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Gegenstand und Betrachtungsweise des Buches sind nicht nur im Hinblick auf die Entstehung inmitten von Kriegszeiten bemerkenswert, insofern darin von jeder zeitgeschichtlichen Bezugnahme abgesehen wird. Das Buch unterscheidet sich auch deutlich von den vorausgegangenen Arbeiten des Staatsrechtlers Schmitt, der den Aufstieg des NS mit seinen rechtswissenschaftlichen Arbeiten unterstützt hatte und noch 1939 die Expansionspolitik des Dritten Reiches mit einer Schrift zur 'Völkerrechtlichen Großraumordnung' zu legitimieren bemüht war, in der er den Staatsbegriff durch den des Volkes ablöst. Schmitts Grundthese in 'Land und Meer', dass nämlich die Weltgeschichte "eine Geschichte des Kampfes von Seemächten gegen Landmächte und von Landmächten gegen Seemächte" sei, ist jedem Tagesbezug enthoben. Sie wird vielmehr durch eine anthropologische Universalie grundiert, die sich bereits im Grundakkord formuliert findet, mit dem das kleine Büchlein einsetzt: "Der Mensch ist ein Landwesen, ein Landtreter." Der ins Literarische hinüberspielende Stil von 'Land und Meer', dessentwegen das Buch von vielen zu Recht in sprachlicher Hinsicht als Schmitts bestes bewertet wird, erklärt sich nicht nur aus der Widmung an seine damals elfjährige Tochter: "Meiner Tochter Anima erzählt." Er verdankt sich auch einer geschichtsphilosophischen Erzählweise. Indem das Buch die europäische Geschichte in menschheitsgeschichtlichen Begriffen deutet, arbeitet es allerdings Schmitts ausdrücklichem Anliegen entgegen, dem Schatten des Mythos zu entkommen. Dieses jedenfalls war die Konsequenz, die er in seinem Hobbes-Buch aus der dort kritisierten Deutung der Staatsform mit Hilfe des Leviathan-Motivs formuliert hatte - wie bereits der Untertitel "Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols" signalisiert.
This article analyses processes of collective and individual identity formation in European travel writing from the late eighteenth and the middle of the nineteenth century and argues that these processes are based not least on the national stereotypes described and performed in the texts. I explore how the genre-specific stylistic elements of multilingualism and intertextuality inform the performance of auto- and hetero-images and in doing so suggest converging travel writing studies and imagological studies. To illustrate my thesis, I analyse travelogues by Charles Dickens and Karl Philipp Moritz.
Das, was wir Kulturproduktion nennen, ist nicht per se antithetisch zur Macht. Der 'bösen' Realität der Politik steht nicht die 'gute' Fiktion der Künstler gegenüber. Wer Literatur produziert, Bilder in die Welt setzt oder vor einer Kamera agiert, ist nicht automatisch 'gut'. Wie z. B. der amerikanische Performancekünstler Vito Acconci betont, besteht vielmehr ein vorgängiges Verhältnis zwischen der Realität der Macht und ihrer Fiktionalität, und die übliche Verwunderung darüber, wie Metaphern, Witze, oder überhaupt Fiktion zu Wirklichkeit werden, wird weiter bestehen, wenn man hier eine Demarkationslinie zieht. Wie Adorno betont, entscheidet sich gesellschaftlich an den Kunstwerken, "was an Inhalt aus ihren Formstrukturen spricht." Es ist genau dieser Aspekt ästhetischer Wirksamkeit, der Regis Debray dazu brachte, zu behaupten, dass "der Mai 68 der Studenten wie auch die Revolutionen des 19. Jahrhunderts vom italienischen Theater gestaltet wurden, mit seinen Holzbühnen, szenischen Posen, emphatischen Gesten und klangvollen Slogans." Wie Debray betont, war dies "die letzte große Theateraufführung der Geschichte". Meine These ist nun, dass sich an diesem vorgängigen Verhältnis zwischen der Fiktion der Macht und der Realität der Macht vor allem die politischen Identitätsdiskurse der letzten Dekaden – insbesondere diejenigen seit 1989 – festmachen lassen. Um es anders zu formulieren: Dort, wo Identität behauptet, demonstriert oder zelebriert wird, fiktionalisiert sich die Politik – bzw. umgekehrt: Dort, wo Politik theatralisch wird, ist auch ein Identitätsdiskurs nicht fern.
