Filtern
Erscheinungsjahr
- 2022 (13) (entfernen)
Dokumenttyp
Volltext vorhanden
- ja (13)
Gehört zur Bibliographie
- nein (13)
Schlagworte
- Das Ganze (13) (entfernen)
Astrid Deuber-Mankowsky wirft einen Blick auf Alfred N. Whitehead und sein 1929 erschienenes Hauptwerk "Prozess und Realität. Entwurf einer Kosmologie". Zur Ausformulierung seines denkbar umfassenden Ziels einer "vollständigen" Kosmologie rekurriere Whitehead auf eine "systematische Philosophie des Prozesses". Whitehead sei davon überzeugt, dass die philosophische Erkenntnis sich den Ergebnissen der Relativitätstheorie und der Quantentheorie zu stellen habe und zugleich versuchen müsse, sich gegen deren Absolutheitsansprüche zu behaupten. Während die Quantentheorie gezeigt habe, dass sich kleinste Teilchen diskontinuierlich zueinander verhalten, beharre Whitehead auf der Möglichkeit, ein Ganzes zu denken und am "Prinzip der Kontinuität" energisch festzuhalten. Sein Bemühen ziele darauf ab, das berühmte, auch von Leibniz systematisch aufgegriffene Diktum "natura non facit saltus" wieder in sein Recht zu setzen. Die Spannung zwischen Kontinuität und Atomizität begreife Whitehead konsequent als "Komplementarität", ein entscheidendes Relais hierfür stelle seine Entdeckung der "realen Potentialität" dar. Anders als man vielleicht zunächst annehmen könnte, steht Whiteheads Interesse an Leibniz damit nicht in fundamentalem Widerspruch zu dem Latours, umso weniger als eine Zäsur zwischen Natur und Sozialem oder eine Einschränkung von Subjektivität auf den Menschen schon für Whitehead keine Verbindlichkeit mehr besaß.
Siarhei Biareishyk beschäftigt sich mit Spielarten der Kritik an der platonischen Ideenlehre, die er von der epikureischen Tradition über Spinoza bis hin zu Deleuze verfolgt. Diese habe ein Denken von prozessualer und "modaler Ganzheit" ("modal whole") herausgebildet, das gerade auf die Instabilität und die Endlichkeit des Ganzen abhebe. Damit arbeite sie der Vorstellung sowohl einer möglichen Pluralität von Ganzheiten als auch der einer inneren Heterogenität jedes einzelnen Ganzen bis heute überzeugend zu. Im Gegensatz zu einem von vornherein als übersummativ konzipierten Ganzen entfalte diese Tradition Formen des Ganzen, die dynamisch sind und sich prozesshaft konstituieren. Biareishyk versteht das als Chance, Diversität und Disparatheit philosophisch fundieren zu können, ohne die Hoffnung auf Ganzheit(en) preisgeben zu müssen. Lukrez und Spinoza attestiert er auf diese Art und Weise philosophisch wie politisch ein ganz ähnliches Potential wie das, das Latour oder Cuntz in der Leibniz'schen Monadologie sehen.
Formen des Ganzen
(2022)
Die politischen Krisen der Gegenwart (Klimawandel, Migration, Pandemie) verlangen nach globalen und ganzheitlichen Lösungen, während Ganzheit aufgrund der Totalitarismuserfahrungen des 20. Jahrhunderts zugleich eine in Verruf geratene Kategorie ist. Dieser Spannung haben sich die Geisteswissenschaften seit einigen Jahren verstärkt zu stellen versucht. Galt das Ganze v. a. der Idealismuskritik lange als suspekt, geht die Verabschiedung überkommener Totalitätsmodelle derzeit oft mit der Erprobung neuer Vorstellungen von Ganzheit einher. Ausgehend von diesem Befund fragt der Band nach der inneren Organisation, den Ausdrucksweisen und den Formen, die das Ganze konzeptionell überhaupt erst generieren. Neben begriffsgeschichtlichen Überblicken etwa zu 'System', 'Organismus', 'Aggregat' oder 'Gestalt' werden dabei die historischen Konjunkturen einer genuinen Vielfalt des Ganzen in der philosophischen, ökologischen, literarischen und poetologischen Tradition untersucht.
Im ersten Teil, "Grundbegriffe", werden einige der wichtigsten und gewissermaßen klassischen Grundbegriffe des Ganzen in der Moderne und einige seiner neueren Modellierungen überblicksartig skizziert. Dabei ist der Anspruch nicht, das verfügbare begriffs- und ideengeschichtliche Wissen zu ergänzen oder zu reproduzieren. Vielmehr geht es darum, den Begriff möglichst auf die Frage nach seiner Bedeutung heute hin zuzuspitzen oder von da aus zu perspektivieren. Teil II und III widmen sich in längeren Beiträgen aus unterschiedlichen Perspektiven zunächst den Teilen und der Ganzheit und anschließend Prozesslogiken des Ganzen. Die Beiträge des vierten Teils gelten dann hypothetischen Ganzen im erläuterten Sinne. [...] Vom ersten Teil mit den "Grundbegriffen" abgesehen, wurden Perspektive, Gegenstände und Zugangsweisen den Autorinnen und Autoren anheimgestellt. Die einzige Vorgabe war, sich auf die Frage nach dem Ganzen und seinen Formen einzulassen. Entsprechend unterschiedlich sind die Antworten. Als Tendenz zeichnet sich jedoch ab, dass Formen des Ganzen die heutigen Geistes- und Kulturwissenschaften wieder mehr und vielfältiger beschäftigen, es sich beim Ganzen also doch noch oder wieder (und keineswegs nur in der Philosophie) um eine Orientierungsgröße handelt. Und es wird auch deutlich, dass dabei tradierte Gegensätze erodieren oder sich verschleifen, während andere in den Vordergrund rücken.