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Das Wiedemann-Beckwith-Syndrom (WBS, OMIM 130650) gehört zu den angeborenen
Übergrößensyndromen und tritt mit einer Häufigkeit von 1:8000 bis 1:14000 Neugeborene
auf. Das Syndrom wurde erstmals zwischen 1963 und 1964 von HR Wiedemann und JB
Beckwith beschrieben. In der vorliegenden Studie wurden 52 Betroffene (24 weibliche, 28
männliche) aus ganz Deutschland untersucht, welche größtenteils der WBS-Selbsthilfegruppe
angehörten, darunter auch Patienten aus dem Institut für Humangenetik der Universitätsklinik
Frankfurt am Main. Bisher basierte die Phänotypbeschreibung des Wiedemann-Beckwith-
Syndroms häufig auf Literaturbeschreibungen und Einzelfallanalysen. Diese Studie ist neben
den Studien von Pettenati et al. (1986) und Elliot et al. (1994) eine mit dem größten
Patientenkollektiv.
Die Makroglossie war mit 96,2% das häufigste Symptom, dem folgten mit 75% die
Bauchwanddefekte (darunter in 36,2% die Omphalozele) und mit 72,5% die Makrosomie.
Alle Patienten zeigten kraniofaziale Auffälligkeiten. Neben der Makroglossie waren dies:
Naevus flammeus im Gesicht (57,7%), Infraorbitalfalten (51,9%), Gesichtshemihypertrophie
(40,4%), antevertierte Nares (21,2%), Exophthalmus (15,4%), Gaumenspalte (9,8%),
Mittelgesichtshypoplasie (9,6%) und flache Wangenknochen (3,8%). 82,4% der Patienten
hatten Ohrauffälligkeiten wie Ohrkerben, Ohrgrübchen und Ohreindellungen.
45,1% der Betroffenen hatten eine postnatale Hypoglykämie, die nicht länger als 3 Monate
dauerte. Eine Viszeromegalie trat bei 73,9% der Patienten und eine Hemihypertrophie bei der
Hälfte der Patienten auf. 7 Patienten hatten einen Herzfehler.
In 48% der Fälle wurden bereits pränatal Ultraschallauffälligkeiten wie Makroglossie,
Gigantismus, Polyhydramnion und große Plazenta festgestellt. 53,8% der Kinder wurden vor
der 38. SSW geboren. Nach der Geburt mußten 78,8% der Neugeborenen wegen
Hyperbilirubinämie, Omphalozele, Hypoglykämie, Atemnotsyndrom durch Makroglossie
oder frühgeburtlichen Komplikationen intensivmedizinisch betreut werden. Die Omphalozele
wurde in den ersten Lebenstagen operativ behandelt. 78,8% der Betroffenen erhielten wegen
der Makroglossie eine Therapie, darunter 44,2% eine operative Zungenverkleinerung.
Die kraniofazialen Auffälligkeiten und die Hemihypertrophie verbesserten sich in 80% der
Fälle im Laufe der Kindheit. Die Wachstumsrate verlangsamte sich im Verlauf und die
Körperlänge näherte sich der 90. bzw. der 97. Perzentile bis zur Adoleszenz.
In unserer Studie wurden bei 9 Patienten 9 Tumoren diagnostiziert, wovon 6 Tumoren
bösartig (darunter 4 Wilm’s-Tumoren) und 3 Tumoren gutartig waren.
Aufgrund des erhöhten Risiko für embryonale Tumoren ist ein regelmässiges, engmaschiges
Tumorscreening indiziert.
Die geistige Entwicklung verläuft bei WBS-Patienten in der Regel normal. Es wurden aber
auch Entwicklungsverzögerungen beobachtet, die durch WBS-spezifische Komplikationen
wie z.B. unerkannte postpartale Hypoglykämie, Frühgeburtlichkeit, und Makroglossie
bedingte Apnoe-Anfälle entstehen können. In unserer Studie hatte ein Patient eine mentale
Retardierung, weitere 16 Patienten hatten mehr oder weniger ausgeprägte Sprachprobleme
und /oder eine motorische Entwicklungsverzögerung.
Die meisten Ergebnisse der vorliegenden Arbeit waren vergleichbar mit anderen
Studienergebnissen (z.B. Pettenati et al., 1986, Elliot et al., 1994) über das Wiedemann-
Beckwith-Syndrom. Jedoch kamen maligne Tumoren, Hemihypertrophie,
Entwicklungsverzögerung und Gaumenspalte bei unseren Patienten häufiger vor.
Das Wiedemann-Beckwith-Syndrom ist eine genetisch heterogene Störung, die durch
Mutationen, Epimutationen und veränderte Expression mehrerer benachbarter Gene auf
Chromosom 11p15 entsteht, die dem genomischen Imprinting unterliegen. Die an der
Ätiologie von WBS beteiligten Gene sind die väterlich exprimierten (wachstumsfördernden)
IGF2- und KCNQ1OT1-Gene und die mütterlich exprimierten (wachstumshemmenden) H19-,
CDKN1C- (P57KIP2) und KCNQ1-Gene.
Ca. 15% der WBS-Fälle treten familiär und ca. 85% der Fälle treten sporadisch auf. Bei
familiären Fällen erfolgt die Vererbung autosomal-dominant mit reduzierter Penetranz und
variabler Expressivität. Die familiären Fälle werden überwiegend mütterlich übertragen.
Chromosomenaberrationen sind nur für 1-2% der Patienten verantwortlich. Das individuelle
Wiederholungsrisiko hängt von der genetischen Ursache ab, so dass bei jedem Patienten eine
genetische Untersuchung und Beratung erfolgen sollte.
Die frühzeitige Diagnose (eventuell sogar pränatal) des Wiedemann-Beckwith-Syndroms ist
für das Management der Patienten und die Prognose sehr wichtig. Die primäre Diagnose
erfolgt anhand der klinischen Merkmale. Die genetische Diagnostik wird zur genaueren
Prognose für den zu erwartenden Krankheitsverlauf, Komplikationen (Tumorrisiko),
Möglichkeiten der Prävention und Einschätzung des Wiederholungsrisikos bei weiteren
Geschwistern bzw. eigenen Nachkommen durchgeführt.