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Wie verhalten sich historische Textsemantik und bildsprachliche Semantik zueinander? Welche strukturellen Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede bestehen zwischen politischen Grundbegriffen und ihren Visualisierungen? Wie verändern sie sich in der 'Sattelzeit', an der Schwelle zur Moderne? Diesen Fragen versucht der folgende Essay nicht theoretisch, sondern empirisch anhand eines französischen Fallbeispiels nachzuspüren: der Ikonographie von République in der Zeit von 1789 bis 1889. Die exemplarischen Bildbelege entstammen der zeitgenössischen Gebrauchsgrafik, einem Printmedium relativ großer sozialer Reichweite, gesammelt im Fundus des Lexikons der Revolutions-Ikonographie. Begriffshistorische Vergleichsmöglichkeiten bietet u. a. das Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich.
Wilhelm Tell vor Schiller
(2005)
In der Schweiz repräsentierte die Figur Tells zwei Traditionen, einerseits den Helden, der das Selbstbewusstsein der Eidgenossen zum Ausdruck bringt, andererseits die Verkörperung der Unterdrückten generell. Im Stück des Berners Samuel Henzi 'Grisler ou l’Helvétie délivrée' (1748) steht die Figur des Despoten Grisler im Zentrum, dem sich Tell widersetzt. Nachdem der Tyrann gestürzt ist, wird ein republikanisches Programm verkündet, das auf der Idee der Gleichheit vor dem Gesetz beruht. In der Tragödie 'Guillaume Tell' (1766) von Antoine-Marin Lemierre werden Tugend und Freiheitssinn mit dem topologischen Motiv der Berge in Verbindung gebracht. Tell erscheint hier nicht mehr als Einzelgänger, sondern als einer der Mit-Eidgenossen. Zur Zeit der Französischen Revolution wird Wilhelm Tell neben Brutus zu einer emblematischen Figur des Widerstandes des Volkes gegen die Tyrannei und das Stück von Lemierre kennt nun eine große Resonanz. Auch Schiller assoziierte in seinem 'Wilhelm Tell' (1804) die Idee der Schweizer Freiheit an die Vorstellung einer sublimen Natur, wie sie in den Reiseberichten verbreitet wurde. Sein Stück widersetzte sich jedoch der Vereinnahmung der Figur Tells durch die Jakobiner und beschwor eine Gemeinschaft, die auf Brüderlichkeit beruhte, die das alte Gesellschafts-Modell, das durch die Figur des Über-Vaters geprägt war, ablösen sollte.
Es sind literarische Texte, die das Corpus des folgenden Beitrages ausmachen. Die Fragen, die an diese Texte gestellt werden, sind indes sozialgeschichtlicher Natur: Über welche sozialen Gruppen wird gelacht? Welche Haltung wird durch die Komik zum Ausdruck gebracht? Wird durch das Lachen die bestehende soziale Ordnung bestätigt oder in Frage gestellt? Diese drei Fragen sollen für den Bereich der französischen Literatur in drei Schritten untersucht werden: zunächst soll nach der Funktion der Komik im Ancien Régime im Zusammenhang mit dem hierarchischen Gattungssystem, das mit der sozialen Hierarchie in Verbindung steht, gefragt werden; danach gilt es, die Funktion der Komik nach der Französischen Revolution mit dem Einbruch des Gattungs- und Sozialsystems zu untersuchen; ein letzter Abschnitt gilt der Wiederentdeckung Rabelais’ durch die romantische Generation mit ihrer Neueinschätzung des Komischen.
Für die Erforschung geselligen Literaturlebens im 18. Jahrhundert sind syste-matische, landesgeschichtlich fundierte Studien erforderlich, die in den Archiven vor Ort die Entstehung und Verbreitung von literarischen Gesellschaftsformen innerhalb eines Territoriums oder einer Landschaft aufarbeiten. Monika Neugebauer-Wölk weist in der Einführung zu Holger Zaunstöcks Studie Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen zu Recht darauf hin, dass die Erforschung von aufklärerischer Geselligkeit und Lesekultur sich hauptsächlich an der Kultur-, Alltags- und Mikrogeschichte zu orientieren hat. Die Vorstellung des Gründungsvorhabens einer reinen Frauengesellschaft in der mittelhessischen Universitätsstadt Gießen um 1789/1790 soll einen Baustein zu der Frage nach explizit weiblichen literarischen Geselligkeits- und Organisationsformen im Umfeld der Französischen Revolution beisteuern. Im Mittelpunkt der hier zu beschreibenden literarischen Aktivitäten steht die Schriftstellerin, Redakteurin und Journalistin Henriette Charlotte Hezel, die 1779 in Ilmenau bei Weimar das Frauenjournal Wochenblatt für´s Schöne Geschlecht redigierte. Nach ihrem Umzug nach Gießen setzte sie am neuen Wirkungsort ihr literarisches Engagement fort und projektierte eine reine Frauenlesegesellschaft, „wo kein Hauch männlicher Nation das Zimmer berühren soll“. Kurze Zeit später wurde sie Mitglied eines auf privater Basis organisierten weiblichen Lesezirkels in der Universitätsstadt. Hezel verließ damit den tradierten Erfahrungsraum des Privaten und trat als Schriftstellerin, Herausgeberin und Organisatorin einer reinen Frauenlesegesellschaft in die literarische Öffentlichkeit. Bemerkenswert an dieser Gründungsinitiative war die auffällige Affinität der Organisatorin zur radikaldemokratischen Geheimgesellschaft Deutsche Union, die von dem Radikalaufklärer Karl Friedrich Bahrdt 1787 gegründet wurde und im hessischen Raum ein wichtiges Wirkungsfeld besaß. Eine zentrale Rolle für die Verbreitung der Bahrdtschen Ideen in der hessischen Region spielte das Verlagsunternehmen Krieger, das verschiedene informelle Foren für den lite-rarischen Austausch zwischen den Mitgliedern der Geheimgesellschaft schuf. Für das Frauenleseprojekt in Gießen stellt sich deshalb die Frage, ob das aufkläreri-sche Leseprogramm der Deutschen Union für die Gründungsabsichten einer Frau-enlesegesellschaft in Gießen wesentliche Impulse lieferte. Eine zweite Frage zielt auf die mögliche überregionale Ausstrahlung dieses innovativen literarischen Projekts.
