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UNFOLD : the strategic importance of reinterpretation for media art mediation and conservation
(2022)
UNFOLD: Mediation by Reinterpretation is a research project and interdisciplinary network initiated by LIMA, Platform for Media Art in Amsterdam, that examines reinterpretation as an emerging practice for artistic production, presentation, and preservation of media works. New elements stretch the boundaries of traditional preservation methods and require insights from both the artist and the curator to decide how pieces can be restaged. This essay investigates how to deal with the changes of digital/media artworks over time, and how to preserve and mediate their performative aspects.
"Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es werden wie ein Fest." In seinem Gedichtband "Mir zur Feier" (1897/98) fordert Rainer Maria Rilke, das Leben zu feiern anstatt es zu verstehen. Diejenigen, die verstehen wollen, haben nichts zu lachen. Stimmungstöter, die das Fest des Lebens stören. Verstehen oder Feiern? So einfach ist es wohl nicht. Zunächst wäre zu klären, was man unter Verstehen versteht: Verstandesmäßiges Erkennen. Sinnliches Erfassen. Existenzielles Ergründen. Rilkes Aversion richtet sich vor allem gegen das Streben, durch rational-wissenschaftliche Analyse das große Rätsel der Existenz lösen zu wollen. Davon unbenommen kreist er selbst lebenslang jenes Rätsel ein, versucht schreibend, das Leben nicht nur zu feiern, sondern auch seinen Sinn zu verstehen, zu erfassen – in poetischer Form.
Interpretation ist offenbar nicht die einzige Umgangsweise mit Texten, aber gleichwohl ein systematisches Herzstück, um der 'textual uncertainty' beizukommen. Die Material Studies zeigen dies – gelegentlich entgegen ihrer eigenen Absicht – in eindrucksvoller Weise und erlauben es, hermeneutische Fragen neu, präziser, offener zu stellen: Ein Text lässt sich in seiner Komplexität der materiellen Produktions-, Archivierungs-, Erschließungs- und Rezeptionsprozesse offenbar nie ganz erfassen, aber das Ganze trägt im Sinne eines Maximalmodells der materialen Interpretation als Korrektiv und produktive Verunsicherung, und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen verstärkt es die 'textual uncertainty' (›das Textganze gibt es nicht‹), zum anderen aber hält es die konstruktive Idee aufrecht, dass man dem Text ›näher‹ kommt, wenn man sich nur um alle Ebenen bemüht, die ihn ausmachen. Gegenwärtig ist es eine reizvolle Aufgabe für die Textwissenschaften (nicht nur für solche, die mit Literatur im engeren Sinne zu tun haben), zunächst einmal die weitreichenden Veränderungen im Umgang mit dem Objekt Text zur Kenntnis zu nehmen, interpretative Konzepte und Praktiken im Wandel zu untersuchen und den Umgang mit solchen Veränderungen theoretisch sowie 'am Text' zu prüfen. Diese Aufgabe ist überaus umfassend und verändert das Bild all der mit Text umgehenden Wissenschaften. Philologische Nüchternheit hilft hier ebenso wie performative Energie im Umgang mit der Materialität der Materialität. Um die eingangs zitierte Aussage Sontags aufzugreifen: Heute geht es darum, dass wir das Gesehene, Gehörte, Gefühlte angemessen interpretieren, ohne zu meinen, dass in Material und Sinnlichem allein der Sinn verborgen wäre.
Die Inszenierung von "Geschlecht" im Zeichen der Melancholie : zu Hofmannsthals "Rosenkavalier"
(2007)
Der Großteil dessen, was hier zitiert und kurz kommentiert werden soll, stammt aus Briefen, die Hofmannsthal Anfang der neunziger Jahre an Josephine von Wertheimstein schrieb. [...] Unmittelbar nach dem Tod der alten Frau hatte Hofmannsthal die Terzinen "Über Vergänglichkeit" geschrieben. Die Marschallin wird gut fünfzehn Jahre später im 1. Aufzug des "Rosenkavaliers" dem Transitorischen ihre Existenz mit derselben staunenden und tief melancholischen Frage begegnen, mit der Josephine von Wertheimstein auf ihr Leben zurückblickte. [...] Ebensowenig wie es mir um die Behauptung eines direkten Leben-Werk-Zusammenhangs geht, führt auch die Suche nach einer impliziten oder expliziten sexistischen Position in Hofmannsthals Werk [...] weiter. Mich beshäftigt vielmehr der Spiel-Raum der Imagination, wie er in der Inszenierung von Geschlecht in Texten aufscheint - ein Spektrum, das im Falle Hofmannsthals erstaunlich breit und bunt ist, auch wo seine Ideologie, wie am Ende des "Rosenkavaliers", traditionelle Ordnungsmodelle und Geschlechtsrollen affirmiert. Gerade die Beziehungsvielfalt in seinen Texten kann als ein grenzdurchkreuzendes Manöver gelesen werden, das "gender" als Konstruktion eines ritualisierten und restriktiven Ordnungsmodells erst eigentlich sichtbar macht.
