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Die Mummerehlen
(2013)
Der Name der "Mummerehlen" aus Walter Benjamins Berliner Kindheit um neunzehnhundert beruht auf einem Hörfehler des Kindes, von dem das Wort 'Muhme' als Synonym für 'Tante' nicht verstanden wird und das so die eigentliche Bedeutung der Worte 'Muhme' und 'Rehlen' aus dem gleichnamigen Volkslied entstellt. 1932 hat Benjamin "Die Mummerehlen" geschrieben – in jenem Jahr, aus dem eine der letzten Eintragungen über seinen Sohn Stefan (1918–1972) stammt. (GS IV, 260–263) Seit dessen Geburt hatte Benjamin ein Büchlein geführt, in dem er "einige Dutzende seltsamer Wörter und Redensarten" seines Sohnes notierte. Beispiele sind etwa: "schringen (springen)"; "Pamsrete (Trompete)"; "Koklade (Schokolade)" oder "Tante Licht (selbständig)".
Benjamins Theorie ist als Bilddenken bekannt; vermutlich ist das der Grund, warum seine musiktheoretischen Ausführungen bislang wenig Beachtung gefunden haben: die Überlegungen des jungen Benjamin zur Musik, die ein Seitenstück zur sprachtheoretischen Grundlegung seines Denkens überhaupt darstellen, ebenso wenig wie die Auseinandersetzung mit der Oper. Das Thema der Oper klingt bei ihm an verschiedenen Stellen an, so etwa in "Goethes Wahlverwandtschaften", am explizitesten aber im Trauerspielbuch, in jenem Abschnitt des zweiten Teils des Kapitels "Allegorie und Trauerspiel", der der vielzitierten Diskussion zum Zusammenhang von Klangfigur und Schrift anhand von Johann Wilhelm Ritters Buch Fragmente aus dem Nachlass eines jungen Physikers (1810) vorausgeht. Da es sich hierbei um Überlegungen zum Thema der Musik handelt, insbesondere über die Oper, sollen diese am Anfang stehen.
Am Schluss seiner 1917 gehaltenen Rede Wissenschaft als Beruf warnt Max Weber vor überzogenen Erwartungen an die zahllosen zeitgenössischen Erlösungslehren [...]. Webers Text kann man als Urszene eines prophetischen Diskurses in der Weimarer Zeit lesen. [...] Im Folgenden sollen weniger die systematischen Zusammenhänge als die spezifischen Sprachgesten dieses Denkens rekonstruiert werden, indem (1) am Beispiel von Max Webers religionssoziologischen Schriften gezeigt wird, wie die biblische Prophetie am Anfang des 20. Jahrhunderts verstanden wurde, bevor (2) noch einmal der Rekurs auf die Prophetie in Webers Wertlehre untersucht wird. Im Anschluss soll an zwei Reaktionen auf Weber gezeigt werden, wie dieser prophetische Diskurs weiterwirkte: Karl Barths theologische Rhetorik (3) radikalisiert die Rhetorik der Kritik und der Unterscheidung von wahrer und falscher Mitteilung bis zur Paradoxie; Walter Benjamins Überlegungen zu Kritik und Übersetzung (4) bedienen sich ebenfalls radikaler Unterscheidungen und problematisieren zugleich den eigenen Standpunkt.
Das Wachsen im Nachhall
(2013)
Nach Benjamins Aufsatz "Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen" von 1916 gibt es Verständigung nicht nur in der Wortsprache, sondern auch in allen anderen Kommunikationsmedien, zu denen Benjamin auch die Musik zählt. Diese vielfältigen Mitteilungsformen der Dinge, Tiere und Menschen lassen sich ineinander übersetzen, wenn man Übersetzung als Leistung des Vermögens versteht, mimetisch nicht nur sinnliche, sondern auch unsinnliche Ähnlichkeiten zu erzeugen, wie z. B. Kinder Gegenstände zu imitieren vermögen, ohne ihrer Entscheidung ähnlich zu werden. Die drei Teile des Stücks versuchen, dieses von Benjamin mehrfach erörterte mimetische Vermögen musikalisch in Anspruch zu nehmen und dabei klangliche Korrespondenzen für Erinnerungsvorgänge aus der Berliner Kindheit um neunzehnhundert zu finden.
Der kulturelle und wissenschaftliche Austausch zwischen Israel und Deutschland ist in seiner Lebendigkeit beeindruckend. [...] Wenig allerdings weiß man in Israel und Deutschland noch von der zeitgenössischen Musik aus dem jeweils anderen Land. Daher setzte sich die Berliner Komponistenvereinigung Klangnetz e. V. das Ziel, die gegenseitige Neugier mit einem Austauschprojekt zwischen jungen israelischen und deutschen Komponisten zu wecken und dabei möglichst dauerhafte Verbindungen zwischen Musikern, Komponisten, Wissenschaftlern und einem interessierten Publikum herzustellen. Im Juni 2010 fanden Konzerte und Workshops in Tel Aviv und Jerusalem statt, auf die Konzerte und Workshops in Frankfurt am Main und Berlin folgten. Den Abschluss bildete das internationale Symposium »Klang und Musik im Werk Walter Benjamins – Benjamin in der Musik«, das vom Zentrum für Literatur- und Kulturforschung und von Klangnetz e. V. in Kooperation mit der Akademie der Künste, Berlin, veranstaltet wurde.
