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Hans-Georg Soldat rezensiert für die Eßlinger Zeitung die 1997 in der wissenschaftlichen Reihe des "Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der Ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik" erschiene Studie "Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik" von Joachim Walther. In drei großen Kapiteln - "Der Auftrag", "Der Apparat", die "Methoden" - legt Joachim Walther das Beziehunggeflecht von Stasi und Literaturszene offen. Vier Jahre hat der Schriftsteller dafür in der Berliner Gauck-Behörde die Ablagen der Stasi durchforscht, hat die Akten der Täter, der "Inoffiziellen Mitarbeiter" (IM) und ihrer Führungsoffiziere geschichtet und (sofern es ihm die Betroffenen erlaubten), auch Einsicht genommen in prominente Opferakten: "Operative Personenkontrollen" (OPK) oder "Operative Vorgänge" (OV). Welch eine tief deprimierende Lektüre. Natürlich wird die Literaturgeschichte der DDR nicht neu geschrieben werden müssen, aber kräftige Korrekturen an den Interpretationen sind wohl nötig. In kühler uns manchmal schon unerträglicher Sachlichkeit referiert das Buch Tatsachen, die zu wissen wichtig sind, um diktatorische Mechanismen zu verstehen.
"Ein einzelner Mensch kann einer Zeit nicht helfen oder sie retten, er kann nur ausdrücken, daß sie untergeht." Christa Wolf zitiert diesen Satz aus Kierkegaards Tagebüchern voller Trauer. In der Tat ist ihr neues Buch "Ein Tag im Jahr" nichts Anderes als ein Grabgesang auf die DDR. Ein fulminantes Memento, was bekanntlich Erinnerung und Mahnung einbegreift.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost den 1998 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen Debütroman "Die Gunnar-Lennefsen-Expedition" von Kathrin Schmidt. Wie hier die Phantasie Purzelbäume schlägt, purer literarischer Übermut, reine Lust am Fabulieren einhergehen mit inhaltlichem Ernst, die Groteske nahtlos hinübergleitet in die Tragödie (oder umgekehrt), wie bitterböse Attacken auf Männerwahn verbunden sind mit scharfsichtigen Beobachtungen DDR-eigener Piefigkeit - das hat es in der Folgerichtigkeit bisher nicht gegeben. Doch es birgt auch Gefahren. Während Kathrin Schmidt anfangs relativ streng zwischen Alltagleben und den phantastischen Expeditionen ins Unbewußte unterscheidet, verwischen sich später die Grenzen. Die Folge sind Beliebigkeit und ein Abrutschen ins unverbindlich Märchenhafte. Burleske und barocke Fülle sind nicht mehr von der Substanz her strukturiert, sondern nur noch Accessoires. Doch trotz aller Einwände ist das Buch ein Glücksfall. Es verkörpert eine selten gewordene Erzählkunst, einen im wahren Wortsinne fabelhaften Stoff aus genau jenen Träumen, aus denen das Leben besteht. Kathrin Schmidt hat sich damit in die Geschichte der deutschen Nachwendeliteratur eingetragen.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost den 1998 im Rowohlt-Verlag erschienen Roman "Trivialroman" von Hans Joachim Schädlich. Keine sinistren Helden hängen rum, sondern Gestalten wie Dogge, Biber, Qualle und Clarissa. Manche monologisieren - "Falls ein Feuer ausbricht, so bewahre Ruhe und rufe nicht 'Feuer'", sagt Qualle in die Stille. Ratte, Wanze und Aal sind nicht da, der Chef und die Äbtissin haben sich schon vor Tagen aus dem Staub gemacht. Trivialroman. Endzeitstimmung. Aber Dogge, Qualle, Biber, auch der Ich-Erzähler Feder, waren einmal Berühmtheiten. Was anfangs dem Leser Dunkel scheint, wird im Laufe der Lektüre dieses kokett "Trivialroman" überschrieben Romans zwar nicht heller, aber klarer. In kurzen Rückblenden enthüllt sich die Vergangenheit der Leute, halb Gangsterbande, halb Staatsverwalter, privilegiert und Privilegien gewährend. Allmählich werden ihre Konturen schärfer.
