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Wenn Rechtstexte auf literarische Texte treffen, dann treffen Wahrheitsformen aufeinander. Es treffen unterschiedliche Weisen, Wahrheit zu produzieren, aufeinander. Zu den zahlreichen Unterschieden gehören, historisch bedingt, unterschiedliche Stile, die sich um die Objektivierung und "Subjektivierung" der Aussagen bilden. Das fängt bei den banalen "wir" und "man" rechtswissenschaftlicher Texte an, geht über allgemein gehaltene, enthistorisierende und systematisierende Definitionen bis zu einem Fussnotenapparat, der in manchen Rechtstexten beinahe jede Aussage als nachweisbare Aussage absichern soll. Die Rechtswissenschaft, zumal die deutsche, pflegt bei ihren Wahrheitsformen objektivierende Stile, die Literaturwissenschaft tut das nicht, nicht in dem Maße, sie lässt das Subjekt stärker in die Aussage einbrechen. Die Lage zwischen diesen beiden Disziplinen ist allerdings kompliziert, weil wiederum das Recht eine wirksame Subjektivierungsinstanz ist, die eben die Instrumente zur Verfügung stellt, um Aussagen an Subjekte zu binden. Sie hat die Unterschrift und den Urheber erfunden. In dieser Lage kann man also nicht einfach das Subjektive gegen das Objektive ausspielen. Von Anfang aber über das Zusammentreffen von Literatur und Recht in objektivierenden Stilen zu schreiben, schafft eine asymmetrische Ausgangslage, die ich gerne zugunsten einer symmetrischen Ausgangslage umgehen möchte – soweit das möglich ist. ...
Die Mühlen des Rechts mahlen langsam, aber gerecht. Zu dieser Abwandlung eines berühmten Sprichworts mag derjenige greifen, wer das jüngste Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Versammlungsrecht liest. Am 25.10.2017 entschied das Bundesverwaltungsgericht über den Tornado-Einsatz vom G8-Gipfel in Heiligendamm – über zehn Jahre, nachdem die damaligen Bundessprecher*innen der GRÜNEN JUGEND Jan Philipp Albrecht und Paula Riester gegen den Einsatz geklagt hatten. Gerade weil sich die staatliche Praxis im Umgang mit Versammlungen in jüngster Zeit immer stärker militarisiert und zugleich präventiv ausgerichtet hat, kommt dem leider in der Öffentlichkeit nicht hinreichend rezipierten Urteil (Pressemitteilung des BVerwG zu 6 C 45.16) eine grundsätzliche Bedeutung zu. ...
Das Recht – abstrakt und bilderfeindlich? Ein Fehlurteil. Denn schon immer hat das Recht zu sinnlichen Hilfsmitteln gegriffen, um sich den Menschen verständlich zu machen, teils auf realer, besonders gern aber auf sprachlicher Ebene. Die heutige Bilderflut ist jedoch auch für die Rechtswissenschaft ein neues Phänomen.
Während der Streit um den Verfassungsgerichtshof aus polnischer Sicht als mittlerweile beendet gilt, versucht die Europäische Union eine passende Lösung zu finden, die in der Empfehlung der Kommission geäußerten Forderungen durchzusetzen. Die regierende Partei "Recht und Gerechtigkeit" beschließt jedoch in der Zwischenzeit weitere Justizreformen, die genauso, wie das umstrittene Verfassungsgerichtshofgesetz, gegen die Grundsätze der Europäischen Union aus Art. 2 EUV, vor allem gegen die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, verstoßen können. ...
Die Dritte Option: Für wen?
(2017)
Sollte der Gesetzgeber eine Dritte Option im Personenstandsrecht einführen, so wird er sich damit auseinandersetzen müssen, wer Zugang zu dieser Dritten Option erhalten soll. Dieser Beitrag geht der Frage nach, was sich aus der Entscheidung vom 10. Oktober 2017 dazu entnehmen lässt: Muss die dritte Option neben inter*geschlechtlichen Menschen auch allen anderen offen stehen, die sich weder als Mann noch als Frau verstehen?
Multinormativität ist kein etablierter Begriff. Der Terminus bezeichnet zunächst einmal nur einen Forschungsschwerpunkt des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte. Die diesen Forschungsschwerpunkt konstituierende und die Einzelprojekte verbindende Leitfrage ist die nach dem Verhältnis von Recht zu anderen Regeln. Weiter ausgeführt ist dies in einem Aufsatz von Thomas Duve, der Überlegungen dazu enthält, wie Multinormativität erfasst werden kann. Erstens wird hingewiesen auf das analytische Potential der Theorieangebote der Rechtspluralismusforschung bzw. derjenigen Ansätze, die sich hieraus entwickelt haben (normative pluralism, jurisdictional pluralism, interlegality, pluralistic social-legal arenas), aber auch auf deren partielles Ungenügen bei der Erfassung der Fluidität der Interaktion verschiedener normativer Sphären. Zweitens wird auf den Stellenwert von Konventionen, verstanden als zu Routinen geronnene Anschauungen mit normativem Potential, aufmerksam gemacht. Und drittens wird unter dem Stichwort "Dynamik" darauf verwiesen, dass Normativität und das Verhältnis zwischen Normen nicht als statischer Zustand erfasst werden können, dass diese vielmehr in sozialen Praktiken hervorgebracht werden und sich mit ihnen wandeln. ...
