiedene Positionen unter Aufnahme der gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Situation gegeneinander geführt, sondern dass auch verschiedene Modi und Medien der Artikulation genutzt wurden. Der vormärzliche Diskurs über Erziehung und Bildung ist daher Gegenstand verschiedener Disziplinen und geht über den Interessenbereich der Erziehungswissenschaft deutlich hinaus. Er ist auch ein geschichtswissenschaftliches, literaturwissenschaftliches, kulturwissenschaftliches, philosophisches und theologisches Thema, was sich in den Beiträgen dieses Jahrbuchs niederschlägt.
Die Versammlungsfreiheit war ein gesuchtes Gut, das erst einmal zu begründen und im Blick auf mögliche Beschränkungen zu untersuchen war. Die Performativität einer Versammlung – das Beieinandersein freier Individuen zu einem Zweck, der sich nicht oder nicht immer einer reglementierenden Norm verdankte – erscheint heute als Teil jener Ethik der Kohabitation, die aus der Kantischen Notwendigkeit der Koordination der Freiheitsräume als Aneinanderstoßen von Willkürgrenzen kommt und im Blick auf Gefährdungsszenarien aktualisiert ist. Doch Aktualisierungen bedürfen der Grundlage, wollen sie nicht geschichtsvergessen sein (niedergelegt in der Geschichte finden wir die Praktiken, die für die damaligen Akteure Sinn verbürgten).
Um die Voraussetzungen für Heckers Wirken in Baden und das liberale Klima jener Zeit besser zu veranschaulichen, ist eine Betrachtung des Staats-Lexikons angebracht. Die Unterschiede zwischen den beiden ersten Auflagen, die im Deutschen Bund nicht veröffentlicht werden durften und der dritten Auflage sind geradezu umwälzend, sie veranschaulichen, warum das politische Klima des Vormärz nach der 1848er Revolution zum Erliegen kam. Das von Rotteck für die erste Auflage verfasste Vorwort (1834) sieht dessen Aufgabe darin, eine breite Menge der Bürger, Gelehrten und Gebildeten zu belehren und den gemeinen Menschenverstand zu schärfen.
Proletarier
(2018)
Der These des Begriffshistorikers Werner Conze – enthalten schon im Titel seines Aufsatzes von 1954: "Vom 'Pöbel' zum 'Proletariat'. Sozialgeschichtliche Voraussetzungen für den Sozialismus in Deutschland" - hat der radikale Sozialhistoriker Ahlrich Meyer bescheinigt, im Gewand "neutraler" Begriffsgeschichte im nachhinein bloß ein sozial-eliminatorisches Programm zu sanktionieren, dessen letzte Konsequenzen erst die Nazis endgültig exekutiert hätten - mit tatkräftiger "wissenschaftlicher" Unterstützung von Historikern wie dem Conze-Freund Theodor Schieder oder eben Conze selbst. Die "postnazistische" westdeutsche Geschichtswissenschaft habe letztlich bloß das alte "nazistische Programm der staatlichen Integration der deutschen Kernarbeiterklasse auf die Geschichte projiziert". Wie dem auch sei - auch hier wird einmal mehr deutlich, dass Begriffsgeschichte von Begriffspolitik nicht zu trennen ist. Aber zurück zum Vormärz: Wie immer man die "Conze'sche Integrationsthese" (Meyer) einschätzen mag, mit dem 'Pöbel' und dem 'Proletariat' stehen sich zwei sozialhistorische Protagonisten gegenüber, deren Begriffsgeschichte im Deutschen allemal problematisch ist.
Von Bürgerbauern und Proletariern : Narrative der Transformation in der Dorfgeschichte des Vormärz
(2018)
[...] der folgende Beitrag [will] klären, wie die Dorfgeschichten des Vormärz die Gegenwart des ländlichen Raumes interpretierten und welche Zukunftsmodelle sie dabei entwickelten. Im Vergleich von Berthold Auerbachs früher Dorfgeschichte "Befehlerles" von 1842 und Carl Arnold Schloenbachs "Das Deutsche Bauernbuch" von 1848 werden die verschiedenen Positionen herausgearbeitet. In einem ersten Schritt muss dafür in Ausschnitten auf die Erzählverfahren der Dorfgeschichten eingegangen werden. Erst der Anspruch, wahres, in einem historischen Prozess befindliches Landleben darzustellen, ermöglicht den Texten ihre politische Positionierung.