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Ich werde im Folgenden zunächst (1.) die Konstellation des Zukunftswissens der späten 1790er Jahre an den miteinander sowohl korrespondierenden als auch kontrastierenden Positionsbestimmungen Immanuel Kants und Johann Gottfried Herders zur Erkennbarkeit und Darstellbarkeit der Zukunft erläutern. Diese Problematik werde ich dann (2.) anhand von Friedrich Schillers Wallenstein-Trilogie (1798/99) diskutieren. Hier spielt Zukünftigkeit auf verschiedenen Ebenen eine zentrale Rolle – als strategisches Planungswissen, als divinatorische Zeichendeutung, aber auch im Einsatz von Vorausdeutungen als dramaturgisches Mittel –, so dass sich Schillers Drama auf exemplarische Weise futurologisch lesen lässt.
Stratege
(2016)
Strategen sind Zukunftsautoritäten von besonderer Ausprägung. Ihr Zukunftswissen ist entschieden 'hierarchisch', insofern es sich auf die Leitung und Führung einer mehr oder weniger großen Gruppe anderer Menschen richtet, und es ist entschieden 'agonal', insofern es sich auf die Übervorteilung eines Gegners richtet. Beide Charakteristika stehen in einer notwendigen Wechselbeziehung miteinander: Die vom Strategen geleitete Menschengruppe wird mit dem Ziel geführt, eine gegnerische Gruppe zu besiegen, die ihrerseits zu demselben Ziel ebenfalls von einem Strategen angeleitet wird. In dieser Zielhaftigkeit liegt die wesentliche Zukünftigkeit strategischen Planens und Handelns; der Stratege will also immer Teleologe sein. Sein Ziel ist aber prinzipiell doppelt: einerseits das anvisierte 'target' einer konkreten strategischen Operation, andererseits der Erfolg, auf den diese Operation – oder die Summe mehrerer Operationen – letztlich hinführen soll. Die doppelte Zukünftigkeit des eher kurzfristigen Vorausplanens und der eher langfristigen Zielvorgabe stellt ein Kernproblem fast jeder Strategie dar.
Die Lehre des leeren Grabes : Begründungen der deutschen Kulturnation nach 1871 und nach 1989
(2013)
Anders als im Falle der Anna-Amalia-Bibliothek, die bei einem Brand 2004 teilweise zerstört wurde und deren Wiedereröffnung nach nur drei Jahren vom damaligen Bundespräsidenten als "Freudentag der Kulturnation" gefeiert wurde, wird der Verlust von Schillers Schädel nicht ausgeglichen werden können, selbst nicht durch noch so viel Engagement und Spendenfreude. Der fehlende Schädel im Sarg der Fürstengruft, die zu DDR-Zeiten den Namen Goethe- und Schiller-Gruft trug, ist ebenso Symbol wie die Stätte der Aufstellung selbst. So, wie die Aufstellung der zwei Dichter-Särge in der von Anna Amalias Sohn, dem Großherzog Carl August, erbauten Fürstengruft, das Sinnbild einer für die deutsche Geschichte spezifischen Verbindung zwischen dynastischem Totenkult und dem Kult nationaler Geistesheroen ist, symbolisiert Schillers Sarg heute das leere Grab der Kulturnation. Während sich die Spuren seiner Gebeine im Laufe zweier Jahrhunderte im Grund jenes Leichengewölbes der Weimarer Landschaftskasse, das damals für adlige und bürgerliche Verstorbene ohne eigenes Erbbegräbnis reserviert war, verloren haben, stehen Sarg und Marmorbüste an ihrer Statt in der Fürstengruft; sie sind Monumente einer Tradition, die jüngst erneut auf den Begriff der Kulturnation gebracht worden ist.
Was ist heut' des Deutschen Größe? : Weimarer Klassik, nationale Identität, kulturelles Gedächtnis
(2006)
Auf den naiven ersten Blick verstehen sich die drei im Untertitel genannten Kategorien von selbst, wobei es heutzutage leichter sein dürfte, weiterhin selbstverständlich von der "Weimarer Klassik" zu reden, schwerer jedoch, diese als integralen Bestandteil einer nationalen Identität der Deutschen zu behaupten. Zu fragen bleibt also immer wieder neu, was die "Weimarer Klassik" denn darstellt, welche Rolle diese im kulturellen Gedächtnis der "deutschen Nation" (was immer denn beides ist) spielt und ob so etwas wie eine "nationale Identität" mit dem "kulturellen Gedächtnis" und der "Klassik" heute noch zu tun hat. Zudem wäre zu klären, ob wir über die vergangene, die gegenwärtige oder eine gewünschte, zukünftige historische Rolle und normative Geltung dieser drei Kategorien sprechen.
Das Faszinosum Weimar in seiner sich selbst überlassenen Modernität gründet nicht zuletzt in der Mischung von hochartifizieller Weltbetrachtung und bis heute uneingelösten philosophischen Maximen. Gerade jene Postulate - vom zielgerichtet individuellen, imperativisch-unverbindlichen "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut" bis zum kollektivistisch orientierten Gedanken des Weltbürgertums - boten durch Zeiten und Kriege eine Utopie des schönen Scheins, die immer irgendwo zitabel und stets irgendwie variierbar war. Zudem sicherte die Verschränkung von Weltbürgertum und Humanitas, deren Kerngedanke recht gut mit der Goetheschen Aufforderung zu solidarischem Handeln und Gutsein umschrieben werden kann, dem Zitat seinen Aufstieg zur klassischen Sentenz und allen damit verbundenen sittlichen Unverbindlichkeiten.
