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Anschliessend an Bildtheorien von Nietzsche, Wittgenstein und Barthes untersucht der Autor die Poetik des Visuellen in Robert Walsers Werk. Die improvisatorische Dynamik in Walsers Schreibszene entfaltet sich in Korrespondenz zu den ästhetischen Signaturen der avancierten bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts im Ringen um Verbindlichkeit, Genauigkeit und Wahrhaftigkeit in der künstlerischen Darstellung. Im Fokus der Untersuchung steht die Dialektik der spontanen Schreibgeste, welche gleichzeitig den Prozess der Fokussierung und der Zerstreuung, der Neuorientierung in und der Neukonstitution der erzählten und visualisierten Welt in Gang setzt. Sie ermöglicht die schreibende Suche nach dem in seiner Flüchtigkeit Bestechenden, der "einzigartigen Evidenz" und der Authentizität des Augen-Blicks.
Gewaltige Freude : Robert Walsers "Genreszenen" des Ersten Weltkriegs in der "Neuen Zürcher Zeitung"
(2017)
"Beim Militär ist manches ohne Frage riesig nett und hübsch, wie z. B. mit Musik durch friedliche, freundliche Dörfer marschieren" –so beginnt ein Prosastück Robert Walsers in der Neuen Zürcher Zeitung(NZZ) vom 5. September 1915 – da befindet sich Europa seit gut einem Jahr im Krieg. Der Erzähler plaudert munter drauflos, dass er nicht nur den Frieden, sondern auch "das Militär hübsch" finde und gar nicht so recht wisse, wie er mit diesem sonderbaren Widerspruch zurechtkommen könne. Der Text steht "unter dem Strich", der in den Tageszeitungen das Feuilleton vom politischen Teil trennte, und gehört in eine Reihe von weiteren idyllisierenden, humoristisch anmutenden Prosastücken Walsers in der NZZ dieser Kriegsjahre: "Denke dran!" (November 1914), "Haarschneiden" (April 1916), "Das Kind" (Mai 1916) und "Nervös" (Juni 1916) wurden in der Bieler Zeit des Autors publiziert, der 1913 Berlin verlassen hatte und in seinen Geburtsort an der deutsch-französischen Sprachgrenze Biel/Bienne –in die Schweiz also – zurückgekehrt war.
Robert Walser's text "The Walk" enacts a narrative that is genuinely describable as one 'on the border' to non-narrativity. This paper takes a look at how "The Walk" uses indicators of narrativity / narrativeness in order to subvert them, especially by dissolving narrative times. This leads to narrative performativity. Its narrative techniques are mirrored in the very Walserian self-description of eating a meal. In the central episode of the "The Walk" the protagonist eats "pieces" (German "Stücke"), what in Walser's terminology means both sweets and narratives ("Prosastückli"). This leads to a circle of intertextuality, in which the writer reads his own text and re-writes it at the same time. Nonetheless, "The Walk" is not a pure manifestation of self-reflexivity because its non-systematic narration is undeniable. Walser's "The Walk" formulates and follows a poetics of "narrating-as-writing" which highlights both performativity and materiality of the act of narration.
Dichter stellen seit der Antike selbst einen beliebten Gegenstand von Dichtung vor. Einen Höhepunkt erreichte das literarische Interesse an der Künstler- und Dichterpersönlichkeit bekanntlich in der Literatur der Romantik, die das Faszinosum individueller künstlerischer Schaffenskraft selbstreflexiv ins Zentrum der künstlerischen Gestaltung rückte. Nimmt man die deutsche Literatur insgesamt in den Blick, so lassen sich die Dichtergedichte, Dichterdramen, Dichtererzählungen und -romane in ihrer Vielzahl kaum übersehen. Unter ihnen finden sich einige der bekanntesten Werke der deutschen Literatur wie Goethes Drama "Torquato Tasso", Novalis' Künstlerroman "Heinrich von Ofterdingen" und Büchners Erzählung "Lenz". Kein zweiter Schriftsteller aber hat andere Dichter so häufig zum Gegenstand seines Schreibens gemacht wie Robert Walser, dem die Auseinandersetzung mit fremden Autoren zur Grundlage des eigenen literarischen Schaffens wurde.
Die Frage, welche Funktion Dinge in literarischen Texten haben können, wird hier nicht in Form einer motivgeschichtlichen Sammlung von Beispielen erörtert werden; vielmehr geht es darum, die unterschiedlichen Repräsentationsformen von Gegenständen in der Literatur - und deren Problematisierung - als Teil einer langen und folgenreichen Debatte über die menschliche Wahrnehmung auszuweisen. Besonders aufschlußreich ist dabei die Beschäftigung mit dem Diskurs der Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit erlebte seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts eine bemerkenswerte Konjunktur. Sie wurde zum Thema intensiver psychologischer und physiologischer Forschungen. Das Verhältnis von Wille und Aufmerksamkeit beschäftigte die Philosophie, und für die neu entstehende Soziologie ist Aufmerksamkeit bzw. ihr Mangel von Anfang an ein wichtiger Bestandteil der Charakteristk der Moderne. Aufmerksamkeit erweist sich dabei als der notwendige Gegenpol zum Phänomen der Zerstreuung, das bei Autoren wie Walter Benjamin, Theodor W. Adorno und Siegfried Kracauer zur Signatur der Moderne erklärt wird. Zerstreuung gilt ihnen als Kennzeichen einer stetig zunehmenden Beschleunigung des Lebens, einer Fragmentarisierung und Atomisierung der Existenz, einer Entsinnlichung und Entsubstanzialisierung aller Wahrnehmung und Erfahrung. Zerstreuung ist unbestritten eines der Merkmale der Moderne, nicht nur was lebensweltliche Bereiche angeht, sondern auch was die Produktion und Rezeption von bildender Kunst, Musik, Film und Literatur betrifft. Häufig werden die neuen Medien wie Rundfunk und Film geradezu mit dem “Kult der Zerstreuung” in eins gesetzt. Hier soll nun anhand einiger Texte von Robert Musil und früher Beiträge zur Filmtheorie gezeigt werden, daß es einen bedeutenden und weitverzweigten, zum Teil hochdifferenzierten Diskurs der Aufmerksamkeit gibt, der denjenigen der Zerstreuung begleitet und konturiert. Dabei werden neben Fragen der menschlichen Wahrnehmung, Erinnerung und Kommunikation insbesondere auch solche nach dem Verhältnis des Menschen zu seiner Wirklichkeit und infolgedessen auch eine Reihe von verschiedenen Subjektivitätsmodellen diskutiert. Gerade hierfür lassen sich in literarischen Darstellungen von Gegenständen und Dingen Aspekte finden, die im Diskurs der Aufmerksamkeit und damit im Diskurs der Moderne bisher zu wenig berücksichtigt worden sind.