Dort, wo es zu einem intensiven kulturellen Kontakt, Austausch und Transfer zwischen Gemeinschaften kommt, lassen sich Kategorien wie Identität und Alterität nicht immer scharf voneinander trennen, sondern erscheinen eher als "ständig zu aktualisierende soziale Konstruktionen" (NEULAND 2013: 168). Sie können zudem auch zu transkulturellen innovativen sprachlichen Schöpfungen führen. Die Sprache ist wegen ihrer identitätskonstitutiven Funktion fester Bestandteil des Modells der multiplen Sprachidentität von Marijana KRESIĆ (2007). Ausgehend von diesem Modell wird im Beitrag das enge Verhältnis von Identitätskonstruktion - Standardsprache - Sprachgebrauch diskutiert und anhand von ausgewählten Beispielen dargestellt. Die identitätskonstitutive Funktion der Sprache basiert auf der Selektion von Normen aus dem Sprachsystem, wobei der Sprechende durch die Verwendung sprachlicher Zeichen, "seine (soziale und/oder personale Identität) [begründet], d.h. er markiert, wer er als Individuum ist bzw. welcher sozialen Gruppe er zugehört" (KRESIĆ 2007: 19). Im Rahmen der Besprechung dieses Konzepts wird geprüft, wie Formen interkulturellen Sprachgebrauchs (z. B. Kiezdeutsch) in dieses Modell eingefügt werden können.
Tagungsbericht: Interdisziplinäre Tagung an der Université Paris-Sorbonne unter der Schirmherrschaft I. E. der Deutschen Botschafterin in Frankreich, Frau Dr. Susanne Wasum-Rainer, 10. bis 14. Oktober 2012
Nach einer ersten grundlagenorientierten Konferenz (Faszinosum 'Klang'. Anthropologie - Medialität - kulturelle Praxis, Wien 2010; ein entsprechender Sammelband erscheint 2013 im de Gruyter Verlag) hat die AG Klang(welten) der "Jungen Akademie" das Phänomen 'Klang' nun auf einem zweiten Symposion stärker kulturtheoretisch und sozialhistorisch fokussiert. Die Tatsache, dass Klang, Ton, Musik nicht zuletzt seit Beginn der Moderne (national)kulturell identitätsstiftend gewirkt haben (und dies in verschiedenen Kontexten bis heute tun), ist aus geistes- wie gesellschaftswissenschaftlicher Perspektive wiederholt thematisiert worden. Dennoch fehlte bis dato ein systematisch orientierter Versuch interdisziplinärer Synopse, der die kritische Reflexion des in den Einzeldisziplinen Geleisteten bzw. noch zu Leistenden einschloss. Diesem Desiderat trug die Pariser Tagung durch ein fächerübergreifendes Vortragsspektrum Rechnung - mit dem Ziel, diskursive Anschlussstellen zu benennen sowohl zwischen den einzelnen Forschungsbereichen als auch zwischen Wissenschaft(stheorie) und Kunst(praxis).
