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'Generationenromane' versus 'Väterbücher'. - Stephan Wackwitz' Roman 'Ein unsichtbares Land' (2003) hat eine gleichsam panoramische Struktur: Der Text bietet die wohl eingehendste und materialreichste "Auseinandersetzung mit familiären und kulturellen Archiven" aller jüngeren 'Generationenromane' und rekonstruiert, ausgehend von den schriftlichen Erinnerungen Andreas Wackwitz', des Großvaters des Erzählers, die Geschichte des 20. Jahrhunderts als Familiengeschichte - von der 'Urkatastrophe' des ersten Weltkriegs bis in die Gegenwart. Dabei entspricht 'Ein unsichtbares Land' in scheinbar idealtypischer Weise den literaturwissenschaftlichen Postulaten über die aktuellen 'Generationenromane'.
Der Text beruht tatsächlich auf der "nachträglichen Rekonstruktion einer Familiengeschichte", wobei diese "rekonstruierte Vergangenheit [...] weit hinter die Geburt der Erzählfiguren" zurückreicht und "daher nur schwer vereinbar mit einem kontinuierlichen Erzählen" ist; in ihm wird "Geschichte neu besichtigt und rekonstruiert", und zwar "mit dem Anspruch, unbekannte Aspekte der historischen Wahrheit freizulegen" - er ist, kurzum, ein Zeugnis hingebungsvoller "Arbeit am kulturellen Gedächtnis als Konstruktionsarbeit" und somit kohärent mit der gängigen Deutung des 'Generationenromans' der Gegenwartsliteratur als metahistorisches, selbstreflexives und eben gleichsam 'rekonstruktives' literarisches Verfahren, das gedächtnistheoretisch grundierte Interpretationsansätze erfordert. Als scheinbar prototypischer 'Generationenroman' ist nun 'Ein unsichtbares Land' in zweifacher Hinsicht von besonderem Interesse. Zum einen reflektiert Wackwitz als "Repräsentant der 68er-Generation" genau die intergenerationellen Verwerfungen, die auch in der sogenannten 'Väterliteratur' der Siebziger- und Achtzigerjahre prominent figurieren. Mithin lässt sich an diesem im Paratext als 'Familienroman' bezeichneten Werk besonders deutlich und prägnant zeigen, wie mangelhaft und revisionsbedürftig auch die jüngeren literaturwissenschaftlichen Differenzierungsversuche zwischen der 'Väterliteratur' und den aktuellen 'Generationenromanen' zuweilen sind.
In Stephanie Willekes Beitrag ""Nichts mehr stimmt, und alles ist wahr." Tabubrüche in Herta Müllers "Atemschaukel"" steht die literarische Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen im Vordergrund der Betrachtung. Herta Müllers "Atemschaukel" fokussiert das Schicksal in Rumänien lebender Deutscher, die zum Kriegsende in Arbeitslagern interniert werden. Damit wird in gewisser Weise ein Tabu im Sinne des Unausgesprochenen berührt, da das Schicksal der internierten Rumäniendeutschen im Kollektivgedächtnis weitestgehend ausgespart bleibt.
Modern memory theories conceptualize literature as a medium of cultural memory. Yet, the following article challenges this conceptualization, arguing that ascribing a memory function to literature undermines the de-pragmatization of literature in modernity. Through a poetological reading of Ralf Rothmann's novel "Milch und Kohle" (2000) the article then investigates in which way a memory function could be ascribed to modern literature without undermining the latter's status as a de-pragmatized system.
La novela "Leche y carbón" de Ralf Rohmann, publicada en el año 2000, sigue el modele literario deI texto de la memoria. Mientras que en su superficie se traza la imagen de la memoria de una juventud en la región del Ruhr, en su nivel poetológico la novela reflexiona sobre el paradigma literario mismo del texto de la memoria. Estas cuestiones se encuentran en el centro del siguiente análisis.
Der in Pamuks Memoiren zentrale Begriff 'hüzün' lässt sich nicht einfach mit Melancholie übersetzen. Im Gegensatz zu dem individuell erlebten Gefühl der Melancholie – im Türkischen verwendet Pamuk hier den dem Französischen entlehnten Begriff 'melankoli' – beschreibt 'hüzün' ein kollektives Gefühl, das die Stadt in ihren Bewohnern auslöst. 'Hüzün' ist die Reaktion auf die Schwarzweißatmosphäre der Stadt an einem grauen Wintertag, Ausdruck der Schicksalsergebenheit ihrer Bewohner und gleichzeitig ein Gefühl, das der Anblick der Ruinen der einstmaligen osmanischen Hauptstadt im Betrachter hervorruft. Pamuks Werk zeichnet das Bild der Istanbuler als eine affektive, durch 'hüzün' verbundene Gemeinschaft. [...] Die Memoiren veranschaulichen die Faszination, die für Pamuk mit den melancholischen Porträts der Stadt in der westeuropäischen wie der türkischen Literatur, Kunst und Fotografie verbunden ist. Sie verfolgen, wie der Autor sich 'hüzün' als Quelle literarischen Schaffens zu eigen macht. Ob und zu welchem Zweck Pamuk, wie Kemal und Tanpınar vor ihm, 'hüzün' zu einem kollektiven, nationalen Affekt stilisiert, soll im Folgenden untersucht werden.
Eine formgeschichtliche Betrachtung kann zeigen, daß in Hebels "Rheinländischem Hausfreund" die narratologische Beziehung zwischen Kalendermann und Leser sich nur scheinbar harmlos und vertraulich darstellt, im Text sich aber als simulierte Nähe aus Distanz und Fremdheit herstellt. Auf vergleichbare Weise wird eine in den Kalendern simulierte Mündlichkeit beschreibbar als Produkt einer um 1800 sich durchsetzenden dominanten Schriftlichkeit. Die formgeschichtliche Analyse der Kalenderfolge kann eine im Schatzkästlein nicht mehr ersichtliche Korrespondenz von Beschreibungen des Kosmos und politischen "Weltbegebenheiten" rekonstruieren und damit eine bislang behauptete statische Geschichtsauffassung widerlegen. Schließlich vermag die formale Analyse einer raffinierten Verschränkung von Satire und Camouflage die in Hebels Reise nach Paris eingeschriebene Distanz sowohl zu den Nationalisten wie zu den regierenden Monarchien herauszuarbeiten.
Der Garten : zur Einführung
(2000)
Viele der Erzählstücke Erwin Strittmatters sind weithin von der Erinnerung bestimmt, kamen aus dem Versuch, "die Vergangenheit mit einem geistigen Echolot abzutasten". [...] Im Arrangieren und Kombinieren werden die Erinnerungsbilder überschritten, experimentelle Konstruktionen hervorgebracht, die Beispiele sein können für Einblicke in verwickelte Wirklichkeiten, die womöglich mit schönem Glanz auftreten, die Hinweise werden auf ein unbestimmt Weites, auf offenbare oder verdeckte Möglichkeiten oder die den Entwurf eines Anderen geben.