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Die fragmentierte Verrechtlichung des internationalen Raums, die Proliferation von Regelungsarrangements jenseits des Staates und die Diffusion globaler Normen sowie die daraus resultierenden Geltungs-, Kompetenz- und Autoritätskonflikte sind seit geraumer Zeit ein in der sozialwissenschaftlichen Literatur viel diskutiertes Phänomen. Überlappungen von nationalen Regierungssystemen und von im Völkerrecht verankerten klassischen internationalen Regimen existieren seit der Schaffung des Westfälischen Staatensystems.In jüngerer Zeit verstärkte sich der Pluralismus normativer Ordnungen jedoch global durch neuartige Typen von Regelungsarrangements jenseits des Staates. Auch unter den zwischenstaatlich geschaffenen internationalen Institutionen finden sich solche, die autonome Handlungs- und Entscheidungskompetenzen zugesprochen bekommen haben und diese als Akteure mit eigener Subjektivität ausüben. Hinzu kommt eine immer stärkere Aufnahme von „behind the border issues“ in den Aufgabenkatalog dieser Regime und Organisationen (Zürn 2004). Diese Entwicklungen führen zu einem neuen Grad an Kontestation und Umstrittenheit globaler normativer Ordnungen. Weder die Herstellung einer einheitlichen globalen normativen Ordnung noch eine Re-Nationalisierung des Rechts erscheinen heute als realistische Zukunftsprognosen. Umso wichtiger ist es daher, sich mit den Auswirkungen dieses Pluralismus’ normativer Ordnungen zu beschäftigen.
Law is force of order. It reacts, usually with a necessary time delay, to technological pro-gress. Only twelve years after Samuel Morse presented the first workable telegraph sys-tem in New York in 1838 and six years after the first completed telegraph line from Wash-ington to Baltimore, central European states agreed on an international framework for tel-egraphs. It has been much more than twelve years since the technologies underlying the internet’s popularity today, such as the ‘World Wide Web’, were invented. No international framework has emerged, even though normative approaches abound. There are norms that are applied to the internet, but the recognition of the existence of an underlying, structuring order is missing. This motivates the present study.
Theorien des Rechtspluralismus treten überwiegend mit dem Anspruch auf, eine zutreffendere Beschreibung der Wirklichkeit normativer Ordnungen, namentlich der Rechtsordnung, einer Gesellschaft zu geben. Demnach geht das Recht aus vielerlei und verschiedenartigen Quellen hervor, es gibt eine Pluralität von rechtssetzenden Akteuren, Rechtsnormen verschiedener Herkunft überlappen sich in demselben sozialen Feld. Während diese Beschreibung auf historische Gesellschaften bis zur Epoche zentralisierter Nationalstaaten schon immer zutraf, sprechen viele Indizien dafür, dass auch die Entwicklung transnationalen und globalen Rechts zu einem neuen Rechtspluralismus geführt hat. Wer dagegen die Konzeption eines zentral gesetzten, hierarchisch geordneten, universalen und einheitlichen Rechts für einen Fortschritt gegenüber dem Zustand des Rechtspluralismus hält, müsste diesen kritisieren und überwinden wollen. Gegen diese Kritik wendet sich der normative Rechtspluralismus. Dafür wird vor allem seine höhere Responsivität gegenüber verschiedenartigen Rationalitäten einer komplexen Weltgesellschaft ins Feld geführt. Der Beitrag diskutiert verschiedene Varianten des normativen Rechtspluralismus und versucht zu zeigen, dass keine von ihnen ohne die Unterstellung eines gemeinsamen rechtlichen Sinnhorizontes auskommt.
Die Herausbildung normativer Ordnungen : zur Idee eines interdisziplinären Forschungsprogramms
(2010)
Ein geistes- und sozialwissenschaftliches Forschungsprogramm betritt mit der These, dass wir in einer Zeit tiefgreifender sozialer Veränderungen leben, kein Neuland. Ein thematischer Fokus auf die Frage der Herausbildung normativer Ordnungen mit Bezug auf die entsprechenden Verschiebungen, Umbrüche und Konflikte in verschiedenen Gesellschaften und auf transnationaler Ebene bringt dagegen etwas Neues und Wichtiges ans Licht. Das ist jedenfalls unsere Überzeugung.