Als epochales historisches Phänomen zog die Französische Revolution Menschen unterschiedlichen Schicksals und entgegengesetzter Denkart in ihren Bann. Auf ihrer Bühne traten nicht nur Charaktere wie Camille Desmoulins auf, die ihr gewissermaßen mit Leib und Seele angehören und die ohne diesen brutalen Beschleuniger von Geschichte wahrscheinlich ein anonymes Leben auf den Hintertreppen der Gesellschaft nie verlassen hätten. Auch Männer wie Georg Forster, die längst in Wissenschaft und Literatur sich ein ihnen sicher angehörendes Stück Land erarbeitet hatten, ließen sich in sie hineinreißen. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß es in jenen letzten Monaten vor seinem Tod, die der in seiner Heimat verfolgte deutsche Aufklärer in Paris verbracht hat, zu einer persönlichen Begegnung zwischen den beiden so unterschiedlichen Schriftstellerpersönlichkeiten gekommen ist: der Revolutionskommissar Merlin de Thionville, mit dem Forster während der kurzlebigen Mainzer Republik zusammengearbeitet hatte und den er nun in Paris wieder aufsuchte, war ein enger Freund und zeitweilig sogar Koautor von Desmoulins.
Bei einem solchen Treffen, sollte es zustande gekommen sein, hätten die beiden Schriftsteller ihre divergenten Einschätzungen zum gegenwärtigen Stand der Revolution diskutieren können. Ursprünglich beide gleichermaßen vom Terror verschreckt, hatten sie in den letzten Monaten des Jahres 1793 dennoch sehr unterschiedliche Konsequenzen gezogen. Desmoulins überwand seine Angst vor der mörderischen politischen Repression (und wohl auch die Sorge, den eigenen Kameraden als Nestbeschmutzer zu erscheinen) und startete Ende des Jahres mit seiner Zeitschrift 'Le Vieux Cordelier' eine publizistische Kampagne gegen eine Revolution, die in seinen Augen ihre Ideale preiszugeben im Begriff war. Forster dagegen rang sich dazu durch, die Übel der aktuellen Lage als notwendiges Zwischenstadium zu akzeptieren. Wenige Wochen bevor Desmoulins seine neue Zeitschrift gründete, hatte er unter dem Titel 'Parisische Umrisse' eine Artikelfolge eröffnet, in der er seinen empfindsamen deutschen Lesern, gewissermaßen aus der Höhle des Löwen heraus, den Terror nahezubringen versuchte.
Viele der rezenten Studien zur Ästhetik des Monströsen nehmen auf Michel Foucaults Vorlesungsreihe Les anormaux Bezug, in der er u. a. der diskursiven Transformation des Monsters von einem somatischen hin zu einem moralischen Abweichungsphänomen nachgeht. Dass Foucaults Ausführungen mitunter nur unzureichend differenziert sind, soll der vorliegende Beitrag nachweisen. Auch wenn die Literatur in Les anormaux eine untergeordnete Rolle spielt, eher als peripheres Beleg- oder Anschauungsmaterial dient denn als Gegenstand einer eigenen Untersuchung, ist gerade sie es, die Foucaults genealogische Analyse der notwendigen Komplexitätssteigerung zuführen und ihre Leerstellen ausfüllen kann. Zu diesem Zweck werden exemplarisch Ovids Lykaon-Mythos aus dem ersten Buch der Metamorphosen sowie Mary Shelleys Roman Frankenstein, or, The Modern Prometheus herangezogen. Neben der gebotenen Korrektur von Les anormaux vermögen beide Texte Foucaults Befund von der diskursiven Produktivität des Monströsen zu bestätigen und anzureichern: Sowohl Ovid als auch Shelley dokumentieren eine Wertschätzung und Wertschöpfung des Monströsen und stehen damit quer zu konventionellen Narrativen, die das Monster als etwas rein Destruktives und Dämonisches oder als das radikal Andere des Menschen in Szene setzen, ohne auf die kulturellen Profite und anthropologischen Einsichten zu reflektieren, die sich aus jenem gewinnen lassen.