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Bedeutung der Retikulozytenbestimmung zur Differenzierung und Behandlungskontrolle der Anämie
(1994)
Die Retikulozytenbestimmung hat eine wesentliche Bedeutung in der Differenzierung und Behandlungskontrolle von Anämien. Dies insbesondere, seitdem die mikroskopische Retikulozytenzählung durch die Bestimmung mit automatisierten Blutzellzählgeräten abgelöst und somit die Retikulozytenzahl mit geringer Impräzision bestimmt werden kann. Somit ist es möglich, die Regeneration derErythropoese gut zu verfolgen. In der Differenzierung der Anämien hat die Retikulozytenbestimmung ihre wesentliche Bedeutung zur Unterscheidung der nprmozytären Anämie formen. Ist bei normozytärer Anämie die Retikulozytenzahl normal oder vermindert, muß eine Knochenmarkpunktion in Erwägung gezogen werden. Bei mikro- und makrozytären Anämien ist die Retikulozytenbestimmung weniger bedeutsam. Für die Behandlungskontrolle der Anämien kann die Retikulozytenzahl ein wichtiger Indikator sowohl für eine beginnende Regeneration der Erythropoese als auch für die erfolgreiche Behandlung einer die Erythrozytenlebenszeit verkürzenden Erkrankung sein.
Das Hormon Erythropoetin (EPO) ist ein hitzestabiles Glykoprotein, welches als wesentlicher Wachstumsfaktor an der Erythropoese beteiligt ist. EPO wird sauerstoffabhängig in Leber und Niere synthetisiert. Da EPO in Zellen nicht gespeichert wird, ist seine Sekretionsrate durch die Syntheserate bestimmt. Unter Hypoxie wird über einen hypoxieinduzierbaren Faktor (HIF-1) die Transkription des EPO-Gens angeregt. Mycophenolat Mofetil (MMF) wird erfolgreich bei transplantierten Patienten als Immunsuppressivum eingesetzt. MMF ist ein nichtkompetitiver, reversibler Hemmer der Inosinmonophosphatdehydrogenase (IMPDH), die essentiell für die de novo Purinsynthese in Lymphozyten ist. MMF soll selektiv antiproliferativ auf Lymphozyten wirken, ohne einen unspezifischen knochenmarkdepressiven Effekt zu haben. Trotzdem wurden bei bis zu 15% der nierentransplantierten und nahezu der Hälfte aller herztransplantierten Patienten unter immunsuppressiver Therapie mit MMF Anämien beschrieben. Die Genese dieser Anämien ist noch unklar und könnte durch eine reduzierte EPO-Produktion unter MMF bedingt sein. In dieser Untersuchung wird deshalb der Effekt von MMF auf die EPO-Freisetzung aus HepG2-Zellen in vitro analysiert. HepG2 und Hep3B Zellen sind ein etabliertes Zellkulturmodell zur Untersuchung der Regulierung hypoxieabhängiger EPO-Sekretion. MMF vermindert zeit- und konzentrationsabhängig die mittels ELISA gemessene EPO-Konzentration im Zellüberstand von HepG2-Zellen – im Mittel etwa auf die Hälfte des Ausgangswertes (p < 0, 001). Dieser Effekt ist signifikant ab einer Konzentration von 0,1 µM MMF und maximal bei 5 µM MMF. Eine signifikante Inhibition der EPO-Sekretion war erst nach 48stündiger Inkubation mit MMF nachweisbar. Unspezifische Effekte auf Proliferation und Proteinsynthese sowie zytotoxische Effekte wurden mittels verschiedener unabhängiger Methoden weitgehend ausgeschlossen. Der Effekt von MMF auf die EPO-Sekretion konnte durch Zugabe von Guanosin aufgehoben werden, was für eine kausale Rolle der IMPDH in diesem Zusammenhang spricht. Analog zu der sezernierten EPO-Menge verminderte sich auch die Menge der gebildeten EPO-mRNA unter MMF. Zudem ist die Aktivität von HIF-1 unter MMF gemindert. Im Gegensatz zu MMF zeigen andere Immunsuppressiva wie der Purinsynthesehemmer Azathioprin und die Calcineurininhibitoren Cyclosporin A und Tacrolimus keinen spezifischen Effekt auf die EPO-Freisetzung von HepG2-Zellen. Die Ergebnisse weisen darauf hin, daß die Minderung der EPO-Sekretion im Zellkulturmodell ein Erklärungsansatz für die beobachteten Anämien unter MMF sein könnte. Eine Therapie der Anämie mittels EPO-Substitution erscheint daher sinnvoll.