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Die Verunsicherung auf dem Feld zeitgenössischer Kunst berührt nicht nur die Frage nach der Qualität von Kunst, sondern auch jene der Grenze zwischen Kunst(werk) und ihrem (bzw. seinem) jeweiligen Außen. [...] Kunst, die einen herkömmlichen Werkbegriff in Frage stellt (und vom breiten Publikum oft abgelehnt wird), aber doch verortet und verortbar und daher, zumindest weitestgehend, als Kunst erkennbar ist, soll im folgenden Gegenwartskunst genannt werden, die in den Alltag integrierte und intervenierende und manchmal nicht als Kunst wahrgenommene Kunst als Situationskunst. Gegenwartskunst setzt ihre Autonomie und eine klare Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst voraus, Situationskunst (die man als eine radikale Ausformung und somit als Teil der Gegenwartskunst ansehen könnte) sät Zweifel an der Kunstautonomie, auch wenn sie diese häufig als Argument gegen Anrufungen oder Übergriffe von Politik, Religion oder Alltagswirklichkeit verwendet bzw. verwenden 'muss'. Bei beiden Formen, die sich in vielen Fällen überschneiden, wird im herkömmlichen Sinne nichts mehr erschaffen ('poesis'), sondern etwas gefunden bzw. letztlich 'einfach' etwas getan ('praxis'). In beiden Fällen versteht sich nichts mehr von selbst: Es ist in der Rezeption - zumindest im ersten Moment - unklar, ob wir es überhaupt mit Kunst zu tun haben. In anderen Worten: Wir können uns im Moment des Ausstellungsbesuches also nicht auf unsere Sinneswahrnehmungen, auf unsere Erfahrung und auf unser implizites (Vor-)Wissen verlassen, wenn wir wissen wollen, womit wir es zu tun haben und was das alles soll. Wir benötigen also nicht zuletzt Erklärungen und Erläuterungen (die wieder zu implizitem Wissen gerinnen können) - und das ist ein Grund, warum zeitgenössische Kunst für die Komparatistik interessant sein könnte. Davon wird noch zu sprechen sein. Die Begriffe Gegenwarts- und Situationskunst decken einen sehr weiten Bereich von Phänomenen ab. Daher wird das Folgende eine kursorische Skizze werden, bei der in erster Linie auf solche Phänomene und ihre Gemeinsamkeiten abgezielt werden soll, die für die Komparatistik von Interesse sind. Im Zentrum steht nicht eine genaue Analyse und Interpretation von Phänomenen, sondern die Frage, was im Hinblick auf die Disziplin der Komparatistik spannend für Analyse und Interpretation wäre. Die im Folgenden diskutierten Phänomene und Beispiele befinden sich auf jeden Fall in der Peripherie der Komparatistik mit allen Nachteilen, welche die Arbeit in Peripherien mit sich bringt.
Genau wie Schlegel wandte sich auch Adam Müller in seinen ebenfalls in Wien gehaltenen Reden und Vorlesungen an ein Publikum, das nicht auf die institutionalisierte Gelehrsamkeit beschränkt blieb. Müllers Überlegungen zur Wissenschaft untersucht Peter Schnyder unter dem Gesichtspunkt ihres komplexen Gegenwartsbezugs. Habe 'Gegenwart' bis weit in das 18. Jahrhundert hinein primär eine räumliche Relation gemeint, komme es in Müllers Gebrauch des Begriffs zu einer systematischen Amalgamierung von Raum und Zeit, da Wissenschaft in seinen Augen auf ihren Adressatenkreis möglichst direkt einzuwirken habe. Bezeichnenderweise teile Müller die Rhetorikaversion Kants und weiter Teile der Philosophie durchaus nicht, vielmehr bedürfe es ihm zufolge einer neuen Rhetorik, um eine möglichst große "Wechselwirkung zwischen der Gegenwart des Redners und derjenigen des Publikums" erzielen zu können. Freilich stellten solche Überzeugungen einen ähnlichen performativen Selbstwiderspruch dar wie bei Fichte, denn Müller habe stets "aus einem zuvor sorgfältig konzipierten Manuskript" gelesen.
