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Im folgenden wird es darum gehen, ein Modell von Hypertextualität zu entfalten, das zwei Ansprüchen genügt: Zum einen soll der mediengeschichtlichen Entwicklung Rechnung getragen werden, dass der Textbegriff in zunehmendem Maße durch Konzepte der Hypertextualität bestimmt wird. Zum anderen sollen die "philologischen Kemkompetenzen" - das genaue Lesen und historische Verstehen von literarischen Texten - weiterhin zentrale Bedeutung haben. Es geht mithin darum, ein Modell von HypertextuaJität zu skizzieren, das alle Möglichkeiten einer philologisch orientierten Lektüre von Texten weiterhin zulässt, darüber hinaus jedoch Perspektiven einer sowohl mediengeschichtlich als auch intermedial ausgerichteten Lektüre eröffnet. Die folgenden Ausführungen sind so besehen als eine Art "theoretische Folgekostenabschätzung" zu verstehen, die die Orientierung am Hypertextmodell mit Blick auf eine medienkulturwissenschaftliche Erweiterung des Faches Gennanistik haben könnte. Dabei werden die folgenden drei Aspekte zu berücksichtigen sein.
"Hi!" hat einer gesagt, "ist es okay, wenn wir dich duzen? Willst du lieber in Englisch lesen? Gut, bis hierhin bist du vorgedrungen durch das labyrinthische Netzwerk des WWW. War es Mundpropaganda oder ein Link, bist du wahllos oder zielgerichtet durchs WWW gereist? Egal, jetzt bist du hier, und wir freuen uns, dass du nicht sofort weitergesprungen bist". Wen kümmert's? Gleichgültig wie diese Passage zunächst zu werten ist - als paratextuelles Direkt-Marketing für den Internet-Roman Spielzeuglandoder als dessen erzählerischer Anfang - der geduzte Leser fühlt sich unwillkürlich an das Konzept postmoderner Klassiker erinnert. So notiert der Erfolgsautor Flannery, eine Schlüsselfigur aus Italo Calvinos Roman Wenn ein Reisender in einer Winternacht. "Bin auf den Gedanken gekommen, einen Roman zu schreiben, der nur aus lauter Romananfängen besteht. Der Held könnte ein Leser sein, der ständig beim Lesen unterbrochen wird. (...) Ich könnte das Ganze in der zweiten Person schreiben: du, Leser ..." (Calvino 1983: 237). Im Kontext der Internet-Literatur wird eben jenes Konzept, das Flannery als Romanhandlung entwirft, zum Strukturmerkmal des hypertextuell organisierten Diskurses. Hypertexte legen es darauf an, den Lesefluß durch untereinander vernetzte Verweise, sogenannte "Links", zu unterbrechen und den Leser in einen "Taumel der Möglichkeiten" zu stürzen. Die zentrale Organisationsidee des Hypertextes ist die Vernetzung der Links mit andern Links. Dieses Netz aus Verweisen hat eine zentrifugale Wirkung. Das Link ist die hypertextuelle Aufforderung an den Leser einen rezeptiven Sprung zwischen verschiedenen Fragmenten oder zwischen verschiedenen Ebenen zu vollziehen. Dabei läßt sich der Hypertext, der explizit als unabschließbarer "Text in Bewegung" konzipiert ist, nicht zuendelesen. Man hat einen Text vor sich, der im Grunde nur aus alternativen Textanfängen besteht.
"Text heißt Gewebe; aber während man dieses Gewebe bisher immer als ein Produkt, einen fertigen Schleier aufgefaßt hat, hinter dem sich, mehr oder weniger verborgen, der Sinn (die Wahrheit) aufhält, betonen wir jetzt bei dem Gewebe die generative Vorstellung, daß der Text durch ein ständiges Flechten entsteht und sich selbst bearbeitet; in diesem Gewebe - dieser Textur - verloren, löst sich das Subjekt auf wie eine Spinne, die selbst in die konstruktiven Sekretionen ihres Netzes aufginge" (Barthes 1986: 94). Dieses Zitat von Roland Barthes aus Die Lust am Text enthält so etwas wie das Programm des Schreibens und Lesens von Hypertexten. Da ist zunächst das Bild des Netzes, genauer, des "Web", das als ständig im Entstehen begriffenes Gewebe gefaßt wird. Auch der Hypertext ist, zumindest der Theorie nach, "ständig im Entstehen begriffen", ein Netz von Verknüpfungen. Die Spinne, die sich in ihrem eigenen Saft auflöst und sich dergestalt als entsubjektivierte Netzerzeugerin zum Verschwinden bringt impliziert die These vom Tod des Autors - Stichwort: "wen kümmert´s wer spinnt?"
