Refine
Document Type
- Article (2)
Language
- German (2) (remove)
Has Fulltext
- yes (2)
Is part of the Bibliography
- no (2)
Keywords
- Das Echolot (Werk) (1)
- Erzähltechnik (1)
- Kempowski, Walter (1)
- Kempowski, Walter / Das Echolot <Werk> (1)
- Literarische Montage (1)
- Literatur (1)
- Montage <Künste> (1)
- Montagetechnik (1)
In den Jahren von 1993 bis 2004 veröffentlichte Walter Kempowski den Zyklus 'Das Echolot. Ein Kollektives Tagebuch'. In zehn Bänden wurden mit Hilfe von Zitaten aus Dokumenten von Zeitzeugen entscheidende Phasen des Zweiten Weltkriegs wie die Invasion der UdSSR und die Schlacht um Stalingrad dargestellt. Abschnitte aus Tagebüchern, Briefen, Erinnerungen, Reden, Militärberichten und Radiosendungen wurden nach den Tagen angeordnet, an denen sie entstanden waren oder auf die sie sich bezogen (im Fall der Erinnerungen); sie bildeten so eine kollektive Darstellung des Krieges, die sich aus den Perspektiven von Personen verschiedener Gesellschaftsschichten zusammensetzt: Politiker, Militärs, Intellektuelle, deutsche Zivilisten, Juden und andere Opfer. Obwohl eine beträchtliche Anzahl von Texten aus bereits publizierten Büchern verwendet wurde, ohne die es kaum möglich gewesen wäre, ein vollständiges Bild des Zweiten Weltkrieges zu zeichnen, stammt annähernd die Hälfte der Zitate aus dem Archiv für unveröffentlichte Biographien, dessen Bestände der Autor im Laufe von mehr als zwei Jahrzehnten zusammengestellt hatte, indem er auf Flohmärkten und in Antiquariaten sowie durch Anzeigen nach Tagebüchern und Briefen aus der Zeit von 1900 bis 1950 suchte.
Die zehn Bände, die das kollektive Tagebuch 'Das Echolot' ausmachen, bilden vom ästhetischen Gesichtspunkt gesehen eine gigantische Montage von Zitaten ohne inhaltliche Texte des "Autors" in Form von Kommentaren oder verbindenden Erzählungen. Diese formalen Eigenschaften wurden sowohl von Carla Damiano in ihrer Dissertation Walter Kempowski's "Das Echolot" als auch von Kai Sina in Sühnewerk und Opferleben untersucht, aber beide beziehen sich vor allem auf die vier ersten Bände, Das Echolot '43. Die Form der Montage von Fremdtexten mit ihren Verfasserangaben erweckt beim Leser den Eindruck, dass Kempowskis Rolle sich auf die des Herausgebers oder "Kompilators" beschränkt, was z.B. von Holger Helbig vertreten wird. Mit Ausnahme der Vorworte ist in dem gesamten Zyklus die Stimme Kempowskis abwesend. Dieser Eindruck soll im vorliegenden Artikel korrigiert werden, indem die Tätigkeit des Autors bei der Auswahl und Kürzung seines Materials sichtbar gemacht wird.
Im Jahr 1980 begann der Schriftsteller Walter Kempowski, private Dokumente aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu sammeln, hauptsächlich Tagebücher, Briefe und Fotos. […] [E]r wollte das Archiv nicht nur der Forschung zur Verfügung stellen, sondern es auch selbst zur Herstellung literarisch-künstlerischer Werke nutzen. Zunächst dachte Kempowski an einen Fotokalender, gab diese Idee aber bald wieder auf. Erst 1987, als seine Assistentin Simone Neteler schon dabei war, die handschriftlichen Texte zu transkribieren, begann der Schrifsteller das Projekt eines „kollektiven Tagebuchs“ zu entwickeln. In dem Tagebuch sollte der gesamte Zweite Weltkrieg aus der Sicht unbekannter Menschen aus seinem Archiv vorgestellt werden; bald jedoch wurde ihm klar, dass ein solches „kollektives Tagebuch“ gewöhnlicher Menschen und dieses Ausmaßes nicht zu realisieren wäre. Einerseits wäre es eine immense Arbeit gewesen, andererseits wollte er nicht auf die Stimmen von Prominenten verzichten, um den Krieg in allen seinen Aspekten zu schildern. Deswegen wurden nur einige wichtige Perioden des Krieges ausgewählt und zusätzlich Texte von bekannten Intellektuellen, Künstlern und Politikern aufgenommen. […]
Das folgende Interview wurde im April 2010 mit seiner ehemaligen Assistentin Simone Neteler geführt. Hier berichtet sie über die Arbeit mit Kempowski, den Umgang mit den Dokumenten und die Entstehung des Echolot.