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The conference paper interprets Spinoza's concept of “sola scriptura” as a reductio ad absurdum of historicalcritical approaches to text interpretation. It shows that despite Spinoza's emphasis on the revelatory function of scripture and despite his claim that there is only one method of reading it, he intently and distinctly undermines this very hermeneutics as unreliable and incompatible with both reason and truth. The text follows the central intuition that for Spinoza, this insuffiency of hermeneutics accounts for its political potential, as a means of uncoupling politics and theology.
Das Zentrum und den Ausgangspunkt von Katja Diefenbachs Beitrag "'Conatus' versus 'cogito'" bildet, wie der Untertitel anzeigt, "der Streit um Spinozas spekulativen Materialismus in der postmarxistischen Philosophie". Sie stellt die kritischen Positionen Badious und Žižeks vor und diskutiert die unterschiedlichen Anknüpfungen an Spinoza in der postmarxistischen Philosophie bei Negri und Agamben, macht aber zugleich deutlich, dass sich ihre eigene Auslegung der Philosophie von Spinoza und des Conatusprinzips an Deleuze orientiert. So geht sie mit Deleuze davon aus, dass Spinoza das Sein als unendliche Potentialitätsdifferenz begreift, in dem der Mensch nichts anderes ist als "Handelnd-Werden, Vermögend-Werden, Verursachend-Werden, das eine Reihe kritischer Wendepunkte umfasst." Sie betont, dass die Struktur des Conatusprinzips anarchisch und nichtvorschreibend ist und genau deswegen einen Primat der Politik begründe, in dem es nicht um den Sprung in die Freuden des Denkens gehe, sondern um die Ungarantiertheit dieses Sprungs.
Der Aufsatz von Manuele Gragnolati und Christoph F. E. Holzhey "Aktive Passivität?" über Pier Pasolinis Theaterstück und seinen gleichnamigen Film "Schweinestall" (Italien 1969) setzt an der Auseinandersetzung von Julian, dem Protagonisten mit dem ihm im Traum erscheinenden Spinoza an. In dem Gespräch mit Julian, das im Film nicht vorkommt, diesem jedoch zugrunde liegt, tritt Spinoza zunächst als eben jener rationalistische Philosoph auf, der für den bürgerlichen Rationalismus verantwortlich ist. In ihrer Lektüre zeigen Gragnolati und Holzhey, dass Pasolinis Auslegung von Spinozas Philosophie schließlich darin mündet, dass sie Julian ermutigt, sich seinen Affekten hinzugeben, die ihn zu den Schweinen ziehen, um sich von ihnen verschlingen zu lassen. Damit entwickelt Pasolini in seiner subtilen Abschwörung von Spinoza, wie Gragnolati und Holzhey argumentieren, avant la lettre eine queere Kunst des Scheiterns, in der Julian eine mögliche Form des Protestes und der Möglichkeit darstellt, sich der Teilhabe an der Macht zu entziehen.
Austreibung der Schatten? : die fröhliche Wissenschaft gegen ihre neuen Bewunderer verteidigt
(2017)
Christine Blättler geht in ihrem Beitrag über die "fröhliche Wissenschaft" der Frage nach, warum der Anthropozentrismus derzeit so breit kritisiert wird. Sie will damit anthropozentrische Annahmen nicht verteidigen, sondern auf die unhinterfragten und unbemerkten Verschiebungen in der Anthropozentrismuskritik hinweisen. Habe sich die Rede von einem "Ende des Menschen" im Anschluss an den Philosophen Michel Foucault zunächst gegen ein reduziertes Bild des Menschen in der Moderne gerichtet, sei Anthropozentrismuskritik heute etwa in ökologischen Diskursen als sehr affirmativ zu beurteilen, wenn ein optimaler Zustand der Welt tatsächlich vollständig ohne den unklug handelnden und zerstörerischen Menschen gedacht werden solle. Insgesamt macht sich Blättler mit Nietzsche und Spinoza, dessen Conatus sie um einen negativen Aspekt ergänzt, für das Denken einer offenen Zukunft stark.
