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Bedeutende Situationen, in einer künstlichen Folge : Goethes und Hofmannsthals Singspiele und Opern
(2004)
Goethes Texte zu Singspielen und Opern werden wie seine gesellige Dichtung überhaupt weithin mißachtet, ja kaum auch nur gekannt. Wie aber Stammbuch und Widmungsgedichte – im umgekehrten Verhältnis zu ihrer generellen Geringschätzung – einen quantitativ wie qualitativ gewichtigen Teil von Goethes lyrischem Gesamtwerk ausmachen, so bilden die zwanzig Texte und Entwürfe zu Singspielen und Opern fast ein Fünftel seiner dramatischen Produktion (außer dem Faust). Zu ihrer angemessenen Würdigung kann ein Blick auf die für die Operngeschichte so bedeutungsvollen Libretti Hofmannsthals beitragen, die die schneidende Ablehnung des George-Kreises wie das bezeichnende Stillschweigen in Borchardts "Eranos-Brief" erfahren hatten.
Die beiden vorgestellten Szenen sind einem Gesamtkonzept zur szenischen Interpretation von „Moses und Aron“ entnommen. Sie zeigen, wie eine historische Re-Konstruktion musikpraktisch stattfindet durch De-Konstruktion der Partitur und Rückführung eines religionsphilosophischen Textes auf den realistischen Gehalt der „Story“. Interessanterweise haben die bisherigen Erfahrungen mit Schüler/innen gezeigt, dass diese realistische Wende der Schönbergschen Oper bei den Jugendlichen lebhafte „existentielle“ Debatten auslöst: Was heißt „Gottesidee“, was bedeutet „auserwählt“, was ist eine „revolutionäre Ideologie“ und - last but not least - warum haben die afroamerikanischen Sklaven „Go down Moses“ gesungen“? Die beiden hier vorgestellten Szenen zeigen, wie auf dem Weg über Rolleneinfühlung sowie Geh- und Sprechhaltungen ein Zugang zu einer komplexen Partitur ermöglicht wird. Die szenische Interpretation führt durch die Auseinandersetzung mit dem Inhalt und nicht über Musiktheorie oder Intonationsübungen hin zu Zwölftonmusik und erschließt eine wirkungsvolle Partitur: vom Gestus zur Struktur.
Warum greift Adrian Leverkühn bei seiner einzigen Opernkomposition ausgerechnet auf Shakespeares "Verlorene Liebesmüh" zurück? Weshalb zieht er sich seine fatale Infektion unter dem Vorwand zu, eine von Strauss selber dirigierte Salome-Premiere zu besuchen? Wieso wird, im Gegensatz zu dieser besonders authentischen Aufführung, Saint-Saëns' "Samson et Dalila" nur noch als Schallplattenreproduktion eingespielt? Und weswegen wird bei einer kammermusikalischen Darbietung von Wagners Tristan und Isolde ausgerechnet eine Arie vom Löschen des Lichts herausgegriffen? Solche und ähnliche Fragen sollen hier im Rahmen einer ideologie-, aber auch quellenkritischen Relektüre des "Doktor Faustus" ihre Antworten finden. Geleitet ist diese von der so vice versa erhärtbaren These, daß sich der Roman als Teil und Ausdruck einer Bachofen-Renaissance verstehen läßt, wie sie im Umkreis der Konservativen Revolution aufkam.
Faust-Opern : eine Skizze
(2008)
Das Faust-Thema stellt ein hervorragendes Beispiel dar, wie ein Stoff, der den dominanten Normen seines Entstehungszeitalters entspricht, bei seiner Wanderung durch verschiedene Epochen sich den jeweils herrschenden mentalen Paradigmen anpasst. Dabei verändert der ursprüngliche Stoff sowohl seinen Charakter als auch seine Aussage. ...
Das im ‚Biedermeier’ verbreitete Frauenbild bevorzugte introvertierte, sanfte und tugendhafte Frauen, häusliche, in der Familienpflege aufgehende Geschöpfe, die neben einer zahlreichen Kinderschar auch für den außer Hause arbeitenden Gatten zu sorgen hatte. Die vom Mutter- und Gattinnentypus abweichende Frau geriet leicht in den Ruf der Außenseiterin. Suffragetten waren wenig geschätzt, die männliche Phantasie liebte mehr das Exotische oder das Zauberhafte. Nichtbürgerliche Frauen waren Elfentypen, zarte Wesen der Lüfte oder des Wassers, Feen und Nixen. Die Literatur des 19. Jahrhundert wimmelt von solchen Wasserfrauen, Melusinen und Undinen bis zur schönen Lau. Oder sie waren Unholdinnen, Hexen aller Art, wie man sie von Shakespeare her kannte, meist hässlichen Aussehens, geschmückt mit Warzen und Krallenfingern, und ausgestattet mit fataler Zauberkraft. Ludwig Richter, der durch seine Illustrationen von Ludwig Bechsteins Märchen besondere Popularität erlangte, hat drei solcher Zauberfrauen prototypisch fixiert: die „alte schlimme Hexe“, die Zauberin und die Nixe. [...] Es wäre sonderbar, wenn Opernkomponisten nicht nach diesem dankbaren Stoff gegriffen hätten. Hatte bereits die Antike in der Gestalt Kirkes eine veritable Zauberin, und lieferte Ariost mit seinem „Rasenden Roland“ auch eine brauchbare Vorlage für Händels Oper „Alcina“, so boomten insbesondere im 18. Jahrhundert Zauberstücke und auch Zauberopern. Hier konnte die geheimnisvoll-magische Macht weiblicher Verführung auf die Bühne gestellt werden und die Männer als letzten Endes genasführtes schwaches Geschlecht entlarvt werden. Gehört nicht etwa auch Mozarts „Zauberflöte“, in der Magie und Zauberei eine große Rolle spielen, noch zu den Ausläufern dieses Typus?