Hans-Georg Soldat rezensiert für NDR 3 / Radio 3 den 2002 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und von Katja Lange-Müller herausgegebenen Sammelband deutsprachiger Erzählungen: "Vom Fisch bespuckt. Neue Erzählungen von 37 deutschsprachigen Autorinnen und Autoren". Fast allen 37 meist noch jüngeren Autorinnen und Autoren dieses Bandes kann man literarische Kunstfertigkeit attestieren, die Fähigkeit, Sätze in nicht nur lesbare, sondern auch fesselnde Form zu bringen. Manches wirkt so makellos, dass man den Gedanken an Kunstgewerbe nicht mehr loswird, an jene marmorne Glätte, die keinen Raum mehr für die Fantasie des Lesers lässt. Noch wirkt manches eher gesucht, erkennbar ist das Bemühen, auf einen Plot zuzuschreiben - doch das alles ist eine Frage der Lebens-Erfahrung. Dafür findet man hier vielfach eine ursprüngliche, fast naive Frische, jenen deutlichen Spaß an Literatur, der einen mitreißt.
Hans-Georg Soldat rezensiert für NDR 3 / Radio 3 den 2002 im Suhrkamp Verlag erschienen Lyrikband "Frühjahrskollektion" von Kurt Drawert. Kurt Drawerts Sprache ist karg, überlegt, seine Bilder gleichsam effizient in einem durchaus aktuellen Sinn. "Frühjahrskollektion" heißt der schmale Band von Kurt Drawert, der sich natürlich nicht darin erschöpft, die allgemeine Eile zu beklagen, obwohl die "Zeit" in vielen Gedichten eine Rolle spielt.
Hans-Georg Soldat rezensiert drei verschiedene Neuererscheinungen aus dem Jahr 1999: Angelika Krauß' Roman "Milliarden neuer Sterne", Rita Kuczynskis Roman "Mauerblume. Ein Leben an der Grenze" und die von Anke Gerbert herausgegebene Sammlung von Erlebnisberichten "Im Schatten der Mauer. Erinnerungen, Geschichten und Bilder vom Mauerbau bis zum Mauerfall". Am Rande findet noch Thomas Brussigs Roman "Am kürzeren Ende der Sonnenallee" kurz Erwähnung.
Hans-Georg Soldat rezensiert Günter de Bruyns Aufsatzsammlung "Deutsche Zustände. Über Erinnerungen und Tatsachen, Heimat und Literatur" aus dem Jahre 1999. Fast unversehens für den Leser weitet sich die Betrachtung jüngster Gegenwart zu einer subtilen Analyse ihrer Wurzeln, wird zu einer deutschen Geschichtsschreibung allgemein, zur Darstellung der Verdrängungsprozesse, die dabei in Ost und West gleichermaßen eine Rolle spielen. Das Überzeugende daran ist, dass dies ohne jeden Eifer geschieht, unaufgeregt, überlegen und dennoch unglaublich engagiert.
Hans-Georg Soldat rezensiert Hartmut Langes Neuerscheinung aus dem Jahre 1999: "Eine andere Form des Glücks". Auch in seinem neuen Buch plädiert Hartmut Lange dafür, hinter der Oberffläche des gewöhnlichen Lebens eine tiefere Ebene der Existenz zu erkennen. Der Preis dieses Blicks hinter die Realität ist freilich Existenzgefährdung, Loslösung von den Bindungen des Alltags. Nur die wenigsten verarbeiten das, und wenn sich ihnen die Augen wieder verschließen, kehren sie umgehend und willig in ihren Trott zurück. Erinnerung ist vager als ein Traumbild.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost die 1998 im Rostocker Hinstorff-Verlag erschiene und von Barbara Heinze, der Bearbeiterin des Fühmann-Archivs in der Akademie der Künste, herausgegebene Biographie "Franz Fühmann. Eine Biographie in Bildern, Dokumenten und Briefen". Das Ergebnis ist erstaunlich und auf seine Art wohl ziemlich einzigartig in der neueren deutschen Literaturgeschichte. Barbara Heinze läßt ausschließlich Dokumente und Bilder sprechen, liefert also im wahren Wortsinne eine Collage: Zitate aus den Werken Fühmanns, vor allem natürlich mit autobiographischem Bezug, Protokolle aus Sitzungen des NDPD-Vorstandes, dem Fühmann nach Gründung der DDR eine Zeitlang angehörte, Stasi-Einschätzungen, Interview-Äußerungen, Stellungnahmen von Zeitgenossen und Schriftstellerkollegen - und immer wieder Fotos und Faksimiles. Aus Kindheit und Jugend, aus der Kriegsgefangenschaft, aus der Familie und dem offiziellen Leben, mit Freunden und späteren Feinden.