Refine
Year of publication
- 2009 (3)
Document Type
- Article (3)
Language
- German (3)
Has Fulltext
- yes (3)
Is part of the Bibliography
- no (3)
Keywords
- Plenzdorf (3) (remove)
Goethes Werther im gesellschaftlichen Kontext : Rezeptionsdokumente als Interpretationshilfen
(2009)
In seinem Werther-Aufsatz von 1936 hat Lukács ein bis heute häufig wiederholtes Interpretationsmuster skizziert: Werther als »Repräsentant einer >progressiven Bourgeoisie< in der >revolutionären Periode< ihrer frühen ideologischen und ökonomischen Entwicklung«. Das Werk wird von der DDR-Germanistik einem umfassenden Geschichtsprozeß eingeordnet, der Aufklärung, Sturm und Drang und Klassik umfaßt, und bei dem es »um den Aufstieg bürgerlichen Selbstbewußtseins, das Wachstum gesellschaftlicher Einsichten und die Eroberung immer neuer poetischer Provinzen« geht. Reuter betrachtet den Roman in diesem Sinn als »Brennspiegel des gesamten sozialen und politischen Zustandes in Deutschland« des späten 18.Jahrhunderts, wobei Werther im Streben nach allseitiger Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit ein »fortgeschrittenes bürgerliches Selbstbewußtsein« vertritt.
Die neuen Leiden des jungen W. wurden »bewußt auf Auslegbarkeit geschrieben« und irritierten die Kritiker durch »die ungeheure Breite der Assoziationsmöglichkeiten«. Durch die vier »strukturtragenden Schichten« oder Informationsebenen des Textes kommt es zu interferierenden Perspektiven: 1. die voranstehenden Dokumente (Zeitungsnotiz, drei Todesanzeigen), 2. »die szenisch-dialogisch objektivierte Erinnerungsperspektive der Eltern und Arbeitskollegen«, 3. die Kommentare Edgars »von jenseits des Jordans«, 4. »die Brechung und Verfremdung der gesellschaftlichen Beziehungen des Helden im Spiegel des Werther-Zitats und der Werther-Fabel«. Plenzdorf führt »seinen Edgar Wibeau gegen Edgar Wibeau« vor, indem er ihn aus dem Jenseits kritisch und ironisch zu sich Stellung nehmen läßt. Der Leser / Zuschauer wird vom Autor geschickt in »eine Mittelstellung zwischen Identifikation (Verständnis) und Distanz (Kritik)« manövriert, sein »Beurteilungs- und Wertungspotential« wird aktiviert.