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Die ‚Neue Mythologie’ ist, so wie sie sich in Friedrich Schlegels Notizheften und seinem „Gespräch über die Poesie“ darstellt, ein literarischer Kunstgriff theoretischer Selbstbehauptung. Er macht seinen Anspruch, die überlieferte wie die zeitgenössische Philosophie und Wissenschaft zu überbieten, zugleich als rhetorische Strategie durchsichtig.
Tagebücher und Notizen sind offenbar Medien, in denen intensiv am Abbau der Unverfügbarkeit in der Selbst- und Weltbegegnung gearbeitet wird und daran, sich selbst 'irgendeine Festigkeit' zu geben. Dabei geht es weniger um konkrete narrative Strategien zur Konstituierung des Selbst, die in jüngeren Identitätstheorien immer wieder eine Rolle spielen, als um das Schreiben über sich als Praktik im Umgang mit tiefem existenziellem Unbehagen. Um diese Praktik genauer in den Blick zu nehmen, soll an den "Carnets" von Albert Camus gezeigt werden, wie das Schreiben über sich als eine Technik verstanden werden kann, mit der Schreibende der Unbeherrschbarkeit der Welt begegnen wollen. Camus' Aufzeichnungen in den Fokus zu rücken, ist deshalb aufschlussreich, weil sich gerade im Kontext seiner 'Philosophie des Absurden' die Frage stellt, wie Subjekte in der grundständigen Überzeugung von der 'transzendentalen Obdachlosigkeit' dafür Sorge tragen, dass sie in und trotz dieser Umstände leben können. [...] Vielmehr zeigen Camus' "Carnets", inwiefern mit der 'Absurdität' der Welt und der damit verbundenen Abnahme von Verbindlichkeitverheißungen auch die Notwendigkeit zur Selbstsorge steigt. Wenn uns nichts mehr beherrscht, dann - so die These - arbeiten Subjekte zumindest nicht weniger nachdrücklich daran, sich selbst zu beherrschen, um (über-)leben zu können, als sie es in den Soliloquien christlicher Prägung bereits taten. Methodisch wird der Versuch unternommen, die in Hans Blumenbergs Mythostheorie zu findenden Kategorien 'Lebensangst' und 'Lebenskunst' mit Michel Foucaults Überlegungen zur 'Selbstsorge' als 'Lebenskunst' zu verknüpfen. Auf diesem Wege soll das Schreiben über sich in Tage- und Notizbüchern als fundamentale anthropologische Praktik in den Blick rücken, mit der der 'Angst' vor dem "In-der-Welt-sein als solche[m]" (Heidegger) begegnet wird. In diesem Sinne schreibt schon der italienische Philosoph Franco 'Bifo' Berardi: "L'impresa umana è comunque sempre simulazione di un fondamento. Di una simulazione pratica ed epistemica." Ebendiese 'Simulation eines Grundes' soll am Schreiben über sich in Camus' "Carnets" profiliert werden.
Begriffsgeschichte
(2018)
Die jüngeren Aufbrüche und Umbrüche haben den Begriff 'Begriffsgeschichte' nicht unberührt gelassen: "Als undogmatische Sammelbezeichnung für die Erforschung semantischer Veränderungsprozesse hat sich mittlerweile der Terminus historische Semantik interdisziplinär etabliert." Die Ausnüchterung des Begriffs im Terminus, der Begriffsgeschichte in der historischen Semantik, hilft bei der Abwehr prekärer und vielleicht auch gar nicht mehr zeitgemäßer Fragen, zumal der notorischen nach dem 'Begriff des Begriffs' der Begriffsgeschichte. Paradoxerweise drängen sie aber wieder, wenn sich die Begriffsgeschichte selbst historisch zu werden beginnt. Und da neben Interdisziplinarität und Internationalisierung auch Historisierung unabdingbar zum Ausweis wissenschaftlicher Geltung und Aktualität gehört, kommt Begriffsgeschichte um ihre Selbsthistorisierung gerade jetzt, zu Zeiten ihres späten Ruhmes, nicht herum.
Der Artikel schlägt vor, die Frage nach dem Berühren indirekt, d.h. ausgehend von einer Unhaltbarkeit der Unbetroffenheit aufzugreifen. In 'Schiffbruch mit Zuschauer' diskutiert Hans Blumenberg den Verlust der Zuschauerposition als einen rezeptionsgeschichtlichen Umschlagpunkt. Entscheidend hierfür sind die von Jacob Burckhardt beschriebenen Aporien der Geschichtsschreibung im "Revolutionszeitalter". Ein Blick auf Burckhardts Metaphernkonstellationen kann zeigen, dass die beschriebene "Krisis" die Logik der großen historischen Instanzen gerade unberührt lässt. Demgegenüber lässt sich mit Blumenbergs bereits 1979 angekündigter 'Theorie der Unbegrifflichkeit' eine Variante möglichen Distanzverlusts erschließen, die sich keinem hintergründigen Spiel historisch wirksamer Kräfte, sondern der immanenten – und darin keineswegs ahistorischen – Destruktion der Leistung des Begriffs verdankt. Unter dem Titel der Berührbarkeit wird die Wiederkehr des Sinnlichen zunächst als eine Krise methodischer Sicherungen reformulierbar.