Die "Extravaganza" und ihr hauptsächlicher Vertreter James Robinson Planché bezeichnen ein Kapitel der englischen Theater- und Populärkulturgeschichte, das außerhalb des angloamerikanischen Raums in der Forschung bislang kaum Beachtung gefunden hat. Mit Planché werden selbst Theater-, Literatur- und Musikwissenschaftler, die einigermaßen mit den Abseitigkeiten des musikalischen Theaters des frühen 19. Jahrhunderts vertraut sind, bestenfalls zwei Daten verbinden: er schrieb das Libretto zu Carl Maria von Webers "Grand Romantic and Fairy Opera" 'Oberon or The Elf King’s Oath' (1826) und das Melodrama 'The Vampire; or, The Bride of the Isles' (1820), eine der frühen Dramatisierungen von John William Polidoris Erzählung 'The Vampyre' und wesentlicher Vorläufer der Vampir-Opern von Heinrich Marschner und Peter von Lindpaintner (beide 1828). Tatsächlich gehörte der weitgehend vergessene Planché (1796–1880) zu den produktivsten Persönlichkeiten der Londoner Theaterszene seiner Zeit. Ein Nebeneffekt des vorliegenden Versuchs über die Komik der Extravaganza könnte darin bestehen, in Planché einen Theatermacher vorzustellen, der in einer Mediengeschichte des Populären eine Zentralfigur abgeben müsste und der darüber hinaus ein idealer Gegenstand für die Diskussion um Fragen des kulturellen Transfers im 19. Jahrhundert wäre.
Der Herausforderung durch Shakespeares Bühnenwerke, so scheint es, hat sich kaum ein großer Opernkomponist entziehen können. Die immense Attraktivität seiner Dramen geht indessen einher mit ihrer ebenso großen Widerständigkeit: Shakespeares Werke setzen der "Veroperung" offenbar einiges entgegen. Davon zeugt die geringe Zahl musikdramatischer Repertoirestücke, die auf Shakespeare basieren, und davon zeugen die Probleme, die viele Komponisten und Librettisten mit ihren Shakespeare-Projekten hatten. Vor allem die großen Charaktertragödien waren schwer zu meistern: Verdi nahm sein lebenslanges Lear-Vorhaben mit ins Grab, Felix Mendelssohn-Bartholdy und Robert Schumann, Michail Glinka und Georges Bizet scheiterten an Hamlet. Eröffnet wird diese Reihe ambitionierter, aber unausgeführter Shakespeare-Opern durch Ludwig van Beethovens Macbeth-Skizze. Das fragmentarische Libretto zu Beethovens Macbeth, das die Forschung bislang noch nicht näher untersucht hat, ist der Zielpunkt des vorliegenden Beitrags (III). Um diesen Entwurf historisch zu würdigen, wird zunächst die musikalische Rezeption von Shakespeares Dramen im Deutschland des späten 18. Jahrhunderts skizziert. Leitend sind dabei im wesentlichen zwei Fragen. Zum einen: Wie stark hat die Shakespeare-Begeisterung seit dem Sturm und Drang auf die deutsche Librettistik ausgestrahlt? Und zum anderen: Inwiefern fördert die musikdramatische Shakespeare-Rezeption die Etablierung einer "großen deutschen Oper"? Seit dem ‘Sturm und Drang’ werden Shakespeares Dramen in Deutschland auf zweifache Weise musikalisch rezipiert. Beide Rezeptionsmodi überschneiden sich vielfach und verlaufen historisch parallel, sind aber systematisch durchaus zu trennen: Strukturell abgrenzen läßt sich die musikalische Rezeption auf dem Sprechtheater (I), also in Gestalt von Inzidenz-, Schauspiel- und Bühnenmusiken, von der eigentlichen ‘Veroperung’ von Shakespeare-Dramen, also der Rezeption auf dem Musiktheater (II).
Wer sich mit den Arbeiten Alexander Kluges beschäftigt, bemerkt schnell, dass er in ein Labyrinth gerät, dessen Ausgang schwer zu finden ist. Dennoch gibt es einige wenige Themen, die sich wie ein roter Faden durch die Film-, Fernseh- und Textproduktionen Kluges ziehen: Neben der jüngeren deutschen Geschichte – womit bereits das zentrale Thema des ‚Krieges‘ ins Blickfeld gerät – ist dies etwa die Justiz im Verhältnis zum Privatleben, das politische Zeitgeschehen (u.a. im Film DEUTSCHLAND IM HERBST, BRD 1978), einige mythologische Geschichten, Erzählungen und Märchen, der Komplex ‚Babylon‘ sowie die Kunstform der Oper. Letztere steht bei Kluge zugleich für die zentrale philosophische Fragestellung, die ihn – ähnlich wie bereits seine Schriftstellerkollegen Immanuel Kant oder, vor allem, Robert Musil – immer wieder, gleichsam als Leitmotiv sämtlicher künstlerischer Tätigkeit, umtreibt: Gemeint ist der ‚Möglichkeitssinn‘ des Menschen.