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Austreibung der Schatten? : die fröhliche Wissenschaft gegen ihre neuen Bewunderer verteidigt
(2017)
Christine Blättler geht in ihrem Beitrag über die "fröhliche Wissenschaft" der Frage nach, warum der Anthropozentrismus derzeit so breit kritisiert wird. Sie will damit anthropozentrische Annahmen nicht verteidigen, sondern auf die unhinterfragten und unbemerkten Verschiebungen in der Anthropozentrismuskritik hinweisen. Habe sich die Rede von einem "Ende des Menschen" im Anschluss an den Philosophen Michel Foucault zunächst gegen ein reduziertes Bild des Menschen in der Moderne gerichtet, sei Anthropozentrismuskritik heute etwa in ökologischen Diskursen als sehr affirmativ zu beurteilen, wenn ein optimaler Zustand der Welt tatsächlich vollständig ohne den unklug handelnden und zerstörerischen Menschen gedacht werden solle. Insgesamt macht sich Blättler mit Nietzsche und Spinoza, dessen Conatus sie um einen negativen Aspekt ergänzt, für das Denken einer offenen Zukunft stark.
So sehr der Begriff des "situierten Wissens" zur Zeit in Mode ist, so sehr wirkt der Begriff der "Region" veraltet, ja sogar ein wenig überholt, ruft doch der "epistemologische Regionalismus" in Frankreich die 1960er und 1970er Jahre in Erinnerung: die Jahre Bachelards, Canguilhems und Foucaults. Doch die Tatsache, dass 2011 am ICI Berlin Institute for Cultural Inquiry eine Tagung zum Thema "Situiertes Wissen und regionale Epistemologie" stattfand, belegt ohne Zweifel, dass diese Fragestellung das Verfallsdatum doch noch nicht überschritten hat. [...] Es ist wohl sinnvoll, zunächst die Vorgeschichte des Begriffs der Region in der Epistemologie in aller Kürze darzustellen, bevor mit Gaston Bachelard und Georges Canguilhem die beiden Autoren ins Gedächtnis gerufen werden, die ihn am prominentesten verkörperten. Danach soll auf die Werke von Michel Foucault und Louis Althusser eingegangen werden, die diese Bezugnahme auf den Regionsbegriff erneuerten und zugleich transformierten. Es bietet sich des Weiteren an, die Kontexte dieser Verwendungen hinzuzuziehen, denn schließlich ist doch sicher das Mindeste, was man mit dem Begriff der Region tun kann, ihn zu kontextualisieren. Dabei wird sich zeigen, dass dieser "französische" Zugang zum Begriff der Region und die angelsächsische Frage nach der "Uneinheit" ('disunity') der Wissenschaften sich in gewisser Hinsicht berühren.
Politische Arithmetik
(2016)
Quantitative Methoden markieren somit von Anfang an den methodischen Kern der politischen Arithmetik. Darüber hinaus gehen Erkenntnis und Regulierung eine feste Verbindung ein. Politische Arithmetik zielt nicht nur auf ein 'Wissen' von der Bevölkerung, sondern ebenso auf die 'Steuerung' der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung. Damit geht es sowohl um die 'Vorhersage' als auch um die 'Herstellung' der Zukunft. Im bevölkerungswissenschaftlichen Dispositiv verbinden sich epistemische und operative Aspekte.