Mit dem DFG-Netzwerk werden Bestrebungen aus der Literaturwissenschaft, der Theaterwissenschaft und der künstlerischen Forschung zusammengeführt, um die theoretische Erforschung von deutschsprachiger Gegenwartsdramatik produktiv voranzutreiben. Ziel ist es, in transdisziplinärer Absicht nach neuen Impulsen für eine zeitgemäße Theatertexttheorie zu suchen und den analytischen Austausch über die Dramatik der Gegenwart zu intensivieren.
In der Bekämpfung eines Virus scheint die Zeit aus den Fugen, Unsicherheit und Prekarisierung werden normal - es ist eine Zeit identitärer, individualisierender Immunisierung. Wie kann dann aber eine Zeitlichkeit verstanden werden, die das "Normale" infrage stellt? Isabell Lorey argumentiert für eine queere Zeitlichkeit, die es ermöglicht, in der Gegenwart unruhig zu bleiben. Sie plädiert für eine Sozialität, die auf wechselseitiger Sorge und queeren Schulden basiert und an gemeinsamer kontaminierender Immunisierung interessiert ist.
Der Beitrag präsentiert die theoretischen Vorschläge, die das Bonner Graduiertenkolleg "Gegenwart/Literatur. Geschichte, Theorie und Praxeologie eines Verhältnisses" erprobt und weiterentwickelt. Im Zentrum stehen neben der grundsätzlichen Theoretisierung und Historisierung des Verhältnisses von 'Gegenwart' und 'Literatur' die Konsequenzen des 'practice turn' für die Gegenwart/Literatur-Forschung, die theoretischen Grundlagen ihrer Wissenschaftsgeschichtsschreibung und insbesondere die Bedeutung von Referenz und Referenzierung.
Ein Geigenbogen streicht im bedrohlichen Gleichmaß über eine Saite, synthetische Beats treiben pulsierend nebenher, dann setzt der leiernde Klang eines Theremins ein. Stöhnen, Flüstern, Rascheln. Noch bevor der Besucher Nathalie Djurbergs bizarren Fiebertraum aus Perversion und Lust, Märchen und Urangst, Verdrängtem und Begehrtem zu Gesicht bekommt, nimmt ihn die bedrückende Geräuschkulisse Hans Bergs gefangen. ...
The development of extended and multimedia narrative forms has changed our conception of reading. When we read or watch a text, we realize that surrounding elements are just as important as those placed at the center of our attention. Based on two case studies, a webdocumentary entitled "Prison Valley" and the concept of 'hyper reading' elaborated by N. Katherine Hayles, this article demonstrates how simultaneity turns out to be a determining parameter in the reception of non-linear narrative forms. By accentuating the spatial aspect of the page/screen, simultaneity crystallizes the two fundamental components of the contemporary, which are differentiation and contiguity, within the limits of the individual reading experience. What I call "simultaneous reading" becomes thus a laboratory to fully grasp the heterogenous nature of the contemporary, in both its subjective and its paradigmatic dimensions.
Sucht man nach Gründen für die Präsenz der Romane Dostojewskis in der gegenwärtigen globalen Kultur und insbesondere auf den Theaterbühnen Europas und der Welt, so stößt man zunächst auf eine Rezeptionsgeschichte, die bereits mehr als ein Jahrhundert andauert. Die Romane haben sowohl in ihrer Form als auch in ihrem Inhalt die literarische und kulturelle Moderne entscheidend vorangetrieben, sie bieten aber zugleich auch ein Beispiel radikaler Modernekritik und offenbaren mit besonderer Deutlichkeit die Ambivalenz der Moderne, die ihr Gegenteil oder ihren Widerspruch, die Antimoderne, in sich birgt. In besonders scharfer Form tritt dies in der Antinomie zu Tage, die sich in allen Romanen belegen lässt: sie stellt die schöpferische, originelle, ursprüngliche, mystisch-tiefe russische Kultur gegen die technisch-materialistische, sterile, abgeleitete, westliche Zivilisation. Am deutlichsten manifestiert sich diese Antinomie in Sankt Petersburg, in der Stadt, die unter dem Zwang der Neuerung und des Wandels stand, und in der die Instabilität von Menschenbild und Menschenordnung besonders krass zu Tage trat.