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Wenn Literatur über biopolitische und technologische Entwicklungen nachdenkt, kommt sie selten ohne wertende Perspektiven aus. Begeisterten Ausblicken auf angeblich erwartbare oder zumindest möglich scheinende Segnungen technologischen Fortschritts in der Zukunft stehen skeptisch-warnende, dystopische Inszenierungen von Machbarkeitsphantasien und menschlicher Hybris gegenüber. Literarische Zukunftsbilder und die in ihnen zum Ausdruck kommenden Ängste oder Hoffnungen lassen sich daher nicht selten als mehr oder weniger geschickt verkappte Kommentare zu gesellschaftspolitischen Tendenzen der jeweiligen Gegenwart verstehen. Insbesondere das Weiterspinnen von bereits existierenden wissenschaftlichen Erfindungen, deren Potentiale kontrovers diskutiert werden, scheint sich hierfür anzubieten.
Klaus Heinrich im Gespräch mit Wolfram Ette und Volkmar Billig zur Frage, in welcher Weise gerade die Städte eine gattungsgeschichtliche Utopie zu formulieren in der Lage sein könnten, die alle Konflikte, Brüche und Unvereinbarkeiten, die das Leben der Menschen bestimmen, ausstellen? Sind Ruinen, Brachflächen und die in die Stadt einwachsende Natur ein Indiz für ökonomischen Niedergang und stadtplanerisches Versagen oder drückt sich daran, wenn auch vielleicht ungewollt, eine realistische Korrektur eines falschen stadtplanerischen Rationalismus aus? - Religionswissenschaft thematisiert, Klaus Heinrich zufolge, "das Verdrängte der Philosophie". Neben den Religionen hat sie daher auch die Künste zu Bundesgenossen - und eben die Psychoanalyse, die selbst einen Gegenentwurf zum Rationalismus der europäischen Aufklärung praktiziert.
[Ich] will [...] im Folgenden zwei weniger bekannte dys-/utopische Prosatexte miteinander vergleichen, und zwar Prazdnik bessmertija (1912; Tag der Unsterblichkeit) von Aleksandr Bogdanov und Pronalazak Athanatika (1957/1975; Die Erfindung des Athanatik) von Vladan Desnica. Bogdanov gilt als Pionier der modernen Science- Fiction-Literatur in Russland, Desnicas intellektuelle Prosa, die eng mit der kulturellen Tradition Dalmatiens verbunden und überdies in verschiedene psychologische Diskurse eingebettet ist, nimmt ihrerseits einen festen Platz in der jugoslawischen Literatur ein. Die beiden Werke eignen sich für eine komparatistische Analyse insbesondere deshalb, weil sie frühe Beispiele für den Unsterblichkeitstopos in der Science-Fiction-Literatur darstellen.
Die biopolitischen Projekte der Lebensverlängerung und Todesüberwindung im Kontext der russischen Moderne legen geradezu nahe, sie unter dem Label einer 'Fortschrittsutopie' zu subsumieren. Es ist ein in der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte regelmäßig wiederkehrender Tenor, die Hoffnung auf die Erlangung der Unsterblichkeit mit wissenschaftlich-technischen Methoden als Inbegriff und Gipfel des maßlosen Fortschrittsglaubens der Neuzeit zu betrachten. Dabei gelten Russland und erst recht das sowjetische Imperium als Brutstätte und Experimentierfeld utopischen Denkens. In der Tat verband sich mit dem kommunistischen Projekt des Neuen Menschen eine quasi-eschatologische Verheißung der diesseitigen Erlösung. Dabei richteten sich anfangs alle Erwartungen darauf, dass die medizinische Wissenschaft Pathologien, Leiden und selbst den (vorzeitigen) Tod ein für alle Mal verschwinden lassen werde. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die parteioffizielle Ideologie ein ambivalentes Verhältnis zur Idee der Unsterblichkeit hatte und der sogenannte wissenschaftliche Immortalismus in der Sowjetunion nie wirklich Fuß fassen konnte. Diesen Ambivalenzen widmet sich der vorliegende Beitrag aus wissenschaftshistorischer Perspektive.