Den Menschen als vernunftbegabtes Wesen, als animal rationale, zu begreifen heißt, ihn als rechtfertigendes Wesen anzusehen. Die Vernunft ist die Fähigkeit, sich anhand rechtfertigender Gründe in der Welt zu orientieren. Denn „ratio, raison, reason bedeutet“, wie Tugendhat hervorhebt, „ebenso sehr ‚Grund‘ wie ‚Vernunft‘. Das Vermögen der Vernunft ist die Fähigkeit, für seine Meinungen und für seine Handlungen Rede und Antwort stehen zu können; lat. rationem reddere, griech. logon didonai.“ Dieses Rede-und-Antwort-Stehen ist eine soziale Praxis kulturell und historisch situierter Wesen, die einerseits frei sind, ihre Gründe zu wählen und zu prüfen, andererseits aber daran gebunden, welche Gründe ihnen zur Verfügung stehen und welche als gut oder rechtfertigend gelten. Der Raum der Gründe ist ein Raum der Rechtfertigungen, die nicht nur Einzelhandlungen, sondern auch komplexe Handlungsordnungen, also soziale Verhältnisse und politische Institutionen, legitimieren.
Menschen sind aber auch erzählende Wesen. Der Raum der Gründe, in dem sie sich orientieren, ist kein nackter Raum einzelner Sätze oder gar Normen, sondern bevölkert von Narrativen.
Bis vor kurzem definierte das Grundgesetz die Grundstrukturen des öffentlichen Rechts in Deutschland, sei es im Bund, sei es in den Ländern. Heute wirken jedoch supranationale und internationale Institutionen machtvoll auf das soziale Zusammenleben in Deutschland ein. Zudem besteht eine neue Offenheit gegenüber Hoheitsakten anderer Staaten. Diese Europäisierung und Internationalisierung des Landes führen zur Frage, wie nunmehr die Grundstrukturen des öffentlichen Rechts in Deutschland begriffen werden sollen.
Diese Grundstrukturen sind Gegenstand dieses Beitrags, und zwar im Sinne von Grundprinzipien, welche alle in Deutschland wirksame öffentliche Gewalt einbinden. Der Beitrag kann dabei, entsprechend dem Stand der Erkenntnis, nur wenig gesichertes Wissen unterbreiten. Eine systematische, praxisleitende und vor allem prinzipiengesteuerte Dogmatik eines Rechts der Menschheit, eines kosmopolitischen Rechts, eines globalen Rechts, eines Weltrechts, eines Weltinnenrechts, eines transnationalen Rechts, ja selbst des Völkerrechts oder auch nur des öffentlichen Rechts im europäischen Rechtsraums, also etwas in Ansätzen dem deutschen Staatsrecht Vergleichbares, erscheint jenseits der Möglichkeiten, jedenfalls des Horizonts unserer Zeit. Vor diesem Hintergrund unterbreitet dieser Beitrag sein Verständnis des neuen Forschungsfeldes (I.), verankert die relevanten Prinzipien positivrechtlich und skizziert sie in ihrem Gestaltungsanspruch (II.), und erörtert ihr gegenseitiges Verhältnis, um dadurch die Gesamtkonstellation zu beleuchten (III.).
Die fragmentierte Verrechtlichung des internationalen Raums, die Proliferation von Regelungsarrangements jenseits des Staates und die Diffusion globaler Normen sowie die daraus resultierenden Geltungs-, Kompetenz- und Autoritätskonflikte sind seit geraumer Zeit ein in der sozialwissenschaftlichen Literatur viel diskutiertes Phänomen. Überlappungen von nationalen Regierungssystemen und von im Völkerrecht verankerten klassischen internationalen Regimen existieren seit der Schaffung des Westfälischen Staatensystems.In jüngerer Zeit verstärkte sich der Pluralismus normativer Ordnungen jedoch global durch neuartige Typen von Regelungsarrangements jenseits des Staates. Auch unter den zwischenstaatlich geschaffenen internationalen Institutionen finden sich solche, die autonome Handlungs- und Entscheidungskompetenzen zugesprochen bekommen haben und diese als Akteure mit eigener Subjektivität ausüben. Hinzu kommt eine immer stärkere Aufnahme von „behind the border issues“ in den Aufgabenkatalog dieser Regime und Organisationen (Zürn 2004). Diese Entwicklungen führen zu einem neuen Grad an Kontestation und Umstrittenheit globaler normativer Ordnungen. Weder die Herstellung einer einheitlichen globalen normativen Ordnung noch eine Re-Nationalisierung des Rechts erscheinen heute als realistische Zukunftsprognosen. Umso wichtiger ist es daher, sich mit den Auswirkungen dieses Pluralismus’ normativer Ordnungen zu beschäftigen.