Der viel diskutierte Begriff der "Multinormativität" steht heute in Konkurrenz zu dem des "Rechtspluralismus" und der "Diversität" des Rechts. Alle drei Begriffe verfügen nicht über eine inhaltliche und funktionale Eindeutigkeit und zeigen kein bestimmtes Verhältnis zu- und untereinander. Eine sehr vage Gemeinsamkeit solcher "Rechtspluralitäten" besteht allein in deren Unterscheidung oder Abweichung vom Gegenbegriff einer "Rechtseinheit" bzw. der ideal gedachten Einheit der Rechtsordnung, wie sie von den Kodifikatoren des Privatrechts im Zeitalter der Aufklärung versucht wurde zu verwirklichen. In einem solchen Spannungsverhältnis zwischen Einheitlichkeit oder Vielfalt gesellschaftlicher und staatlicher Rechtsgestaltung steht jedes organisierte Gemeinwesen. Das ist eine historische Erfahrung, die sich seit der römischen Antike in der rechtssystematischen Einteilung in ein "ius universale " und "ius speciale/particulare" zeigt. In der aktuellen Diskussion scheint "Multinormativität" als der umfassendere Begriff für die Rechtevielfalt gebraucht zu werden. In der rechtstheoretisch orientierten Literatur kann man je nach disziplinärer Einteilung bis zu sieben "Rechtspluralismen" unterscheiden, die die Definitionsnot und sprachliche Bedeutungsvielfalt nachdrücklich belegen. Dieser "Pluralismus" kann durch Rechte oder auch "Rechts-Ordnungen" in der Interaktion zwischen einer herrschenden und einer alternativen "Rechts-Ordnung" bestimmt sein. Die Konkretisierungsbedürftigkeit von "Rechtspluralismus" und "Multinormativität" haben diese beiden Begriffe auch gemeinsam mit dem geläufigen Nachbarbegriff der pluralen "Rechtsquellen", die als Sammelbezeichnung für die Grundlagen rechtlicher Entscheidungen fungieren. Multinormativität kann heute als eine extensive Variante von "Rechtsquellenvielfalt" oder "Rechtsvielfalt" gesehen werden, beschränkt sich jedoch nicht auf die Dimension der rechtlichen Entscheidungsgrundlagen, sondern erweitert diese auch auf die Vielzahl möglicher außerrechtlicher entscheidungsrelevanter "Normen". Das ist der Grund, weshalb heute der Begriff des "normative pluralism" dem des "legal pluralism" vorgezogen wird, um auch das "phenomenon of law beyond the state" in den Griff zu bekommen. In der deutschen Literatur ist heute das beliebte Bild und der vielgebrauchte Begriff der "Rechtsquellen" höchst umstritten, da in ihm mehr das "fließende" Element höchst mobiler rechtlicher Ordnungsinstrumente zum Ausdruck kommt als die Bestimmtheit und Sicherheit rechtlicher Normangebote. Luhmann bezeichnete die eine Rechtspluralität indizierende Rechtsquellenlehre als ein "mehrschichtiges Theoriegebäude mit schwankenden Fundamenten" und Esser sprach sogar von den "doktrinären Peinlichkeiten", vor die sich die Rechtsquellenlehre gestellt sah und gestellt sieht. Multinormativität löst heute weitgehend den "Rechtsquellen"-Begriff ab, indem er ihn vor dem Hintergrund internationaler politischer Praxis und Erfahrungen überlagert und ausweitet. ...
Geschlechtliche Vielfalt ist auch rechtlich mehr als Zweigeschlechtlichkeit, so das BVerfG in seinem Beschluss zur "dritten Option": Das aktuelle Personenstandsrecht ist verfassungswidrig, soweit es dazu zwingt, das Geschlecht zu registrieren, aber keinen anderen positiven Geschlechtseintrag als weiblich oder männlich zulässt. Ebenso revolutionär wie das Ergebnis ist auch die Begründung: Der Senat ordnet den Schutz der Geschlechtsidentität erstmals nicht nur dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG zu, sondern auch dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG. Im Rahmen des Symposiums wirft dieser Beitrag einen Blick auf die freiheitsrechtliche Begründung und arbeitet heraus, warum es wichtig ist, Freiheitsrechte und Gleichheitsrechte nicht isoliert voneinander zu betrachten.
"Gleichstellung ohne Männer" und "Mann kann nicht Gleichstellungsbeauftragter werden" bzw. "Mann darf nicht Gleichstellungsbeauftragter werden" titeln die Zeitungen zum Urteil des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom letzten Dienstag (10. Oktober 2017). Gerügt wird, dass Gleichstellung "nicht nur Frauensache" bzw. kein "reines Frauenthema" sei. Und die Kommentarspalten sind einmal mehr voll wütenden Aufruhrs.
According to international and national constitutional law, indigenous peoples in most Latin American countries have the right to maintain and strengthen their distinct political, legal, economic, social and cultural institutions. As a consequence of this and of a long and ongoing process of political debate and recognition, ever more indigenous peoples are practicing their own laws, following their own cultural traditions and customs. In doing so, they often draw on history, recreating their identities and reconstructing their distinct legal pasts. At the same time, historical research has increasingly pointed out the intense interaction between indigenous peoples and European invaders during colonial period. It has become clear that it is difficult to draw a clear line between purely ‘indigenous’ and ‘colonial’ legal traditions due to the hybridisation of indigenous and colonial laws and legal practices. The aim of this paper is to introduce this historiography and its relevance to law and to present some methodological challenges in writing the history of indigenous rights in Latin America resulting from this shift in (legal) historiography.