Einen neuen, von der klinischen Erfahrung ausgehenden Zugang zum Verhältnis von Psychoanalyse, Spiel und Technik eröffnet Monique David-Ménard, indem sie die Übertragung als eine Technik auslegt, die im Spiel ihren unruhigen Grund hat. Sie leitet ihre Antwort auf die Frage "Was haben wir außer dem Spiel, um aus dem Trauma aufzutauchen?" ein, indem sie Verdichtung, Verschiebung, Umkehrung, kurz jene Prozesse, welche die Regeln der Traumdeutung bilden und die Freud allesamt als Arbeit beschrieb, als Spiel auslegt. Sie sind Spiel, weil sie einen Prozess beschreiben, in dem Szenen in einer paradoxen Verbindung zueinander in Beziehung gesetzt werden. Eben so, wie Freud das Spiel in Bezug auf Relationen von Lustprinzip und Todestrieb in ihrer Funktion für die Kur beschrieb. In einem zweiten Schritt stellt David-Ménard die Verbindung von Kur und Spiel an einem Fallbeispiel dar, um an diesem Beispiel zu verdeutlichen, wie Sprachspiele im Prozess der Übertragung eine Änderung von widersprüchlichen Triebdispositiven einleiten. Dabei taucht der Begriff des Dispositivs, wie im dritten Teil deutlich wird, keineswegs zufällig auf. In einer dichten Lektüre von Michel Foucaults Definition von Aussagen und deren Analyse zeichnet David-Ménard hier im Detail nach, wie Foucault in seiner Definition der Aussage Sprachspiel und Technik unter dem Begriff der Operation zusammenführte und sie damit zugleich von der Bindung an ein Subjekt als auch von der Bindung an eine Ontologie löste. Damit gelang es Foucault, so David-Ménard, die Entstehung von Neuem und von Veränderung allein unter Bezugnahme auf den Begriff der diskursiven Praxis als ein Spiel von Operationen zu beschreiben, in dem ein Zwischenraum geschaffen wird. Eben diese Auslegung der diskursiven Praxis als ein Spiel von Operationen lässt sich, wie Monique David-Ménard zum Schluss zeigt, auch auf die Kur anwenden. Damit erscheint die Kur selbst als ein geregeltes Spiel, in dem die Analysandin, die Analytikerin mit ein wenig Glück ebenso mitspielen wie die Triebe und die Sprache, mit dem Effekt, dass sich die Triebe in ein neues, paradoxes Dispositiv verwandeln.
Unter dem Titel "Die Begrenzung der Wissensfelder bei Kant, Canguilhem und Foucault" fragt David-Ménard nach der Beziehung, die zwischen der Problematik der Grenzen des Wissens und dem In-Rechnung-Stellen der Illusionen besteht, von denen sich das Wissen - folgt man der Richtung der kritischen Philosophie Kants - abzugrenzen hat.
Der Beitrag von Jasmin Degeling führt zurück zu den Foucault'schen Denkweisen des Spiels. Es ist wohl bekannt, dass Foucault das Spiel in seinen Vorlesungen zur Geschichte der Subjektivierungsprozesse und in seinen Überlegungen zu einer Ästhetik der Existenz mit Fragen der Selbstbildung und Entunterwerfung in einen Zusammenhang brachte. Statt jedoch an diese Diskussion über die Theorien der Selbsttechnologien anzuknüpfen, verfolgt Degeling die Rhetorik des Spiels zunächst zurück bis in die 1960er Jahre und untersucht sie exemplarisch an drei Schauplätzen. Sie beginnt mit der Diskussion von Foucaults Auseinandersetzung mit Kants Anthropologie (1961), in der das Spiel ganz zentral ist, und setzt ihre Untersuchung mit der Analyse der "Ordnung des Diskurses" (1970) fort. Vor dem Hintergrund der Rolle, welche die Rhetorizität des Spiels in den Denkweisen von Foucault einnimmt, liest sie schließlich den späten Aufsatz "Subjekt und Macht" (1982) auf das Verhältnis der "Spiele der Macht" zu den "Spielen der Wahrheit" hin. Dabei gelingt ihr der Nachweis, dass die Kunst der Kritik in der Ästhetik der Existenz die Lösung des Handlungsbegriffs von seiner Bindung an die Zweckrationalität voraussetzt. Wie der Bezug auf die pragmatische Philosophie und der Bezug auf Begriffe wie Übung oder eben Spiel möglich sind, ohne sich dabei auf ein autonomes Subjekt zu beziehen, verdeutlicht Jasmin Degeling in einer erhellenden Kritik an Christoph Menkes Auslegung des Foucault'schen Konzeptes der Ästhetik der Existenz.
Wie wird das Leben zum Objekt des Wissens? Und wie gestaltet sich das Verhältnis von Leben, Wissenschaft und Technik? Donna J. Haraway und Georges Canguilhem verstehen diese Fragen als politische Fragen und Epistemologie als eine politische Praxis. Die besondere Aktualität von Canguilhems Denken leitet sich aus der von ihm gestellten Frage her, wie sich eine Geschichte der Rationalität des Wissens vom Leben schreiben lässt. Haraway bezieht sich nicht explizit auf Canguilhem, schließt jedoch an die von ihm gestellte Frage an.