Um das Ende eines Denkmals geht es in Joseph Roths Erzählung "Die Büste des Kaisers". In ihr ist das Denkmal Zeichen und Sinnbild für einen allgemeinen Mythos, hinter dem jedoch ein zweiter, ein "persönlicher Mythos" des Autors Joseph Roth erkennbar wird. Diesem Doppelaspekt einer verborgenen autobiographischen Rede, eines "verschwiegenen Ich" hinter der manifesten Schicht der erzählten Geschichte gilt die folgende Deutung.
Die Literaten, die im 20. Jahrhundert Text und Bild in Beziehung zu setzen versuchten, haben sich davon einen Gewinn an Reflexion und Raum für eine neue Betrachtung der Dinge um uns herum versprochen, für die sinnliche Qualität dessen, was uns als Welt des Alltags oder als Lebenswelt umgibt. Die nach dem Holocaust so virulent gewordene Frage nach der Dokumentierbarkeit von Geschichte, nach der Form des "Gedächtnisses" und nach der Funktion des Erinnerns ist eng damit verbunden. Eine besondere Rolle in dieser Diskussion spielt die Photographie, weil sie gemeinhin als Zeugnis einer im Bild fixierten Wirklichkeit gilt, womit, darauf hat Walter Benjamin hingewiesen, noch nicht geklärt ist, ob sie etwas und was sie über die Realität aussagt. Für W.G. Sebald (1944-2001) haben Photographien noch eine Funktion darüber hinaus. Sie sind ein Motor für seinen Schreibimpuls; und zwar, weil von ihnen "ein ungeheurer Appell ausgeht; eine Forderung an den Beschauer, zu erzählen oder sich vorzustellen, was man, von diesen Bildern ausgehend, erzählen könnte." Der "sehr reale Nukleus" des photographischen Bildes, um dessen "riesigen Hof von Nichts" herum sich das Erzählen bildet, ist für Sebald alles andere als ein fertiges Abbild, vielmehr ist er der End- oder Anfangspunkt einer Beziehung, in der "histoire", "discours" und "mémoire" sich durchkreuzen. Vergangenheit wird in neuen Geschichten vergegenwärtigt, wie sie zugleich auratisch Gegenwart bestimmt. Die Photographie erweist sich so als ein ausgezeichnetes Reflektormedium für das komplexe Phänomen von "Zeit" und "Zeitlichkeit". In "Austerlitz", seinem letzten größeren publizierten Text von 2001, hat sich Sebald mit großer Intensität diesen Fragen gewidmet und sich mit seinem bimedialen Erzählen einen ganz eigenen Weg zwischen Fiktion, Album, Reiseliteratur und dokumentarischer Prosa gebahnt.
Wie keine andere Erzählung Kleists läßt sich "Der Findling" explizit als Sequenz von 'Vorfällen' lesen. Sieben Mal wird dieser Begriff in der Erzählung als Gliederungsakzent verwendet [...], nicht mitgerechnet der Gebrauch der verbalen Form, etwa bei der Frage: 'was vorgefallen
sei' [...]. Die zeitgenössische Konjunktur des Wortes 'Vorfall' ist in der Medizin, Kriminalistik und der ihr nahestehenden Publizistik zu beobachten, und selbstredend ist dieser Begriff auch dem auf aktuelle Polizeinachrichten bedachten Herausgeber der Berliner Abendblätter, Heinrich von Kleist, geläufig.
To support the practice of preservation and mediation of video works in the LIMA Collection (Amsterdam), the authors explore the possibilities of reinterpretation as a rather common practice in the performing arts. As a choreographer and a dramaturge, they establish a correlation between reinterpretation and dramaturgy - as a way to deal with non-objective or transitory aspects of the works - and describe their method in relation to the video and performance artist Nan Hoover.
Über die Diskussionen zum Autor lässt sich ein Überblick gewinnen, wenn man das Problemfeld danach einteilt, wie Autor, Text und Leser zueinander in Beziehung gesetzt werden. Wir gehen im Folgenden zunächst auf solche Positionen ein, die den empirischen Autor in die Interpretation literarischer Texte einbeziehen. Dann stellen wir Positionen vor, die den empirischen Autor aus dem Umgang mit Literatur ausschließen und sich lediglich auf Aspekte des Textes stützen wollen. Von diesen sind noch einmal jene Positionen abzusetzen, die ebenfalls auf den empirischen Autor für Zwecke der Interpretation literarischer Texte verzichten, nun aber nicht den Text, sondern die Position des Lesers in den Vordergrund stellen. Der Akzent liegt also entweder auf dem Autor, auf dem Text oder auf dem Leser.