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Tiere stellen im Werk und Denken Elias Canettis eine ebenso zentrale wie komplexe Bezugsgröße dar, die nicht nur im Kontext der zeit- und menschheitsgeschichtlichen Diagnostik von "Masse und Macht" und im Zusammenhang mit dem für ihn zentralen Begriff der Verwandlung, sondern auch in seinen Aufzeichnungen eine entscheidende Rolle spielt. Canetti nimmt damit teil an einer für die Moderne kennzeichnenden Entwicklung, die dazu führt, dass die bis dahin vorherrschende anthropozentrische Perspektive auf das Verhältnis von Mensch und Tier aufgegeben wird. Schon im 19. Jahrhundert rückt das Tier - trotz Kants weitgehender Affirmation der cartesischen Bestimmung des Tiers als einer Sache - dem Menschen zunehmend näher, zum einen bedingt durch die fortschreitende naturwissenschaftliche Abwendung von den bis dahin gültigen Klassifikationen, zum andern veranlasst durch die Umwälzungen der Darwinschen Evolutionstheorie. Nicht zufällig lassen sich in der Literatur des 19. Jahrhunderts dann vielfältige Versuche und Formen ausfindig machen, die die Transgression von Mensch und Tier zu gestalten suchen und die bis dahin geltenden, gleichermaßen klaren wie starren Grenzziehungen unterlaufen und in Frage stellen, eine Entwicklung, die sich im 20. Jahrhundert noch einmal verstärkt
Welchen Wert hat das Ungeschriebene für die Literaturwissenschaft? Die intuitive Antwort wäre wohl: keinen, beschäftigt sich die Philologie als Realwissenschaft doch mit dem tatsächlich Vorliegenden … einerseits. Andererseits ist das bloß Imaginierte nicht nur eine starke kreative Kraft und notwendige Vorstufe des Geschriebenen im Prozess des Schreibens, es kann als Spielmarke nicht bloß der Selbst-, sondern auch der Fremdanregung dienen, als Ankündigung, Absichtserklärung, Versprechen etc. Diese Phantomliteratur erhält also erstens eine Wirkkraft, obwohl sie nicht vorhanden ist, sie ist zweitens stets textuell oder zumindest parasitär textuell, weil sie als Referenz benannt sein muss, ihre Planung und der Wille zum Text, wie ernsthaft auch immer er gemeint ist, muss zumindest angedeutet werden. Und drittens liegt ihr irritierendes und mithin aktivierendes Potential genau darin begründet, dass sie nicht vorliegt, da sie als Störfall stets die Bedingungen der Produktion und unartikulierte Vorannahmen sichtbar macht, aber ebenso Akteure des literarischen Feldes dazu zwingt, sich zu ihr zu verhalten. Der Wert des Ungeschriebenen ist folglich nicht stabil, schwankt, je nachdem, welche Rolle ihm zugemessen wird, ob man versucht, das Ungeschriebene zu verdrängen, zu tilgen oder es bewusst ausstellt und selbstgenerativ für neue Projekte heranzieht.
Meine Lektüre, die Canettis "Die gerettete Zunge" und Fontanes "Meine Kinderjahre" nebeneinanderstellt und gegeneinander führt, will nachweisen, daß beide Texte durch ein gemeinsames Bezugssystem definiert sind, durch das sie bedingt und hervorgebracht werden, das in ihnen aber auch mimetisch dargestellt ist und sich selbst thematisch wird. Die Koordinaten dieses Bezugssystems sind der Tod einerseits, die Kunst, genauer die Wirkungsmöglichkeiten der eigenen Dichterexistenz, andererseits. Beide Sujets stehen bei Fontane und bei Canetti in einem Ausschließungs- und einem Bedingungsverhältnis: der Tod, der allem Dichten ein Ende macht, ist gleichzeitig das, was den Schriftsteller dazu veranlaßt, gegen ihn anschreibend Leben in die Literatur zu retten - und damit auch, das ist der dialektische Umschlag: als Leben zu zerstören. Dieses Schreiben gegen den Tod, das Beschreiben des Todes und die Inszenierung des eigenen Dichtertums als Annihilation der Todesgefahr finden sich mit signifikanten Kongruenzen und ebenso signifikanten Inkongruenzen bei Fontane und Canetti. Versucht werden soll eine Annäherung an die beiden autobiographischen Texte durch eine Rekonstruktion der Schreibsituation von "Meine Kinderjahre" und "Die gerettete Zunge".
Von vielen Überlebenden, die über das Erlittene geschrieben haben, ist bekannt, dass auch sie Schuld empfanden - viele von ihnen konnten "nicht mehr heimisch werden in der Welt", die "Schmach der Vernichtung" nicht mehr austilgen. Nicht selten endete ihr Überleben im Freitod, wie bei Jean Améry, Paul Celan und Primo Levi.
In Elias Canettis jüngst posthum herausgegebenen Erinnerungen an die Londoner Jahre, Party im Blitz, gibt es den schönen Ausdruck der "Nichtberührungsfeste ", der die Besonderheit "englischer Parties" charakterisieren soll. Canetti hat seine autobiographischen Bücher gleichsam als Gegenentwurf dazu geschrieben: als Feste der Berührung, der menschlichen Kontakte. In der 'Geretteten Zunge' zumal geben die Figuren einander im buchstäblichen Sinne die Klinke in die Hand, wenn man die vielen wechselnden Länder, Pensionen, Institutionen bedenkt, in die sich der Knabe immer wieder aufs Neue einleben muß. "Die Kunst besteht darin", so Canetti über die gesellschaftlichen Spielregeln seiner Wahlheimat, "einander so nahe zu sein und doch nichts Wichtiges von sich zu verraten. […] Wer etwas Besonderes ist, hat es sorgfältig zu verbergen."
Diese Umstände mögen erklären, warum die englische Literatur nur wenige Autobiographien von weltliterarischem Rang hervorgebracht hat. Die explosionsartige Zunahme britischer Autobiographien seit der Mitte des 20. Jahrhunderts geht denn auch mit dem Niedergang des Gentlemanideals einher. Canettis Schreiben über sich selbst ist eine Reaktion auf seine Exilsituation in England, wo er immerhin seit 1938 ansässig war. Wissentlich begeht er den ultimativen Fauxpas, nämlich hemmungslos über die eigene Person zu sprechen. Er kompensiert damit all die abgebrochenen Gespräche, er entbirgt sich in einer Weise, die seinem britischen Umgangskreis ein Grauen gewesen sein wird.
A língua como pátria
(2006)
It is our aim to focus on certain aspects of the complex relationship between language – particularly German – and homeland/identity as seen in the work of a number of Jewish poets and authors. Initially we wish to point out this conflicting relationship in the work of Paul Celan and Rose Ausländer, two Jewish poets born in Romania. The examples of Viktor Klemperer and Ruth Klüger emphasize the complexity of this specific characteristic in the biography/work of German authors of Jewish origin. Elias Canetti, the Nobel Laureate born in Bulgaria, is a literary personality whose biography shows the importance of German culture influence in Eastern Europe at the beginning of the Twentieth Century: Canetti considers himself a German poet who belongs to the German-speaking cultural and literary world.