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Was ist heut' des Deutschen Größe? : Weimarer Klassik, nationale Identität, kulturelles Gedächtnis
(2006)
Auf den naiven ersten Blick verstehen sich die drei im Untertitel genannten Kategorien von selbst, wobei es heutzutage leichter sein dürfte, weiterhin selbstverständlich von der "Weimarer Klassik" zu reden, schwerer jedoch, diese als integralen Bestandteil einer nationalen Identität der Deutschen zu behaupten. Zu fragen bleibt also immer wieder neu, was die "Weimarer Klassik" denn darstellt, welche Rolle diese im kulturellen Gedächtnis der "deutschen Nation" (was immer denn beides ist) spielt und ob so etwas wie eine "nationale Identität" mit dem "kulturellen Gedächtnis" und der "Klassik" heute noch zu tun hat. Zudem wäre zu klären, ob wir über die vergangene, die gegenwärtige oder eine gewünschte, zukünftige historische Rolle und normative Geltung dieser drei Kategorien sprechen.
Fast die gesamte außerdeutsche Germanistik hat sich schwer getan mit der binnengermanistischen Differenzierung: 'Klassik und Romantik'. [...] An zwei ästhetischen Figurationen lässt sich exemplarisch und skizzenhaftzeigen, wie aus einem Nebenkriegsschauplatz im Klassizismus, der Arabeske, ein Hauptaktionsfeld der Romantik wird und wie aus einem zentralen ästhetischen Konzept des Klassizismus, dem fruchtbaren Augenblick, Nebeneffekte in der Romantik werden.
Wilhelm von Humboldt leistet zweierlei: I. Er überträgt die Grundfigur des Klassizismus, das Eigene am Fremden zu verstehen, vom Altertum auf die modernen europäischen Nationen mit Hilfe seines Konzepts einer vergleichenden Anthropologie. 2. Er stellt die anthropologisch und geschichtsdiagnostisch zugleich intressierte Frage nach dem Potential, den Voraussetzungen, Bedingungen und Grenzen einer Nation, sich Fremdes aufzuschließen und anzuverwandeln. Damit gelang ihm gegenüber der dem Nationalgeist huldigenden Romantik zwar kein breitenwirksamer, aber ein für die deutsche Klassik richtungweisender Beitrag zur kulturellen Identitätsfindung. Er sollte bis in Goethes Weltliteraturvorstellung fortwirken.
Die romantischen Schriftsteller haben in einer gleich bleibenden polemischen Stoßrichtung, nämlich in Bezug auf Schillers ironielose Idealisierung, rhetorische Sentimentalität und "sentenzenreiche" Manier dessen Darstellungsweise scharf, ja überscharf herauspräpariert. Sie haben dabei Eigenheiten Schillers treffsicher karikiert; aber auch entscheidende ästhetische Innovationen übersehen und abgedunkelt.
[Es] […] wird gezeigt wie die romantische Arabeske die vom Klassizismus gesetzten Schranken allmählich überschreitet, einerseits bei Runge mit den Mitteln der Intermedialität, andererseits bei Tieck im Blick auf die erfahrungsseelenkundlich erforschten "Wirbel der Dinge", das heißt die zufallsbedingten und unberechenbaren Brüche in der Biographie eines Helden. Eine derartige Entgrenzung von Subjektivität wird verfolgt bis zu dem in Poes Werk erreichten Punkt, an dem Wahrnehmungsirritationen in Halluzinationen übergehen. […] Gleichwohl kommt auch der klassizistischen Arabeske um 1800 eine eigenständige Dynamik zu. Die klassizistische ästhetische Theorie nutzt die in der Aufklärung sich abzeichnende Dissoziierung des Arabesken vom Grotesken (wobei letzteres ins Komische abgedrängt wird), um die Arabeske zur autonomen anmutigen Formbewegung weiterzuentwickeln. Im Spiel zwischen Ornament und Arabeske eröffnet sich der klassizistischen Arabeske eine von der Romantik sich unterscheidende Provokation des Vertrauten, eine in Konkurrenz zum Erhabenen sich abzeichnende Möglichkeit, Staunen zu erwecken.