Im Folgenden erörtert Alexander Nebrig den Zusammenhang zwischen der international anschlussfähigen Philosophie Spinozas in Auerbachs Werk einerseits und der internationalen Verbreitung ebendieses Werkes andererseits. Es geht um die ideellen Eigenschaften von Literatur, die ihren Entstehungs- und primären Vertriebsraum überschreitet und in Übersetzungen Erneuerung findet. Bislang wurden Auerbachs Erzählungen vornehmlich mit dem Pantheismus Spinozas in Verbindung gebracht. Die Spinoza-Rezeption lässt sich aber noch stärker präzisieren. Zu zeigen ist, dass die Affektenlehre der spinozistischen Ethik für Auerbachs Figurenpsychologie strukturbildend wurde (I, II). Im Anschluss an die Überprüfung dieser Hypothese wird in einem zweiten Schritt Auerbachs Spinoza-Rezeption in Verbindung mit seiner Einstellung auf internationale Kontrolle des Werkes gebracht (III, IV). Das neue grenzüberschreitende Verwertungsbewusstsein wurde von der Entstehung des übersetzungsrechtlichen Denkens ermöglicht. Auerbach verfolgte aufmerksam die urheberrechtliche Entwicklung und trat selbst als Lobbyist internationaler Urheberübereinkünfte auf, was ihn zu einem Pionier internationaler Werkherrschaft macht. Leitend ist an dieser Zusammenführung von literarischer Hermeneutik und Urheberrechtsgeschichte die bereits an anderen Fällen erörterte These, dass Vertriebs- und Vermittlungslösungen in einem wechselseitigen Verhältnis mit der Werkstruktur stehen können.
Die Möglichkeit einer 'Aktiven Passivität' und der Entwicklung einer queeren Kunst des Scheiterns mit Spinoza lotet Christoph F. E. Holzhey in seinem Aufsatz "Paradoxe Lust zwischen Teleologie und Mechanik" entlang der Diskussion systemtheoretischer Probleme weiter aus, die Spinozas "Ethik" mit ihrer Verschränkung von Epistemologie, Ontologie und Ethik aufwirft. Ausgehend von dem bekannten Satz Spinozas, nach dem bisher noch niemand bestimmt habe, was ein Körper vermöge, fragt Holzhey ob dieser Satz, der den Körpern und der Materie eine eigene Aktivität zuschreibe, tatsächlich, wie es in vielen aktuellen Positionen der New Materialismen unterstellt wird, mit einer Überwindung der Newtonschen Physik und deren Mechanik verbunden sei. Seine zentrale Frage zielt auf die neovitalistischen Tendenzen in den aktuellen Auslegungen des Conatusprinzips. Werden, so fragt Holzhey, hier nicht genau jene Probleme behandelt, welche die Thermodynamik und statistische Mechanik am Ende des 19. Jahrhunderts aufwarfen? Statt jedoch zu fragen, wie aus Trägheit Fortschritt wird, untersucht er, wie Fortschritt durch Trägheit denkbar ist. Dazu fokussiert Holzhey die Verbindung von Ethik und Affektlehre und legt das Conatusprinzip konsequent als Trägheitsprinzip aus. Vor diesem Hintergrund zeigt er nicht nur, wie nah sich Spinozas Unterscheidung von Freude und Trauer an Freuds Lust und Unlust bewegt, sondern auch, dass sich die Hierarchisierung der Freude nicht halten lässt, sondern die Affekte allein als paradoxe Lust ihre antiteleologische und antinormative Wirkung entfalten.
Ali Benmakhlouf zeigt die Spannung zwischen dem Begriff des Conatus und der Lebensnot bei Spinoza auf. Spinoza gründe seine Ethik gerade auf dem wirkmächtigen Vergleich der menschlichen und philosophischen Suche nach beständiger Freude mit einer tödlichen Erkrankung, angesichts der man in äußerster Gefahr zu den noch so unsichersten Hilfsmitteln greift. Mit seiner Ethik, so Benmakhlouf, arbeitet Spinoza nicht auf die Änderung einer moralischen Einstellung oder Haltung hin, sondern auf eine Lebensform im Sinne Wittgensteins. Hiervon ausgehend verfolgt der Beitrag weiter, wie sich die Spannung zwischen Streben und Lebensnot durch Überlegungen von Montaigne, Frege, Whitehead bis hin zu Wittgenstein nachverfolgen lässt. Abschließend setzt Benmakhlouf seine Position von der Wittgensteins mit einem Verweis auf ein literarisches Gedankenspiel Lewis Carrolls ab, unterstreicht aber mit Spinoza und Wittgenstein, dass das Philosophieren und ethische Entscheidungen gewissermaßen eine therapeutische Tätigkeit darstellen, die der Lebensnot begegnet.
Reinhold Görling geht von einem untrennbaren Zusammenhang von Conatus und Verletzbarkeit bzw. Tod aus, die er mit dem Begriff der Lebensnot verbindet und schon bei Spinoza selbst angelegt sieht. Die These einer immer schon bestehenden Nähe von Conatus und Lebensnot konturiert er im Folgenden im Rahmen eines immanenzphilosophischen und relationistischen medienästhetischen Ansatzes. Mit Deleuze verortet er den Moment, in dem Conatus und Lebensnot in einem singulären Leben verbunden sind in der Kunst. An jenem Punkt, in dem Ethik und Ästhetik in der Kunst ineinander übergehen, finden zugleich Relationalität und Widerstand zusammen. In einer dichten Lektüre des Films "Son of Saul" von Lázló Nemes (USA 2015) über ein Mitglied des Sonderkommandos in Auschwitz legt Görling dar, was er als ethisch-ästhetischen Grund des Films versteht.