Im Folgenden [möchte ich] Licht auf exemplarische Krim-Schauplätze werfen - allen voran auf den Marinestützpunkt Sevastopol, die Künstlerkolonie Koktebel und den Nobelkurort Jalta, an denen im Zusammenhang mit der russischen Aneignung der 'terra incognita' eine nationalromantische Verklärung der Halbinsel deutlich wird, indem sie zu Schauplätzen des Sendungsbewusstseins eines russischen und später sowjetischen Imperiums wurden. Zudem werden Versuche von russischen bzw. russischsprachigen Schriftstellern aus der Zeit um 1900, aus der sowjetischen und der postsowjetischen Zeit dargestellt, die Halbinsel als geokulturelle Einheit jenseits hegemonialer Ordnungen und imperialer Legitimierungen zu begründen. Im Vordergrund steht dabei die Frage nach den diskursiven Verfahren zur Erzeugung des Krim-Raums, in denen im Rekurs auf die Geographie, als dessen grundlegendes Prinzip, die Beziehung von Land und Meer betont wird.
Transylvanian Saxons' migration from Romania to Germany: the formation of a 'return' diaspora?
(2013)
Processes and patterns of migration on a global scale have changed in profound ways during the last two decades (Smith and King, 2012). In the European context, this is exemplified by transformations to the traditional mobility patterns from East to West Europe (Koser and Lutz, 1998), with migrants more likely to be involved in temporary circular and transnational mobility (Favell, 2008). Since the end of the Second World War, historical and political events in Europe have facilitated the mobility of ethnic Germans from Eastern Europe to Germany. Subsequently, the fall of the Iron Curtain has permitted unrestrained East-West movements, which resulted in mass migrations towards the West and diaspora fragments in the East. However, after settlement in the West, ethnic Germans have also been absorbed within wider temporary and transnational movements (Koser, 2007). Within this context, this thesis examines the post-migratory lives of three generations of Transylvanian Saxons in Germany by exploring the cultural, social, economic and political dimensions of this community. This thesis aims to contribute to on-going academic debates about diasporas by explicitly responding to Hoerder s (2002) call for more studies on ethnic German diasporas. It shows that Transylvanian Saxons, who relocated to the ancestral homeland, do not disrupt identities and lives forged in diaspora, but rather, they negotiate complex identities and belongings in relation to both home and homeland . It reveals a double diaspora and the necessity to perceive identity and diaspora as dynamic processes and constantly evolving in relation to time, space and place. This double diasporic allegiance in the case of the Transylvanian Saxons suggests interrogating the formation of a return diaspora and its importance for processes of international migration.
Mit der Identität der Literatur selbst und mit dem institutionellen Rahmen ihrer Produktion und Rezeption wird sich der vorliegende Beitrag nicht weiter beschäftigen. Statt dessen soll auf der Textebene eines einzelnen Romans nach Spuren bestimmter, eher auf Europa als auf seine Bestandteile bezogene Identitätsmuster gesucht werden. Das Werk, das dieser Untersuchung zugrunde gelegt wird, Hilde Spiels zunächst 1961 auf Englisch erschienener Roman 'Lisas Zimmer' ('The Darkened Room'), bietet für diese Suche einen in mehreren Hinsichten aufschlussreichen Untersuchungsgegenstand. Der Roman spielt unter europäischen Emigranten in New York, deren Blick für die europäische Herkunft durch die Distanz geschärft ist. Der Roman arbeitet geradezu modellhaft mit europäischen Amerika-Bildern und projizierten amerikanischen Europabildern, womit ihm eine imagologische Perspektive quasi eingebaut ist.
Wilhelm von Humboldt leistet zweierlei: I. Er überträgt die Grundfigur des Klassizismus, das Eigene am Fremden zu verstehen, vom Altertum auf die modernen europäischen Nationen mit Hilfe seines Konzepts einer vergleichenden Anthropologie. 2. Er stellt die anthropologisch und geschichtsdiagnostisch zugleich intressierte Frage nach dem Potential, den Voraussetzungen, Bedingungen und Grenzen einer Nation, sich Fremdes aufzuschließen und anzuverwandeln. Damit gelang ihm gegenüber der dem Nationalgeist huldigenden Romantik zwar kein breitenwirksamer, aber ein für die deutsche Klassik richtungweisender Beitrag zur kulturellen Identitätsfindung. Er sollte bis in Goethes Weltliteraturvorstellung fortwirken.