Bereits in seinen Räubern (1781) enthüllt Friedrich Schiller, wie eminent machtpolitisch das Medium Schrift bzw. der Akt des Schreibens eingesetzt werden kann. Dabei veranschaulicht er, dass sich die Konkurrenz zwischen dem Vater und dem Zweitgeborenen letztlich in einer Konkurrenz divergierender Schreibintentionen äußert. […] Die materiale Dimension des Schreibens […] besitzt auch für Schiller eine maßgebliche Bedeutung. Das wird insbesondere daran sichtbar, dass sich Schiller, sobald er außerordentlicher Professor in Jena geworden ist, sofort einen Schreibtisch anschafft […]. Im Kontext dieser materialen Vorrausetzungen ist auch de inspirative Dimension des Schreibens zu berücksichtigen […]. Schiller schätzte bekanntlich den für ihn anregenden Geruch fauliger Äpfel, die ständig in einer Schublade in seinem Arbeitszimmer aufbewahrt werden mussten. […] Mit der Niederschrift der „Botschaft“ bzw. der „Ideen“, ist die kreative Dimension des Schreibens erreicht. Da die Erzeugnisse dichterischer Schreibakte zumeist in konkrete Publikationszusammenhänge eingebunden sind, muss schließlich auch die ostentative Dimension des Schreibens in den Blick genommen werden.
Dass aller Anfang schwer ist, wird Ende des 18. Jahrhunderts exemplarisch deutlich, als sich die prominenteste deutsche Dichterfreundschaft zu formieren beginnt. Denn nach einigen mühsamen Annäherungen kommt es erst am 20. Juli 1794 zur entscheidenden Begegnung zwischen Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller, die das Initialmoment der sogenannten Weimarer Klassik bildet. Goethe wird die Begegnung retrospektiv als „Glückliches Ereigniß“ charakterisieren und den Arbeitsbund in Anerkennung der gemeinsamen ästhetischen Leistungen als „Aufsprung zu einer höhern Cultur“ bewerten.
An talentierten Literaten hat es im klassischen Weimar sicherlich nicht gemangelt - aber auch an streitbaren Männern (und Frauen) nicht. Mag der Literatur- und Bildungskanon des 19. Jahrhunderts hierüber einige zeit hinweggetäuscht haben, es wurden - spätestens mit Anbruch der Sozialgeschichte - auch andere Karten aufgedeckt, womit nicht lediglich die auf beiden Seiten der deutsch-deutschen Grenze verlaufende literaturhistorische Entdeckung des Klassenkamfes gemeint ist, vielmehr dessen spätere, macht- und institutionspolitische Aspekte berücksichtigende Version der beachtung 'feiner Unterschiede'. [...] Es ist klar geworden, dass es sich im wirkmächtigsten Dichterbund der deutschsprachigen Literaturgeschichte um ein Tun "nicht füreinander, sondern sehr viel mehr gegen die anderen" handelte; dass sich hinter der Nachbarschaft „die Front Schillers und Goethes gegen den Rest der dichtenden Welt, besonders gegen Weimaraner und jene in Jena“ - Berlin, Halle etc. - verbarg. [...] Die nachfolgenden Überlegungen sind einer der literarischen Episoden dieses Konflikts gewidmet.
Die Bühne der klassischen Episteme ist [...] in ihrem entweltlichten Status einem gerahmten Gemälde oder der Seite eines Buches näher als dem Zuschauerraum, von dem sie abgegrenzt wird: Die die Kulisse bildenden Objekte invertieren zu Zeichen, welche das Kontinuum des simulierten Ortes bedeuten. Das Licht, das die Bühne beleuchtet, bedeutet das Tageslicht, das das Gemach der Maria Stuart erhellt, die in Schillers Tragödie auf ihre Hinrichtung wartet.