Die abgelauschte Stadt und der Rhythmus des Glücks : über das Musikalische in Benjamins Denken
(2013)
Im Folgenden sollen die Dimensionen des Musikalischen und Akustischen bei Benjamin betrachtet werden. Zunächst wird das musiktheoretische Vokabular, das Benjamin auf nicht-musikalische Phänomene und Medien anwendet, Gegenstand der Untersuchung sein. Es handelt sich dabei um erkenntnistheoretische und medienphilosophische Überlegungen, die sich an der Form des Musikalischen, besonders am Rhythmus, orientieren. Danach wird das auditiv sensible Schreiben Benjamins am Beispiel der Berliner Kindheit um neunzehnhundert auf die Funktion akustischer und musikalischer Phänomene hin überprüft und mit Benjamins Überlegungen zum Hören verknüpft. Das Ohr zeigt sich hier als das Organ, das über akustische Reize in Klangmedien und die mit ihnen verbundenen Gefühle die Aufmerksamkeit für die in Bildern und Worten fortlebende Geschichte erzeugt. Schließlich wird nach der Funktion der Musik in Benjamins Werk gefragt. Mit Blick auf die Sprache weist er der Musik als der hörbaren Kunst eine Rolle zu, die Bilder und Sprache auf ihre Verbindung und auf die Möglichkeit der Erlösung von der durch sie bedingten Ausdruckshemmung bezieht. Es zeigt sich, dass die Musik bei Benjamin die Sphäre des semiotisch (noch) Unbestimmten bildet und in einer Spannung zwischen Übersinnlichem und Leiblichem steht, die sie mit der Transzendenz ebenso verbindet wie mit den Gefühlen und propriozeptiv wahrnehmbaren Impulsen.
Walter Benjamins Aufsatz "Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen" dient als Ausgangspunkt für mein Stück. Benjamin verbindet die Schöpfungsgeschichte der Genesis und die Geschichte des Turms von Babel, wobei er die einheitliche, reine Sprache, die vor Babel gesprochen wurde, auf den idealen Zustand im Garten Eden bezieht. Zefanjas Prophetie für das Ende aller Tage führt kreisförmig auf diesen Anfang zurück: "Dann aber will ich den Völkern reine Lippen geben, dass sie alle des HERRN Namen anrufen sollen und ihm einträchtig dienen." (Zef 3,9).
Radau um K.
(2013)
Radau um K. basiert auf der einzigen der zahlreichen Radioarbeiten Walter Benjamins, die als Tondokument zumindest fragmentarisch erhalten ist: dem Hörspiel für Kinder "Radau um Kasperl" in der 1932 vom Westdeutschen Rundfunk Köln produzierten Version unter der Regie von Ernst Schoen. Durch Zufall auf das Hörspiel aufmerksam geworden, faszinierte mich beim ersten Hören gleich seine klangliche Reichhaltigkeit, die die exaltierte Schauspielsprechweise Kasperls ebenso umfasst wie Umgebungsgeräusche und zahlreiche akustische Äußerungen sowohl menschlicher (Lachen, Pfeifen) als auch tierischer Art (verschiedene Tierlaute und -rufe). Letztere sind auf den Inhalt des Hörspielausschnitts zurückzuführen; er handelt nämlich davon, wie Kasperl im Zoologischen Garten vor zwei Kindern damit prahlt, sich mit den Tieren in deren Sprache unterhalten zu können, und das auch – allerdings zunehmend unglaubwürdig – zu demonstrieren versucht. Auf spielerisch-humoristische Weise umkreist Benjamin im Medium des Rundfunks anschaulich, was ein Jahr später in seinem sprachphilosophischen Text "Über das mimetische Vermögen" zum titelgebenden Konzept und zur theoretischen Basis seiner sprachmystisch beeinflussten Auffassung wird, die Sprache als die "höchste Stufe des mimetischen Verhaltens und das vollkommenste Archiv der unsinnlichen Ähnlichkeit" (GS II, 213) begreift.
Realität als Traum
(2013)
Fieber
(2013)
In diesem Stück habe ich mich mit dem Fragment "Das Fieber" aus der Berliner Kindheit um neunzehnhundert befasst, in dem Benjamin literarisch u. a. die Entfremdung des Ichs vom eigenen kranken Körper zu vermitteln versucht. Mich hat gereizt, Begriffe wie Dissoziation und Mimesis, die beide, ohne genannt zu werden, eine zentrale Rolle in diesem Text spielen, auf eine musikalische Ebene zu übertragen. Anstelle des menschlichen Körpers arbeite ich mit der Anatomie des Ensembles, dessen Identität sich im Fluss befindet.