Dass der Name Spinoza und seine Schriften in der philosophischen und literarischen Rezeption des 17. und 18. Jahrhunderts für eine spezifische Form des kritischen Denkens stehen, die insbesondere in den Beiträgen und Debatten einer radikalen Aufklärung verhandelt wird, ist seit den Studien Paul Vernières ("Spinoza et la pensée française avant la Révolution". Paris: PUF 1954) und Winfried Schröders ("Spinoza in der deutschen Frühaufklärung". Würzburg: Königshausen und Neumann, 1987) bekannt. Der genannte Zusammenhang zeigt sich indessen in Yves Cittons Studie unter einem völlig neuen Blickpunkt. Der Einsatz des Buchs ist, wie bereits der Titel signalisiert, ein doppelter: Zum einen geht es um jene philosophisch-systematische Problematisierung des Freiheitsbegriffs, wie sie Spinoza in seinem Hauptwerk, der Ethik, durchführt. Zum anderen gilt die Aufmerksamkeit den vielfältigen Resonanzen und Fortschreibungen, die das 'System' Spinoza in den Kreisen der philosophes, den Diskussionen der Salons und in Romanen der französischen Aufklärung hervorruft. Die Arbeit rekonstruiert diese beiden in Form und Stil gänzlich verschiedenen Diskursstränge, indem sie sie in einer parallelen, durchgängig auf zwei Ebenen geführten Lektüre miteinander konfrontiert. Die Resonanz, die die spinozistischen Topoi in den Debatten und literarischen Fiktionen der Aufklärung erhalten, zeugt von der produktiven Anregungskraft des Spinozaschen Ansatzes, der sich so weniger als ein fertiges Denkgebäude denn als eine kombinatorische "Maschine der Ideenproduktion" ("machine-à-articuler-de-la-pensée", S. 19) erweist. Ob die Umschriften und Interpretationen des unter dem Namen Spinoza tradierten Gedankenguts, die die philosophische Imagination des 18. Jahrhunderts auf solche Weise hervorbringt, noch durch die Autorität der Spinozaschen Texte gedeckt sind, lässt sich dabei zumeist nicht ohne weiteres entscheiden. Von daher ist die Diskussion, die dort im Zeichen des Spinozismus geführt wird, unter Begriffen wie ‘Einfluss' oder 'Rezeption' kaum zureichend zu erfassen (vgl. S.43). Zutreffender lässt sich, wie Citton vorschlägt, das imaginaire spinoziste, das aus jenen Debatten hervorgeht, als Produkt der inventio, als 'Erfindung' beschreiben (S. 42-43). Die Vorstellung einer Erfindung des Spinozaschen Projekts verdankt sich dabei weniger, wie man zunächst meinen könnte, einer postmodernen oder poststrukturalistischen Inspiration, sie kann sich vielmehr auf die Selbstbeschreibungen der Epoche berufen. Schon von einem zeitgenössischen Beobachter des 18. Jahrhunderts, der der anti-spinozistischen Offensive angehört, Joseph Adrien Lignac, wird das Tun derer, die er für Spinozisten hält, als eine "invention" bzw. "seconde invention" beschrieben (S. 42). Man mag ein Moment von Ironie darin sehen, dass an dieser re-inventio des Spinozaschen Projekts, die zugleich eine Radikalisierung und eine Refundierung ist, offenbar auch diejenigen teilhaben, die es, der Intention nach, in aller Entschiedenheit angreifen und bestreiten. Die anti-spinozistischen Gegner befördern, ohne es zu wollen, die Verbreitung und Vertiefung jenes spinozistischen Gedankenguts, das sie prima facie bekämpfen (vgl. S. 44-45). Mehr noch: Die Gegner sind bisweilen sogar die scharfsichtigeren Leser Spinozas: in ihren Polemiken lassen sie die radikaleren Implikationen von Spinozas Entwurf mitunter deutlicher zutage treten als seine spinozistischen Nachfolger. Zur Verwischung der Grenze von Diskurs und Gegendiskurs, die sich hier zeigt, tragen indessen, wie Citton scharfsinnig beobachtet, auch die Spinozisten bei. Denn auch sie schließen keineswegs nur in positivem oder bestätigendem Sinne an Spinoza an. Im Gegenteil: diejenigen, die Spinozas Konzept fortschreiben, berufen sich kaum je in zustimmender Weise auf ihren 'Meister'. Charakteristisch für dessen aufklärerische Nachfahren ist vielmehr ein Moment der Negation, der zumindest partiellen Zurückweisung, durch das sie sich vom 'System' Spinozas abzugrenzen und zu unterscheiden suchen (vgl. S. 39-40, 43-44).
Spinozastudien
(1919)