Walter Benjamin bemerkte einmal, Robert Walser komme es gerade nicht "auf den Inhalt an, und sonst auf nichts", vielmehr sei ihm "das Wie der Arbeit so wenig Nebensache", dass ihm alles, was er zu sagen habe, "gegen die Bedeutung des Schreibens" völlig zurücktrete. Damit lädt Benjamin nun gerade bei Walser zur Revision einer angemessenen Interpretationskategorie ein. Beim letzten der in Walsers Geschichten erschienenen Prosastücke, Ein Vormittag, scheint zwar bereits der Titel programmatisch eine Erzählzeitanalyse nahelegen zu wollen, und in der Tat wird ja ein Vormittag geschildert, einer derjenigen sogar, die nicht enden wollen: ein Berufsvormittag in einem Bankinstitut - vor dem Hintergrund von Benjamins Behauptung aber sollte diese Intuition erst recht noch einmal überprüft werden. Schon 1960 resümiert Jochen Greven die Kurzgeschichte als "eine Glosse auf den Montagvormittag in einer Bankbuchhaltung", den die Angestellten "paarweise an Doppelpulten aufgereiht unter dem gestrengen Blick des Bürochefs […] faulenzend oder arbeitend und intrigierend verbringen". Es deutet sich damit bereits an, dass die Zeit hier offenbar nicht alles ist. Vielmehr kommt auch dem Raum eine gewichtige Rolle zu, will man die Geschichte angemessen verstehen.
Von häuslicher Gewalt in der deutschsprachigen Literatur zu sprechen, grenzt an sich an eine Übertreibung angesichts der wenigen Beispiele, die der Kanon enthält. Das gilt umso mehr, wenn man vor 1945 sucht, das heißt zu einer Zeit, in der sich jener Bruch mit dem Vaterland noch nicht vollzogen hatte, der auch literarische Brüche mit Vätern, Müttern und auch Kindern nach sich ziehen sollte (ich denke hier an Peter Weiss' 'Abschied von den Eltern' [1961], Ingeborg Bachmanns 'Malina' [1971] oder auch an Elfriede Jelineks 'Die Klavierspielerin' [1983]). Die längste Zeit wurden körperliche Auseinandersetzungen in der Familie nicht wirklich als Gewalt registriert. Wir müssen aber auf den Realismus warten, dass eine breitere literarische Strömung - und nicht nur vereinzelt ein Autor wie Kleist - die noch relativ neue Institution der Literatur für prosaische Alltagsgeschehnisse öffnet und sich damit auch dem Gemeinplatz der Familie kritisch und als ästhetische Herausforderung annähert. Fredric Jameson gab jüngst zu bedenken, dass erst dann ein neuer Zugang zum Realismus möglich sei, wenn man gleichzeitig die Genealogie des Erzählens und ihre drohende Auflösung in literarischen Repräsentationen von Affekten im Auge behalte. Und wirklich präsentieren realistische Texte ganze Archive, um die Komplexität und Rhetorizität von Affekten im Allgemeinen und von Aggressionen im Speziellen zu studieren. Ein bekannter Text des deutschsprachigen Realismus, der das Phänomen der häuslichen Gewalt in dieser Weise reflektiert, ist Adalbert Stifters Erzählung 'Granit' aus der Geschichtensammlung 'Bunte Steine' (1853); jenen, die an den Grenzen des Kanons lesen, wird Theodor Storms Novelle 'Ein Doppelgänger' (1887) in den Sinn kommen; wohl jeder denkt an Gerhart Hauptmanns naturalistische Studie 'Bahnwärter Thiel', die im darauffolgenden Jahr erschien. Und wenn wir noch Robert Walser als späten realistischen Autor ansehen, dann stellt 'Der Gehülfe' (1908) einen der denkwürdigsten Texte zum Thema häuslicher Gewalt dar.
Diese begrenzte, wenn auch in keiner Weise vollständige Beispielreihe zeigt, dass Gewalt in der Familie längste Zeit ein Un-Thema war - was natürlich nicht bedeutet, dass es sie nicht gab oder gibt. Vielmehr kann die Seltenheit ihres literarischen Vorkommens entweder als Zeichen dafür gedeutet werden, dass häusliche Gewalt ein so alltägliches Phänomen darstellte, dass es nicht weiter erwähnenswert war oder aber, dass häusliche Gewalt ein solches Tabu war, dass sie nicht thematisiert werden konnte.