Als Hans Blumenberg 1974 den Kuno-Fischer-Preis für Philosophiegeschichte erhält, fällt in seiner Dankesrede der Satz: "Ich habe den Vorwurf des 'Historismus' immer als ehrenvoll empfunden." Aus dem Mund eines Philosophen muss diese Aussage verwundern, denn polemisch verwendet meint 'Historismus' schließlich das glatte Gegenteil von Philosophie: reines positivistisches Faktensammeln ohne alle Wertung. Die Genese der Phänomene klären zu wollen, ohne ihre Geltung bestimmen zu können - so ließe sich der "Vorwurf" zusammenfassen -, endet in einem aussagefreien Relativismus. Als philosophische Haltung löst der Historismus Philosophie in Geschichte auf. Dass er dennoch "ehrenvoll" sein kann, lässt sich für Blumenberg aber durchaus philosophisch begründen. Verstanden als Korrektur falscher Geschichtsverständnisse nämlich ist der Historismus für ein ganzes geschichtstheoretisches Programm nutzbar zu machen: Blumenberg nannte es einmal die "Destruktion der Historie".
Die künstliche Außenweltbeleuchtung ist keine neutrale Helligkeit, die die Sichtbarkeit der von ihr bestrahlten Umgebung unmodifiziert über die Dämmerungsgrenze hinweg in die Nacht hinein weiterdauern lässt. Sie hat in aller Regel einen intrusiven Aspekt und schafft ein spezifisches, vom Tagesanblick deutlich unterschiedenes Erscheinungsbild. Meistens erzeugt sie zum Beispiel Wahrnehmungsbilder, die mit fast allen Formen von gemalten Abbildungen und mit narrativen Darstellungen gemeinsam haben, 'Unbestimmtheitsstellen' zu enthalten. Die Wahrnehmungsgeschichte der künstlich erleuchteten Stadtzentren ist von der Komplexität geprägt, die auch das Verhältnis von Kunstlicht und Raum charakterisiert. Im Verlauf der Epoche, die mit der Aufstellung der ersten Gaslaternen zu Beginn des 19. Jahrhunderts begann und die mit der Einführung der elektrischen Glühbirnen, der Neon-Röhren und schließlich der LED-Dioden ihre Fortsetzung fand, hat das von diesen Lichtern erzeugte Raumerlebnis mehrfach qualitative Veränderungen erfahren. Die folgenden Ausführungen kontrastieren vier historisch aufeinander folgende Typen von Wahrnehmungsbildern der erleuchteten Innenstädte: 1.) Reaktionen aus der 'Pionierzeit' der Straßenbeleuchtung (bis Ende des 19. Jahrhunderts); 2.) Reaktionen aus der Zeit der Einführung der elektrischen Beleuchtung; 3.) die avantgardistische Kunstlichtwahrnehmung der 1920er Jahre; 4.) Wahrnehmungsbilder, wie sie aktuell angewendete Beleuchtungspraktiken nahelegen. Die beobachteten Wandlungen im Erleben der beleuchteten Stadtszenerien werden mit Tendenzen, die für die jeweiligen Stadtgesellschaften typisch sind, in Zusammenhang gebracht.
Die Frage ist, ob Blumenbergs explizite Überlegungen zum Phänomen der Epochenschwelle - vor allem in der 'Legitimität der Neuzeit' - sich auch in seinen anderen begriffs- und metapherngeschichtlichen Studien niederschlagen bzw. in welchem Verhältnis beide Theorieelemente zueinander stehen. Dieser Frage widmen sich die folgenden Anmerkungen. Sie versuchen beide Bereiche in Blumenbergs Denken aufeinander zu beziehen, ihre Kohärenz zu untersuchen und sie in eine produktive Spannung miteinander zu bringen.
In seinen "Paradigmen zu einer Metaphorologie" übertrug Hans Blumenberg den Begriff 'Halbzeug' aus dem Bereich der industriellen in den der philosophischen Produktion und stiftete so eine Metapher für die vorläufigen, nicht vollends durchgearbeiteten Stadien der Text- und Gedankengenese. Denn Halbzeuge sind ihrem Begriff nach vorgefertigte Rohmaterialformen, Werkstücke oder Halbfabrikate einfachster Form, die kein Rohstoff mehr sind, zum fertigen Produkt aber erst noch weiterverarbeitet werden müssen. Ob tatsächlich die "Paradigmen" selbst, wie Blumenberg nahelegte, in diesem Sinne als philosophisches Halbzeug verstanden werden müssen, soll hier nicht Thema sein. Christian Voller geht es vielmehr darum, die Reichweite der Metapher anhand Blumenbergs eigener philosophisch-literarischen Arbeitsweise zu erproben. Dabei denkt er insbesondere an jenen Zettelkasten, der bekanntlich ein elementarer Bestandteil dieser Arbeitsweise gewesen ist.
An ein philosophisches Fachpublikum richtete sich Blumenberg zuerst mit "Die sprachliche Wirklichkeit der Philosophie", geschrieben 1946 und veröffentlicht im Jahr darauf in der Hamburger Akademischen Rundschau. [...] Der Essay von nur vier Seiten zeugt von Blumenbergs Hadern mit allen Versuchen, die Philosophie von Grund auf neu zu errichten. Erstaunlich daran ist nun, dass Blumenberg dabei nicht als Vertreter der Phänomenologie und Anthropologie auftritt, als der er heute vor allem gelesen wird. Stattdessen erscheint er in diesem Anfangstext als Sprachtheoretiker.