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Im World-Heritage-Programm der Unesco sollen die als schützenswert hervorgehobenen Monumente, Naturschönheiten oder auch kulturellen Praktiken exemplarisch für das Welterbe der Menschheit insgesamt stehen. Wie aber wird deren Beispielhaftigkeit begründet? Und wie funktioniert die kulturelle Kanonbildung im Einzelfall? "Frontiers of the Roman Empire" heißt eine der 1073 Stätten (Stand: Mai 2018) auf der World Heritage List der Unesco. Zu diesen "Frontiers" gehören der Limes in Südwestdeutschland, der Hadrianswall in Nordengland und der Antoninuswall in Schottland. Es handelt sich also um eine dezentrale, transnationale, grenzübergreifende Stätte, die ihrerseits aus Grenzen besteht, noch dazu aus den hinterlassenen Grenzen eines Imperiums.
Im Sommersemester 2021 habe ich an der Universität Mainz ein Seminar zum Thema "Kanon und Diversität" unterrichtet. Ziel war, meinen eigenen Lektüre-Horizont und denjenigen der Studierenden zu erweitern. Auf das Seminarprogramm setzte ich vor allem Gegenwartsliteratur und auch Neuerscheinungen, die ich gerade gelesen oder noch lesen und diskutieren wollte und von denen ich mir eine Erweiterung des Horizonts erhoffte. Kürzere theoretische Texte und literarische Erzählungen wurden als pdf zur Verfügung gestellt, drei Romane sollten ganz gelesen werden, nämlich Fatma Aydemirs "Ellbogen" (2017), Olivia Wenzels "1000 Serpentinen Angst" (2020) und Sharon Dodua Otoos "Adas Raum" (2021).
Männlichkeit zeichnet sich durch Praktiken aus. Und einer dieser Praktiken besteht eben darin, Repräsentationsorte von und für Männlichkeit bereitzustellen. Insofern fiktionale Werke einen erheblichen Anteil am individuellen oder sozialen Selbst Verständnis haben, ist auch deren Kanonisierung als eine solche Macht-Praktik von Interesse. Kanones wie Männlichkeit werden zu Angelegenheiten ihres 'Machens' - und sind darin aufeinander verwiesen.
If one thing can be learned from the recent boom in the apparently 'new' field of the 'history of the humanities', it is that, especially in the humanities, the history of an academic discipline is never mere history, because the research questions that inaugurate a discipline continue to subsist at its foundations. Knowledge in the humanities, it seems, develops differently. In many fields, 'progress' is far less linear than in the natural sciences; indeed, research programmes may shuttle back and forth between different epochs, with interpretations of the past continually shedding new light upon the present.
Die Lektüre des Essays "Sichtbar" von Sasha Marianna Salzmann machte mich darauf aufmerksam, dass jedes Prinzip der Kanonisierung, egal wie inklusiv gedacht, nie ohne einen - vielleicht auch unbeabsichtigten - Ausschluss geschehen kann. [...] Als ich dann gebeten wurde, die Frage von 'Behinderung' im Literaturkanon zu skizzieren, tauchte eben jenes Problem - Ausschluss durch Festlegung - wieder auf. Entstanden ist ein Panorama, das mich an die Grenzen dessen, was landläufig Literaturwissenschaft genannt wird, gebracht hat. Fangen wir aber auf der anderen Seite an: Um zu verstehen, was mit Behinderung als Teilaspekt eines diversen Literaturkanons gemeint sein kann, müssen wir wissen, was wir von der Literatur überhaupt wissen wollen.
Gibt es überhaupt einen Filmkanon? Der Filmkanon scheint deutlich weniger fixiert zu sein als der klassische Kernkanon der Literatur. Begründungsmöglichkeiten hierfür sind im Bereich der Diskussionen um den Film als Kunst zu sehen, begründet u. a. mit der Herkunft vom Varieté. Zugleich fungiert(e) die Literatur in stärkerem Maße als Identifikationsraum des Bürgertums. Hinzu kommt die Internationalität des Filmmarktes, mit der eine geringere Bindung an Nationalkanones einhergeht, eine nochmal erheblich größere Masse an Filmen sowie deren stärkere Diversität. Und schließlich scheint das Auteur-Konzept für den Film von prononcierter Bedeutung im Vergleich zu Werkkanones.
Betrachtet man die Lesebiographien vieler Schüler:innen und Studierender, so fällt auf, dass diese meistens von weißen, deutschen, männlichen Autoren geprägt sind bzw. ausschließlich aus diesen bestehen. Dies widerspricht jedoch ganz klar der Vielfalt und Diversität der Literaturlandschaft. Angeregt durch das Seminar "Was lesen? Kanonfragen an Universität und Schule" bei Frau PD Dr. Wernli im Wintersemester 2021/22 habe ich mir als Lehramtsstudent und angehender Deutschlehrer folgende Frage gestellt: Inwieweit wird diese ungerechte Geschlechterdifferenz und Unterrepräsentanz von Autorinnen institutionell von unserem Lehrplan Deutsch gefördert und wie verankert ist diese Differenz in unseren Lehrplänen?
Die Berücksichtigung in Literaturgeschichten gilt als notwendige Bedingung, dass Au-tor*inn*en postum Aufmerksamkeit zuteilwerden kann. Gesellschaftliche Prozesse der Kanonisierung werden von Literaturgeschichten nicht nur beobachtet und dargestellt, vielmehr wirken diese selbst als einflussreiche Kanoninstanz. Bislang wurden Aussagen über "Kanon und Kanonisierung als Problem der Literaturgeschichtsschreibung" meist nur durch Hypothesenbildung oder anhand von Fallbeispielen gemacht. Eine breite empirische Untersuchung literaturgeschichtlicher Kanonisierungsprozesse steht aus.
Der Themenschwerpunkt des vorliegenden Heftes der Slowakischen Zeitschrift für Germanistik zielt darauf ab, das vermeintlich altbekannte Phänomen des Literaturkanons genauer unter die Lupe zu nehmen. Zu diesem Zweck werden zweierlei Aspekte ins Auge gefasst. Zum einen wird darauf fokussiert, wie das Phänomen selbst zustande kommt, welche Formen es annimmt, welche Strukturen es entwickelt und welche Funktionen es erfüllt, zweitens wird die Kanonforschung zum Gegenstand der Untersuchung im Sinne einer literaturwissenschaftlichen Selbstreflexion. Der Schwerpunkt liegt in allen Beiträgen auf der literaturwissenschaftlichen Germanistik. Gerade in Deutschland werden seit den 1990er Jahren in der literaturwissenschaftlichen Praxis verstärkt Fragen der Kanonbildung diskutiert. Angesichts der großen Komplexität dieser Fragen differenziert sich auch der wissenschaftliche Diskurs bald aus und nimmt immer deutlichere Konturen an. Es werden zunächst einmal Fragen nach dem Sinn bzw. der Notwendigkeit des literarischen Kanons aufgeworfen, es wird demgegenüber auch oft auf seine Schädlichkeit hingewiesen, darüber hinaus wird auf die Geschichtlichkeit des Kanons und dessen damit verbundenen Wandelbarkeit eingegangen und im Zusammenhang damit Prozesse der Dekanonisierung und Rekanonisierung reflektiert etc.