Im Fall Sades stellt sich die Frage, ob er nicht als in seiner Zeit unmöglicher Romanautor letztlich einen Diskurs begründet hat, der weit über die Libertinage hinausgeht und eine "Ästhetik der Delinquenz", so Manfred Schneider, das philosophische wie literarische Schreiben über Sexualität, Verbrechen und Strafe in der Moderne bis zu Bataille und zu Foucault selbst entscheidend mitbestimmt hat. Um diese Problemstellung zu erörtern, geht der vorliegende Aufsatz zunächst auf Foucaults alles in allem zwiespältige Einschätzung des Sadeschen Werkes ein, um die Analyse in einem zweiten Schritt um die Vermittlungsfigur von Georges Bataille zu erweitern. Die exemplarische Analyse einer Passage aus Sades "La Nouvelle Justine" soll es darüber hinaus erlauben, das infame Netzwerk der Libertinage und den damit verbundenen Zusammenhang von Literatur und Institution näher zu bestimmen. Dass das Netzwerk der Libertinage, das Sade in seinem Doppelroman um die ungleichen Schwestern Justine und Juliette entfaltet, auf einer Logik des Tausches ruht, die mit Foucault zugleich als eine bestimmte Form der Infamie zu bestimmen ist, weist zugleich auf die enge Verknüpfung von Recht und Literatur, von ästhetischen und juristischen Diskursformen hin, die die historische Institution Literatur bis heute prägen.
Der titelgebende und in Klammern gesetzte Plural des foucaultschen Begriffs ist bewusst gewählt worden, um im Rahmen dieses Beitrags einem Modell biopolitischer Ordnung Rechnung zu tragen, das ebenso vielfältig und vage wie gerade hierdurch anschluss- und tragfähig ist. Die Anschluss- und Tragfähigkeit ergibt sich letztlich aus der, für die Kulturwissenschaften relevanten, Blickrichtung auf das Subjekt im Kontext biopolitischer Diskurse. Dieses im Folgenden zu skizzierende Modell umfasst nämlich Mechanismen biopolitischer Ordnungen wie auch deren Deutungsangebote, die sich grundsätzlich auf das Subjekt und dessen Verortung innerhalb von Gesellschaften beziehen und in einem weiteren Schritt über diese Gesellschaft Aussagen treffen, die unweigerlich mit dem Subjekt verbunden sind. Die folgenden Ausführungen gliedern sich in zwei Teile, von denen der erste 'Biopolitik' als 'Biopolitiken' ausdifferenziert, bevor der zweite Teil von diesen Überlegungen ausgehend das Subjekt und dessen ambivalentes Verhältnis zur Gemeinschaft, im Sinne Roberto Espositos zur 'communitas', thematisiert. Letztere Überlegungen führen zu der Fragestellung nach der Verortung des Subjekts im Konnex von 'Biopolitik(en)' und Selbstbestimmungsdynamiken der Gegenwart. In Bezugnahme auf Foucaults Definition der Biopolitik haben sich vielzählige weitere Ansätze entwickelt, die sich aus einer Metaperspektive mit der Situation von Gesellschaften beschäftigen und die sich im Kontext der modernen Gesellschaft vordergründig auf die Kontrollierung und Überwachung des Subjekts und des menschlichen Körpers beziehen. Dieser titelgebende Plural versteht sich demnach, so die These dieses Beitrags, als doppelter Plural, nämlich zum einen als historisch und zum anderen als konzeptionell gedachtes Modell, das die Regulierung und Anwendung von Naturwissenschaft und Technik auf den Menschen umfasst und in einem zweiten Schritt den gegenwärtigen Mensch zum Hüter biopolitischer Machtmechanismen erklärt. Im zweiten Teil dieses Beitrags wird daher der Fokus auf die Verortung des Subjekts im Zusammenhang biopolitischer Maßnahmen in der Gegenwart, mit besonderem Blick auf den Bereich der Gesundheitsförderung, gelegt. Aus dieser doppelten Perspektive auf Biopolitik(en) ergibt sich gleichzeitig auch eine doppelte Perspektive auf das Subjekt, das sich im Zuge biopolitischer Umschreibungsprozesse in ein multiples Subjekt umschreibt.
According to Benjamin and Foucault, calling something into question is not just a precondition of critical practice but its very realisation. The effect of critique depends on how a question is asked. An inaccurately posed question supports what it aspired to criticise. Critical practice thus involves a critique of allegedly critical questions. In their critique of power and violence, Foucault and Benjamin expose the moment in which a critical question becomes uncritical and subsequently seek its critical transformation. In Foucault, this movement is identical with "desubjugation", and in Benjamin, with "revolution". A revolutionary resoluteness in raising critical questions, however, can turn out to be decisionistic and uncritical itself. In this paper I reconstruct the struggle for an accurate critical question in Benjamin and Foucault and address how the dialectical turn into uncritical action might be avoided.