Vermeintliche Freiheit
(1996)
Interpretation des Gedichts "Klage der Ceres" von Friedrich Schiller. [...] gerade "Alexis und Dora" sei, schreibt [Schiller] an Goethe, "so voll Einfalt [...], bey einer unergründlichen Tiefe der Empfindung", daß sie dem proklamierten Muster der Empfindung vollkommen zu entsprechen scheint. Seine Theorie gibt Schiller jedoch auch die Kritik ein, er vermisse bei der Idylle eine anhaltende Grundstimmung, zu rasch wechselten Glücksgefühl und Eifersucht innerhalb dieser Dichtungsweise. Auf Schillers rezeptionsgeschichtlich wirkungsträchtiges Mißverständnis wird hier eingegangen, weil es durch Goethes folgende Revanche in Form der in bedeutendem Ton vorgetragenen Unverbindlichkeiten zur "Klage der Ceres" auf Schillers Elegie zurückgewirkt hat.
Goethe/Schiller und die "nivellirenden Naturen" : literarische Diskurse im "klassischen Weimar"
(2003)
Bei diesem Blick auf literarische Diskurse im klassischen Weimar kommen zwei Ebenen ins Spiel, die sich gegenseitig beeinflussen und bedingen und von denen mal mehr die eine, mal die andere in den Vordergrund tritt: Die eine ist die praktisch-literarische und die andere die theoretisch-ästhetische. Sind es zum einen unterschiedliche Strategien der Literaturpublikation und -kommunikation, so zum anderen die literarisch-ästhetischen Reflexionen, die als unterschiedliche Grundelemente diese Strategien bestimmen.
Das Thema des Todes manifestiert sich im Werk Friedrich Schillers auf den ersten Blick vor allem in den Dramen [...] Doch das Drama ist nicht die einzige Gattung, innerhalb derer der Tod von Bedeutung ist. Seit jeher waren kleinere literarische Genres wie Elegie, Epicedium oder Epitaph diesem Thema gewidmet. Die Flut an elegischen und melancholischen Gedichten der Empfindsamkeit, etwa in der englischen "Graveyard"-Poesie oder in der Dichtung des "Göttinger Hain", belegt, daß gerade seit der Mitte des 18. Jahrhunderts die Lyrik in besonderer Weise als geeignet galt, Empfindungen wie Schmerz und Trauer zum Ausdruck zu bringen. Auch für die Werkgeschichte Friedrich Schillers ist es von nicht zu unterschätzender Bedeutung, daß in seiner frühen Lyrik, besonders in den Gedichten, die er in der von ihm selbst herausgegebenen Anthologie auf das Jahr 1782 veröffentlichte, die Todesthematik (in einer von der Empfindsamkeit deutlich abweichenden Weise) eine herausragende Stellung einnimmt – auch wenn Schiller diese Gedichte später als "die wilden Produkte eines jugendlichen Dilettantism" bezeichnete.
Anders als Schiller taugt Goethe, nicht zum literarischen Stichwortgeber der Befreiungskriege. Zu offensichtlich ist seine Bewunderung für Napoleon, zu gering seine Bereitschaft, sich im hohen Alter noch patriotisch zu erhitzen. Schiller konnte sich aufgrund seines unerwarteten Todes im Jahr 1805 nicht mehr selbst zur erwachenden Nationalbegeisterung äußern. Zwar soll ihm der korsische "Eroberer" und "Unterdrücker", den er an keiner Stelle seines Werkes explizit nennt, "durchaus zuwider" gewesen sein, doch ist seine Funktionalisierung für patriotische Zwecke ein postumes Rezeptionsphänomen. Gerade Schillers späte historische Dramen laden zu identifikatorischen Lektüren ein. Das von Christian Jakob Zahn vertonte Reiterlied aus Wallensteins Lager, das die Überwindung der Todesangst zur erhabenen, ich-steigernden Freiheitserfahrung verklärt, erfreut sich bei Soldaten und Theaterbesuchern über Generationen hinweg großer Beliebtheit [...] Die Schiller zugeschriebenen Merkmale bleiben über einen langen Zeitraum stabil und verbinden sich mit den verschiedensten ideologischpolitischen Gehalten. Das Bild des Dichters speist sich dabei sowohl aus der Sphäre weltlichen Heldentums wie der religiösen Verheißung. [...] Die Kanonisierung Schillers zum Nationalhelden wird durch die territoriale Streuung und fragmentierte Überlieferung seiner Lebenszeugnisse kaum gebremst. Vielmehr entsteht das Bedürfnis zur Pflege des materiellen Erbes erst aus der Dynamik der Kultgeschichte. [...] Die Erhebung Schillers zum Garanten militärischer und moralischer Überlegenheit nimmt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts offen chauvinistische Züge an. Kritik an den Klassikern erscheint in diesem Zusammenhang als Hochverrat, der das Heil der Nation gefährdet.