Die Frage nach der Praxis des Chattens könnte durch dieses Zitat aus der Minima Moralia eine rasche und endgültige Antwort erhalten: Tatsächlich erscheint der Web-Chat dem naiven Betrachter zunächst als Kommunikation zwischen entfremdeten jungen Menschen, die über räumliche Distanzen hinweg Kontakt suchen und sich, anstatt den Hut zu ziehen, mit dem barbarischen "hallöle" der virtuellen Vertraulichkeit begrüßen. (SPOOKY) Na nu, wer ist denn da da????? (Lt. Riker) hallöle SPOOKY (PaRaNoiA) hi spooky (SPOOKY) Hallo Lt. Riker!! (SPOOKY) Hallo para (zit. nach Beißwenger 2000, S. 51).
Will Literarur "Wirklichkeit" darstellen, so sind die "Neuen Medien" ein Aspekt dieser Wirklichkeit, an dem sich die Gegenwartsliteratur abzuarbeiten hat. Die "Gegenwärtigkeit" der Gegenwartsliteratur beweist sich jedoch nicht nur daran, dass sie das Gegenwartsphänomen "Neue Medien" in ihren Darstellungsanspruch integriert, sondern, wie sie die "Neuen Medien" als Rahmenbedingung des Schreibens mit dem Akt literarischen Schreibens zu einer "Schreib-Szene" koppelt.
Stellt man die Frage nach den enzyklopädischen Weltentwürfen des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts, so führt kein Weg am Phänomen des Hypertextes vorbei - hypertextuelle Netzstrukturen, das wissen gerade auch die Lexikologen, erweisen sich für die Darstellung komplexer Wissenszusammenhänge als besonders geeignet. So haben wir heute im Rahmen von Daten-CDs und des World Wide Web die Möglichkeit, auf Enzyklopädien zuzugreifen, die offline wie online als Hypertexte organisiert sind - etwa die Encyclopaedia Britannica.
Die Schnittstelle zwischen Riss und Sprung : vom herausgerissenen Manuskript zum Hypertext-Link
(2005)
Ich möchte im Folgenden versuchen, den Begriff der Schnittstelle mit dem Begriff der Hypertextualität zu koppeln. Meine Zielrichtung wird dabei eine medien- und literaturgeschichtliche zugleich sein. Das heisst: ich möchte im Horizont heutiger, elektronischer Hypertextualität die Frage aufwerfen, in welcher Form die literarischen Quasi-Hypertexte von einst das Problem der Schnittstelle thematisiert und verkörpert haben.
Führen Schriftsteller und Schriftstellerinnen auch Online-Journale? Ist die tagebuchartige Schreibe der Blogger gar Literatur? Darüber ein Urteil zu fällen, steht der Autorin als Kulturwissenschaftlerin nicht zu. Eines steht jedoch fest: Das Publizieren in einem Weblog und das Veröffentlichen über Verlage scheinen sich gegenseitig tendentiell auszuschließen. Die Schnittmenge von Autoren und Autorinnen, die »Literatur« in Blogs schreiben und solchen, welche in gedruckter Form publizieren, ist sehr klein. Anders ausgedrückt: Wer über einen Verlag Bücher publiziert, führt selten einen eigenen Weblog.
Das literarische Internet lässt sich auch als ein Raum des experimentellen Storytelling bezeichnen. Die Verlinktheit der digitalen Welt und ihre Möglichkeiten sowie Gefahren wurden zur Inspiration oder zum Thema von Experimenten, die untersuchten, welche Geschichten, Stories dadurch entstehen und wie sie digital erzählt werden können, beziehungsweise wie die RezipientInnen an dem Erzählen auch teilnehmen können.
Das Phänomen Pornografie hat viele Seiten. Man kann die soziale Zirkulation von Pornografie untersuchen, kognitive Voraussetzungen und Folgen ihres Konsums erklären, Rechtsnormen für den Umgang mit ihr aufstellen oder Darstellungsverfahren und Inszenierungsformen pornografischer Werke beschreiben. Dem letztgenannten Aspekt gelten die folgenden Überlegungen. […] Es wird keiner der üblichen Gründe in Anspruch genommen, um sich mit Pornografie zu beschäftigen – nämlich die Pornografie insgeheim in etwas anderes, Unproblematischeres zu verwandeln oder sie ästhetisch oder politisch aufzuwerten oder aber sie ideologiekritisch zu entlarven. Ich möchte Pornografie weder feiern noch verwerfen, sondern beschreiben. Mein Interesse gilt der Art und Weise, wie schlichte pornografische Interneterzählungen von Amateur-Autoren gemacht sind. Die Machart von Pornografie ist von ihren gesellschaftlichen Funktionen und psychologischen Wirkungen zu unterscheiden und verlangt nach eigenständiger Untersuchung. Denn die Zuweisung von Funktionen und Wirkungen hängt davon ab, wie Pornografie als sinnhaftes Phänomen konstituiert und angeeignet wird.